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Wie einst das politische Deutschland in zehn Kreise, so hat man nun das malerische und romantische Deutschland in ebenso viele Sektionen geteilt. Von allen Teilungen, welche Deutschland erlitten hat, lasse ich mir diese am liebsten gefallen, weil sie für mich den wesentlichen Vorzug vor den früheren hat, daß ich bei ihr nicht totgeteilt worden bin wie bei jenen, die mich weder mit einem Herzogtum noch mit einem Kreis bedacht hatten. Bei dieser neuen Teilung bin ich aber keineswegs zu kurz gekommen: der größte und edelste deutsche Strom ist mir anheimgefallen und an seinen Ufern Länder, die einst als die köstlichsten Edelsteine in der deutschen Kaiserkrone glänzten und noch jetzt der Stolz, das Entzücken Europas sind.
Ich muß mächtige Freunde bei dem Leipziger Kongreß gehabt haben, daß man mir, dem Geringsten unter allen Teilnehmern, wenn ich überhaupt ein Recht hatte, mitzuteilen, gerade das allerkostbarste Stück des weiland Heiligen Römischen Reiches auf den Teller gelegt hat. Denn jetzt, wo die Verträge abgeschlossen und verbürgt sind und der Handel nicht mehr zurückgehen kann, jetzt darf ich es wohl sagen, daß sich die Übrigen fast nur in die Schalen geteilt und mir den schmackhaften Kern allein überlassen haben.
Hatten sie wohl bedacht, daß das Deutsche Reich ursprünglich auf die fränkischen Länder gegründet war, die zu beiden Seiten des Rheins liegen, daß ihr Besitz den nächsten Anspruch auf die Kaiserkrone gab? Aus dem Frankenreich, das sich am Rhein gebildet hatte, war ja Deutschland erst als ein einiges Ganzes hervorgegangen. Auch späterhin, als es schon sächsische und schwäbische Kaiser geben konnte, blieb doch der Vorzug der rheinfränkischen Länder ungeschmälert, denn erstlich wurde der deutsche König durch die Wahl seinem Recht nach ein Franke, das heißt ein Rheinländer, und dann mußte sowohl die Wahl selbst als auch die Krönung in den bevorzugten rheinischen Ländern, in Frankfurt und Aachen, geschehen, wenn sie gültig sein sollte.
Das sind freilich jetzt veraltete Dinge; auch will ich unter dem Vorgeben, daß die deutschen Kaiserstädte in meine Sektion fallen, nicht etwa eine papierene Krone in Anspruch nehmen. Nicht für mich, für das Rheinland behaupte ich einen Vorzug, und diesen verdient es durch Eigenschaften, die nicht in Gefahr sind, zu veralten. Natur und Geschichte haben es durch Gaben ausgezeichnet, die der Himmel selbst nicht zurücknehmen kann. Das schönste deutsche Land ist zugleich das reichste an historischen und mythischen Erinnerungen. In beiden Beziehungen ist hier Deutschlands klassischer Boden. Einst besaß ihn ein Volk des klassischen Altertums, dessen Denkmale noch täglich aus seinem Schoß hervorgewühlt werden. Seitdem hat er durch das ganze Mittelalter den vornehmsten Schauplatz der deutschen Geschichte hergegeben, alle Schicksale unseres Volks sind auf ihm entschieden worden, die edelsten Blüten deutscher Kultur hat er hervorgetrieben. Und wäre seine Vergangenheit nicht so reich und groß, könnten wir alles auslöschen, was auf den Blättern der Geschichte von den Rheinlanden geschrieben steht, so würde die Gegenwart den rheinischen Boden von neuem zum klassischen stempeln. Seine Naturschönheiten allein sichern ihm diesen Ehrentitel, noch mehr die üppige Kultur, die den Reiz jener erhöht, dann seine vielen blühenden Städte, die mit allen Schätzen der Kunst und des Gewerbefleißes prangen, am meisten aber seine biederen, wahrhaft gebildeten, noch nicht durch die überall einreißende Überfeinerung um Kopf und Herz betrogenen Bewohner.
Deutschland, dem die Donau nur in ihren Anfängen gehört, hat einen zweiten Strom wie den Rhein nicht aufzuweisen. Wir gehen weiter und sagen: Europa, das heißt hier die Welt, besitze seinesgleichen nicht. Man hat Deutschland das Herz Europas genannt; weil aber das Herz der Sitz der Leidenschaften ist, so wollten einige dem immer heftig aufgeregten Frankreich die Ehre vindizieren, für das Herz Europas zu gelten. Gesteht man Deutschland und Frankreich gleiche Ansprüche darauf zu, so muß das im Herzen beider gelegene Rheinland den Sieg über beide davontragen. Entscheidet man sich für das tiefer fühlende Deutschland, so lehrt die richtige Ansicht von dessen natürlichen Grenzen, daß der Rhein mitten durch das Herz dieses Weltherzens fließt. Die Welt ist zwar rund, mithin ihre Mitte wie ihr Ende überall; aber als eine Wohnstätte der Völker hat die Erde ihre Mitte da, wo sich die mächtigsten und gebildetsten Nationen begegnen. Und auch dies entscheidet für den Rhein, denn an seine Ufer, die England alljährlich mit zahllosen Abgesandten überschwemmt, grenzen außer Frankreich die wichtigsten deutschen Staaten: Österreich, Preußen, Bayern und Württemberg, anderer zweiten und dritten Ranges nicht zu gedenken; die Schweiz und Holland liegen in seinen Quellen und Mündungen, und Belgien wird durch eine Eisenbahn mit ihm in Verbindung gesetzt. Durch diese und ähnliche großartige Unternehmungen, die teils schon im Bau begriffen, teils beschlossen und genehmigt sind, wohin auch der Donau-Main-Kanal gehört; wird das Rheintal immer mehr das werden, was es jetzt schon ist: die Hauptstraße der gebildeten Welt, der Markt und Sammelplatz aller Nationen, der große Korso für die Faschingsfreuden der schönen Jahreszeit, zu welchen einzuladen sich dieses irdische Paradies mit immer neuen Reizen schmückt. Nirgends ist der Völkerverkehr lebendiger, die stündlich abgehenden Schnellposten mit ihren Beiwagen, die goldglänzenden Dampfschiffe, vor deren umgeschwungenen Rädern der Strom nicht zur Ruhe kommt, die geräumigen, mit der verschwenderischen Pracht der Paläste eingerichteten Gasthöfe wissen die Menge der Reisenden nicht fortzuschaffen, die Zahl der Fremden nicht unterzubringen. Man ist nicht mehr in Deutschland, man fühlt sich in der großen Welt. Für die Bedürfnisse der Reisenden, für alle erdenklichen Bequemlichkeiten wird mit einem Raffinement gesorgt, das man ohne Lächeln nicht wahrnehmen kann. Reisebücher, Karten, Panoramen, malerische und plastische Darstellungen einzelner Gegenden wie größerer Strecken, Sagensammlungen in Versen und Prosa und tausend andere Reisebehelfe sind in allen Kunst- und Buchläden in solcher Fülle zu kaufen, daß zwischen Mainz und Köln kaum ein Haus, kaum ein Baum gefunden wird, der nicht schon eine Feder oder einen Grabstichel in Bewegung gesetzt hätte. Diese Gegend ist so vielfältig beschrieben, abgebildet und dargestellt worden, daß man zuletzt das Postgeld schonen und sie mit gleichem Genuß in seinen vier Wänden bereisen kann. Auf eine solche malerische Reise im Zimmer ist es auch hier wieder abgesehen.
Den Namen Rhein (hrên, Rhenus) führte der Strom schon, ehe deutsche Völker seine Ufer in Besitz nahmen. Es hat so wenig gelingen wollen, ihn aus dem gleichlautenden deutschen Wort (rein) als aus einem griechischen, welches fließen bedeutet, abzuleiten. Mag aber sein Name in seiner ältesten Form keltisch sein, der Strom selbst ist seit fast zwei Jahrtausenden deutsch wie seine Anwohner, die mit den Kelten selbst auch jenes keltische »hren« verdrängten und durch eine ähnlich klingende appellative Flußbenennung ersetzten. Uns hieß also der Rhein der Fluß überhaupt, gleichsam der Fluß aller Flüsse. Und von jeher war dieser Name ein süßer Klang in einem deutschen Ohr. Wie oft und gern flochten die Minnesänger ihr sehnsüchtiges »alumbe den rîn« ihren schönsten Liedern ein, zuweilen ohne weiteren Grund, nur des lieben Namens willen. Heute noch, wenn es in unserem Nationalgesang, in dem Rheinweinlied des trefflichen Claudius, an die Stelle kommt, wo es heißt: »Am Rhein, am Rhein!«, wie stimmen alle Kehlen vollkräftig mit ein, wie klingen alle Römergläser an, wie schüttelt der Deutsche dem Deutschen die Hand, wie fühlen sich alle Teilnehmer des Festes, so zufällig sie zusammengekommen seien, in dem Gedanken an den geliebtesten unserer Ströme befreundet und verbrüdert!
Was ist es, das diese magische Wirkung auf die Gemüter ausübt? Ist es der Duft der Rebenblüte, der sich im Becher verjüngt, oder der edle Geist des Weins, der von dem Zauberwort erlöst in uns überströmt? Oder weht uns der frische Hauch des Rheintals an, die gesunde Alpenluft, die der Strom von den Gletschern seiner Heimat bei sich führt? Ist es der königliche, tiefgehende Fluß selbst, der seine klaren, grünen Wogen mit deutscher Ruhe von der Schweiz bis Holland wälzt? Sind es seine gepriesenen, vielbesungenen Ufer, das jährliche Ziel einer neuen Völkerwanderung? Sind es die sanft geschwungenen Rebenhügel, denen der geistreichste Most entströmt, oder die starren Felsen, von denen Schlösser und Burgen als Zeugen einer großen Vergangenheit niederblicken? Ist es der kräftige Genius des Mittelalters, an den jene Ruinen mahnen, oder der Geist der neueren Zeit, der nirgends vernehmlicher als am Rhein zu uns spricht? Sind es die geschichtlichen Erinnerungen oder die alten vertrauten Sagen? Ist es die schöne Gegenwart oder die lachende Zukunft, was uns vor die Seele tritt, wenn der Name Rhein uns ergreift? Dies alles erschöpft den Zauber des Wortes nicht, und wenn sich noch tausend andere Vorstellungen unbewußt mit jenen verbänden, so würde doch die Magie des Namens unenträtselt bleiben. Wer sich aber auf die Anatomie der Gefühle verstände, wer seine leisesten Empfindungen zergliedern könnte, der würde vermutlich finden, daß in dem Namen des Rheins etwas Heiliges, etwas Heimatliches liegt, das seine Wirkung nicht verfehlt, obgleich wir sie uns nicht zu erklären wissen.
Ja, der Rhein ist uns ein heiliger Strom, und seine Ufer sind die wahre Heimat der Deutschen, der ehrwürdige Herd aller deutschen Kultur. Was dem Inder der Ganges, das ist dem Deutschen der Rhein. Religion, Recht, Kunst und Sitte haben sich von ihm aus über die Gaue unseres Vaterlandes verbreitet. Dies allein gibt uns ein Licht über die geheimnisvolle Wirkung seines Namens.
Wir behaupten nicht gerade, daß die Deutschen dem Rhein jemals göttliche Ehre erwiesen hätten. Daß aber die alten Franken und Alemannen, die um den Rhein wohnten, Flüsse und Quellen verehrten, ist bekannt. »Das Volk betete«, sagt Grimm, »am Ufer des Flusses, am Rande der Quelle, zündete Lichter an, stellte Opfergaben hin.« Obgleich es kein ausdrückliches Zeugnis meldet, so ist es doch glaubhaft, daß diese Verehrung ihrem Hauptfluß, dem Rhein, vorzugsweise gegolten habe. Die bekannte Wasserprobe zur Ermittlung der Echtheit oder Unechtheit neugeborener Kinder würde dahin deuten, wenn es gewiß wäre, ob sie Kelten oder Germanen zugeschrieben werden müsse. Die ältesten Anwohner hielten nämlich den Rhein mit einer solch wunderbaren Natur und Eigenschaft begabt, daß sie ihre Kinder gleich nach der Geburt zur Prüfung ihrer ehelichen Erzeugung dem Strom übergaben, der die rechtmäßigen Abkömmlinge sanft wieder an das Ufer spülte, die unechten aber »mit ungestümen Wellen und reißenden Wirbeln als ein zorniger Rächer und Richter des Unreinen« unter sich zog und ersäufte. Ein deutsches Volkslied, auf das auch eine Handwerksgewohnheit anspielt, erwähnt eine ganz ähnliche Prüfung noch ungeborener Kinder, bei denen der Rhein ebenfalls über echt oder unecht entscheidet. Als herrschende Sitte des Volkes, bei dem der Ehebruch so selten war, ist dies freilich nicht zu denken; was aber in einer solchen Überführungsweise Widersinniges liegt, wird noch mehr Bedenken erregen, sie dem besonnenen Germanen zuzuschreiben. Indessen darf man religiöse Bräuche nicht vor den Richterstuhl des alles verzehrenden Verstandes ziehen, und dieser namentlich hat doch auch seine poetische Seite.
Nach der indischen Legende, die wir durch Goethe kennen, schöpft die reine, schöne Frau des Brahmanen täglich aus dem heiligen Ganges ohne Krug und Eimer, weil sich dem seligen Herzen, den frommen Händen die bewegte Welle zu kristallener Kugel gestaltet. Aber nur solange sie rein bleibt: sobald der leichteste Schatten auf sie fällt, nur ein verwirrendes Gefühl die heilige Ruhe ihres Busens trübt, rinnt ihr das Wasser durch die Finger nieder. Auf ganz übereinstimmenden Begriffen beruht die schöne Sage von der heiligen Ritza zu Koblenz, die trockenen Fußes über den Strom ging, der sie aber gleich zu tragen weigerte, als ein Zweifel die Heiterkeit ihres gläubigen Bewußtseins störte. Beide Überlieferungen setzen die Heiligkeit des Flusses voraus. Auch hier, wie bei jener Wasserprobe, trägt der Strom das Schuldlose, Reine, während das Versinken ein Verdammungsurteil enthält.
Alles eigentümliche Leben, Religion und Sitte der Inder haben sich im mittleren Tal des Ganges geschichtlich entwickelt. Nicht viel geringer war der Einfluß des Rheintals auf die Bildung der germanischen Völker und zunächst des deutschen. Der Unterschied ist freilich der, welcher überhaupt zwischen der Entwicklung des indischen Volkes und des deutschen stattfindet. Dem Inder wurde die Bildung nicht von außen gebracht, ihm war es gegeben, in der Heimat, am eigenen Herd allmählich zum Bewußtsein zu erwachen und wie die Pflanze aus dem Keim die Reihe seiner geistigen Metamorphosen aus sich selbst hervorzutreiben. So gut hatte es der Deutsche nicht, oder vielleicht, er hatte es besser. Gleich bei seinem ersten Auftreten auf der Bühne der Weltgeschichte stieß er am Rhein auf die Römer, ein Volk, das eben auf der Höhe seiner Macht und Bildung stand. Wenn die deutschen Völkerschaften, die damals das Rheintal bezogen, unter der dreihundertjährigen Herrschaft der Römer von ihrer Bildung und Sitte sich vieles aneigneten, so dürfen sie doch stolz darauf sein, daß sie anders als die benachbarten Gallier sich die eigene Sprache bewahrten. Und solange ein Volk seines Siegers Sprache nicht annimmt, ist es nicht wahrhaft besiegt. Und so waren es auch rheinische Völker, Franken, Burgunder und Alemannen, welche die römische Macht am Rhein und in Gallien vernichteten und dann doch des Römers Sitte und Bildung, ja sogar seine Religion über das ganze Land ihrer Stammgenossen verbreiteten, ja weiter bis in die slawischen und awarischen Länder, welche unsere östlichen Marken deckten. Aus einem am Rhein entstandenen Staat, dem fränkischen, ging dann das Deutsche Reich hervor, und durch das ganze Mittelalter blieb das Rheinland der Mittelpunkt seines politischen wie seines geistigen Lebens. Als sich diese Epoche zu Ende neigte, begünstigten die am Rhein erfundene Buchdruckerkunst und die Reformation, an der das Rheinland durch Zwingli und Melanchthon beteiligt ist (um von Reuchlin, Bucer, Ulrich von Hutten, Erasmus von Rotterdam usw. zu schweigen), die aber ohne Gutenbergs Erfindung unmöglich geblieben wäre, die Bildung anderer Herde für das wissenschaftliche und literarische Streben, während die Kunst noch immer ihren alten Wohnsitzen getreu blieb.
Schon früher war im Schoß des Rheinlands ein Fürstengeschlecht erblüht, das im Südosten einen mächtigen Staat gründete und die Kaiserkrone gleichsam erblich trug, wodurch die politische Bedeutung der Rheinlande und die Macht der vier rheinischen Kurfürsten sank. Der Deutsche Orden, dessen erste Großmeister Rheinländer waren, erwarb gleichzeitig ein Land im Nordosten. Dessen Namen führt jetzt der Staat, dem die rheinischen Länder gehören, aus welchen einst das fränkische Reich hervorgegangen war, denen also Frankreich und Deutschland ihren Ursprung als Staatenkörper verdankten. Durch einen so seltsamen Umschwung der Dinge geschah es, daß jetzt beträchtliche Teile des einst gebietenden Rheinlands von jenen slawischen und awarischen Ländern aus beherrscht werden, die ihm Gesittung und Bildung schuldig sind.
Der Rhein ist nicht Deutschlands Grenze; wenn auch einem geliebten deutschen Dichter die unbedachte Äußerung entschlüpfte, daß er Germaniens Grenze bewache, so genügt doch zum Beweis des Gegenteils die einfache Wahrnehmung, daß seine beiden Ufer von deutsch redenden Völkern bewohnt werden. Daß er sich zur Grenze sowenig schicke als irgendein Fluß, bewies der Gallier selbst, eben indem er ihn überhüpfte, sobald er ihn erreicht hatte. Weit entfernt, Deutschlands Grenze zu bilden, fließt der Rhein vielmehr mitten durch das alte Deutschland. Unsere natürliche Grenze gegen Westen bildet nämlich ein Gebirgszug, der sich jenseits der Maas und der Schelde hinzieht; obgleich auch noch diesseits dieser deutschen Pyrenäen welsch redende Stämme unzusammenhängende Wohnsitze haben. Als unser Volk das ihm von der Natur vorgezeichnete Gebiet einnahm, scheinen sie sich auf diese Höhen geflüchtet zu haben, deren Besitz ihnen streitig zu machen sich nicht lohnte. Gegen Osten haben wir seit dem zwölften Jahrhundert bedeutende Erwerbungen gemacht; aber was wir dort gewannen, büßten wir im Westen ein. Das alte Deutschland reichte kaum bis zur Elbe, da bis an die Saale sorbische Völker saßen und noch jetzt in Böhmen, selbst diesseits der Elbe, unsere Sprache nicht herrscht, obgleich sie nördlich und südlich von diesem Land mehr als hundert Meilen weiter vorgedrungen ist. Man könnte mittels der Redensart »dort im Reich«, womit man in den später erworbenen Provinzen das alte Deutschland zu bezeichnen pflegt, dessen Grenzen ziemlich genau feststellen. Wer aber sein Gebiet auf der Karte überblickt, dem kann nicht entgehen, daß es gerade in seiner Mitte vom Rhein durchflossen wird. Dies zur Rechtfertigung unserer obigen Andeutung, daß der Rhein durch das Herz Deutschlands fließe. An das politische Deutschland, dessen Grenzen wandelbar sind, dachten wir dabei nicht; auch kümmert uns hier nur das malerische und romantische.
Der Rhein ist also die Mitte Deutschlands. Die entgegengesetzte Ansicht konnte sich nur bilden, als die in jenen awarischen und slawischen Ländern entstandenen Staaten große Teile des alten Deutschlands zu beherrschen anfingen. Von dort aus gesehen mag sich freilich das geräumige überrheinische Deutschland so verkürzen, daß es als eine mathematische Linie dem Blick verschwindet. Erinnere ich mich doch, daß ein Königsberger gesprächsweise äußerte, Frankfurt a. M. liege hart an der italienischen Grenze. Solchen optischen Täuschungen, welchen sich akustische zugesellen mögen, ist es ähnlich, wenn in jenen östlichen Provinzen die Meinung verbreitet ist, als ob in den Rheinlanden französische Sprache, Sitte und Gesinnung vorherrschen würden, ja als ob ihre Bevölkerung aus deutschen und gallischen Elementen gemischt sei. Nichts kann irriger sein als diese Ansicht. Zwar ist Gallien von den Rheinlanden aus germanisiert worden, aber daraus folgt nur, daß in den Franzosen rheinländisches Blut fließt, nicht in den Rheinländern französisches. Wenn es auf die Reinheit der deutschen Abstammung ankäme, so wäre diese bei den Rheinländern geringerem Zweifel unterworfen als bei den östlich wohnenden Deutschen, die der Vermischung mit Wenden, Sorben, Tschechen und Awaren weit verdächtiger sind. Deutsche Art, Sprache und Sitte kann sich nirgends in so lebendiger Eigentümlichkeit ausgeprägt finden als in dem Land, das als ihre ursprüngliche Heimat zu betrachten ist, von der aus sie erst durch Kolonisation in die östlichen Marken verpflanzt wurde, wo sie sich, in einigen wenigstens, sogar noch heutzutage nur dünn aufgetragen findet. Seltsam wäre es, wenn die Anschuldigung wegen französischer Gesinnung auf besseren Gründen beruhte. Es scheint aber hier freie Gesinnung mit französischer verwechselt zu werden. Freigesinnt ist der Rheinländer durchaus, aber eben das bürgt dafür, daß er die Fremdherrschaft wie jede andere Knechtschaft verabscheut. Was er an seinen westlichen Nachbarn ehrt und schätzt, sind vor allem ihre Freiheitsliebe und ihre Nationalität. Wie sollte er vor Bewunderung jener Tugenden an dem Fremden sie an sich selber verleugnen? Die Anhänglichkeit an das französische Recht, das der Rheinländer als sein Palladium betrachtet und sich ungern entreißen und verderben läßt, gilt nicht seinem Namen, sondern der Sache, die dem Wesen nach deutscher ist, als sich irgendeine andere Gesetzgebung rühmen darf. In der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens, in dem Geschworenengericht erkennt der Rheinländer ursprünglich deutsche Institute, die, durch fremdes Recht aus der Heimat verdrängt, jetzt unter fremdem Namen wieder dahin zurückgekehrt sind. Heil ihm, wenn es ihm diesmal gelingt, sie zu bewahren!
Der nachstehende Versuch über das malerische und romantische Rheinland hat zunächst die Strecke zwischen Mainz und Köln, mit Einschluß von Frankfurt und Aachen, zum Gegenstand, welche als die malerischste, das heißt reichste an Naturschönheiten, zugleich in romantischer Beziehung, durch historische und mythische Erinnerungen, die sich überall aufdrängen, das meiste Interesse bietet. Weil wir aber nicht gern etwas Unvollständiges liefern und auch wohl voraussetzen dürfen, daß dem Leser ein Ganzes willkommener ist als ein Fragment, so schicken wir eine gedrängte Übersicht des Rheinlaufs von den Quellen bis Mainz voraus und gedenken auch späterhin den Strom nicht zu entlassen, bis wir ihn seinem Vater Ozean ans Herz gelegt haben. Diese Rücksicht glauben wir ihm um so eher schuldig zu sein, als wir ja auch in jedes sich rechts oder links öffnende reizende Seitental einen Blick werfen und uns nach dem Ursprung und den Schicksalen der sie durchströmenden Flüsse oder Bäche erkundigen wollen. Dürften wir dem Rhein, dem Hauptgegenstand unserer Darstellung, gleiche Aufmerksamkeit versagen? Bei der zunächst folgenden Übersicht bitten wir aber den Leser, der vielleicht bemerken wird, daß wir an manchem absichtlich vorübergehen, zu bedenken, daß es unsere Pflicht war, Kollisionen sowohl mit der Sektion Schwaben als auch mit einem eigenen Buch (»Rheinsagen«, Bonn bei Weber) zu vermeiden.