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Odenwald heißt das Gebirge zwischen Neckar, Rhein und Main, Bergstraße dessen westliche, dem Rhein zugekehrte Abdachung. Den Namen des Odenwalds von Odin, dem obersten der deutschen Götter, abzuleiten, müssen wir aufgeben, seit sich Jakob Grimm dagegen erklärt hat. Uns bleibt noch die Wahl zwischen drei Herleitungen: von dem Männernamen Odo, von ôdi (öde) und von ôd (Glückseligkeit). Öde ist heutzutage der Odenwald nicht mehr; warum sollte er es aber nicht gewesen sein, als er den Namen empfing? Das Glück wohnt, wenn irgendwo, in den Wäldern; doch weshalb vorzugsweise in diesem? Pries man ihn glücklich wegen der schönen Mischung von Laub- und Nadelholz, bei welcher jenes durchaus die Oberhand behält, oder der Milde seines Klimas wegen, die er der geringen Erhebung seiner Gebirge verdankt, die 2000 Fuß Meereshöhe selten übersteigen, während jene des föhrenreichen Schwarzwalds sich fast der Schneelinie nähern, indem das Eis mancher Schluchten nur in heißeren Sommern schmilzt? Wir ziehen die erste Ableitung vor, die mit der ältesten urkundlichen Form des Namens am besten stimmt; nur darf man dabei nicht an den viel jüngeren Kaiser Otto (Ottenwald) denken.
Wäre die Herleitung von Odin nicht grammatisch unstatthaft, die Eichen des Odenwalds flößten noch jetzt jene frommen Schauer ein, mit denen unsere Vorfahren die Götter in heiligen Wäldern und Bäumen verehrten. Heilige Eichen eignen zwar mehr dem Dienst Thors oder Donars, wie dieser Baum auch bei den Alten dem Donnergott geheiligt war; aber an den Odinsdienst erinnert im Odenwald noch manches Überbleibsel vom Glauben der Vorzeit. Wer hat nicht von des Rodensteiners Auszug aus dem Schnellerts gehört und gelesen? Zum letzten Mal haben die Zeitungen von diesem Vorzeichen des Krieges gemeldet, ehe Napoleon von der Insel Elba zurückkehrte. Denn der Rodensteiner ist einer der wenigen deutschen Patrioten; er kann es nicht ruhig mit ansehen, wie ein schönes Reichsland nach dem anderen veräußert und den verführerischen Einflüssen welscher Sprache und Sitte auf Jahrhunderte preisgegeben wird; wie einst im Leben, so findet er nun im Tod nicht Ruhe, wenn ein Krieg Deutschlands Grenzen gefährdet:
Aus Todesschlaf und Grabesnacht
Für Deutschland zieht er noch aus zur Schlacht.
Wenn er aber heimkehrt, so darf man gewiß sein, daß der Friede wirklich abgeschlossen wird. Neue Reisebücher versichern zwar unbedachterweise, seit das Deutsche Reich erloschen sei, rühre sich der Geist nicht mehr, wenigstens hätten die Bewohner des Meierhofs seit langen Jahren nichts Unheimliches vernommen; allein sie vergessen, daß seit dem Jahr 1815, wo der deutsche Reichsverband längst aufgelöst war, kein Krieg unser Vaterland bedroht hat. Die Bewohner des Meierhofs mögen aufmerken, ob sie nicht jetzt, wo es sich wieder darum handelt, ein deutsches Land aufzugeben, nächtliches Getöse vernehmen. Ich bin zwar weit entfernt, vorauszusetzen, daß die deutsche Langmut die Nachgiebigkeit so weit treiben werde, aber schon die Zumutung könnte des eifrigen Geistes Ruhe im Grab stören.
Wer ist nun der Rodensteiner, wer war er im Leben? Die Geschichte schweigt: ein Rittergeschlecht von Rodenstein hat einst auf der jetzt verfallenen Burg gehaust, Urkunden und Grabsteine des dreizehnten bis siebzehnten Jahrhunderts bezeugen es; das ist alles. Die Überlieferungen stimmen nicht überein: nach einer soll er ein unbändiger Raufbold, ja gar wie der Lindenschmied, den man oft mit ihm verwechselt, ein Schnapphahn gewesen sein, der sich aus Sattel und Stegreif nährte; nach der anderen, glaublicheren, hat er dem Reich gegen die Türken gedient und dem Kaiser gelobt, ihm auch im Tod getreu zu sein. Aber wüßten wir auch sichere Kunden von ihm, so erführen wir nur, warum gerade er im Odenwald dem Zug des wütenden Heeres als Wilder Jäger voranzieht wie in Sachsen und Westfalen Hakelbärend, in Schwaben der alte Berchtold, in der Lausitz Dietrich von Bern, in Dänemark König Waldemar, in England König Artus usw. Wir wissen, daß alle diese Helden nur Wiedergeburten der Sage, in Helden verjüngte Götter sind und daß ursprünglich Odin, zu deutsch Wuotan, unser oberster Gott es war, der das luftige Geisterheer befehligte, wie in Pommern und Holstein der Wilde Jäger noch jetzt Wode heißt. Denn er ist der Gott des Krieges, der oberste Lenker der Schlachten, und sein kriegerischer Charakter verleugnete sich nicht, als ihn die neuere Volkssage als Ritter von Rodenstein wiedergebar.
Es wäre wunderbar, wenn sich im Odenwald von den Eigentümlichkeiten der äußeren Erscheinung Odins nicht eine Erinnerung erhalten hätte. In der »Edda« und bei Saxo erscheint er als ein einäugiger bärtiger Greis, sein anderes Auge hat er in Mimis Brunnen zu Pfand gelassen; gewöhnlich trägt er einen breiten Hut, den er, um unerkannt zu bleiben, tief ins Gesicht gedrückt hat. Auch die graue Farbe ist, wenn ich nicht irre, Odin eigentümlich. Einiges hat mit dieser Schilderung ein gespenstisches Wesen gemein, das im Odenwald zu Hause ist. Im Gamelsbacher Tal, das sich gegen den Neckar öffnet, liegen die Trümmer des einst sehr festen Freiensteins. Darin geht ein Geist mit einem großen Schlapphut um. Außerdem trägt er einen grauen Rock und einen langen Bart. Als einäugig wird er nicht geschildert, und so bleibt die Deutung auf Odin gewagt.
Aber ein anderer Gamelsbacher Bericht möchte damit zu verbinden sein. Man findet ihn, gleich jenem, in »Grimms Sagen«; beide sind nach mündlicher Überlieferung aufgezeichnet. Konrad Schäfer aus Gamelsbach, heißt es dort, erzählte: »Ich habe vor einigen Jahren Frucht auf der Hirschhorner Höhe, nicht weit von Freienstein, dem alten Schloß, gehütet. Nachts um zwölf begegneten mir zwei feurige Kutschen mit gräßlichem Gerassel, jede mit vier feurigen Pferden bespannt. Der Zug kam gerade vom Freienstein. Er ist mir öfter begegnet und hat mich jedesmal gewaltig erschreckt, denn es saßen Leute darin, denen die Flammen aus Maul und Augen schlugen.«
Vielleicht sehen unsere Leser hierin nichts als einen Beweis für die Einbildungskraft der Odenwälder. Odin war in jedem Fall nicht die einzige germanische Gottheit, der sie einst geopfert haben. Der bedeutendste unter den Flüssen, die ihr Gebirge der Rheinebene zuschicken, ist die Weschnitz, einst Wisgoz genannt. Diese – oder ihr Flußgott – fand in der römischen Zeit als Visucius andächtige Verehrung. Denn die Römer, die zu herrschen verstanden und verdienten, waren viel zu klug, die ihnen untergebenen Völker an dem empfindlichsten Punkt zu verletzen:
— — — den Göttern
Aller Völker der Welt boten sie Wohnungen an:
Habe sie schwarz und streng, aus altem Basalt, der Ägypter,
Oder ein Grieche sie weiß, reizend, aus Marmor geformt.
Die christlichen Priester, die Rom später, als es seine zweite Weltherrschaft begründete, in die heidnischen Länder schickte, hatten von der Behutsamkeit der alten römischen Sieger vieles gelernt. Sie beeilten sich nicht, den Aberglauben des Volkes auf einmal mit Stumpf und Stiel auszurotten: um es nicht zu beleidigen, behielten sie davon bei soviel sie brauchen konnten. Als unter den Karolingern das Christentum den Sachsen mit Gewalt der Waffen aufgedrungen wurde, da freilich verstand man sich auf das Bekehrungsgeschäft viel schlechter, man war plump genug, die alten geliebten Volksgötter geradezu für geschwänzte Teufel zu erklären. Nicht so in der ersten Zeit, als das Christentum in den Rheinlanden Eingang fand. Da vermied man alle Gewaltsamkeit und suchte allmähliche Übergänge: da wurden die Götter in Heilige verkleidet, die heidnischen Tempel in Kirchen und Kapellen umgewandelt, ja die alten Priester für den christlichen Gottesdienst gewonnen. So war einst an der Quelle der Weschnitz der deutschen Frühlingsgöttin Ostara, von der noch heute wie zu Karls des Großen Zeit der April Ostermonat heißt, ein Tempel oder ein Hain gewidmet. Das Volk war gewohnt, hier beim Beginn des Lenzes Opfer darzubringen, und in dieser Gewohnheit wollte man es nicht stören. An die Stelle des heidnischen Ostara-Dienstes trat im April das allgemeine Osterfest, die Auferstehung des christlichen Gottes ersetzte die Feier des aufsteigenden Sonnenlichts. Aber auch den alten Tempel behielt man bei, und als das Volk anfing, zur Taufe zu gehen, da wurde auch seine altverehrte Göttin in die heilige Walpurgis umgetauft. Hatte sie bis dahin nur den Beginn einer besseren Jahreszeit angekündigt, so brachte sie nun den vollen, reichen Frühling mit. Heutzutage ist fast schon die neue Heilige, die alte Göttin längst vergessen; nur die Dörfer zu Füßen der Walpurgiskapelle, Ober- und Unterostern, haben uns ihren Namen erhalten.
Einen Teil seiner frühen Kultur verdankt der Odenwald einem in Geschichte und Sage hochberühmten Mann, Eginhard oder Einhard, dem Geheimschreiber und Biographen Karls des Großen. Hören wir erst die Geschichte. Eginhards Herkunft und Heimat meldet sie nicht, wohl aber, daß er am Hof Karls, im Schoße seiner Familie, als Gespiele seiner Kinder erzogen, zum Freund und Ratgeber des Kaisers in häuslichen und öffentlichen Angelegenheiten heranwuchs. Er teilte den Unterricht Alkuins mit ihm, fand aber mehr als dieser Muße zur Pflege der Wissenschaften. Vornehmlich ergab er sich der Mathematik und dem Studium der Alten, unter welchen Sueton den meisten Einfluß auf seine Schreibart hatte. Die Mathematik wandte er auf die Baukunst an, in der er viel Erfahrung besaß. Karl der Große, dem er sich zu vielerlei Geschäften brauchbar erwies, übertrug ihm besonders gern die Leitung großer Bauten. Sein Werk waren die Brücke zu Mainz, von der unten die Rede sein wird, die Paläste zu Ingelheim und Aachen und dessen Dom, dem wir noch heute Bewunderung zollen. Durch solche Dienste und die Vorzüge seines Geistes und Herzens hatte er sich dem Kaiser so unentbehrlich gemacht, daß er ihn ungern von seiner Seite ließ. Nur einmal, da er als Gesandter des Kaisers dessen Testament Papst Leo überbrachte, schickte er ihn in die Ferne. Auf seinen Rat soll Karl seinen Sohn Ludwig den Frommen zum Mitregenten angenommen haben. Nach Karls Tod blieb zwar Einhard am Hof Ludwigs in alten Ehren; bei dem täglich wachsenden Einfluß der Geistlichen und der Weiber konnte er sich aber nicht lange mehr an seiner Stelle fühlen. Er selbst beklagt es im Eingang zu seinem »Leben Karls des Großen«, das er mit dankbarer Seele schrieb – ein Werk, das wir nicht zu hoch schätzen können –, daß schon das Ansehen der Wissenschaften bei Hof abzunehmen beginne. Er wußte sich den Umgebungen, welchen sein großer Freund entnommen war, nicht mehr gewachsen und sehnte sich hinaus an einen Ort, wo er, wenn er sie suchte, ungestört Muße finden möchte. Auf seine Bitte schenkte Ludwig der Fromme ihm und seiner Gemahlin Imma, welche die Urkunde ausdrücklich nennt, zwei der Welt gleichsam entrückte königliche Villen im Odenwald, Michlinstat und Mühlenheim. Jedoch vergrub er sich nicht gänzlich in dieser Einsamkeit, sondern blieb auch ferner zu seinen und des Reiches Diensten dem Kaiser bereit, zu welchem er sich bei mehrfachen Anlässen nach Aachen begab. Michlinstat übertrug Einhard mit Immas Einwilligung dem Kloster Lorsch, von dem es an dessen Vasallen, die Schenke von Erbach, kam, die es noch jetzt besitzen. Einige Jahre später gelobten Einhard und Imma, fernerhin als Bruder und Schwester zusammen zu leben, nicht weil ihre Liebe sich vermindert hatte, sondern Gott zuliebe. Imma verweilte, solange sie lebte, im Haus ihres Gemahls, und ihren Tod beweinte er so zärtlich, daß er den Rest seiner Tage ganz der Trauer zu widmen beschloß. Noch zu ihren Lebzeiten hatte er die priesterlichen Weihen empfangen und in Obermühlheim eine schöne Kirche und Zellen erbaut, die er Priestern zur Pflege des Gottesdienstes übergab. In dieses Kloster, dem er in seinen letzten Jahren als Abt vorstand und worin er an Immas Seite begraben liegt, ließ er die Gebeine der heiligen Peter und Marcellin, die er sich von Rom zu verschaffen gewußt hatte, unter großem Zulauf des gläubigen Volks niedersetzen. Er selbst berichtet in der Geschichte ihrer Übersiedlung von den zahllosen Wundern, die durch sie gewirkt wurden. Diesen Reliquien scheint Obermühlheim, das seitdem Seligenstadt genannt wurde, diesen Namen wie seinen Reichtum zu verdanken.
Anders freilich erklärt die Sage, welche Emma, Eginhards Gemahlin, eine Tochter Karls des Großen nennt, den Ursprung des Namens Seligenstadt. Ihr zufolge hatte Eginhard die Kaisertochter nach dem bekannten Vorfall im Schnee des kaiserlichen Burghofs nach Obermühlheim entführt und dort lange mit ihr in süßer Verborgenheit gelebt. Lange soll sich Karl um die geliebte Tochter gehärmt haben, bis er endlich auf einem Jagdzug durch den nahen Königsforst, von seinen Begleitern verlassen, in der Waldherberge des glücklichen Paares Obdach und Bewirtung fand und die Tochter an der Bereitung seiner Lieblingsspeise erkannte. In der Freude des Wiederfindens habe da Karl ausgerufen:
Selig sei die Statt genannt,
Da ich Emma wiederfand!
Auch der Odenwald verdanke diesem Vorfall den Namen, denn als Eginhard und Emma, die jetzt dem Kaiser versöhnt wurden, ihm nach Aachen folgen sollten, habe Emma den Wald umher, den Zeugen ungestörter ehelicher Zärtlichkeit, mit den Worten: »O du Wald!« gerührt angeredet und ihm so den Namen verliehen.
So schön und einfach diese dichterischen Züge sein mögen, historischen Gehalt haben sie nicht. Auch die Erzählung, wie Emma den Geliebten durch den frischgefallenen Schnee trägt, damit die Spuren seiner Füße das Geheimnis des nächtlichen Besuchs nicht verrieten, wird sich die Geschichte, als fremdes Gut, nicht aneignen wollen. Ähnlich ist es, wenn in der »Wilkinasage« Wieland der Schmied den Söhnen König Nidungs, welche er zu töten sinnt, die Anweisung gibt, rückwärts zu seiner Schmiede zu kommen, sobald frischer Schnee gefallen sei, wodurch er allen Verdacht im voraus von sich abwälzt. Wenn aber diese märchenhaften Zutaten fallen, so muß die Angabe der Sage, daß Emma Karls des Großen Tochter gewesen sei, nicht notwendig auch erdichtet sein. Bedenklich ist es freilich, daß die Zeitgenossen diesen Umstand nicht zu kennen scheinen und erst viereinhalbhundert Jahre nach Eginhards Tod der Lorscher Mönch die Legende erzählt. Zwar nennt schon eine hundert Jahre früher ausgestellte Lorscher Urkunde Imma eine Tochter Karls, doch könnte dies ein Zusatz des kompilierenden Mönchs sein. Am meisten Verdacht erweckt es aber, daß Eginhard selbst überall davon schweigt, auch in den vertrauten Briefen an seinen Freund, worin er ihren Verlust so rührend beklagt. Und in Karls Lebensbeschreibung nennt er alle dessen Weiber, Kebsweiber und Kinder mit Namen, ohne einer Imma zu gedenken. Hierbei kommt indes denen, die Emmas kaiserliche Abstammung behaupten, ein Umstand zugute. Eginhard fügt nämlich hinzu, Karl habe seine Töchter so sehr geliebt, daß er nie ohne sie zu Nacht gegessen und sich selbst auf Reisen nicht von ihnen getrennt habe. Obwohl sie sehr schön gewesen seien, habe er doch keine derselben weder einem Fremden noch einem der Seinen zur Ehe geben wollen, sondern sie bis an seinen Tod im Haus behalten, unter dem Vorgeben, daß er das Zusammenleben mit ihnen nicht entbehren könne. »Hierin aber mußte er, dem sonst alles glückte, die Tücke widrigen Geschicks erfahren, was er jedoch so verleugnete und verhehlte, als ob sich nie ein Verdacht über ihren Wandel erhoben oder ein böser Leumund verbreitet hätte.« Hierin könnte man nämlich die Ursache finden, warum Eginhard und seine Zeitgenossen die Herkunft Immas niemals erwähnen, warum selbst Ludwig der Fromme in der Urkunde, worin er sie mit Namen nennt, ihr den Namen der Schwester verweigert. Schon Vogt vermutete, den süßen Namen Imma oder Biene möge ihr erst Eginhard beigelegt haben. Vielleicht setzte er voraus, Karl habe ihr nach jenem Fehltritt untersagt, ihren bisherigen Namen und den Titel seiner Tochter zu führen. Auf welchen anderen Vorfall wären auch sonst Eginhards Worte über Karls Unglück mit seinen Töchtern zu deuten? Wir wissen zwar, daß Engelbert, von dem nur Bruchstücke eines Gedichtes über Karl den Großen erhalten sind, mit Bertha, Karls Tochter mit Hildegard, sich heimlich vermählte und zwei Söhne, den Hartnit und den Nithard, den nachherigen Geschichtsschreiber, mit ihr zeugte. In jenem Gedicht hatte Engelbert unter den Töchtern Karls jene Bertha mit besonderer Vorliebe geschildert, ohne seines Verhältnisses zu ihr zu gedenken. Indes scheint es, daß über diese von Karl ohne Zweifel gemißbilligte Ehe eben kein unverbrüchliches Stillschweigen beachtet worden ist, da Nithart die Kaisertochter frei und offen seine Mutter nennt. Die strenge Verheimlichung, deren Eginhard gedenkt, könnte also nur auf ihn selber und Emma bezogen werden.
Ob die Ehe Eginhards und Emmas kinderlos geblieben sei, ist ungewiß. Allerdings wird ein Sohn Eginhards, Jussinus, erwähnt; es scheint jedoch, daß jener nur sein geistlicher Vater war. Wie daher die Grafen von Erbach ihre Abstammung von dem berühmten Paar erweisen wollen, mögen sie zusehen. Vielleicht erfahren unsere Leser darüber das Nähere, wenn sie in Erbach die höchst sehenswerten Altertümersammlungen im Rittersaal, in der Gewehrkammer usw. bewundert haben und ihnen dann in der Begräbniskapelle der Sarkophag gezeigt wird, worin einst die in Seligenstadt zurückgebliebenen sterblichen Überreste Eginhards, Emmas und ihrer Schwester Gisela bewahrt wurden.
Über die malerischen Schönheiten der Bergstraße müssen wir uns kurz fassen. Man hat sie nicht mit Unrecht ein Paradies, den Garten Deutschlands, genannt. Zuweilen werden zwar Stimmen laut, welche eine Übertreibung darin finden, wenn in den Umkreisen von Rhein, Main und Neckar, welche die Natur aus der Fülle ihres Reichtums so verschwenderisch begabt hat, gerade diese Straße als einzig und wunderbar ausgerufen wird. Aber diese verwechseln gewiß die Bergstraße mit der Chaussee, welche an ihr vorbeiführt. Von dieser aus kann es leicht geschehen, daß man von all dem einzigen und Wunderbaren, das die Bergstraße allerdings in großer Fülle bietet, gar wenig gewahr wird, zumal diese fast schnurgerade Kunststraße zuweilen durch sehr traurige Föhrenwälder, Überbleibsel des alten Fornhasi, führt, welche die ältere Straße, die den Krümmungen des Gebirges folgte, glücklich vermied. Und doch möchte ich fragen, in welcher Gegend der Welt der Reisende auf einer so langen Strecke wie der von Heidelberg bis Darmstadt von seinem bequemen Wagensitz aus einen schnelleren Wechsel von landschaftlichen Schönheiten erlebt, wo sich ihm ein mannigfaltiger gestaltetes Gebirge zeigt, wo reizendere Seitentäler sich auftun, lachendere Städtchen, Dörfer und Weiler aus dunklem Grün hervortauchen, während über ihnen zwischen Weingärten die gewaltigen Bergschlösser thronen; ob anderswo solche Freigebigkeit der Natur dem Fleiß der Menschen entgegenkommt, ob in Deutschland ein milderes und gesünderes Klima gefunden wird? Der muß wahrlich sehr verwöhnt sein, dem solche Vorzüge gewöhnlich scheinen; wo er seinen Geschmack so verbildet hat, da sollte man Hütten bauen. Wer aber so bequem in seinem Wagen sitzen blieb, darf sich nicht rühmen, die Bergstraße gesehen zu haben.
Wenigstens muß er bei Weinheim ausgestiegen sein, um die alte Windeck zu besuchen. Über dem säulengetragenen Marstall, neben dem schlanken Turm stehend, habe er in das von der Weschnitz durchrauschte Birkenauer, in das saftige Gorxheimer Tal hinabgeblickt und auf die lichtblauen Fernen des Odenwalds, die sich rechts und links erschließen, den sehnsüchtigen Blick geheftet. An der hessischen Grenze bei Unterlaudenbach, das den berühmtesten aller Bergstraßer Weine gewinnt, ließ er die Pferde halten, um sich vorwärts und rückwärts umzuschauen, denn hier, wo das Gebirge einen halben Bogen beschreibt, zeigt sich der Ölberg bei Schriesheim, zwischen Weinheim und Heidelberg, in den schönsten Formen, und der König der Bergstraße, der Melibocus, erscheint nirgends in so hehrer Majestät. Bei Heppenheim wird er entweder die Ruine Starkenburg, von der die ganze Provinz den Namen hat, oder das nahe Lorsch besucht haben, dem nicht nur die Bergstraße, sondern alles Land weit umher Kultur und die ältesten historischen Nachrichten verdankt.
Von der Geschichte des Landes habe er auch einige Kapitel durchblättert und wenigstens so viel erfahren, daß die Starkenburg von den Mönchen und Vasallen von Lorsch erbaut worden ist, um ihren Abt Ulrich im Besitz der reichen Abtei zu schützen, welche Kaiser Heinrich IV. an seinen Liebling, den Erzbischof Adalbert von Bremen, vergeben hatte; daß das früh gestiftete Lorsch auch früh ausartete, so daß sich Papst und Kaiser schon im dreizehnten Jahrhundert gemüßigt sahen, es dem Erzstift Mainz zur Reformation der Klosterzucht zu übergeben, ja es ihm, als diese nichts half, völlig einzuverleiben, wodurch aber Mainz mit der Pfalz in Krieg geriet.
Zu Auerbach muß er wenigstens einen Versuch gemacht haben, die Wiesenjungfrau zu erlösen, denn wer kann denn wissen, ob die Wiege, darin er geschaukelt ist, nicht aus Zweigen des Baumes geflochten war, an dem ihre Erlösung hing, und wenn er sie versäumte, so müßte die Wiesenjungfrau abermals harren und warten, bis auf der Wiese ein Kirschbaum wüchse und aus des Kirschbaums Holz eine Wiege gemacht würde. Nur das Kind, das in der Wiege zuerst gewiegt worden ist, kann sie dereinst erlösen.
Bei Zwingenberg mußte er gar auf den Melibocus, ja auf den weithin flimmernden Turm, der seinen Gipfel ziert und den höchsten Standpunkt des Gebirges gewährt. Hier deuchte er sich dann König des Odenwalds und des unermeßlichen Rheintals zu seinen Füßen. Dies überhebt ihn jedoch nicht, die vielbesprochenen rätselhaften Gebilde und Naturerscheinungen des benachbarten Felsberg, Riesensäule, Felsenmeer usw. zu betrachten.
Welche Ansicht er sich auch bilden möge, er wird genug zu denken haben, bis er diesseits Darmstadt zum Frankenstein kommt, der nicht bloß wegen seines Eselslehens, sondern auch darum wichtig ist, weil an ihm der Beweis geführt werden kann, daß die französischen Lilien nichts anderes sind als die alte fränkische Nationalwaffe, die Framea oder Francisca.
Hat er dies alles getan und beobachtet und kann sich gehörig darüber ausweisen, so werden wir uns bedenken, ob ihm nach Bewandtnis der Sache einzuräumen ist, daß er die Bergstraße bereist oder nur – gesehen habe.