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Obgleich die Rheingauer den Erzbischof von Mainz als ihren Herrn anerkannten, durften sie sich doch freie Männer nennen. Sie waren weder leibeigen noch hörig, auch niemand zu Leibzins oder Frondienst verpflichtet. Sie hatten nicht, wie die Bewohner der katzenellenbogischen Überhöhe, von der der Rheingauer mit Verachtung sprach, ihr Haupt unter ein knechtisches Joch gebeugt. Nach dem Sprichwort: Die Luft im Rheingau macht frei, ließen sie sich nicht einmal eine fremde Henne über ihre freie Mauer fliegen, sondern der nachfolgende Herr, dem der Vogel gehörte, hatte binnen Jahresfrist sein Recht verwirkt, und schon während des Jahres fand der Einzögling Schutz und Begünstigung. Von niemand empfingen sie Gesetze, und keinem Herrn gehorchten sie, bevor er ihre Freiheiten beschworen hatte. Auf ihren Landtagen (Gaudingen) gaben sie sich Gesetze und Ordnungen, und ihre selbstgewählten Schöffen fanden in peinlichen und bürgerlichen Sachen das altgebräuchliche Recht. Sie wurden auf der Lützelau, einer Rheininsel bei Winkel, unter freiem Himmel jährlich dreimal gehalten. Den Vorsitz führte der Rheingraf oder der Erzbischof selbst, dem auch hier gehuldigt, sein Recht gewiesen und die Beschwerden des Landes vorgetragen wurden. Das Geding wurde feierlich unter Königsbann gehegt, der Vorsitzende eröffnete es mit bloßem Schwert und nach der Sonne gewendetem Antlitz. Jeder, der eine ständige Wohnung und einen rauchenden Herd im Rheingau oder nur so viel Grundeigentum hatte, daß er einen dreibeinigen Stuhl daraufsetzen konnte, war als Markgenosse zu freiem Gebrauch der herrlichen Waldungen berechtigt, die vor und über der Höhe zum Land gehörten. Schon um die Mitte des zwölften Jahrhunderts waren zwar die vorderen Wälder unter die einzelnen Gemeinden und Ämter, die nun auch noch ihre besonderen Haingerichte hielten, geteilt worden, aber noch blieb der Hinterwald allen Bundesorten gemein. Der Landesherr hatte seinen eigenen Kammerforst.
Die Rheingauer Weistümer und Landrechtsbücher sind durch manch schöne Formeln berühmt. So wird des neugewählten Erzbischofs, der das Land in Besitz zu nehmen kam, feierliches Einreiten in die Burg zu Eltville, deren Schlüssel ihm der Vizedomus übergab, anschaulich geschildert. Der Erzbischof ritt daher als ein gewaltiger Herr, prächtig geharnischt, den roten Hut mit Pfauenfedern geziert. Mit ihm ritten vier Domherren, der Marschall, der Truchseß, der Kanzler und viele Ritter und Knechte. Wie weit sein Gericht und Gebiet in den Rhein reichte, sollte der Erzbischof durch den Hufhammerwurf bestimmen. Der Bischof ritt auf einem Roß in den Rhein – so fern er konnte –, und so weit er dann mit einem Hufhammer in den Strom werfen oder mit einem Speer schießen mochte, so weit reichte seine Freiheit und Gerechtigkeit.
Die Rheingauer Kriegsverfassung können wir nicht besser als mit den Worten einer DameAdelheid von Stolterfoth, »Rheinisches Album oder der Rheingau mit dem Wispertal und den Nachbarstädten Mainz und Wiesbaden«, Mainz 1838. schildern, der wir uns in diesen Blättern noch vielfach verpflichtet bekennen: »Bei Erledigung des erzbischöflichen Stuhles wurde den tapferen und mannhaften Rheingauern, welche den Erzbischöfen in ihren Fehden mit der Mainzer Bürgerschaft und auch auswärts immer treu beigestanden hatten, die Bewachung der Martinsburg übertragen. War aber der Rheingau gefährdet durch innere oder äußere Feinde, durch Aufruhr oder feindlichen Einfall, so ertönten die Sturmglocken von Ort zu Ort, die Hörner der Gemeinden und das Waffengeschrei riefen die Fähigen zu eilender Hilfe, und ehrlos wurde erklärt, wer aus dem Kampf entfloh. Ja das Gesetz verlangte von dem Vizedomus, daß er, um die Seinen zu schirmen, noch auf den Knien stehend streiten sollte. Bei auswärtigen Fehden standen die Rheingauer in dem Heerbann des Erzbischofs unter ihren eigenen Hauptleuten. Diese wurden immer aus dem inländischen Adel erwählt, und ihr Anführer und Landeshauptmann war der Vizedomus des Rheingaus. Seine Scharen, in Rotten abgeteilt, kämpften unter ihrem eigenen, mit dem Bild des heiligen Martinus geschmückten Panier und waren als tapfere Streiter gefürchtet.«
Im gesamten Erzstift Mainz hatte der Rheingau Landstandschaft. Er verlor sie aber und alle seine Landesfreiheiten, als er im Jahre 1525 an dem Bauernkrieg teilgenommen und in den Versammlungen auf dem Wachholder seine Forderungen allzuhoch gespannt hatte, was die damalige allgemeine Aufregung wohl entschuldigt, während Erzbischof Adolfs strenge Ahnung jener Ausschweifung wenigstens ungroßmütig heißen muß, denn er zog nun alle Gewalt allein an sich und besetzte Ämter und Gerichte nach moderner, schrankenloser Willkür. Darum mochten die Rheingauer wohl singen:
Als ich auf dem Wacholder saß,
Da trank man aus dem großen Faß.
Wie bekam uns das?
Wie dem Hund das Gras,
Der Teufel gesegnet uns das.