Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Der Hunsrück

Mit diesem seltsamen Namen bezeichnen wir das Hochland zwischen Rhein, Mosel und Nahe. Seiner Etymologien sind Legion. Grimm schreibt Hundsrücken und denkt wie bei Katzenelnbogen an die Gestalt des Gebirges, deren Ähnlichkeit mit dem Rücken des Hundes doch keineswegs auffallend ist. Die älteste und beliebteste Ableitung ist von den Hunnen, dem Volk Attilas, deren Kolonien Kaiser Gratian hierhergeführt haben soll. Man beruft sich dabei auf die Ortsnamen Hontheim, Honthausen, Castelhun (Kastellaun) und den Hunnenborn bei Simmern. Aber dann müßte der Name Hunnenrücken lauten. Denselben Einwand stelle ich auch denen entgegen, welche den Namen von anderen Hunnen herleiten, auf die sich indes jene Ortsnamen wirklich beziehen. Hunne hieß nämlich im ganzen ripuarischen Land der Centenarius, der Vorsteher der Huntschaften (Dörfer und Bauernschaften); und Huntgeding wurde das Gericht genannt, das der Propst des reichen, auf dem Hunsrück weit und breit begüterten Klosters Ravengiersburg alle sieben Jahre einmal an zwei Enden – auf der Heide Igelbach, zwischen Biebern und Dombach, und bei der Nunkirche (Neuenkirche), unweit Sargenroth – mit diesen Hunnen hielt. Hontheim ist die Wohnung des Hunnen oder Honnen und Castelhun (Castellum hunnonis, nicht hunnorum) sein Kastell. Wenn aber das Gebirge nach diesen Hunnen benannt sein sollte, so müßte es Hunnenrücken heißen. Ich leite daher seinen Namen von Hûn = Riese ab und übersetze ihn: Rücken des Riesen; und zu dieser Deutung stimmt die Gestalt des Gebirges nur allzuwohl. Einen Hunsrückgau hat es nie gegeben, sondern Trachgau, Nahegau und Moselgau teilen sich in ihn, und auch dem Maiengau fällt ein kleiner Bezirk zu.

Wer aber jetzt den Hunsrück bereist, dem müssen die Hunnen Attilas, des Zerstörers, wohl wieder einfallen, so wenig ist von seinen blühenden Städten, mächtigen Schlössern, reichen Klöstern übriggeblieben. Simmern, die Hauptstadt des Hunsrücks, war bekanntlich der Sitz einer pfalzgräflichen Linie, die Herzog Stephan, der Sohn des 1400 in Rhense zum deutschen König gewählten Rupert, stiftete. Er brachte die Grafschaft Veldenz und zwei Fünftel der vorderen mit der Hälfte der hinteren Grafschaft Sponheim an sein Haus. Sein jüngerer Sohn Ludwig pflanzte darauf die zweibrückische Linie, während der ältere, Friedrich (Cynonotus = der Hundsrücker genannt), die simmerische fortführte, welche hernach zur Kur gelangte. Unter seinen Pfalzgrafen war Simmern zu einer mächtigen Stadt erwachsen, und Sebastian Münster, der deutsche Strabo, liefert in seiner »Kosmographie« eine Abbildung, die von seinen Mauern, Brücken und Türmen, Burgen und Kirchen, einen großartigen Begriff gibt. Dem ist die heutige unbeträchtliche Stadt ganz unähnlich. Die am südlichen Ende neben der Kirche gelegene stattliche Burg wurde bei der berüchtigten Pfalzvergiftung durch die Scharen des allerchristlichsten Königs mit der Stadt niedergebrannt, dabei auch die Kirche nicht verschont. Wie durch ein Wunder sind daher die herzoglichen Grabmäler in der Seitenkapelle des Chors dem Untergang entronnen, dem sie jedoch, wenn nicht bald zur Erhaltung dieser Schätze der Kunst wie des Altertums Rat geschaffen wird, nicht entgehen werden. Denn das Dach der Kapelle wehrt Regen und Schnee nicht mehr ab, und der Einsturz des Gewölbes steht nahe bevor. Das bedeutendste Denkmal ist das, welches der letzte Simmernsche Herzog Richard sich und seiner vorangegangenen Gemahlin Juliane von Wied noch bei Lebzeiten errichten ließ. Die lebensgroßen Statuen stehen in einer von drei Seiten offenen Halle, auf einem mit trefflichem Bildwerk geschmückten Untersatz. Der Herzog, eine stattliche Heldenfigur mit wildem Blick und Adlernase, in Brustharnisch, weiten Beinkleidern und hohen Stiefeln, hat die Rechte auf die Brust gelegt und mit der Linken das Schwert gefaßt. Zu seiner Linken, durch eine Säule von ihm getrennt, steht die Herzogin in der reichen Tracht fürstlicher Frauen. Unter der lateinischen Inschrift sind vier Hochreliefs in viereckiger, am Fußgestell drei andere in ovaler Form, sämtlich biblischen Inhalts, angebracht. Im Giebelfeld erblickt man die Verklärung Christi, das Pfingstfest, und ganz oben in halbrunder Form, als Schlußstein des Ganzen, das Jüngste Gericht. Der kunstreiche Meister, der seinen Namen verschwiegen hat, war vermutlich Johann von Trarbach, Schultheiß und Bildhauer zu Altensimmern.

Auf dem Schloß zu Simmern wurden auch unter Herzog Johann II., einem der gelehrtesten Fürsten seiner Zeit, mehrere durch typographische Schönheit ausgezeichnete und mit reichen Holzschnitten geschmückte Werke gedruckt, darunter »Rüxners Turnierbuch«, »Ritter Pontus«, »Fierabras« und »Die Heimonskinder«; letztere nicht das deutsche Volksbuch, sondern eine Übersetzung des französischen. Der Kanzler Hieronymus Rhodler, welcher der fürstlichen Druckerei vorstand, liegt im Schiff der Kirche begraben. Er starb 1539.

Die Gegend um Simmern ist auf dem öden Hunsrück sehr reizvoll. Der Simmerbach, den wir schon bei Dhaun kennenlernten, wo er in die Nahe mündet, schlängelt sich durch ein tief ausgewaschenes grünes Wiesental, wo manche einsame Mühle hämmert und friedliche Dörfer fruchtbare Gründe bauen. Ein reizender Spaziergang führt nach Ravengiersburg, dessen wir bei Sponheim gedacht haben. Die Klosterkirche, so berühmt in der Geschichte des Landes, als sie in jener der Baukunst sein würde, wenn sie bekannter wäre, liegt malerisch auf dem Hügel, dessen Fuß das gleichnamige Dörfchen umwindet. Von dem Pfarrer eines benachbarten Dorfes haben wir eine Geschichte des Klosters zu erwarten: möchte er sich doch auch mit einem gelehrten Kenner der Baukunst des Mittelalters zusammentun, damit auch diese Seite des Gegenstandes erschöpfend dargestellt würde. Wenige Kirchen der alten Zeit bieten so seltsame, rätselhafte Formen dar; nie empfand ich das Bedürfnis lebhafter als etwa bei dem Pfarrtor zu Remagen, über so auffallende Gebilde und Verzierungen aufgeklärt zu werden. In den Grundzügen erinnert der Stil an die Abtei zu Laach, die Kirche zu Andernach und St. Apostel in Köln; aber wie der Wappenlöwe von Sponheim oder Vianden, den man in der Kirche linker Hand eingemauert findet, den befremden würde, der wohl lebende, aber nie heraldische Löwen gesehen hat, so fremd und fabelhaft erschienen mir die byzantinischen Zierate des äußeren Chors dieser alten Kirche.

Von Ravengiersburg steigt man aus dem Simmertal aufwärts und gelangt zu der Nunkirche, wo sonst der Propst von Ravengiersburg alle sieben Jahre das Huntgeding hegen ließ und noch jetzt alljährlich der größte Jahrmarkt des Landes gehalten wird. Eine mächtige Linde mit ausgebreiteten Ästen steht vor dem Rochuskirchlein, und in ihren Zweigen flüstert es von uralten, auch eben nicht besseren Zeiten. Alles deutet an, daß hier in den ersten christlichen Zeiten eine Hauptkirche gestanden habe, von der aus der Hunsrück bekehrt worden ist. Im Mittelalter war dieser Markt stärker besucht, aber nur wegen des an den Meßtagen sicheren Geleits, dessen man sich jetzt im Handel und Wandel das ganze Jahr über erfreut. Die Hunsrücker Bauern zeigen sich hier in ihrer Feiertracht: schlichtem blauem Tuchrock, langen gelbledernen Hosen, wollenen bis unter das Knie gezogenen Strümpfen und breitem rundem Hut, die Weiber im kurzen, bauschigen Rock, mit rotem Halstuch und hoher, weiß gesteppter Haube: ein derber, rühriger Menschenschlag, der den unwirtlichen Boden mit dem Schweiße seines Angesichts düngt und nicht murrt, wenn Schmalhans Küchenmeister ist, sondern sich frisch wieder ans Rotten und Umbrechen begibt, solange die Heiden noch vorhalten. Eine lebendige Sittenschilderung dieses biederen Völkchens, in seiner eigenen Mundart, haben wir zu erwarten, wenn nächstens die Gedichte Rottmanns, des Hunsrücker Hebels, erscheinen.

Bei der Nunkirche, einem der höchsten Punkte des Landes, sieht man den wildreichen Soon sich dem Hochwald und Idar verbinden, dessen sanft gewölbter Rücken in lichtblauer Ferne liegt. Näher, wo bei Gemünden einige Waldbäche der Simmer zufließen, thront als ein König des Soons der waldige Koppenstein, den wir schon von Schloß Dhaun aus gesehen haben. Ravengiersburg blickt aus dem Tal herauf, jenseits auf der Höhe zeigt sich der Kirchturm von Kirchberg und jener des nahen Denssen, das wir aus der »Mosella« des Ausonius als Dumnissus kennen. Eine alterhabene gepflasterte Römerstraße, um Sebastian Münsters Worte zu gebrauchen, läuft von Bacharach über Denssen, an dem stumpfen Turm vorbei, nach Bernkastel an der Mosel und ist so richtig, als wäre sie mit einer Schnur abgemessen. Wer sie verfolgt, begegnet hinter Kirchberg auch dem alten Schloß Dill, das in sponheimischen Teilungen eine wichtige Rolle spielt. Näher bei der Nunkirche stand sonst auch Marien-Reizenborn, eine Wallfahrtskapelle mit einer Klause bei einem nie versiegenden Brunnen. Als die Wallfahrten nach Spabrücken bei Dalberg noch recht im Schwang waren, hielten hier oft zehntausend Menschen Rast, denen von der außen angebrachten Kanzel gepredigt wurde. Das Wunderbild von Marien-Reizenborn sollte ein Schäfer hier im Wald gefunden haben – eine der vielen Legenden, die den Natursinn der Deutschen und ihren unaustilgbaren Trieb bekunden, sich in heiligen Hainen der Gottheit näher zu fühlen.

 


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