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Von Straßburg abwärts wird der Rhein für den Handelsverkehr in Ober-, Mittel- und Niederrhein eingeteilt; drei Stromstrecken, welche die Natur selber durch größere Schiffbarkeit unterschieden hat. Jeder derselben entspricht einer der drei Hauptpunkte an dem handeltreibenden Rhein – Straßburg, Mainz und Köln –, welchen die Notwendigkeit der Umladung auf die geeigneten Schiffe ein natürliches, dann auch vom Reich anerkanntes und verbrieftes Stapelrecht verliehen hat. Der jugendliche Rhein oberhalb Straßburg fällt ganz außerhalb dieser Einteilung. Noch sind aber die zwischen Straßburg und Mainz fahrenden Schiffe von minderer Ladungsfähigkeit als die, deren man sich auf dem Mittelrhein, zwischen Mainz und Köln, oder gar auf dem Niederrhein, zwischen Köln und der Nordsee bedient. Und gleichwohl erhält ein oberländisches Schiff in Straßburg noch nicht die volle Ladung, sondern diese wird auf mehrere kleine, angehängte Fahrzeuge verteilt, von welchen sie erst zu Neuburg oder Schröck (Leopoldshafen bei Karlsruhe) auf das Hauptschiff zusammengebracht werden darf. Denn indem er sich der Rheinpfalz nähert, legt der Rhein allmählich sein Ungestüm ab und nimmt einen regelmäßigeren Lauf an. Auch hat nun sein Bett die für schwerer beladene Schiffe erforderliche Tiefe, und für die Schiffahrt gefährliche oder bedenkliche Stellen kommen erst unterhalb Bingen wieder vor. Dagegen ist in diesen Ebenen der Rhein zu Überschwemmungen geneigt und muß in früheren Zeiten sein Bett mehrfach gewechselt haben. Die Gegend unterhalb der alten Reichsfestung Philippsburg wird das Prurhein (Prorhenum) genannt. Der Hauptort desselben war Bruchsal, das wie Brüssel nach Brüchen und Sümpfen genannt scheint. So hat auch das benachbarte Durlach von dem See (Lacus) den Namen, den hier der Rhein gebildet haben soll. Endlich wurde der Mettersheimer Hof zwischen Gemersheim und Philippsburg sonst Kleinholland genannt. All dies deutet auf Verheerungen hin, die hier der Rhein angerichtet hat, ehe Natur oder Menschenhand ihm festere Ufer bildete.
Der Name der Rheinpfalz ist jetzt nur dem rheinbayerischen Land offiziell und im gewöhnlichen Sprachgebrauch, außerdem noch dem benachbarten Rheinhessen verblieben, während auf dem rechten Rheinufer die alte Hauptstadt der Kurfürsten von der Pfalz samt ihrer Umgebung badisch geworden ist. Die wichtigsten Momente aus der Geschichte der Pfalz zu erzählen werden wir von Zeit zu Zeit Gelegenheit finden. Auffallend ist es, wie die Pfalz gleichsam eine Reise den Rhein hinauf und wieder hinab gemacht hat. Zuerst nämlich treten die Pfalzgrafen zu Aachen, am Niederrhein, auf. Bald darauf erfahren wir, daß der Tomberg, zwischen Bonn und der Eifel, ihnen von alters her gehört hat. Weiterhin finden wir sie als Herren von Laach bei Andernach zwischen der Mosel und der Nette stark begütert, wo noch heute die Namen Alt- und Neupalenz im Andenken sind. Seit Hermann von Stahleck erscheinen sie dann in der seitdem so genannten Unterpfalz, wo sie Bacharach usw. als kölnisches Lehen besaßen. Immer rheinaufwärts strebend erwarben sie zuletzt Besitzungen in dem alten Lobdengau und gründeten Heidelberg, erhoben es zum Sitz ihrer Herrschaft und verbreiteten diese von dort aus als Kurfürsten von der Pfalz über die ganze Nachbarschaft. Als sie aber nach dem Jülich-Kleveschen Erbfolgestreit die Herzogtümer Berg und Jülich an sich brachten, schien die Pfalz gleichsam zu ihrem ersten niederrheinischen Ursprung zurückzukehren.
Ehe die überrheinische Pfalz diesen Namen empfing, gehörte sie zum Speyergau, zum Teil auch zum Wormsfeld, welches Mainz miteinschloß. Von Bingen abwärts folgten dann der Nahe- und der Trachgau. Rechts reihte sich an den Kraichgau, in dem die Kraich in den Rhein fällt, der schon erwähnte Lobdengau, in dem Ladenburg (Lupodunum) und Heidelberg, seine Hauptorte, liegen. Diesem schloß sich der obere Rheingau an, den der Main von dem unteren scheidet, der heutzutage allein noch den Namen führt.
Der Wormsgau wird auch Wonnegau genannt, ein Name, der zugleich auf die Lieblichkeit des Landes und auf die alten Vangionen deutet. Aber auch die Burgundionen, sieben Fuß hohe Männer mit langem Haupthaar, haben eine Zeitlang hier gewohnt und unter den römischen Adlern gefochten. Von Attilas Hunnenscharen bedrängt, zogen sie an die Rhône, gründeten dort ein neues Reich und machten Lyon zu ihrer Hauptstadt. Die Erinnerung, daß Worms einst die Hauptstadt des burgundischen Reichs war, hat sich außer in den »Nibelungen« noch in dem Volkslied von dem »Star und dem Badewännlein« (»Rheinsagen«, Seite 298) erhalten, wo die arme Dienstmagd durch das burgundische Wappen an dem Badewännlein als die Tochter eines rheinischen Königs erkannt wird:
»Grüß Gott, grüß Gott, mein Schwesterlein,
Dein Vater ist König an dem Rhein.«
Die Rheinpfalz wird von dem Hardtgebirge, einer Fortsetzung der Vogesen, durchzogen, an dessen Fuß jene fruchtbaren, weintriefenden Höhen sich wölben, die der Gott der Reben zu Lieblingssitzen erkoren hat. Die Reise über Landau, Edenkoben, Neustadt, Deidesheim, Forst, Dürkheim, Ungstein und Grünstadt, lauter dem Önologen wie dem Weintrinker wohltönende Namen, gehört zu den schönsten, die man am Rhein machen könnte. Für diesmal liegt sie nicht in unserem Plan; jedoch gedenken wir in die höheren Gegenden Rheinbayerns vom Nahegau aus zurückzukehren. Wir erwähnen nur einzelne hervorragende Punkte. Fast an der Grenze des Elsaß und Rheinbayerns liegt die Kaiserburg Trifels (im Annweiler Tal bei Landau), wo einst die Reichskleinodien verwahrt wurden und Richard Löwenherz eine Zeitlang gefangen saß, bis ihn sein getreuer Blondel auffand und seine Freigebung bewirkte. Die Sage meldet, Blondel habe den Aufenthalt des Königs in den dunklen Verliesen der Reichsburg durch Gesang entdeckt. Das Nähere wird verschieden angegeben. Nach einigen hatte der König die Weise des Liedes, das die Entdeckung herbeiführte, in den Tagen seiner Heldenjugend selber erfunden. Zum Verständnis der nachstehenden Behandlung der Sage erinnern wir an die Sitte des Mittelalters, die in den Liedern jener Zeit so häufig benutzt wird, wonach der Wächter von den Zinnen des Turms, wie sich bei unseren Nachtwächtern noch ein schwacher Überrest davon erhalten hat, ihre Meldungen singend zu verrichten pflegten und daher wohl für gesangliebende und gesangkundige Leute gelten mochten. Die unteren Räume des Turms aber wurden gewöhnlich zu Gefängnissen benutzt.
Richard Löwenherz
Der Wächter an der Zinne
Diese Weis und immer diese,
Tag und Nacht,
Singt der König im Verliese,
Bis der Morgen lacht.
Sieh, schon durch des Schwarzwalds Forellen
Blickt sein Strahl,
Seinem Winke zu gehorchen
Eilen Berg und Tal.
Möcht' er dem die Freiheit bringen,
Der mit schwindem Schwertesschwang
Weiß die Heiden zu bezwingen
Und die Herzen mit Gesang.
Blondel
Löwenherz, von dir erfundnen
Liedeston
Sing' ich nun am vielgewundnen
Rheine lange schon.
Dich mit Liedern auszuforschen
Nicht gelang,
Nie erwidern mir die morschen
Türme den Gesang.
Horch doch, ist es nicht die Weise,
Die von jener Zinne dringt?
Fiel sie hier so tief im Preise,
Daß sie schon der Wächter singt?
Wächter
Der da unten mit der Zither
Schleicht einher,
Mehr ein Sänger als ein Ritter,
Was ist sein Begehr?
Horch, die Töne sind es wieder,
Täuscht mich's nicht,
Die so gern in seine Lieder
Der Gefangne flicht.
Im Verständnis mit dem Helden
Mag der schlaue Fremdling sein:
Soll ich ihn mit Blasen melden?
Pflicht wohl wär's, doch herbe Pein.
Richard
Singen lehrt' ich Wand und Spache
Dieses Lied,
Seit des Österreichers Rache
Mich von Menschen schied.
Nach von unten, nach von oben
Klingt es hold,
Wie zum Wettgesang erhoben
Um den Ehrensold.
Dort der Wächter; wär's mein treuer
Blondel, der mir unten sang.
Kläng' es wohl mit anderm Feuer!
Freiheit ist der schönste Klang.
Blondel
Bist du's, Richard, Herz des Leuen?
Heil dir, Held!
England ließ sich nicht gereuen
Schweres Lösegeld.
Immer konnte man dich milde,
Gütig schaun:
Männer boten Helm und Schilde,
Ring und Schmuck die Fraun.
Sieh, des Reiches Brief und Siegel
Gab mir Kaiser Heinrichs Macht,
Ungewiß, wo Östreichs Riegel
Dich verborgen hielt in Nacht.
Richard
Blondel, Bruder! Reich und Krone
Dank ich dir;
Aller Frauen Schönste lohne,
Was du tust an mir.
Blondel
Deines Volkes Lieb und Treue
Dankst du sie,
Deiner Milde, die ihr neue
Kraft und Fülle lieh.
Wächter
Und mich dünkt, des Lobs gebührte
Auch der Weise wohl ein Korn,
Die euch hier zusammenführte:
Fröhlich stoß' ich nun ins Horn.
Trifels liegt auf dem dreifach gegipfelten Sonnenberg; die beiden anderen Felsenspitzen tragen die Reste der später gegründeten Burgen Anebos (Amboß) und Scharfenstein. Hieraus erklärt sich, nach dem Verfasser der »Zusätze zur Weltchronik«, Rudolf von Ems, der Name. Bei Neustadt an der Hardt ist das alte Winzingen bemerkenswert, wohin die Grafen des Speyergaus ihren Sitz verlegten. Das benachbarte Hambacher Schloß, von dem aus einst der unglückliche Heinrich IV. seinen schimpflichen Zug nach Canossa barfuß antrat, hat auch neuerdings wieder durch die Volksfeste, die man hier beging, und die Vorfälle, die sich daran knüpften, eine nicht minder traurige Berühmtheit erlangt. An der Stelle der Abtei Limburg bei Dürkheim stand einst die alte Stammburg der rheinfränkischen Herzöge, die seit Konrad II. den deutschen Kaiserthron einnahmen. Er und Gisela, seine Gemahlin, verwandelten sie, als ihr Sohn Konrad von den Mauern der weitschauenden Limburg herabgestürzt war, in ein Kloster. Nicht weit davon liegt der Drachenfels, wohin die dortige Volkssage Siegfrieds Kampf mit dem Drachen verlegt. Aber schon Limburg (Lintburg) erinnerte an den Lindwurm. Die dem Drachenfels benachbarten Ruinen mit den wunderlichen Namen »Murr mir nicht viel«, »Schau dich nicht um« sowie die Waldgegend »Kehr dich an nichts« scheinen auf eine märchenhafte Gestaltung zu deuten, die dieses Abenteuer Siegfrieds in der Volkserzählung angenommen haben mag.
Zwischen Dürkheim und Grünstadt liegen die Trümmer der Schlösser Alt- und Neuleiningen, aus denen das gräfliche, dann das fürstliche Geschlecht hervorging, das noch jetzt im Rhein- und im Maintal mittelbare Herrschaften besitzt. Weiterhin, am Fuß des Donnersbergs, liegt Göllheim, wo König Adolf von der Lanze seines Gegners Albrecht tödlich getroffen niedersank. Mehrere Steine und ein Denkmal, in der Volkssprache Des Königs Kreuz genannt, bezeichnen das Schlachtfeld. Die nächste bedeutende Stadt in dieser Richtung ist die ehemals kurpfälzische Amtsstadt Alzey, die uns wieder an die Nibelungen erinnert, wo Volker der Fiedler von Alzeye zu Hause sein soll. Wirklich führte Alzey die Fiedel im Wappen, und die Alzeyer werden in der Umgegend spottweise die Fiedler genannt; auch gedenkt das »Alzeyer Weistum« der verschiedenen Völker.
Überhaupt sind diese Gegenden an Beziehungen auf unsere Heldenlieder reich. Wir schweigen von Worms, weil wir nur das minder Bekannte anführen wollen. Ungefähr Schröck gegenüber liegt Jockgrim, ein unbedeutender Ort, wo aber nach dem Lied von »Eckens Ausfahrt« die drei Königinnen wohnten, welche Herrn Eck gegen Dietrich von Bern reizten. Nach der »Wilkinasage« waren der Königstöchter neun, und ihre Wohnung hatten sie auf dem Drachenfels, womit aber nicht der eben erwähnte im Speyergau, sondern der niederrheinische bei Bonn gemeint scheint. Bei dem jenseitigen Philippsburg, das einst Udenheim hieß, oder bei Oggersheim – darüber schwanken die Angaben – gewann einer der ältesten Pfalzgrafen, jener Ezzo von Aachen, der Schwager Kaiser Ottos III., eine Schlacht gegen Dietrich, Herzog von Lothringen. Spätere Geschichtsschreiber vermuteten, ein bei dieser Gelegenheit erst zum Vorschein kommender sprichwörtlicher Segenswunsch: »Möchtest du nie nach Odenheim gelangen«, sei von dieser Zeit an gebräuchlich geworden. Da aber nach der bekannten Strophe der letzten Überarbeitung Siegfried bei Odenheim erschlagen sein soll, so ist es viel glaublicher, daß jenes Sprichwort sich auf den im Volksgesang berühmten Tod dieses Helden, als auf eine längst vergessene Schlacht bei Udenheim oder Oggersheim, welche Orte das Sprichwort nicht einmal nannte, bezogen habe. Bisher hat sich aber ein solches Odenheim nicht auffinden lassen. Den Ort bestimmen zu wollen, wo Siegfried erschlagen worden sei, wie es so vielfach, auch von rheinischen Gelehrten, versucht worden ist, wird überhaupt ein vergebliches Bestreben bleiben, da die verschiedenen Lieder, aus denen das Gedicht zusammengesetzt ist, darüber unvereinbare Angaben enthalten. In einer Abhandlung des verdienten Herrn Domkapitulars Dahl zu Mainz (»Quartalblätter II«, 3.) bemühte sich derselbe, darzutun, daß jene Ermordung nirgendwo anders stattgefunden haben könne als in dem Teil des großen Lorscher Waldes, welcher der Wildbann hieß. Ich bedauere, daß der würdige Mann zu dieser ganz unhaltbaren Annahme durch mich verleitet worden ist. Er ging nämlich bei seiner Untersuchung statt von dem Original von meiner Übersetzung aus, wo die Stelle
Da ließ man herbergen vor dem Walde grün
Der Wildbahn gegenüber die stolzen Degen kühn
ihn veranlaßt hat, in die Urkunden nach Walddistrikten zu suchen, die den Namen Wildbahn oder Wildbann trugen. Dieses Wort kommt aber in der Urschrift nicht vor, vielmehr heißt es da »gên des wildes abeloufe«, was ich irrig mit »Wildbahn« statt mit »Wechsel« übertrug. Man lernt hieraus, daß der Geschichtsforscher Altdeutsch, Dichter und Übersetzer aber Jägerlatein verstehen sollten. Müssen wir darauf verzichten, den Schauplatz der Ermordung Siegfrieds zu ermitteln, so läßt sich dagegen die Stelle, wo der Nibelungenhort in den Rhein versenkt wurde, aus dem Gedicht selbst ziemlich genau bestimmen. Es ist nämlich Lochheim bei Biebesheim unterhalb Gernsheim im oberen Rheingau. Wer aber dahin reisen will, um nachzuforschen, wird einige Mühe haben, sich zurechtzufinden, denn die alten Dörfer Nieder- und Oberlochheim hatte der gierige, von dem Schatz ungesättigte Strom schon vor dem Jahre 1252 verschlungen. Vielleicht hat Odenheim, das durch jenes bisher unbeachtet gebliebene Sprichwort neue Bedeutung gewinnt, ein ähnliches Schicksal gehabt.
Indem er diesem nachspürte, stieß Dahl auf eine Gegend im Odenwald, welche der Spessart (Spechts Hart) genannt wurde. Dahin, meinte er nun, müsse Hagen den Wein gesandt haben, nach welchem Siegfried dürstete, nicht nach dem großen Spessart, der selbst für einen bloßen Vorwand zu entfernt sei. Allein mit so kleinlichem Maßstab darf man die Riesenschritte des Heldenliedes nicht nachmessen. Bedeutender ist es, was er über die Worms gegenüberliegende gefürstete Abtei Lorsch, deren treffliche Beschreibung ihm verdankt wird, in bezug auf die Nibelungen anführt. Nach den Zusätzen der Überarbeitung zog sich bekanntlich Ute, die Mutter Kriemhilds und der burgundischen Könige, dahin zurück, ja sie wird als die Stifterin der Abtei angegeben. Auch Kriemhild habe sich dahin begeben sollen, und wirklich sei Siegfrieds Leiche, von der sie sich nicht trennen wollte, nach Lorsch gebracht worden, wo er noch in einem langen Sarg liege. Das letztere scheint zwar ganz ohne Grund zu sein; nach Dahls Bemerkung war aber wirklich eine Klosterfrau Uda, die mit der ersten Stifterin Williswinde fast zu gleicher Zeit lebte, die zweite Stifterin der Abtei. Jetzt ist von ihrer alten Herrlichkeit nichts mehr übrig als eine Vorhalle und die zu einem Fruchtspeicher eingerichteten Trümmer der zweiten, im elften Jahrhundert erbauten Kirche. Weit älter ist die Halle, deren römische Kapitelle sie in die karolingische Zeit setzen, aus der uns auch am Rhein nur wenige Denkmäler erhalten sind.
Bei dem obigen kurzen Überblick der wichtigsten Punkte des Speyer- und Wormsgaus haben wir uns an das vom Rhein ziemlich entfernte Hardtgebirge gehalten. Die Rheinufer sind malerisch weniger anziehend, ihr romantisches Interesse bleibt aber noch groß genug. Wie Frankfurt die Wahl-, Aachen die Krönungsstadt, so ist Speyer die Totenstadt unserer Kaiser. Den Römern schon als die Hauptstadt der Nemeter (Civitas Augusta Nemetum) bekannt, von dem Merowinger Dagobert aus dem Schutt der Völkerwanderung erhoben, erstieg es unter den fränkischen Kaisern, die hier heimisch waren, die höchsten Stufen seines Glanzes. Konrad der Salier, der auch den Namen »der Speyerer« führt, wurde der Stifter seines berühmten Kaiserdoms. Als sein gleichnamiger Sohn von der hohen Limburg herabgestürzt war, genügte es der frommen Gisela nicht, daß ihres Sohnes Todesstätte Gott geheiligt worden war. Das zweite Jahrtausend nach Christi Geburt war angebrochen und das prophezeite Weltende nicht eingetreten. Man glaubte der göttlichen Erbarmung Dankopfer schuldig zu sein, und zumal Konrad, der erste seines Geschlechts, der den Herzogshut mit der Kaiserkrone vertauscht hatte, die er seinem einzigen noch übrigen Sohn Heinrich zu erhalten hoffte, mußte sich der Gnade des Himmels zugleich verpflichtet und fernerhin bedürftig fühlen. Vielleicht wirkte noch ein dritter Beweggrund mit: Gisela, gleich dem Kaiser aus karolingischem Geschlecht, war eine so nahe Verwandte ihres Gemahls, daß manche ihre Ehe für unerlaubt hielten. Heiraten in zu naher Verwandtschaft droht noch heute das Volkssprichwort mit: »Sterben, Verderben oder ohne Erben.« Als nach des erstgeborenen Konrads Sturz ihr der einzige Heinrich übrigblieb, mochte Gisela, jener Drohung eingedenk, auch für dessen Leben zittern und den Zorn des Himmels zu versöhnen bedacht sein. Auf die Bitte seiner Gemahlin gelobte Konrad in seiner Hauptstadt Speyer einen neuen Dom – eines Kaisers würdig, Gott und der Heiligen Jungfrau zu Lob – und zugleich zu Ehren des Evangelisten Johannes eine dritte Kirche auf dem nachher sogenannten Weidenberg zu erbauen, wo seine Vorfahren, die rheinfränkischen Herzöge und Grafen des Speyergaus, ein Hofgut besessen hatten. Am zwölften Juni 1030, vor aufgehender Sonne, legte er auf seinem Stammschloß Limburg bei Dürkheim den ersten Stein zu der Abtei, ritt dann in Begleitung der Fürsten, welche der feierlichen Handlung beigewohnt hatten, durch die blühende Ebene nach Speyer, wo er zunächst den Grundstein des Doms und noch vor dem Imbiß den ersten Stein zu St. Johann legte. Letzteres erhielt später, als die irdischen Reste des heiligen Guido von Ravenna vor dem Hochaltar beigesetzt wurden, den Namen Weidenstift.
Die Vollendung des Doms, den er sich und seinen Nachfolgern, die diesseits der Alpen sterben würden, zur Begräbnisstätte geweiht hatte, erlebte Konrad nicht, aber er und Gisela sind darin beerdigt. Ihr Sohn, Kaiser Heinrich III., folgte ihnen zwar im Reich, ganz jedoch hatte der Zorn des Himmels nicht beschwichtigt werden können, denn diesen kraftvollen Fürsten riß ein frühzeitiger Tod plötzlich hinweg, und sein kaum sechsjähriger Sohn, Heinrich IV., wurde durch die Verirrungen seiner Minderjährigkeit an dem meisten Unglück schuld, das Deutschland in den folgenden Jahrhunderten betraf.
Auch Heinrich III. ist in Speyer beerdigt, aber seinem Sohn schien in dem Dom, den er ausgebaut hatte, keine Ruhestätte beschieden. Mitten in die Kämpfe zwischen Kirche und Staat, in die eifersüchtigen Reibungen der fränkischen und sächsischen Völker hineingeworfen, die zu schlichten kaum ein Kaiser mit eisernem Sinn und Willen vermocht hätte, wurde er das Opfer verwahrloster Erziehung und ungezügelter Begierden. Was der Jüngling leichtsinnig verbrochen hatte, mußte der Greis jammervoll büßen. Nach so vielen Demütigungen, von denen die bekannte im Schnee von Canossa eine welthistorisch-symbolische Bedeutung erlangte, traf ihn in den Empörungen seiner Söhne der härteste Schlag. Der Krone beraubt, seiner Ehren und Würden entkleidet, bat er den Bischof von Speyer, den er erhoben hatte, um eine Pfründe an seinem Münster, damit er in grauen Tagen nicht Hungers sterbe. Und doch tat er eine Fehlbitte. Nicht einmal sein Tod konnte seine Feinde versöhnen. Der Bischof von Lüttich, der ihn mit kaiserlichen Ehren bestattet hatte, mußte seine Leiche mit eigenen Händen ausgraben, weil ihr der Bannfluch geweihte Erde verbiete. Auf einer einsamen Insel der Maas ohne Sang und Klang niedergestellt, erbarmte sich ihrer nur ein zufällig vorüberkommender Mönch, der, dem barmherzigen Samariter gleich, durch eine schöne menschliche Tat die ganze Christenheit beschämte. Er weilte bei dem Sarg und sang Tag und Nacht über ihm Bußpsalmen und Totengebete. Als Heinrich V. endlich in sich ging und den Leichnam des Vaters nach Speyer bringen ließ, war die Kirche, die unzärtliche Mutter, noch nicht versöhnt und verbot, den Kaiser im Königschor beizusetzen, bis der Heilige Vater den Bann gelöst habe. Fünf Jahre standen Heinrichs irdische Reste unbeerdigt in der von ihm erbauten St.-Afra-Kapelle, und nur die getreuen Speyerer schreckte der Bann nicht, seiner Seele Gebetsopfer darzubringen.
Endlich brachte Heinrich V. dem verratenen Vater die Lossprechung aus Italien mit, bestattete ihn feierlich in der Kaisergruft und erteilte den Speyerern für ihre unverbrüchliche Treue die erste Urkunde ihrer Freiheit. Einigermaßen mildert dies seine Schuld, aber noch hing sie schwer und unheilbringend über seinem Haupt, und als auch er mit Helm und Schild in die Gruft zu Speyer getragen wurde, da weinte kein Sohn am Sarg des letzten Kaisers vom salischen Stamm. Der Vaterfluch hatte seine Lenden unfruchtbar gemacht, und die Krone ging, nach einem kurzen sächsischen Zwischenreich, auf die Hohenstaufen über, die durch eine Tochter Heinrichs IV. von den Saliern stammten. Hier ist der Ort, eine rührende speyerische Volkssage einzuschalten, die, wenn sie auch nicht buchstäblich mit der Geschichte übereinstimmt, ihre Bedeutung als »Das Weltgericht« desto schöner hervorhebt. Wir berichten sie mit den Worten eines talentvollen jungen Dichters, Max von Oër.
Die Glocken zu Speyer
Zu Speyer im letzten Häuselein,
Da liegt ein Greis in Todespein,
Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,
Viel Tränen rinnen in seinen Bart.
Es hilft ihm keiner in seiner Not,
Es hilft ihm nur der bittre Tod.
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt's auf einmal wundersam.
Die Kaiserglocke, die lange verstummt,
Von selber dumpf und langsam summt,
Und alle Glocken, groß und klein,
Mit vollem Klange fallen ein.
Da heißt's in Speyer weit und breit:
Der Kaiser ist gestorben heut!
Der Kaiser starb, der Kaiser starb:
Weiß keiner, wo der Kaiser starb?
Zu Speyer, der alten Kaiserstadt,
Da liegt auf goldner Lagerstatt
Mit mattem Aug' und matter Hand
Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt.
Die Diener laufen hin und her,
Der Kaiser röchelt tief und schwer,
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt's auf einmal wundersam.
Die kleine Glocke, die lange verstummt –
Die Armesünderglocke – summt,
Und keine Glocke stimmt mit ein,
Sie summt so fort und fort allein.
Da heißt's in Speyer und weit und breit,
Wer wird denn wohl gerichtet heut?
Wer mag der arme Sünder sein?
Sagt an, wo ist der Rabenstein?
Mit Heinrich V. schließt die erste Reihe der zu Speyer begrabenen Kaiser. Sie ruhen nebeneinander, nur bei Konrad seine Gemahlin, die fromme Gisela, bei dem vierten Heinrich seine vielgetreue, von ihm so oft bitter gekränkte Bertha, dieselbe, von der das italienische Sprichwort redet: »Non è più il tempo che Berta filava.« Über den Gräbern erhoben sich Sarkophage von rotem Marmor, in die bezeichnende Worte eingehauen waren, die, wenn man von Sarg zu Sarg hinüberlas, die Verse bildeten:
Filius Hic – Pater Hic – Avus Hic – Proavus jacet istic,
Hic Proavi Conjunx – Hic Henrici Senioris.
Von den Hohenstaufen liegen nur König Philipp, der Ermordete, und des Rotbarts Gemahlin Beatrix nebst ihrer Tochter Agnes zu Speyer begraben, von den Habsburgern Rudolf und sein ungleicher Sohn Albrecht. Kaiser Rudolfs Ritt zum Kaisergrab – er war in dem benachbarten Germersheim, seinem Königssitz, erkrankt und ritt im Vorgefühl des Todes nach Speyer, um seinen Leib in die Gruft seiner Vorfahren zu tragen – ist von mehreren deutschen Dichtern besungen worden. In meinen »Rheinsagen« habe ich Wilhelm Wackernagels Behandlung vorgezogen, welcher folgenden schönen, von dem gleichzeitigen Chronisten Ottokar von Horneck uns erhaltenen, ohne Zweifel historischen Zug einzuflechten gewußt hat. Ein Steinmetz, wie Ottokar bescheiden meldet, hatte noch bei Rudolfs Lebzeiten sein lebensgroßes Bild auf einem Stein ausgehauen, und zwar so getreu, daß auch die Falten seiner Stirn nicht vergessen waren. Als der Kaiser nun zum Grab ritt, reiste er ihm nach, um auch die letzten Furchen, die das Alter noch in das Antlitz des nun Heimgegangenen gegraben hatte, auf seinem Bild nachzutragen. Und damit verstieß er nicht gegen die Regeln seiner Kunst, denn:
»Wer so in Sorgen war des Reichs Erhalter,
Auf dessen Stirn ist jede Falte heilig.«
Dieser Stein wurde nun sein Dach, singt Ottokar. Vermutlich ist es derselbe, welcher sich jetzt in der Antiquitätenhalle befindet. Rudolfs Gestalt ist hocherhaben ausgehauen, auf dem Rücken liegend, die Hände über der Brust gefaltet. Das Gesicht zeigt einen mageren Greis, die Runzeln der Stirn sind scharf ausgegraben, das Haupt deckt die Königskrone, ein faltenreicher Talar geht ohne Gürtel zu den Füßen, die auf einen ruhenden Löwen gestellt sind. Brust und Schultern zieren Wappenschilder mit dem Adler und dem springenden Löwen.
König Albrecht von Österreich und Kaiser Adolf von Nassau, im Leben Nebenbuhler und erbitterte Feinde, ruhen in Speyer friedlich nebeneinander aus, beide Opfer des Königsmordes, Adolf von Albrechts – aber in offener, ehrlicher Schlacht –, Albrecht gleich jenem Philipp, mit dessen Schicksal das seinige große Ähnlichkeit hat, meuchelmörderisch von der Hand eines Verwandten gefällt. Wenig großmütig hatte Albrecht seinem Gegner das Grab in Speyer versagt, um ihm noch im Tod die königliche Würde zu verweigern. Nach Albrechts Hingang ließ sein Nachfolger, Heinrich VII., beide Gegenkönige an demselben Tag und nur eine Handbreit voneinander in die Kaisergruft senken. Wie gerecht richtet die Geschichte! Adolf gab sie einen beneidenswerten Tod; sein Mörder Albrecht fiel durch Mörders Hand. Adolfs Ruhe im Grab wurde nicht gestört; Albrechts Grab schändeten und beraubten die Franzosen. Über Adolfs Asche erhebt sich jetzt, nach der Zerstörung der alten Denkmäler, ein neues von seltener Schönheit, das der Herzog von Nassau seinem königlichen Ahnherrn errichten ließ.
Wir haben Speyer die Totenstadt unserer Kaiser genannt. Galt sie aber unseren Altvorderen vielleicht für die Totenstadt überhaupt? Da es schwer ist, in diesen mythischen Halbfinsternissen klarzusehen, so wollen wir die Leser selber urteilen lassen. Man weiß aus Grimm, daß hier und da auch bei den Deutschen die Vorstellung auftaucht, als ob die Seelen der Verstorbenen durch ein stygisches Wasser müßten, welches das Reich der Lebendigen von dem der Toten scheide. Selbst die Sitte, den Leichnamen eine Münze in den Mund zu legen, damit sie das Fährgeld zahlen könnten, muß uns einst nicht fremd gewesen sein. An einigen Orten, und darunter auch zu Speyer, weiß der Volksglaube, dem uralte heidnische Erinnerungen zugrunde liegen mögen, von gespenstischen Erscheinungen zu erzählen, die durchaus an solche Vorstellungen erinnern. In stürmischer Nacht wird z. B. ein schlaftrunkener Schiffer von einer unheimlichen Gestalt geweckt, die ihm den Fährlohn in die Hand drückt und über den Strom gebracht zu werden verlangt. Statt des einen steigen dann sechs ein, und wenn der Schiffer nicht gleich abstößt, so füllt sich der Kahn mit schwarzen und weißen Gästen, daß der Fährmann keinen Raum für sich selber behält. Ist er endlich drüben, so wirft ein Sturm den Kahn an die Stelle der Abfahrt zurück, wo schon neue Reisende harren und die gespenstische Überfahrt von neuem angeht. Zuweilen haben die Unbekannten auch ihre eigenen Nachen, die so gedrängt vollgeladen werden, daß der Rand kaum fingerbreit über dem Wasser steht. Nicht immer sind die Reisenden sichtbar, aber deutlich werden ihre Stimmen vernommen. Schon Prokop hat eine solche Überlieferung aufgezeichnet, jene zu Speyer von den überschiffenden Mönchen hat Georg Sabinus nach Melanchthons Erzählung in Reime gestellt. Es ist gewiß nicht zufällig, daß diese weitverbreitete Sage unter allen Rheinstädten gerade in Speyer heimisch ist. Doch könnte man fragen, ob die Gräber unserer Kaiser zu der Ansiedlung der Sage Veranlassung waren oder ob umgekehrt die fränkischen Kaiser ihre Begräbnisse nach Speyer verlegten, weil die dortige Gegend unseren Vätern für das Land der Seelen galt?
Der Dom zu Speyer ist nicht allein durch seine Kaisergräber merkwürdig. Hier war es auch, wo der heilige Bernhard in Gegenwart des ersten Hohenstaufen, Konrads III., den Kreuzzug mit so hinreißender Beredsamkeit predigte, daß der einem Krieg in so entlegenem Land ungeneigte König ihr nicht widerstehen konnte und sich gerührt das Kreuz auf den Königsmantel heften ließ. Ja, als beim Ausgang aus dem Dom das begeisterte Volk seine Huldigung so ungestüm an den Tag legte, daß der Heilige im Gedränge fast erdrückt worden wäre, nahm ihn der König ehrerbietig auf die Schultern und trug ihn aus dem Gewühl vor das Münster. Daran hängt die Wundergeschichte von dem redenden Marienbild zu Speyer. Der heilige Bernhard hatte in dem dortigen Dom dem »Salve Regina«, dem bekannten Lobgesang der Himmelskönigin, in unwillkürlicher Anwandlung dichterischen Gefühls die Worte zugesetzt: »O Clemens! o Pia! o dulcis Maria!«, welche seitdem in allen Kirchen der Christenheit bis auf den heutigen Tag gesungen werden. In Speyer aber wurde nicht nur das »Salve Regina« jahraus, jahrein täglich gesungen, es wurden auch jene zugesetzten Schlußworte in vier Messingplatten gegraben und in den Boden des Langhauses in solchen Entfernungen eingelegt, daß die erste mit den Worten »O Clemens!« beim großen Tor, die letzte mit der Inschrift »Maria!« vor den Königschor zu den Füßen des hochberühmten Marienbildes zu liegen kam. Von diesem wird nämlich erzählt: Als der heilige Bernhard einst um einige Minuten zu spät in die Kirche kam und das Bild in drei Absätzen und Zwischenräumen mit obigen Worten begrüßte, da habe dieses den Mund aufgetan und dem Heiligen mit der Frage: »O Bernharde, cur tam tarde?« sein Versäumnis vorgeworfen. Aber Bernhard legte ihm mit der Bibelstelle: »Mulier taceat in ecclesia« Stillschweigen auf, und wirklich soll es, wenn der Versicherung der Wundergläubigen zu trauen ist, seitdem geschwiegen haben.
Anderthalbhundert Jahre war Speyer der Sitz des Reichskammergerichts. Auch in der Reformation spielte es eine Rolle, denn hier wurde auf dem Reichstag von 1529 der Name der Protestanten zuerst vernommen. Wie im Orleansschen Krieg, wenn das ein Krieg heißen soll, was ein Mordbrennerzug war, Speyer nebst Worms, Oppenheim und den meisten Städten der Pfalz in einen Aschenhaufen verwandelt wurde, mag ich nicht wiederholen. Ich kann Erinnerungen dieser Art nicht ohne Ingrimm wecken, der zu heftig ist, um sich schön zu äußern. Er gilt nicht den modernen Vandalen, die uns Barbaren zu schelten gewohnt waren, denn von ihnen durfte sich ein deutsches Land nichts Besseres versprechen, nicht jenem vierzehnten Ludwig, den die Boileaus, die wir einst auswendig lernten, für seine kannibalischen Siege als den Helden des Jahrhunderts priesen, nicht seinen Henkersknechten, jenen Louvois, Montclars und Mélacs, nach denen in der Pfalz noch heute die Hunde genannt werden; er gilt nur der deutschen Langmut, Franzosensucht und Verblendung, denn sie allein trugen die Schuld.
Aus der unmenschlichen Zerstörung Speyers ist uns kaum eine kostbarere Reliquie erhalten als die Ruländer Traube, und die wollen wir am Rhein pflanzen und pflegen. Schon der Name Ruland, deutsch für Roland, empfiehlt sie, obgleich sie nicht an Roland, den Paladin, mahnt, sondern an einen ehrlichen Speyerer Bürger dieses Namens. Als Speyer zehn Jahre lang in seinem Schutt gelegen hatte und man jetzt anfing, es wiederaufzubauen, ließ sich auch Ruland dort nieder und kaufte eine Brandstätte mit einem Garten. Der frühere Besitzer, ein Reichskammergerichtsassessor, hatte daselbst ausländische Reben gebaut. Als Ruland den Schutt wegräumte, waren einige Stöcke unbeschädigt geblieben, welche im Herbst voller Trauben hingen. Diese drückte er in ein kleines Fäßchen aus, das er mit Rebenlaub zuspundete und in dem noch vorhandenen Kellergewölbe aufbewahrte. Den Winter über vergaß er darnach zu sehen; als er aber im Frühjahr im Garten war, besuchten ihn einige Männer und Frauen und verwiesen es ihm scherzhaft, daß er ihnen bei so heißer Witterung nicht einen Trunk anbiete. Nun fiel Ruland das Fäßchen im Keller ein; er lieh sich vom Nachbarn ein Schoppenglas, ließ es vollaufen und brachte es in den Garten. Der erste trank es rein aus, der zweite blieb nicht dahinter: so ging es reihum, und Männer und Frauen kamen angetrunken nach Hause. Dies erregte Aufsehen, die Angesehensten der Stadt versuchten und rühmten diesen Wein als Vinum bonum. Jedermann suchte Ableger davon, und Ruland verkaufte zuletzt einen fingerlangen Schnittling um einen Taler. So verbreitete sich diese edle Rebe unter verschiedenen Benennungen als Ruländer, Speyerer, Viliboner (Vinum bonum) usw. am Rhein und am Neckar. Ihr wissenschaftlicher Name ist roter Clävner, von Chiavenna oder Cläven in Oberitalien, ihrer ursprünglichen Heimat. Wir empfehlen beiläufig ihren Anbau besonders auf wenig sonnigen Hügeln, wo sie doch jährlich reift und einen äußerst feinen, angenehmen Wein liefert. Wer diesem Rat folgt, sei es an den Ufern des Rheins oder in anderen Flußtälern, die der Sonne Zutritt gewähren, der wird uns danken und, hätte er dann auch nichts weiter aus diesem Buch gelernt, seine Anschaffung nicht bereuen.
Der Weinbau leitet uns schicklich hinüber nach Worms, dessen wir schon oben gedachten. Bei welchem Zipfel wir diese uralte Stadt zuerst erfassen, immer ist sie anziehend und bedeutend. Und der Weinbau ist uns keine so unwichtige Sache, als daß mich meine Landsleute wegen dieser Anknüpfung schelten sollten. Bei der zweiten Teilung des Frankenreichs unter die Söhne Ludwigs des Frommen bekam bekanntlich Lothar mit Italien und der Kaiserwürde jenen schmalen Landstrich zwischen Rhein, Maas und Saône, welcher nach ihm Lothringen genannt wurde. Ludwig des Deutschen Anteil war das ostrheinische Deutschland, jedoch wurden ihm von dem westrheinischen noch der Speyer-, der Worms- und der Nahegau zugelegt, welche eigentlich zu Lothringen gehört hätten. Die Annalisten sagen uns, diese Gaue seien dem Erbteil Ludwigs des Deutschen wegen der Fülle des Weins beigefügt worden, der vielleicht damals am Rhein nur hier gedieh. Dies lehrt uns den König Ludwig als einen echten Deutschen kennen, der seinen Beinamen nicht umsonst führte.
Das Wormsfeld, zu dem früher auch Mainz und der Nahegau gerechnet wurden, ist selbst in dieser seiner weitesten Ausdehnung an guten Weinen nicht so ergiebig als der Speyergau; es bringt aber einige hervor, die den Rheinweinen beigezählt werden. Wenige Stunden oberhalb Mainz beginnt das Gebirge sich näher an den Rhein zu ziehen, und von Oppenheim abwärts bis dahin reifen die sogenannten kleineren Rheinweine, unter denen der Niersteiner den ältesten Namen hat. Wenn aber schon Worms durch seine Liebfrauenmilch und durch seinen Luginsland berühmt ist, so werden diese doch nicht eigentlich zu den Rheinweinen gerechnet, so wenig als der Rheinfaller bei Schaffhausen, das Schweizerblut bei Basel, der Markgräfler bei Badenweiler, der Affentaler bei Baden oder die Hardt- und Bergstraßer Weine. Erst wo die Nebel des Rheins und die vom Spiegel des Stroms zurückgeworfenen Sonnenstrahlen die Reife der edelsten Bergtrauben begünstigen, spricht man von Rheinweinen, ja einige wollen diesen Namen keinem Gewächs zugestehen, das nicht im Rheingau gewonnen worden ist.
Die Liebfrauenmilch wächst bekanntlich im Garten des Liebfrauenstifts, das vor dem Mainzer Tor in der ehemaligen Mainzer Vorstadt lag, welche nach der Zerstörung durch die Vandalen 1689 nicht wiederaufgebaut wurde, wie denn das heutige Worms im Vergleich mit seinem Umfang vor jenem Mordbrand nur ein Flecken ist. Von der Mainzer Vorstadt blieb nur die Kirche des Liebfrauenstifts stehen, deren Umgebung allmählich zu Weingärten angelegt wurde. Diesen gewährt unsere liebe Frau Schutz vor Nord- und Nordwestwinden, indem sie eine hohe nördliche Wand bildet, an deren südlicher und südwestlicher Seite die beste Lage ist, denn nur so weit der Turm am Abend seinen Schatten wirft, wächst nach dem Sprichwort die eigentliche Liebfrauenmilch. Auch den Boden hat sie hergegeben, indem er größtenteils aus dem Schutt der ehemaligen Klostergebäude besteht. Die Wahl des Namens ist also ziemlich gerechtfertigt, wenn es wirklich einen Prosaiker geben sollte, bei dem ein so schöner Name einer Rechtfertigung bedürfte. Wieviel übrigens seine Poesie zu dem Genuß beiträgt, mit dem wir dieses durch Feuer, Geschmack und Blume ausgezeichnete Gewächs schlürfen, ist unberechenbar.
Die zweitbeste Weinlage zu Worms ist das Katerloch auf der dem Liebfrauenstift entgegengesetzten Seite der Stadt, durch die es vor den schädlichen Winden geschützt wird.
Für die drittbeste gilt der Luginsland, nach dem weitschauenden Turm, der sonst an der Ecke der südlichen Stadtmauer stand, so geheißen. Wer wollte aber nicht lieber Liebfrauenmilch oder Luginsland trinken als Katerloch? Wo dieser garstige Name seinen Ursprung herleitet, wissen wir nicht; wenn ihn aber ein Weinproduzent aufgebracht hat, so muß er seinen Vorteil schlecht verstanden oder dort keine Besitzungen gehabt haben.
Worms gehört mit Köln und Trier zu den ältesten Städten des Rheinlands. Mythisches Halbdunkel verhüllt die Anfänge seiner Geschichte. Seinen Beziehungen zur deutschen Heldensage, von welcher schon gelegentlich die Rede war, weichen wir hier auch darum aus, weil wir sie zu erschöpfen nicht hoffen dürften. Nur die Vermutung mag hier stehen, daß der Name der Stadt, deren älteste Form Borbetomagus mit Wurm nichts gemein hat, die Anknüpfung der Siegfriedsage begünstigt zu haben scheint. Zwar erinnert schon der älteste, wahrscheinlich fabelhafte Bischof von Worms, Victor, an Siegfried – wie zu Xanten, Siegfrieds Heimat, der Dienst des heiligen Viktor zu Hause ist –, aber schwerlich ist die Erfindung dieses Bischofs von hohem Alter. Der nirgends als in der Gegend von Worms häufiger vorkommende Name Nibelung bezeugt nur, daß die Sage hier einst heimisch und sehr beliebt war. Da er aber hier nicht zuerst auftaucht, sondern im alten Land der Franken, so scheint er nicht zu den burgundischen Bestandteilen der Sage zu gehören und erst mit der Herrschaft der Franken ins Wormsfeld gekommen zu sein. Das alte Wappen der Stadt hat ursprünglich keine Beziehung auf die Heldensage, denn die Deutung des Schlüssels auf jenen, welchen Siegfried dem Riesen abgenommen, um die Jungfrau zu befreien, setzt eine ganz späte Gestaltung der Sage voraus; und wenn fliegende Drachen (Würmer) die Schildführer des Wappens waren, so erklären sich diese schon genügend aus dem Namen der Stadt – wie der Schlüssel wohl nur das Verhältnis des Bistums zum römischen Stuhl andeutet. Der Ansicht des neuesten Geschichtsschreibers von Worms, daß die Siegfriedsage skandinavischen Ursprungs sei, kann ich nicht beipflichten; vielmehr glaube ich, daß sie erst durch die Normannen aus dem alten Frankenland nach dem hohen Norden gebracht wurde.
»Ist kein Dahlberg da?« fragten bekanntlich die deutschen Könige nach der Krönung, wenn sie zur Feier ihrer Erhebung Sprößlingen des deutschen Adels den Ritterschlag erteilen wollten. Diese Frage zeigt uns das in Worms heimische Geschlecht der Dahlbergs als das vornehmste, wo nicht älteste der gesamten deutschen Ritterschaft. Die Dahlbergs hießen ursprünglich Kämmerer von Worms, und dort war eine eigene Gasse nach ihnen die Kämmerergasse genannt. Vielleicht verdankten sie jenen Namen der Obhut über die kaiserlichen Kammerknechte, die Juden, womit sie vom Reich beliehen waren. Nirgends in Deutschland fand sich im Mittelalter eine zahlreichere Judenschaft, nirgends eine ältere, ehrwürdigere Synagoge. Die deutschen Juden hatten drei oberste Rabbiner, einen zu Prag, den anderen zu Worms und den dritten zu Frankfurt, und nach Kaiser Ferdinands Privilegium hatte der zu Worms den Vorzug vor beiden anderen. Neuere Untersuchungen finden die uralte Tradition, daß schon Jahrhunderte vor Christi Geburt Juden in Worms Niederlassungen gehabt haben, mehr als wahrscheinlich. Nach der uralten Chronik der dortigen jüdischen Gemeinde, »Maseh Nisim«. hatten sich schon um die Zerstörung des ersten Tempels durch die Babylonier, 588 Jahre vor Christi Geburt, Juden nach Worms gezogen, wo es ihnen so wohl gefiel, daß sie sich zur Rückkehr nicht entschließen konnten. Aber die Priester im Gelobten Land drohten ihnen mit der Strafe Gottes, weil Gott den Männern geboten habe, die drei hohen Feste in Jerusalem zu begehen. Da antworteten die Wormser Juden: Sie wohnten im Gelobten Land, Worms wäre das kleine Jerusalem und ihre Synagoge der kleine Tempel.
Nach einer andern Überlieferung soll die Erde auf dem uralten jüdischen Begräbnisplatz, dem sogenannten Heiligen Sand, von Jerusalem dahin gebracht worden sein, weshalb sich andere deutsche Juden sehr angelegen sein ließen, in Worms aufgenommen und begraben zu werden. An das unleugbare hohe Alter der jüdischen Gemeinde zu Worms knüpfte sich alsdann deren Behauptung, daß sie in Christi Kreuzigung nicht nur niemals gewilligt, sondern sogar durch ein eigenes Schreiben an den König der Juden ernstlich davon abgeraten hätten. Dies verschaffte ihnen jene wichtigen, von Kaiser und Reich bestätigten Privilegien und veranlaßte, wie es scheint, das Sprichwort: »Wormser Juden – fromme Juden.« Daß sich die aus Cäsarius bekannte Sage von dem Judenmädchen, welchem verheißen war, den Messias zu gebären, und die hernach eine Tochter zur Welt brachte, gerade in Worms ereignete, deutet auch darauf, daß diese Stadt für eine Hauptstadt der Juden, für ein deutsches Jerusalem galt.
Die jüdische Gemeinde zu Worms hatte eine wohlgeordnete Verfassung unter einem Vorsteher, welcher der Judenbischof hieß. Den Kämmerern von Worms, den Dahlbergs, war der Schutz dieser Verfassung vom Reich übertragen. Die Kämmerer selbst müßten jüdischen Ursprungs sein, wenn sie wirklich, wie sie sich in ihren Stammbäumen rühmten, durch die Jungfrau Maria mit unserem Heiland verwandt gewesen wären. Als einst, die Anekdote ist bekannt, eine Frau von Dahlberg anzuspannen befahl, und der Kutscher fragte, wohin er sie fahren solle, antwortete sie: »Zu meiner Cousine nach Liebfrauen.«
Einer der ersten des Geschlechts der Kämmerer soll, der Familiensage gemäß, nach der Zerstörung Jerusalems durch Titus mit der XXII. Legion nach Worms gekommen sein. Übrigens erbten die Kämmerer von Worms den Namen Dahlberg erst in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, wo das im Nahegau, drei Stunden von Kreuznach, heimische Geschlecht derer von Dahlburg erlosch und ihre Besitzungen auf jene ihnen durch Heiraten verbundenen Kämmerer von Worms übergingen, welche Namen, Schild und Helm der Dahlbergs den ihrigen beifügten und bis heute fortführen. Von Schloß Dahlburg, das im Stahlstich diese Blätter zu zieren bestimmt ist, unten das Nähere; hier könnte nur von Herrnsheim, dem kaum eine dreiviertel Stunde von Worms entfernten Stammschloß der Familie Dahlberg-Herrnsheim, die Rede sein. Eine Spazierfahrt dahin, wozu sich vor dem Tor die Gelegenheit von selber bietet, ein Gang durch das reinliche, wohlhäbige Dorf und der auf einem günstigen Punkt mit Geschmack angelegte Garten, der Besuch der sauberen altdeutschen Kirche, worin neben so manchem seiner Vorfahren nun auch der letzte der Dahlbergs ruht, wird dem Leser mehr sagen, als der Raum uns hier gestattet.
Soviel von dem mythischen Worms; das geschichtliche ist nicht minder wichtig. Mediomatriker, Vangionen, Römer, Burgundionen, Hunnen, Alemannen und Franken hatten hier nacheinander Wohnsitze. Durch gar manche Konzilien, Maiversammlungen, Reichstage und Turniere ist es berühmt. Luthers Worte: »Und wenn so viele Teufel in Worms wären als Ziegel auf den Dächern, doch wollt' ich hinein«, sichern sein Gedächtnis, solange der Unterschied der Konfessionen besteht. Auch einen Dichter hat es hervorgebracht, den einzigen unter den Deutschen, der vor Friedrich dem Großen Gnade fand, den verdienstvollen, nicht genug bekannten Goetz. Im Nahetal werden wir ihn auf seiner Winterburg heimsuchen.
Aus dem Orleansschen Mordbrand hat Worms wenig mehr als seinen herrlichen Dom gerettet, dessen festes Mauerwerk die Franzosen vergebens zu zertrümmern suchten. Das hohe, schmale Langhaus mit einem östlichen und westlichen Chor, vier schlanken Türmen und zwei turmähnlichen Kuppeln an den Chören erinnert an den Dom zu Mainz, nur daß dort die Verhältnisse größer sind und die Kuppel über die Türme emporragt. In den ersten Jahren des Jahrtausends erbaut, ist es eins der ältesten und schönsten Denkmäler des Rundbogenstils, jener am Rhein so viel gepflegten Baukunst, von der die Gelehrten nicht wissen, ob sie byzantinisch oder lombardisch heißen müsse. Uns scheint sie weder griechischen noch italischen Geist zu atmen, sondern aus dem starren und strengen Sinn des Nordens hervorgegangen zu sein, dem sich die Milde des Christentums und die üppige Blüte der Romantik noch nicht erschlossen hatten. Von dem östlichen Chor und der nördlichen Langseite blicken scheußliche Larven, grimmige Tiergestalten auf uns herab, gleichsam Ausgeburten des finsteren Heidentums, welche die christliche Kirche des elften Jahrhunderts noch nicht alle auszuscheiden und zu bewältigen gewußt hatte. Der westliche Chor zeigt etwas spätere Formen und Übergänge in den Spitzbogen. Man erklärt: dies durch die im fünfzehnten Jahrhundert notwendig gewordene Wiederherstellung des einen westlichen Turms. Allein schwerlich lag ein westlicher Chor im Plan des ersten Baumeisters. Hier, dem östlichen Chor gegenüber, mußte sich, nach einem durchgreifenden Gesetz, ursprünglich der Haupteingang befinden. Das jetzige, schon ganz gotische Hauptportal auf der Südseite kann erst drei Jahrhunderte später angefügt worden sein. Auf seiner Spitze reitet ein gekröntes Weib auf einem vierfüßigen, seltsamen Tier. Man hat gefragt, ob es die triumphierende Kirche, die Stadt Worms oder die babylonische Hure vorstelle. Auch auf die Frauen des Heldenlieds, die sich vor dieser Kirche schalten, hat man geraten. Und wirklich hat die Deutung auf Brunhilde, aber nicht die mythische, sondern die historische, des austrasischen Siegberts Gemahlin, viel für sich, denn Worms, wohin sie sich geflüchtet hatte, war es nach einigen Annalen, wo jenes grauenvolle Gericht über die fast achtzigjährige, herrschsüchtige Frau erging:
Der Hengst riß wiehernd aus, die Hinterhufe schlugen
Das nachgeschleppte Weib; verrenkt in seinen Fugen
Ward jedes Glied an ihr; um ihr entstellt Gesicht
Flog ihr gebleichtes Haar; die spitzen Steine tranken
Ihr königliches Blut, und schaudernd sahn die Franken
Chlotars, des Zürnenden, entsetzlich Strafgericht.
Ferdinand von Freiligrath
Vorher war sie drei Tage lang mannigfach gemartert und auf einem Kamel sitzend dem Hohn des Heeres preisgegeben worden. Für ein Kamel könnte auch das rätselhafte Tier des Wormser Portals gelten, das freilich zu späten Ursprungs ist, als daß die historische Brunhilde damals im Andenken gewesen wäre. Näherer Betrachtung soll sich auch jenes Tier durch die Attribute der vier Evangelisten, die an dem viergestaltigen Haupt und den unten nicht erkennbaren Füßen zum Vorschein kommen, als ein apokalyptisches ausweisen, so daß die Deutung auf die triumphierende Kirche doch zuletzt triumphiert.
Zwischen Worms und Speyer hätten wir Oggersheim und Frankenthal erwähnen können, beide der Mündung des Neckars fast gegenüber; dieses berühmt durch die überprächtige Hochzeit jenes Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, der unter dem Namen »Winterkönig« im böhmischen Krieg einen so tragischen Ausgang nahm; jenes durch seine seltsame Rettung, als in demselben Krieg Hans Warsch, der Viehhirt, mit dem spanischen Feldherrn Don Corduba auf eigene Faust unterhandelte und seiner ganz verlassenen Vaterstadt eine günstige Kapitulation, seinem neugeborenen Kind aber einen Paten erwarb. Der aus Langbeins Gedichten bekannten Anekdote sind wir nicht gesonnen, ihre historische Glaubwürdigkeit anzufechten; der Name des Hirten klingt aber bedenklich. Das digammatisch vorgesetzte W scheint einen der derbsten deutschen Spottnamen verbergen zu wollen.
Auf einem weinreichen Hügel, der in guten Jahren ein Gewächs liefert, dem der Johannisberg nichts entgegenzustellen hat, liegt Oppenheim zu den Füßen der herrlichen Katharinenkirche und der einst stolzen Reichsfeste Landskron. Jene, aus dem Schutt des Orleansschen Brandes noch nicht ganz erstanden, hat mein Landsmann Dr. Franz Hubert Müller wegen ihrer Schönheit zum Gegenstand eines eigenen kostbaren Werkes gemacht. Das Wahrzeichen Oppenheims ist die Schwedensäule, ein obeliskenartiges, 56 Fuß hohes Ehrendenkmal Gustav Adolfs, der hier, wie die Sage geht, auf einem Scheuertor über den Rhein setzte. Oppenheim und Landskron nahm er im Sturm. Von zehntausend damals gefallenen Schweden und Spaniern werden in der Katharinenkirche die wohlaufgeschichteten Gebeine gezeigt.
Von der Schwedensäule erzählt A. L. Grimm: »Ein Löwe mit einer Helmkrone und einem Schwert saß auf der Spitze des Obelisken. Dieses Schwert nahm in der Folge des Dreißigjährigen Krieges ein kaiserlicher Offizier aus den Klauen des nordischen Löwen und überbrachte es dem Kaiser Ferdinand. Seine Hoffnung versprach ihm dafür große kaiserliche Gnade und reiche Geschenke. Statt der goldenen Ketten aber, von welchen ihm schon geträumt, hätte ihn der Kaiser beinahe an einer eisernen aufhängen lassen, ›weil er eines so tapfern Helden aufgerichtete Flammsäule durch Raub also verunehrt‹.«