Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Reisende Hochzeiter

Nachdem ich die Aussicht aus den vier Fenstern des Turms genossen hatte, führte mich der Greis in die Laterne auf der höchsten Spitze des Turms. Indem wir über den Flur im Mittelpunkt seiner Wohnung gingen, sah ich die Tür des ersten Turmzimmers mit Rosen, Immergrün und Myrten bekränzt. Meine Frage nach der Ursache blieb ohne Antwort, weil das Aufsteigen dem Siebziger den Atem versetzte. Als wir endlich erschöpft in der Laterne standen, traf meine Augen eine so blendende Helle, daß ich sie erst an soviel Licht gewöhnen mußte. Und doch war es Abend und die Sonne längst hinunter. Am Tag, zumal bei Sonnenschein, mußte der Glanz nicht zu ertragen sein. Weislich hatte der Alte mich zuletzt und bei so später Stunde hierher geführt. Die Räume zwischen den vier schmalen Pfeilern, welche den Turmhelm trugen, ließen von allen Seiten so viel Luft und Licht ein, daß das überwältigte, ringsumher bedrängte Auge nirgends eine Zuflucht fand. Schon manchen Turm hatte ich bestiegen, aber diese Erscheinung war mir noch fremd. Aber dort lief entweder eine Galerie um den Turm, und dann gab dieser selbst mit seiner festen Masse dem Auge Schutz und Rückhalt, oder ich stand, wie in Straßburg, in der Mitte eines gotisch durchbrochenen Turms, dessen steinernes Gefüge nicht mehr Licht einließ, als ich ertragen konnte. Doch auch hier gewöhnte ich mich bald an die abnehmende Helle des Abends, und bei völlig einbrechender Dämmerung milderte sich der Lichtglanz so behaglich, daß ich ewig hier gestanden und in das feenhaft vor mir ausgebreitete Wunderland hinabgeblickt hätte. Allmählich wurde es auch unten ruhiger, das dumpfe Getöse der Stadt verscholl, alle Gewerke machten Feierabend, und in den Fensterchen unten wurden so viele Lichter angebrannt, als der Himmel über uns entzündet hatte. Leise glitten die Schiffe auf dem mondbeglänzten Silber des Rheins, dem der Main sein Gold unmerklich beimischte, der kahle Scheitel des Feldbergs und die waldige Krone des Altkönigs schienen höher gehoben, als gedächten sie sich in der Doppelflut zu spiegeln. Seitwärts standen, gleich Wächtern an der Pforte, die Riesen des Odenwalds in blauer Livree, während ihnen links die nebelhaften Zweige des Rheingaus den herrlichen Strom lautlos entführten.

Als ich mich diesem Schauspiel rücksichtslos hingab, bemerkte ich an meinem Begleiter eine gewisse Unruhe, die ich erst seiner Scheu vor der kühlen Nachtluft beimaß, mit der es aber, wie ich bald erfuhr, eine andere Bewandtnis hatte. Obgleich sie mir nicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt wurde, so hoffe ich doch, daß der Leser nicht aus der Schule schwatzen, sondern vorkommendenfalls bescheiden von der Lehre Gebrauch machen werde. Die Stelle nämlich, wo ich mit meinem greisen Begleiter stand, war einem anderen Paar zugedacht, das des Blicks in das aufgeschlossene Paradies würdiger und mehr in der Stimmung war, ihn mit ganzer Seele zu empfinden. Die bekränzte Tür des ersten Eckzimmers stand damit im nächsten Zusammenhang.

»Sie kennen«, sprach der Alte, »und zwar aus eigener Praxis, die rheinische Sitte der Hochzeitsreisen, die zwar anderen Reisenden, Ehekrüppeln oder Hagestolzen, wenn sie mit Neuvermählten zusammentreffen, bisweilen unbequem wird, wohl gar zum Gelächter Stoff bietet, den reisenden Hochzeitern aber, die nicht bemerken, wie man ihre Zärtlichkeit bemerkt, belauscht und bespöttelt, die schönste Zeit des Lebens noch unendlich verschönt. Wenn das Ja gesprochen ist und der Priester den Bund gesegnet hat, hält der Wagen schon vor der Kirchentür, der das junge Paar den Neckereien der Bekannten und Verwandten entführt und neue, ewig wechselnde Umgebungen um sie her zaubert, in dem sie ganz sich selber und ihrem durch die Reize der Natur und des Wanderlebens erhöhten Glück leben können. So schön und löblich dieser Gebrauch ist, so hat er doch unter gegebenen Verhältnissen seine Schattenseite. Für die neue häusliche Einrichtung sind so viele Anschaffungen zu machen, das eheliche Leben selbst, besonders wenn es Gott zeitig segnet, ist so über die Erwartung kostspielig, daß es manchem weniger bemittelten Paar, das doch nicht gern mit Schulden beginnt, nicht zu verübeln wäre, wenn es dem Aufwand für die Reise gern aus dem Weg ginge. Können sie aber doch der Sitte ihres Standes gemäß sich der Hochzeitsreise nicht entziehen, so bedienen sie sich in diesem Kirchspiel wohl einer kleinen List. Nach der Trauung entschwinden sie ihren Begleitern in einem Seitengang der Kirche und gelangen unbemerkt auf den Stephansturm, wo sie, durch meine Fürsorge vor unwillkommenen Begegnungen geschützt, im Genuß der goldenen Luft und im Angesicht einer reichen Natur eine Weile ganz sich selbst und ihren Entzückungen oder, wie sie selber sagen, im Himmel leben. Die Zeit wird ihnen nicht lang, dafür sind sie in den Flitterwochen, und zum Überfluß sorgen wir, mein Vetter und ich, für ihre Unterhaltung. Die Reise, welche sie antreten sollten, können sie in den Zwischenzeiten mittels meiner Karten und Bücher auf dem Papier machen. Die Tage bringen sie in meiner Wohnung zu, die genußreichsten Stunden aber sind ihnen abends in der Laterne vorbehalten. Darum wäre es grausam, wenn wir ihnen länger hier im Wege stünden. Übrigens erfahre ich nicht selten die Genugtuung, daß eine Reise, die nur auf vierzehn Tage berechnet war, ohne mein Zutun bis in die fünfte Woche währt. Wenn ich für menschenscheu gelte, so hat die Sorge um meine Gäste, für deren Sicherheit ich bei jedem neuen Besuch Vorkehrungen treffen muß, wohl einigen Anteil daran, daß ich so erscheine, obgleich ich gestehen will, nicht der Leutseligste zu sein. Den Neuvermählten bin ich jedoch der gemäßeste Wirt, denn sie sind, gleich mir, nicht lieber als allein.«

 


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