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Auf der linken Rheinseite, die uns zunächst allein beschäftigt, da die rechte noch bis zum Rheingau gehört, wohnten in römischer Zeit die Ubier bis an die Nahe hinauf, die wohl auch das erste und das zweite Germanien schied. Damit übereinstimmend beginnt in fränkischer Zeit von Bingen abwärts das Herzogtum Ripuarien, während jenseits noch mehrere Gaue zu Rheinfranken gerechnet wurden. Da Köln die Hauptstadt des uferfränkischen Landes war, so erklären sich vielleicht hieraus die Besitzungen der kölnischen Kirche in diesen entlegenen Gebieten, da z. B. Bacharach und Bretzenheim an der Nahe von Köln zu Lehen gingen. Das Kurgebiet von Mainz reichte zwar noch von Bingen bis zum Heimbach, was sich daraus erklärt, daß als die eigentliche Grenze nicht die Nahe galt, sondern ihre Schneeschmelze, der Soon, der mit dem Idar zusammenhängend sich von Trier bis unter Bingen erstreckt, wo noch Burg Sooneck deutlich genug von ihm spricht. Aber dieses Sooneck und Reichenstein nebst dem Dorf Trechtingshausen kaufte Mainz erst spät von dem Stift Cornelimünster bei Aachen; seine alte Grenze lag also diesseits des Soonwalds viel näher an Bingen. Hier erbaute es damals zum Schutz seines Gebietes die Burg Vogtsberg oder Faustberg, dieselbe, wie versichert wird, die jetzt nach ihrer Wiederherstellung durch einen preußischen Prinzen den Namen Neu-Rheinstein führt. Da Bingen ein überrheinischer Aussprung des Rheingaus war, dessen oberster Herr und Vaut (Vogt) der Erzbischof von Mainz hieß, so könnte der Name Vogtsberg sich auf diesen beziehen; er geht aber wohl nur auf die Rheinboten oder Vögte von Bingen, Unterbeamte des uns schon bekannten rheingauischen Vizedomus. Einer dieser Vögte scheint Vogtsberg erbaut zu haben, das nach dem Aussterben des Geschlechts der Rheinboten Burgmannen übergeben wurde.
Die Schirmherrschaft der benachbarten Burgen Sooneck und Reichenstein übertrug Cornelimünster den mächtigen Dynasten von Bolanden am Donnersberg. Diese konnten sie bei ihren ausgedehnten Besitzungen nicht selbst verwalten, sondern übergaben sie ihren Vasallen, den uns bei der Sauerburg schon bekannt gewordenen Rittern von Waldeck, die, mit den Boosen von Waldeck nicht zu verwechseln, aber jenen von Iben und Montfort verwandt, auch hier ihr wildes Räuberleben führten, Saumtiere und Schiffe plünderten.
Da entstand der Städtebund, die wackeren Patrizier beschlossen die Zerstörung der rheinischen Raubnester, Sooneck fiel unter den ersten, und der stolze Dynast, Philipp von Hohenfels, mußte mit Knirschen vernehmen, daß die seiner Schirmherrschaft vertraute Burg in Trümmern liege. Trotzig baute er sie wieder auf und übergab sie zum zweitenmal jenen Waldeckern, die nun erst gründlich ihr schändliches Gewerbe trieben und den Städten allen erdenklichen Schaden zufügten. Da verkaufte Cornelimünster, der Beschwerden müde, seine dortigen Besitzungen an Mainzer Stifter, und Philipp von Hohenfels, der sich wohl anfangs widersetzte, mußte doch endlich den Kauf anerkennen. Dafür belehnte ihn Mainz mit Sooneck, auf dem er zwar selber, eidlichem Gelübde gemäß, Friede hielt, das aber seine Erben den Waldeckern wieder übergaben, die nun ärger raubten als je. Aber eine kräftigere Hand hielt jetzt die Zügel des Reichs, Rudolf von Habsburg erschien mit Heeresmacht am Rhein, eroberte und zerstörte die Raubburgen und ließ die Räuber ohne Gnade aufknüpfen. Dem mainzischen Marschall von Waldeck aber, der für seine Verwandten Einspruch tat, die als Ritter wenigstens nicht am Strick enden sollten, gab er die denkwürdige Antwort: »Diese sind nicht Ritter, sondern die verworfensten Räuber und Diebe. Wahre Ritterschaft hält Treu und Glauben: wer die Ehre bricht, soll auch nicht den Tod des Schwertes sterben.«
Die bisherigen Topographen des Rheins zählen statt der von uns genannten drei Burgen folgende auf: Vogtsberg, Rheinstein (Alt- und Neukönigstein), Reichenstein, Falkenburg, Sooneck. Allein Rheinstein scheint ein Beiname von Vogtsberg gewesen zu sein, entweder als Verkürzung von Rheinbotenstein, wie Disibodenberg zu Disenberg wurde, oder weil es auf seinem steilen, gleichsam aus dem Strom aufsteigenden Felsen dem Rhein näher lag als irgendeine andere Rheinfeste; Falkenburg mag Reichenstein von der Schirmherrschaft der Dynasten von Bolanden-Falkenstein genannt worden sein, und Königstein hieß Rheinstein oder Vogtsberg, weil König Rudolf hier sein siegreiches Panier aufgepflanzt hatte. Die genauesten Nachuntersuchungen haben nicht mehr als diese drei Burgen ermittelt. Möglich wäre es freilich, daß Neu-Rheinstein auf den Trümmern zweier Burgen erbaut wäre, wofür wenigstens angeführt werden könnte, daß man unmittelbar vor Rheinstein noch einiges für den Neubau unbenutzt gebliebenes Gemäuer erblickt. Allein diejenigen, welche hier das Terrain Schritt für Schritt durchforscht haben, werden die Wahrheit nicht verschweigen, nur um dem hohen Burgherren das fade Kompliment zu machen, daß »kein Fluch der Vergangenheit an Rheinsteins Mauern haftet«. Flüche haften an Mauern nicht, sie gleiten nieder und treffen das schuldige Haupt. Und führen die Schmeichler nicht selber an, daß man am Fuß Rheinsteins von den wandernden Juden einen Zoll für die erzbischöfliche Kämmerei erhob, wobei man sich eigens dazu abgerichteter Hunde bediente, um die Juden unter den Reisenden herauszufinden, die, wenn die Spürhunde ihre verheimlichte Abstammung erwittert hatten, doppeltem Zoll verfallen waren? War dies unmenschliche Recht redlicher erworben, als der räuberische Zoll auf Ehrenfels, über dessen Ertrag Kuno von Falkenstein dem Zollschreiber Ludwig die Rechnung auf Rheinstein abnahm? Ehrenfels und Rheinstein waren mainzisch, aber Mainz ebenso unbefugt, den Rhein zu sperren und die Reisenden zu schätzen als die Dynasten von Bolanden und die Ritter von Waldeck. Wegen des Zolls auf Ehrenfels berief sich zwar Mainz auf den zwischen Albrecht und Erzbischof Gerhard abgeschlossenen Frieden; aber der Kirchenrat Dahl gesteht, daß diese Urkunde noch im 18. Jahrhundert eins der ersten kurmainzischen Regierungsgeheimnisse ausmachte und Guden sie nicht abdrucken ließ, vorgeblich, weil sie zu lang wäre, in der Tat aber, weil sie die mainzische Usurpation zu sehr kompromittiert hätte. Vogtsberg, d. i. Altrheinstein, läßt sich in kein günstiges Licht stellen; in ein um so günstigeres tritt Neu-Rheinstein, zu dem manches Auge dankbar emporblickt, das verjährte Flüche in neue Segenswünsche wandelt, dem auch der gleichgültige Reisende als einer der schönsten Zierden des Rheins die Bewunderung nicht versagt.
Unterhalb Rheinsteins steht auf schmalem Ufersaum die Klemenskirche, deren Ursprung die Sage einem Gelübde beimißt, das ein Schiffer zur Zeit großer Gefahr im Binger Loch abgelegt habe. St. Klemens ist so gut als der heilige Nikolaus ein Patron der Schiffer, und wie oben beim Mühlstein jenes Heiligen Bild in einer Nische stand, so war schon vor Erbauung der Klemenskirche ihres Patrons Bildnis unterhalb des Binger Lochs aufgestellt. Als aber Rudolf die Landfriedensbrecher unerbittlich hier aufknüpfen ließ, soll ihre tief verletzte Familie das Kirchlein nebst einer Eremitenklause erbaut haben, deren Dotation ausdrücklich zu Seelenmessen für die schmachvoll gefallenen Waldecker bestimmt war. Seine Wiederherstellung verdankt jenes der hohen Burgfrau auf Rheinstein.
Schloß Sooneck bauten die Waldecker wieder auf, und zwar in so zierlicher Gestalt wie wenige Burgen am Rheinstrom. Seine hohe Lage auf zackigem Felsen verspricht eine der schönsten Aussichten. Noch ausgebreiteter und größer ist freilich jene auf dem Gipfel des Gebirges, dem sogenannten Franzosenkopf. Jetzt im Besitz der preußischen Prinzen, harrt Sooneck gleichfalls der Erneuerung; und bei der Nähe des befreundeten Rheinsteins ist dies wohl nicht ganz hoffnungslos.
Trechtingshausen, wie es urkundlich heißt – nicht Dreidingshausen noch Dreieckshausen, denn weder drei Gerichte noch drei Ecken sind hier nachzuweisen –, mag von Trechtin (althochdeutsch Truchtin = Herr und Herr Gott) oder von dem Gaumal des Trachgaus benannt sein, das als ein schmaler Strich längs dem Rhein von Bingen bis Koblenz herablief. Jetzt ist der freundliche Ort von Malern bevölkert, die aus dem kurzen, engen Felsental des Morgenbachs herrliche Studien heimtragen. Auch Lessings Talent für die Landschaft soll sich hier entfaltet haben.