Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Der Dombau

Seh' ich immer noch erhoben
Auf dem Dom den alten Kran,
Denk ich, daß das Werk verschoben,
Bis die rechten Meister nahn.
                                Max Schenkendorf

 

Und dieser Gedanke ist gewiß der richtige, ist derselbe, den der riesenhafte Storchschnabel ausdrücken soll. Der Ausbau des Doms ist nicht aufgegeben, solange sein Turm noch das Werkzeug trägt, ohne das kein Stein hinaufgewunden werden kann. Wann aber nahen die rechten Meister? Ach, der Meister wäre schon gefunden, und auch an kunstgeübten Händen würde es nicht fehlen, wenn sich nur erst die Mittel beschaffen ließen. Der Meister, der die Wiederherstellung geleitet, die Bauleute, die sie ausgeführt haben, stehen jetzt auch für den Weiterbau zu Gebote; und werden sie immer so zu Gebote stehen? Eine wunderbare Fügung – denn es wäre Frevel, hier von Zufall zu sprechen – hat uns den gigantischen Entwurf der ersten Meister erhalten, als dessen Schöpfer Albertus Magnus gilt, ein Name, den aller romantischer Zauber wie eine Glorie umstrahlt. Dieser tiefsinnige Scholastiker, den die Mitwelt als »Doctor beatus« wie seinen berühmten Schüler Thomas von Aquin als »Doctor angelicus«, seinen Zeitgenossen Duns Scotus, dessen Gebeine die Minoritenkirche bewahrt, als »Doctor subtilis« bewunderte, ist in die innere Geschichte Kölns und in den großen Kampf der Stadt mit den Erzbischöfen auf das engste verflochten. So riesenhaft der wiederaufgefundene Plan des Doms uns erscheinen mag, so überstieg er doch keineswegs die damaligen Kräfte, und nur jene erschöpfenden Bürgerkriege waren es, die seine Ausführung hinderten. Mehrmals erscheint daher Albertus als Friedensstifter, wie er auch den Erzbischof Engelbert – nicht jenen, der zuerst den Gedanken des Doms dachte und von dessen Ermordung Walther von der Vogelweide zürnend sang, sondern den unglücklichen Nachfolger des kriegerischen Konrad –, der den ersten Baustein legte, aus der schmählichen Gefangenschaft zu Niedeggen erlöste. Sein Grab enthielt die Dominikanerkirche, deren Chor er gleichfalls gebaut haben soll; nach ihrer Zerstörung wurden seine Gebeine nach St. Andreas übertragen. Man weiß nicht, wohin seine Sprachmaschine gekommen ist, nach der Thomas von Aquin, als er sie zum erstenmal sprechen hörte, mit dem Stock geschlagen haben soll; seinen merkwürdigen Giftbecher bewahrt Cochem an der Mosel.

Jene zerfleischenden Bürgerkriege haben ausgetobt, der gewitterschwangere Schoß des Mittelalters hat sich entladen, Reformation und Revolution sind verheerend vorübergezogen: noch steht der Riesentorso des Doms unerschüttert, und von seinem Turm blickt »ein gigantisches Fragezeichen« – der alte Krahn – weit in das Land der Obinge, des durch Gottesverehrung ausgezeichneten Volkes. »Ihr genießt«, scheint er zu sagen, »ihr begeht das Fest eines fünfundzwanzigjährigen Friedens; wann gedenkt ihr mein? Habt ihr altersschwach euch selbst, eure großen Beschlüsse, eure jugendkühnen Entwürfe vergessen? Wollt ihr die Kräfte, die sonst der Krieg lähmte, nun unnütz und gedankenlos zersplittern? Ihr sammelt Beiträge zu nichtigem Tand, zu Rolandsbogen: Reinhold, Rolands kühnerer Kampfgenosse, baute, zu Köln bekehrt, mit eigener Hand an St. Peters Dom. Ihr errichtet Denkmäler in Stein und Erz und gebt sie der Luft, der Witterung, dem Mutwillen preis. Ich, das Denkmal eurer Volkskraft und Herrlichkeit, habe Raum genug für die Grabmale aller eurer großen Männer. In meinen Hallen, meinem Kreuzgang, meinem fünffachen Schiff, meinen Kapellen und Nischen mögen sie dem großen Tag entgegenschlummern, daß der Sturm der Zeit ihre geweihte, geliebte Asche nicht verwehe; hier mögen ihre Gedächtnissteine meines heiligen Friedens, meiner Unvergänglichkeit teilhaftig werden, daß man nach hundert, nach fünfzig Jahren nicht zweifelnd fragt: ›Wo haben sie doch gestanden?‹ Glaubt es nicht, wenn man euch sagt, ich sei kein auf Köln, kein auf das rheinfränkische Niederland beschränktes Werk, ich gehöre der ganzen gebildeten Welt an. Ja, ihrer Bewunderung, die auch euch, meinen Gründern und Erbauern, gilt, denn euer Werk, euer Denkmal will ich auch ferner heißen. Zwar sollt ihr keine Gabe zurückweisen, die aus Liebe der Kunst, aus Verehrung des Höchsten freiwillig dargebracht wird; aber Gott hat euch mit Glücksgütern zu reich gesegnet, als daß es euch geziemte, bei fremden Völkern, bei Franzosen und Briten für den Tempel eures Gottes Almosen zu sammeln.«

siehe Bildunterschrift

Der Dom zu Köln

Freilich reicht ein fünfundzwanzigjähriger Friede nicht hin, die Wunden zu heilen, die mehr als drei Jahrhunderte geschlagen haben. Wenn einst Deutschland leiblich und geistig erstarkt, wenn es die entfremdeten, verirrten Gemüter sich versöhnt und wiedergewonnen hat, wenn ein frischer, lebenskräftiger Geist die gesunden Glieder des Volkes von neuem durchdringt und das Feuer der Vaterlandsliebe in allen Adern und Pulsen glüht, dann ist es Zeit, unsere Jugendträume zu verwirklichen; dann wollen wir unsere kühnsten Entwürfe überflügeln; dann laßt uns den Kölner Dom und das Straßburger Münster ausbauen.

 


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