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Wir haben schon des Reichtums an Denkmälern gedacht, durch die der Mainzer Dom alle uns bekannten Kirchen übertrifft. Es wird kaum ein Pfeiler zu finden sein, der nicht wenigstens an drei Seiten mit einem Grabmal geschmückt wäre. Rechnen wir die beiden Chöre mit den Kreuzarmen, die Sakristei, den Kapitelsaal mit dem Kreuzgang und die vielen Kapellen hinzu, wo gleichfalls alle Wände, ja selbst der Estrich mit Steinbildern bedeckt sind, so begreift sich die Unmöglichkeit, uns auf diese Fülle von Denkmälern großer Männer einzulassen, die zum Teil Hauptrollen in der Geschichte Deutschlands gespielt haben. Wir besprechen nur beispielsweise, und weil sich die wichtigsten Momente der Mainzer Geschichte daran knüpfen lassen, die metallenen Flügeltüren am nördlichen Eingang des Doms. Das Portal, an welchem sie eingehängt sind, zeigt uns den Rundbogenstil in seiner höchsten Ausbildung, wie er im ersten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts dem Spitzbogen voranging. Auch war vor dieser Zeit hier keine Türöffnung angebracht. In der halbkreisförmigen, mit erhobener Arbeit verzierten Fläche über der Tür erscheint Jesus Christus auf einem Sessel, die Rechte zum Segen erhoben, in der Linken das Buch der ewigen Wahrheit, unter den Füßen den Drachen, den zu besiegen er in die Welt gekommen war. Aus den Falten seines Gewandes streckt ein Adler den Kopf hervor. Der diskusförmige Schild, welcher dieser Darstellung als Rahmen dient, wird beiderseits von einem Engel gehalten. Auf dem Schlußstein des Torbogens schwebt der Heilige Geist als Taube nieder; den gekrönten Kopf auf dem höchsten Punkt beziehe ich auf Gott Vater; Fr. H. Müller hält ihn für das Bildnis des damals regierenden Kaisers Lothar. Zwei Löwen sitzen als Türwächter auf den korinthischen Kapitellen der einschließenden Säulen, die metallene Flügeltür selbst ist in vier Felder abgeteilt. Die beiden unteren zieren Löwenköpfe mit beweglichen Ringen im Mund. Zwischen den unteren und den oberen Feldern liest man die Worte: »Willegisus archiepiscopus ex metalli specie valvas effecerat primus.« Bei geöffneten Türen entdeckt sich aber über dem oberen und unter den unteren Feldern noch eine Inschrift, welche mit der mittleren folgendes Ganze bildet: »Postquam magnus imperator Carolus suum esse jure dedit naturae, Willegisus archiepiscopus ex metalli specie valvas effecerat primus; ut pro eo dominum roges postulat simplex Beringerus, operis artifex et senior.«Nachdem der große Kaiser Karl der Natur den Zoll entrichtet, war es zuerst Erzbischof Willigis, welcher Türflügel aus Metall gießen ließ. Daß du für ihn den Herrn bittest, begehrt in Einfalt Beringer, des Werkes Meister und Ältester.
Die Bezugnahme auf Karl den Großen erläutert sich durch die bronzenen Türflügel an der Krönungskirche zu Aachen, welche ebenfalls mit Löwenköpfen als Handgriffe verziert sind. Aber sonst bleibt uns vieles an dieser Inschrift rätselhaft. Obgleich sie nicht »has valvas« sagt, gibt sie doch Willigis als den Urheber des Werks an, dessen Meister gleichfalls genannt wird. Jener Versicherung ist auch wohl zu glauben, obgleich die Tür zu Willigis' Zeiten noch nicht gebrochen war. Es steht fest, daß die Flügel sich einst an dem ziemlich jungen Portal der Liebfrauenkirche befanden und erst nach deren Abtragung an der nördlichen Türöffnung des Doms eingehängt wurden, wo sie wie durch ein Wunder in die alten Angeln paßten. Wenn man aus diesem Umstand schließt, daß sie sich an dieser Tür schon früher befanden, ehe sie nach Liebfrauen kamen, so müssen sie doch zu Willigis' Zeiten zu einem dritten Zweck bestimmt gewesen sein, da beide Portale jüngeren Ursprungs sind.
Aber richtiger als die erwähnte ist an dieser Tür eine andere Inschrift, welche aus den Zeiten Erzbischof Adalberts von Saarbrücken herrührt. Diesen hatte Kaiser Heinrich V., dessen Kanzler, Ratgeber und Parteigänger er in den Investiturstreitigkeiten gegen Papst Paschalis gewesen war, zum Lohn dafür auf den Stuhl von Mainz gehoben. Aber kaum saß Adalbert fest auf diesem, so fiel er von Heinrich ab und ergriff die Partei des Papstes. Der Kaiser, der seinen unglücklichen Vater auf Böckelheim gefangen gehalten und den Papst selbst in Gewahrsam gebracht hatte, beging eine viel geringere Gewalttat, als er den undankbaren Erzbischof in die Verliese der oben erwähnten Reichsfeste Trifels werfen ließ, in denen später auch Richard Löwenherz schmachten mußte.
»Allein auch hier«, sagt Vogt, »setzte der hartnäckige Erzbischof seine Ränke gegen den Kaiser noch fort. Er wußte durch seine traurige Lage das Mitleid der Bürger von Mainz zu erwecken; die Geistlichen seines Erzstifts schilderten Heinrich als einen Tyrannen, als einen Vatermörder, als einen Kirchenschänder, und da dieser, um einen Reichstag zu halten, 1115 nach Mainz kam, umgab das Mainzer Volk seinen Palast, drang mit bewaffneter Hand in den Saal und forderte mit Gewalt die Befreiung seines Erzbischofs. – Hager, abgezehrt, mit langem, grauem Bart und wankendem Schritt kam der befreite Prälat zu seinen Bürgern zurück.«
Um zu zeigen, daß der Undank, dessen man ihn mit Recht bezichtigt hatte, kein Grundzug seines Gemütes sei, gab Adalbert den Bürgern von Mainz zum Dank für seine Befreiung jenen großen Freiheitsbrief, den er zum ewigen Gedächtnis in die metallenen Flügeltüren des Willigis eingraben ließ. Die darin bewilligten Rechte, obgleich die Grundlage ihrer späteren Freiheit, scheinen doch weder sehr bedeutend noch unzweifelhaft genug ausgedrückt. Den Mainzern wird verliehen, ». . . außerhalb der Mauern ihrer Stadt keines Vogts Befehl und Zwangforderung zu dulden, innerhalb aber nach ihrem angeborenen Recht zu leben, ohne dem Zwang eines Steuereintreibers unterworfen zu sein. Denn wem sie Steuer schuldig sind, dem sollen sie Steuer, wem Grundzins, dem sollen sie Grundzins geben, und zwar freiwillig, ohne daß man sie höher schätzen dürfte.«
In dieser Unbestimmtheit und Zweideutigkeit lag die Saat zu künftiger langjähriger Fehde und Zwietracht zwischen den Mainzern und ihren Erzbischöfen. Dem kräftigen Siegfried III. zwangen endlich die übermächtigen Bürger nach blutigem Kampf einen Freiheitsbrief ab, der ihnen viel wichtigere und ausgedehntere Gerechtsame bewilligte, als sie bisher besessen hatten. Sogar mußte sich der Erzbischof verpflichten, mit nicht mehr Mannschaft in die Stadt zu kommen, als die Bürger erlauben würden; auch durfte er innerhalb der Bannmeile keine Burg oder Feste erbauen. Und doch war der so gedemütigte Kurfürst ein Mann von großer persönlicher Tapferkeit, der, wenn es darauf ankam, mit Löwenmut focht und einst gleich einem Judas Makkabäus achthundert Mann mit dreihundert schlug. Dem Kaiser Friedrich II. hat er zwei Gegenkönige aufgestellt und gekrönt, den Landgrafen Heinrich Raspo von Thüringen und den Grafen Wilhelm von Holland. Sein Denkmal, eines der ältesten im Dom, befindet sich an der Seite des dritten Pfeilers rechts und stellt ihn lebensgroß in der Mitte des Bildes dar, während die beiden Könige, denen er die Kronen aufsetzt, rechts und links in kleinerem Maßstab neben ihm stehen. Unter den Füßen des Erzbischofs ist ein Löwe und ein Drache angebracht, letzterer vielleicht nicht ohne Anspielung auf die Heldensage. Der Löwe bezeichnet ihn als einen Mann, wie ihn die damaligen Zeiten gebieterisch forderten, denen sein Nachfolger Christian II. keineswegs gewachsen war. Wenn dieser in seiner Chronik von Siegfried III. ungünstig urteilt, weil er als ein reißender Löwe (wohl mit Bezug auf den Löwen des Denkmals) Witwen und Waisen gemacht, Dörfer und Städte verbrannt, Menschen verschlungen, das Land verwüstet und dem Papst ungemein zu Gefallen gelebt habe, so wollte der abgesetzte Christian durch den Schatten, den er auf seinen Vorgänger warf, sich selbst in ein günstigeres Licht stellen. In jenen eisernen Zeiten bedurfte es auf dem ersten Kursitz Deutschlands kräftiger Männer. Christians Wahlspruch: Es steht geschrieben: Stecke dein Schwert in die Scheide, vermochte ihn nicht bei dem Erzbistum zu schützen.
Als Mainz von Siegfried III. seine Unabhängigkeit ertrotzt hatte, erstieg es bald jenen Gipfel seiner Macht und Größe, der ihm den Beinamen »das goldene« erwarb. Es war ihm zwar nie gelungen, sich von aller Herrschaft der Erzbischöfe zu lösen und den Rang einer Reichsstadt einzunehmen, aber seine errungenen Freiheiten reichten hin, es vor aller Willkür seiner Herren, der Kurfürsten, zu schützen, und so konnten die Rechte, welche diesen übrigblieben, gegen den Vorteil, das Haupt eines so mächtigen Kurstaats zu bilden, nicht in Anschlag kommen. Hierdurch stand es nicht nur Reichsstädten gleich, sondern es durfte, als Stifterin des rheinischen Städtebundes, für eine Fürstin deutscher Städte gelten. Von diesen wie von anderen Blüten, die es in der kurzen Zeit seiner Freiheit trieb, wird noch die Rede sein; jetzt wollen wir sehen, wie es sie wieder verlor.
Nach dem Tod Theoderichs von Erbach konnten sich die Domherren über die Wahl des neuen Erzbischofs nicht einigen. Sie schwankten lange zwischen Diether von Isenburg und Adolf von Nassau; zuletzt entschied die erkaufte Stimme des Obmanns unter sechs Schiedsrichtern für Diether, welchem auch die Bürger lieber zufielen als dem herrschsüchtigen Nassauer. Aber der Papst, dem er das Pallium und die Bestätigungsgelder zu zahlen weigerte, tat ihn in den Bann und verlieh den Kurhut seinem Gegner Adolf. Es kam zu einem hartnäckigen Krieg zwischen den beiden Erzbischöfen. Diether war im Besitz der Stadt, und seine treuen Mainzer schlugen mit Hilfe des Grafen von Katzenellenbogen und Friedrichs des Siegreichen von der Pfalz alle Angriffe Adolfs kräftig zurück, obgleich die Rheingauer, die Bischöfe von Trier, Metz und Speyer, die Markgrafen von Baden, die Grafen von Württemberg und Veldenz, ja selbst der Papst und der Kaiser auf seiner Seite standen. Was er im offenen Krieg nicht vermocht hatte, errang nun Adolf durch List und Verrat. Die inneren Zwistigkeiten der Mainzer Bürger führten jetzt zum Untergang der gemeinsamen Freiheit. Nicht lange vorher hatten die Patrizier im Kampf mit den Gemeinen den kürzeren gezogen und die Zünfte nach Vertreibung der Geschlechter einen neuen Rat aus ihrer Mitte gewählt. Die höchsten Ämter der Stadt bekleideten nun Männer, die der Bestechung keineswegs unzugänglich waren. Dies benutzte Adolf und zettelte mit diesen eine Verschwörung an. Ein nächtlicher Überfall gelang durch die Mitwirkung der Verschworenen; aber erst nach vierundzwanzigstündigem blutigem Kampf, der durch den verzweifelten Widerstand des anderen Bürgermeisters Fust, des Miterfinders der Buchdruckerei, zu einer völligen Schlacht in den Straßen der Stadt gedieh, wurde Adolf Meister von Mainz. Der 28. Oktober des Jahres 1462 und die ihm vorhergehende Mordnacht stehen mit blutigen Zügen in der Geschichte der Stadt geschrieben. Aber der übrigen Welt brachte dieser unheilvolle Tag Segen, denn Fusts Arbeiter, die er als alleiniger Inhaber aller Geheimnisse der Buchdruckerei eifersüchtig bewacht und gleichsam gefangengehalten hatte, zerstreuten sich nun nach allen Seiten und verbreiteten die Erfindung innerhalb und außerhalb Deutschlands.
Eine nähere Folge des Sieges der Adolfschen Partei war die Vernichtung der bürgerlichen Freiheiten von Mainz, deren Privilegien der Sieger öffentlich verbrennen ließ; nur jene in Erz gegrabene Magna Charta Adalberts entging der Feuersglut, ihr Inhalt aber nicht der Aufhebung. Als nach dem Tod Adolfs Diether von Isenburg zum andern Mal gewählt wurde, war es eine gerechte Hoffnung der Mainzer, daß der Fürst, dem sie so große Opfer gebracht und für den sie soviel erlitten hatten, ihnen die um seinetwillen eingebüßte Freiheit zurückgeben werde. Aber diese Hoffnung auf die Dankbarkeit eines Machthabers war eitel, vielmehr zwang er sie, als sie zu den Waffen griffen, mit Gewalt zur Unterwerfung und baute zur Befestigung seiner Herrschaft über die Stadt an deren unterem Ende die berühmte Martinsburg, die seitdem die Residenz der Kurfürsten blieb und erst neuerdings dem Freihafen weichen mußte. Daß er auch die Universität stiftete, mildert etwas die Schande seines Andenkens. Dies ist die kurze Geschichte der Mainzer Freiheit.