Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Herzogtum Berg

Bonn gegenüber, in dem jetzt sogenannten Oberbergischen, öffnen sich zwei reiche Täler: das der Sieg, die in den Rhein, und das der Agger, die in jene mündet. In beiden führen vereinzelte Höfe und Landsitze den Namen Auel, der mit jenem des Gaues zusammenhängt. Daß die tapferen Sigambrer, die zuerst der Eroberungslust Cäsars Halt geboten, an der Sieg wohnten, ist nicht zweifelhaft; aber rätselhaft ist der Bezug beider auf Odin, dem Gott des Sieges, und die fränkischen Könige der Geschichte und Heldensage, in deren Geschlecht, das sie von Odin ableiteten, die Namen Siegfried, Siegbert, Siegmund, Siegbod und Siegstab herkömmlich waren. Es steht nicht entgegen, daß sich schon bei den Cheruskern, in Arminius' Verwandtschaft, die Namen Siegmar, Sieggast und Siegmund finden, denn das Verhältnis der letzteren zur Ara Ubiorum weist uns wieder auf diese Gegenden zurück. Noch Chlodwig wird bei seiner Taufe ein Sigambrer genannt. Von einem der vereinzelten vulkanischen Wolsberge blickt die zur Irrenanstalt gewordene Abtei Siegburg weit ins Land. Ihr Stifter war der heilige Anno, der auch in diesem seinem Lieblingsaufenthalt begraben liegt. Früher besaß den Siegberg Pfalzgraf Heinrich I., der Enkel jenes Ezzo, den wir bei Aachen als den Schwager Kaiser Ottos III. kennenlernen. Diesem Heinrich hatte seine Muhme, die Polenkönigin Richezza, die Schirmherrschaft über die der Abtei Brauweiler vermachten Güter vertraut. Diese Güter entzog Anno der Abtei und wandte sie dem von ihm zu Köln gestifteten Kloster St. Mariae ad gradus zu. Hierüber geriet er mit dem Pfalzgrafen in Streit, wußte ihn aber mit geistlichen Waffen so zu schrecken, daß der sich unterwarf, dem Erzbischof als Pfand der Aussöhnung sein Schloß auf dem Siegberg schenkte und sich selbst zur Büßung seiner Sünden in das Kloster Görz begab. Hier mögen ihm Annos fernere Gewaltschritte die Augen geöffnet haben: er verließ das Kloster, sammelte ein Heer und überzog das Erzstift mit Krieg. In Cochem aber ließ er sich durch Zorn und Liebe zu einer Tat hinreißen, die ihm den Beinamen »der Unsinnige« (furiosus) erwarb und dem Erzbischof die stärkste Waffe gegen ihn in die Hände gab. Er tötete nämlich seine bis dahin zärtlich geliebte Gemahlin, die ihm des abgelegten Klostergelübdes wegen Gattenrechte nicht mehr einräumen wollte. Diese Missetat büßte er bis an sein Ende in dem Kloster Echternach; Anno aber gestand auf dem Totenbett sein Unrecht gegen Brauweiler, das der Pfalzgraf vergeblich zu schützen gesucht hatte.

Hohensyburg in der Grafschaft Mark, nicht unser Siegburg, war es wohl, das Karl der Große in den Sachsenkriegen eroberte; dennoch mag dieses für seine Stadtkirche ein tausendjähriges Alter in Anspruch nehmen.

Von den Siegburg untergebenen Propsteien haben wir Hirzenach und Apollinariusberg schon kennengelernt; näher lag ihm das geschichtlich und kunstgeschichtlich merkwürdige Oberpleis, dessen viel ältere Stiftung unter Otto I. fällt. Wie aber hier alles von Klöstern und Stiftern wimmelte! Gleich Bonn gegenüber finden wir das Stift Schwarzrheindorf, von dessen Gründung oben im »Engersgau« die Rede war; kaum sechshundert Schritt weiter liegt das wieder viel ältere Stift Vilich, das ein Graf von Geldern schon um 985 erbaute und ihm seine Tochter Adelheid zur Äbtissin gab. Diese, von deren wundertätiger Hand meine »Rheinsagen« ein Beispiel berichten, lieh auch der alten Kapelle und der Einsiedelei am Adelheidspützchen, einer Quelle, die sie wie ein weiblicher Moses zur Zeit der Dürre aus der Erde schlug, den Ursprung – und das nahe Kloster Pützchen, erst im 18. Jahrhundert erbaut, war ihre späteste Nachwirkung –, doch lebt sie auch noch in dem Jahrmarkt fort, der über 30 000 Menschen versammelt und zu den größten und eigentümlichsten Volksfesten am unteren Rhein gehört. Das Wasser des Adelheidsbrunnens, der dabei eine Hauptrolle spielt, steht seit achthundert Jahren im Ruf der Heilkraft bei Augenübeln – und nicht zu Unrecht, da neuere Untersuchungen ergeben haben, daß es Eisenvitriolteile enthält, die es nächst der Heiligen seinem Ursprung aus dem benachbarten Braunkohlengebirge verdankt.

Drei andere Klöster liegen oberhalb Siegburg im Siegtal: das Minoritenkloster in dem romantischen Seligental, wohin das Kind von Troisdorf, ein niederrheinischer Knabe namens Werner, zur Schule ging; das adelige Frauenkloster Zissendorf bei Hennef und die Abtei Bödingen bei Blankenberg, der ein wundertätiges Marienbild den Ursprung gab. Christian von Lauthausen, ein schlichter Bauer, welcher der Mutter Gottes solche Andacht zuwandte, daß sie ihm dreimal im Traum zu erscheinen würdigte, erhielt es auf seine Bitte von einem Bilderhändler in Köln zum Geschenk, und es glich in allen Zügen seiner wunderbaren Erscheinung.

Schloß Blankenberg, das mit der Löwenburg aus dem saynischen Erbe an die sponheimischen Grafen von Heinsberg kam, muß auf einem der wichtigsten Punkte des Auelgaus erbaut sein, denn das nahe Rittergut Michel-Auel gilt als der ältesten Sitz der Gaugrafen. Höher hinauf, zu den Schlössern Windeck bei Dattenfeld oder Schönstein bei Wissen, dürfen wir die Sieg nicht verfolgen; nur von Siegen, das ihrer Quelle nahe liegt, erwähnen wir, daß der Ruhm, den es in unseren Tagen durch Bergbau und Wiesenbau genießt, sich einst auch auf die Verarbeitung des Eisens erstreckte, worin es jetzt durch die niederbergischen Gegenden verdunkelt wird. Oder ist es nicht Siegen, das Galfried von Monmouth als Sitz des kunstreichen Schmieds Wieland in den Worten »Pocula, quae sculpsit Guielandus in urbe Sigeni« bezeichnet?

Der bei Siegburg mündenden Agger verbindet sich weiter oben die Sülz, die dem Rhein parallel, doch in entgegengesetzter Richtung, fließt. Das Oberbergische um Sülz, Agger und Sieg ist eine Heimat, ein Asyl des Volksgesangs: wohl nirgendwo in Deutschland haben sich unsere Volkslieder zahlreicher und echter erhalten als in dieser von großen Heerstraßen, mithin von Opernhäusern und Leierkasten entfernten Gegend. Am besten belauscht man sie an den sogenannten Schwingtagen, wo sich die Nachbarinnen zur Bereitung des Flachses versammeln und unter vielhundertjährigen, streng beobachtetem Ritus, zu dem auch die alten Lieder gehören, von Haus zu Haus, von Gehöft zu Gehöft ziehen. Von diesen Liedern haben wir einige gelegentlich mitgeteilt; andere, die sich auf die wichtigsten Punkte des bergischen Landes beziehen, werden wir bald einzuflechten Veranlassung finden.

Zwischen der Sülz und dem Rhein, doch ersterer näher, hebt sich bei Vollberg der Lüderich, einer der höchsten Punkte des Landes. Hier finden sich großartige Spuren alten Bergbaus, zu dem jedoch geschichtliche Nachrichten nicht hinaufreichen. Zwar soll er einst Eigentum des Domkapitels zu Köln gewesen sein, das von der unermeßlichen Ausbeute, die er ausschüttete, große Summen zum Bau des Doms verwandt habe; doch sprechen andere Sagen von viel früheren Zeiten. Nach diesen waren es Heiden, die vor mehr als tausend Jahren im Bund mit bösen Geistern den erzreichen Schoß des Lüderichs durchwühlten und die erschürften Schätze zu grenzenloser Üppigkeit wie zur Verhöhnung des Christengottes mißbrauchten. Die Räder an den Schubkarren dieser frevelnden Bergleute waren aus holländischem Käse; doch mit dieser Versündigung an Gottes Gabe begnügten sie sich nicht:

Aus des Lüdrichs dunklem Walde
Warfen sie ein Weizenbrot,
Und ihr Spottgeschrei erschallte:
»Herrgott, lauf und fall dich tot!«
Und als rollend in den Tiefen
Es zerschellte und zerbrach,
Wälzten Steine sie und riefen:
»Teufel, lauf dem Gotte nach!«

Da sei Gottes Strafgericht über sie hereingebrochen, denn der Einsturz des Bergs habe nicht nur die in den Gruben beschäftigte Knappschaft erschlagen: auch ihre Herren, die reichen Heiden, welche die Erscheinung eines Hirsches in den »Heidenkeller« verlockt hatte, seien dabei umgekommen; einen frommen Hirten nur, der seine Schafe auf dem Lüderich weidete, warnte eine himmlische Stimme frühzeitig genug. Noch zeigt man im Tal den Eingang eines angeblichen Stollens, aus dem das Blut der erschlagenen Bergleute fließt – ein mit Eisenoxyd geschwängertes rotes Wasser, eine sogenannte Gur, wie sie oft aus den Erzlagerstätten kommt. Eine Gesellschaft will jetzt diesen Bergbau wieder eröffnen, da die Alten das mächtige Lager schwerlich in bedeutender Tiefe gewonnen haben.

Köln gerade gegenüber, doch drei starke Stunden von ihm entfernt, erhebt sich auf dem waldigen Gebirgssaum das prachtvolle, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im italienischen Geschmack neuerbaute Schloß Bensberg, dessen Belvedere das Rheintal im Umkreis von zwanzig Meilen beherrscht. Vor sechshundert Jahren, im Krieg der Gegenkönige Philipp und Otto, trug sich vor diesem Schloß der Grafen von Berg eine Begebenheit zu, die noch im Volksgesang fortlebt. Eine Schar Böhmen, wohl tausend Mann stark, zog sengend und brennend daher und forderte Bensberg zur Übergabe auf. Sieben Sommermonate lagen sie vor der Feste, mehr als zwanzig Stürme hatten sie mit Strömen von Blut gebüßt. Endlich mußten sie abziehen; aber Bensbergs tapfere Besatzung zog ihnen nach, überfiel sie bei Schloß Nesselrode in Wuppertal und richtete unter den Trunkenen ein schreckliches Blutbad an.

Von den Leichen der Erschlagenen wurde das Tal Leichlingen genannt. Nun versteht man das alte Lied:

Auf, gebt uns das Pfingstei,
  Hei, Rosenblümelein!
Und reicht den kühlen Trunk herbei,
  Hei, Rosenblümelein!
  Freu dich, wackres Mägdelein.

Wir kommen von dem Bensberg.
  Hei, Rosenblümelein!
Die Heiden stürmten dort den Berg.
  Hei, Rosenblümelein!
  usw.

Sie wollten han die Feste,
Das waren böse Gäste!

Sie stürmten Tor und Mauer,
Von Pfeilen regnet es ein Schauer.

Und als die Pfeile verschossen sein,
Da regnet es nieder Mauerstein.

Bergab zog da der Böhmen Zahl,
Bergab ins schöne Wuppertal.

Der Junker Hans war da im Gang,
Verstand sich auf den Vogelfang.

Die Stadt an jenem Wupperstrand,
Ward Leichelingen da genannt.

Dem Rhein näher, unweit Mülheim, lag das Kloster Dhünwald, das einst dem benachbarten Junker Hall von Schlebusch hundert Morgen seines ererbten Landes streitig machte, indem es sich auf alte, vergilbte Pergamente berief. Da der Junker des kostspieligen Rechtsstreits kein Ende sah, erbot er sich, vergleichsweise sein Eigentum abzutreten, wenn ihm noch eine letzte Saat und eine Ernte bewilligt würden. Die Mönche schmunzelten und schlugen ein. Als sie aber bei der »Hangelfeier« die Felder umgingen und bei dem neuerworbenen Feld zusahen, was der Junker zu guter Letzt für Frucht gesät habe, da war es – o Schrecken! – Eichelsaat! Wohl schrien sie über Betrug und Überlistung, da sich wohl voraussehen ließ, daß sie kein Zahn mehr schmerzen werde, wenn diese Saat zum Schnitt komme; doch vergebens: zu deutlich sprach der frisch geschriebene Vergleich; deutlicher als einst das alte Mönchspergament.

Aber lustig wuchsen die Eichen empor:
Bald knallte dort im Grünen des Junkers Rohr;
Noch sah er zur Lohe schälen manchen Schaft,
Er trank sich noch Stärkung aus braunem Eichelsaft.

Als aber weiter stürmte die Zeit im Saus,
Die Wipfel schauten über das Klosterhaus,
Da sahn sie grüne Gräber, wo längst in Ruh
Abt und Prior schliefen und die Mönche dazu.

Und höher hob sich der stolze Eichenforst,
Und als die graue Rinde verkrustend borst,
Da schüttelten die Kronen ihr herbstlich Laub
Auf des Klosters Trümmer in Schutt und Staub.

Dhünwald ist von der Dhünn benannt, die sich mit der Wupper in den Rhein ergießt. Aber nicht an der Wupper, dem Hauptfluß des Bergischen Landes, in dem romantischen Tal der kleinen Dhünn stand die Wiege seiner Fürsten. Diese leiteten ihr Geschlecht von den Grafen von Teisterband und Kleve, also von jenem Schwanenritter, der so tief in der deutschen Mythe wurzelt und selbst in die Gralssage aufgenommen wurde. Um den Anfang des zwölften Jahrhunderts erscheinen zwei Brüder aus dem Hause Teisterband, Adolf und Eberhard, als Grafen von Berg und Altena (in der späteren Grafschaft Mark), welche außer dem märkischen Schloß Altena auch an der Dhünn, drei Stunden von Köln, das Schloß Berg besaßen, das hiernach Altenberg heißt – wohl im Gegensatz gegen das neuere von Adolf erbaute Schloß Burg bei Solingen –, und die Neuerburg bei Lindlar an der Agger.

Höchst abenteuerlich ist die Geschichte Eberhards, wie sie Sage und Volkslied erzählen. In einer Fehde der Herzöge von Limburg und Brabant schwer verwundet, ergriff ihn Reue über das angerichtete Blutbad, das er in Wallfahrten zu den Gräbern der Apostel Peter und Paul und nach St. Jakob von Compostella zu büßen gedachte. Von dort zu dem Grab des heiligen Ägidius zurückkehrend, gelangte er zu dem Weiler Taldorf bei dem Kloster Morimund und diente demselben unerkannt und der hohen Abkunft vergessen viele Jahre lang als Schweinehirt um Knechtslohn. In der Heimat glaubte man ihn in jener blutigen Schlacht gefallen, und er würde sein Leben bei der Herde beschlossen haben, wenn ihn nicht zwei gräfliche Dienstmannen, die nach St. Ägidien wallfahrteten, erkannt und dem Abt von Morimund seinen Stand verraten hätten:

Der Hirt saß weinend unterm Baum,
Ein Ritter hielt dem Roß den Zaum.
»Schaut, Knappen, unser Herr,
Am Hügel weinet er,
Der Verlorne ist gefunden.«

Es zog ein Graf wohl über den Rhein,
Graf Adolf, der wird fröhlich sein,
Sein Bruder Eberhard
Ihm neu gefunden ward
Fern im Lothringerlande.

»Auf! laßt den Jubel, laßt den Reihn,
Mein Herz kann nicht mehr fröhlich sein.
Nach oben zieht mein Blick,
Dort nach dem Himmelsglück!
Ich zieh zum Altenberge!«

In so beliebter Kürze deutet das Volkslied die Verwandlung der Stammburg in das Kloster Altenberg an, in dem Eberhard als Mönch sein Leben beschloß, nachdem er die Würde eines Abts von St. Georgsberg in Thüringen niedergelegt hatte, zu dessen Stiftung Graf Sieghard von Kefernberg, sein Verwandter, von ihm überredet worden war. Auch sein Bruder, Graf Adolf, endete als Mönch zu Altenberg, als dessen Mitstifter er betrachtet wird. Schon unter dem ersten Abt, Berno, früher Subprior zu Morimund, wurde das Kloster von dem hohen, verfallenen Schloß in das Dhünntal verlegt, wie denn die Zisterzienser nach dem Spruch »Bernhardus valles, montes Benedictus amabat« die Stille einsamer Talschluchten als zu düsteren Todesbetrachtungen geeigneter und bequemer zum Anbau des Landes den Bergen vorzogen, wo die Benediktiner dem Himmel näher zu wohnen glaubten. In das nächste Jahrhundert fällt die Erbauung der berühmten Klosterkirche, denn Konrad von Hochstaden, welcher zum Kölner Dom den ersten Stein legte, wohnte auch der Grundlegung der bewunderten Abteikirche bei, die man mit Recht einen Dom im kleinen genannt hat. Leider hat eine Feuersbrunst zu Anfang dieses Jahrhunderts die Klostergebäude zerstört und das herrliche Gotteshaus bedeutend beschädigt; doch ist die Wiederherstellung des letzteren schon weit vorgerückt, und das reiche Bergische Land wird kein Opfer scheuen, seine größte Zierde, die Grabstätte seiner Fürsten und edlen Geschlechter, das Denkmal seiner Pietät wie seines Kunstsinns, dem Verfall zu entreißen.

siehe Bildunterschrift

Kloster Altenberg im Bergischen

»Bis zum Aussterben des bergischen Herrscherhauses mit Herzog Wilhelm III. (1511) ruhen die Sprossen dieser hochberühmten Fürstenfamilie mit wenigen Ausnahmen in der Klosterkirche. Die späteren klevischen und pfalz-neuburgischen Landesregenten fanden ihre Ruhestätten teils in Düsseldorf, teils in Kleve.«

Von den vielen Sagen, die sich an Altenberg knüpfen und die Montanus gesammelt hat, stehe hier nur folgende:

 

Das Ave Maria

Von einem Ritter sollt ihr hören,
Der weder fromm noch gläubig war,
Mit Raufen, Spielen, Fluchen, Schwören
Vertrieb er wohl das halbe Jahr.
Er betete nicht laut, nicht leise,
Er sprach nur in gewohnter Weise:
        »Gegrüßt seist du, Maria!«

Im Taumel rauschender Vergnügen
Gedacht er nicht, was Gott gefällt,
Und schlürfte mit begier'gen Zügen
Die kurze Süßigkeit der Welt.
Wie schlimm auch seine Sitten waren,
Doch half ihm oftmals aus Gefahren
        Gegrüßt seist du, Maria!

Bald hatt' er mit noch braunem Scheitel
Sich sattgeliebt, gezecht, gepirscht,
Daß alle ird'schen Freuden eitel,
Erkannte jetzt sein Herz zerknirscht.
Er dachte hehrer Gottesminne
Und sprach hinfort mit tieferm Sinne:
        »Gegrüßt seist du, Maria!«

Und angeweht vom Geist der Süßen
Erwählt' er die gewiss're Bahn,
Schon pocht' er, schwere Schuld zu büßen,
Am Altenberger Kloster an.
Ein Bruder öffnet ihm die Pforte:
Da spricht er seufzend nur die Worte
        »Gegrüßt seist du, Maria!«

Gekleidet ward er und geschoren,
Man gab ihm einen Lehrer bei;
Doch war der Unterricht verloren,
Er lernte keine Litanei.
Auch schien ihn Strafe nicht zu schmerzen,
Er sprach nur aus bewegtem Herzen:
        »Gegrüßt seist du, Maria!«

So seltsam trieb er's bis zu Ende;
Schon blickt' er in das offne Grab;
Da wollt' er keine Segensspende,
Wies Beicht und letzte Ölung ab.
Doch als sein Herz begann zu brechen,
Da hörte man ihn selig sprechen:
        »Gegrüßt seist du, Maria!«

Nun sind gesprengt die Erdenbande,
Die Brüder senkten fromm ihn ein,
Sieh, aus des Hügels frischem Sande
Sproß eine Lilie weiß und rein.
Und auf den lichten Blütenblättern
Las man in goldenschönen Lettern:
        Gegrüßt seist du, Maria!

Und gäb' euch nun ein heil'ger Engel
Zu schauen durch der Erde Grund,
So säht ihr, wie der Lilienstengel
Entsprießt des Bruders keuschem Mund.
Dann miedet ihr vergebnes Sagen
Und sprächt wie er auf eitle Fragen:
        »Gegrüßt seist du, Maria!«

Mit der Dhünn mündet zugleich die Wupper, die oberhalb Wipperfürth Wipper heißt und in der Grafschaft Mark entspringt. Einer Viper macht sie auch ihr gekrümmter Schlangenlauf ähnlich, obgleich die wuppernde Bewegung der Mühlen, Maschinen und Werke, die sie treiben muß, den andern Namen nicht weniger rechtfertigt. Ein Wunder, daß sie sich nicht ganz verspritzt und in Dampf auflöst, daß auf den Bleichen Barmens die Sonne sie nicht aufzehrt. Bei ihrem reißenden Fall ist sie nicht schiffbar, nicht einmal flößbar; und doch möchte weit und breit kein anderer Fluß den Menschen wesentlichere Dienste leisten. Ihr reines Bergwasser wird durch das Ausschwenken der gefärbten Garne oft so getrübt, daß Fische nicht mehr in ihr leben können; doch führen Abzugsgräben und zahlreiche Nebenarme es lauter und rein auf die Bleichwiesen.

Nur mäßige Anhöhen begleiten die Wupper, und auch diese sind nur selten noch mit Burgen geschmückt: die Romantik ist verschwunden und hat dem regsten Leben des Heute Platz gemacht. An Poesie fehlt es darum dem Tal nicht, auch nicht an malerischem Reiz: Mühlen und Eisenhämmer wechseln mit Gärten und Wiesen, palastähnliche Fabrikgebäude mit geschmackvollen Landsitzen; die bebauten Hügel an dem gewundenen, grün gesäumten Fluß, die Weiß- und Rotgarne, die buntfarbigen Stoffe auf dem frischen Rasen, die schön angestrichenen Wupperbrücken, die sauberen Bleicherhürten – alles fesselt das erquickte Auge; und das bewegte Treiben, das Hin- und Herrennen auf der bevölkerten Landstraße, das Sausen der Webstühle, das Pochen der Hämmer, der überall sichtbare, aus Fleiß und Industrie entsprungene Wohlstand werden auch den Geist des Wanderers zu fesseln wissen.

Die Gegend von Elberfeld und Barmen, das im engeren Sinne sogenannte Wuppertal, bildet den Mittelpunkt dieser schon mit bewunderungswürdigen Erfolgen gekrönten Gewerbetätigkeit, deren Blüte sich täglich noch schöner entfaltet. Elberfeld zieht sich eine halbe Stunde lang an der Wupper hin, das jetzt mit ihm äußerlich verbundene Barmen gar anderthalb Stunden, denn diese Gesamtgemeinde umfaßt außer den auf den Bergabhängen zerstreuten Bauernschaften und Höfen die Orte Gemarke, Wupperfeld, Wichlinghausen, Rittershausen und Heckinghausen. Ein Spaziergang durch Elberfeld und die genannten Hunschaften von Barmen bis nach der Wilden Öde bei dem Dorf Beyenburg, mit welcher der Hauptsitz der Bleicher, das schöne Rauental, schließt, ist eine moderne Idylle von dem mannigfaltigsten Reiz; immer anmutig und heiter und doch so belehrend wie unterhaltend.

Die unteren Wuppergegenden tragen den modernen Charakter noch nicht so ausgesprochen; zwischen Opladen und Burg erinnert noch manches an die Ritterzeit, deren Andenken im eigentlichen Wuppertal nur noch in Namen fortlebt. Bei Leichlingen, dessen wir schon oben gedachten, bewässert die Wupper ein reizendes Tal. Hier war das Haus Nesselrode die Wiege des vielverzweigten Heldengeschlechts, dessen jetzt europäischer Ruf sich von der Worringer Schlacht datiert, wo acht Junker von Nesselrode den »ruhmreichen Bergen« den Sieg erfechten halfen und gleich auf dem Schlachtfeld den Ritterschlag zum Lohn ihrer Tapferkeit empfingen. Auch Schloß Burg bei Solingen, der zweite Sitz der Grafen von Berg, ist noch in den Trümmern erhalten. Dagegen ist Solingens eigene Burg nur noch ein Hof und die der kriegerischen Ritter von Elberfeld bis auf die letzte Spur zerstört; nur Straßennamen deuten jetzt an, wo sie gestanden hat.

Elberfeld ist von den Elfen benannt, die mittelhochdeutsch Elber hießen; und die benachbarte Herrschaft Hardenberg, die bis an die Ruhr reicht, aber gleichwohl zum Wuppertal gerechnet wird, wo auch das hardenbergische Schloß Rauental gelegen haben wird, ist durch einen Elfenkönig berühmt, der in der Heldensage keine unbedeutende Rolle spielt. Die von Hardenberg leiteten ihr Geschlecht von Wittekind, dem nach den alten Versen, die auf der Mauer der Feste standen, Karl der Große ganz Sachsen abnahm und ihm nur die Herrschaft Hardenberg wiedergab. Sie führten den Drachen im Wappen, und der Name Nibelung war in ihrem Haus erblich. Noch das »Cosmodromium« des Gobelinus Persona (der erste Name bedeutet einen Kobold, der zweite ein Gespenst) erzählt von einem Hausgeist, der sich um 1382 bei dem Edlen Nibelung von Hardenberg aufhielt, dem er sehr zugetan war und oft die nützlichsten Ratschläge gab. Er teilte nicht selten mit ihm das Bett, trank Wein, spielte sehr lieblich die Harfe, verschmähte selbst das Würfelspiel nicht, ließ sich aber nie sehen, höchstens seine Hand betasten, die sehr zart und weich anzufühlen war. Nibelung von Hardenberg hatte eine schöne Schwester, der eigentlich der dreijährige Aufenthalt König Goldemars – so hieß der Elf – auf den Schlössern Hardenberg, Hardenstein und Rauental galt. Nach dieser Zeit ist er, ohne daß ihn jemand verletzt hätte, nicht wieder erschienen; so erzählt wenigstens Gobelinus, obgleich die Volkssage versichert, die Neugier der Hausgenossen habe ihn vertrieben. Sie streuten nämlich Erbsen und Asche auf den Boden, und als er auf jenen ausgleitend hinfiel, drückte sich in dieser seine Gestalt ab. Der Zug scheint aus der allgemeinen Koboldsage entliehen, in der Anwendung auf Goldemar aber nicht ursprünglich. Den echten Zusammenhang enthält die alte Vorrede des Heldenbuchs, die den Inhalt eines verlorenen Liedes berichtet. Nach dieser endete König Goldemars Liebesabenteuer mit einer Entführung. Die Entführte war eine Königstochter und hieß Hertlin; die alte Königin starb vor Leid über den Verlust der Tochter. Dietrich von Bern befreite diese mit großer Mühe aus der Gewalt des Elfenkönigs, vor dem sie Magd geblieben war, worauf er sie selber zum Weib nahm. Aus einer Stelle Reinfrieds von Braunschweig geht hervor, daß ihr Besitz ihm nicht unangefochten blieb, denn Goldemar, »das reiche, kaiserliche Gezwerg«, verwüstete den Wülfingen mit Hilfe der Riesen Berg und Wald. Daß sich die von Hardenberg diesen früh vergessenen Teil der Heldensage in der obigen Verdunkelung aneigneten, erklärt sich aus ihrem Drachenwappen und dem erblichen Namen Nibelung; doch darf auch die Verwandtschaft der Namen Hertlin und Hardenberg nicht unbeachtet bleiben. Ob der Dichter des »Heinrich von Ofterdingen« mit diesen Hardenbergen verwandt war, weiß ich nicht; auch bleibt es zu untersuchen, ob sein angenommener Name Novalis in seiner Familie herkömmlich war. Daß für Nibelung die Formen Nivelo und Novelo vorkommen, ist Tatsache, und Novalis liegt nicht zu weit davon ab.

siehe Bildunterschrift

Opladen

siehe Bildunterschrift

Burg

siehe Bildunterschrift

Solingen

Das früher erlauchte Geschlecht der Dynasten von Hardenberg zwischen Wupper und Ruhr nahm mit dem Aufblühen der Grafen von Berg und Altena ab und wurde endlich nur noch unter die Ritter gezählt. Der letzte des Stammes war Heinrich von Hardenberg, durch dessen Tochter Hardenstein an die von Staël kam – wie Hardenberg an die von Bernsaw –; von Rauental blieb in Barmen nur der Name.

Jener biedere Schmied von Solingen, der dem großen Friedrich, wie man aus meinen »Rheinsagen« weiß, auf eigene Faust Hilfe brachte, hieß Peter Hahn und wohnte in Limminghoven, einem der gewerbereichen Weiler, die Solingen umgeben. Er hatte seinem Lieblingshelden schon vor dem Siebenjährigen Krieg zwölf Jahre lang gedient und diente ihm in diesem noch weitere fünf. Er starb im Alter von mehr als siebzig Jahren, und seine sieben Söhne haben die Erzählung seiner Abenteuer auf ihre Kinder vererbt.

Düsseldorf, Hauptstadt und Hafen des Bergischen Landes und eine der schönsten modernen Rheinstädte, hätte vielleicht seiner Malerschule wegen Anspruch, im malerischen Rheinland erwähnt zu werden; auf seine Umgebungen, den vielgerühmten Grafenberg mit eingeschlossen, darf es ihn nicht gründen. Seine Jacobea von Baden soll uns bei ihm zu verweilen bestimmen, wenn einst ihr tragisches Geschick einen Dichter begeistert hat. Namen können uns nicht fesseln, sonst hätte es beide Jacobi, Cornelius und Heine bereit.

Kaiserswerth hieß ursprünglich St. Suitbertswerth, weil es aus dem Kloster entstand, das dieser bergische Apostel, dessen Reliquien es im silbernen Sarg bewahrt, auf der von Plectrudis, der Gemahlin Pippins, ihm angewiesenen Rheininsel gründete. Den Namen Kaiserswerth soll es dem Rotbart verdanken, doch erklärt ihn schon seine Königspfalz; auch war es längst durch den Königsraub, den der heilige Anno hier an dem zwölfjährigen Heinrich IV. verübte, berühmt geworden. Aus dem gräflichen Geschlecht derer von Spee von Langenfeld bei Kaiserswerth ging der Dichter der »Trutznachtigall« hervor, der zuerst die Kühnheit hatte, die Barbarei der Hexenprozesse zu bekämpfen. An die jetzt dem bergischen Ufer verbundene Rheininsel pflegt der Rhein die Leichen der Ertrunkenen auszuspülen, und der Volksglaube meint, sie würden von den Reliquien des Heiligen angezogen, der einst manchen vom Tode erweckt haben soll.

Zum Schluß ziehen wir die alte Reichsstadt Duisburg hierher, die so lange den Anspruch erhob, das vielbesprochene Dispargum, die erste Hauptstadt des Frankenreichs, König Clodios Residenz, gewesen zu sein und nun die Demütigung erfahren soll, von Kobolden – quos daemones Galli Dusios nuncupant – hergeleitet zu werden. Jenseits der hier mündenden Ruhr nennen wir nur noch das schon klevische Ruhrort, Rheinpreußens Amsterdam, auf dessen Werften namentlich seine Dampfschiffe gebaut werden.

 


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