Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Der Rheingau

Das Taunusgebirge, das von Homburg bis Rüdesheim in westlicher Richtung streicht, setzt dem Rhein bei Biebrich einen Damm entgegen, der ihn nötigt, seinen bisherigen nördlichen Lauf zu verlassen und mit dem westlichen des Gebirges zu vertauschen, bis es ihm bei Rüdesheim gelingt, dasselbe zu durchbrechen und, den Hunsrück vom Taunus losreißend, seine alte Richtung zu verfolgen. Von Basel bis Biebrich war das rechte Rheinufer nach Westen gewandt, von Biebrich bis Rüdesheim gibt ihm jetzt die Wendung des Stroms eine südliche Lage, die den Ruhm seiner Reben bedingt. Der glühenden Mittagssonne gleichsam dargeboten, vor schädlichen Winden durch eine hohe Gebirgswand gedeckt, die zwischen Schierstein und Rüdesheim einen Halbkreis zu ihrem Schutz bildet, von der Wärme, die von dem schiefrigen Boden wie von dem Spiegel des Rheins zurückstrahlt, doppelt und dreifach angeglüht, leben sie im Rheingau das freudigste Leben und bringen die süßeste, köstlichste Frucht.

Noch ein anderer Umstand trägt dazu bei, den Rheingau zum Paradies der Rebe zu machen. Einst, so meldet die Sage, und die Naturkundigen finden sie bestätigt, ehe der Rhein das Gebirge bei Rüdesheim durchbrochen und den Weg zum Ozean gefunden hatte, bildeten das Rheintal zwischen Landau und Bingen und das Maintal zwischen Mainz und der Wetterau einen großen See, dem erst ein gewaltsames Naturereignis einen Abfluß nach Norden verschaffte. Als sich darauf das Wasser in seine heutigen Schranken zurückzog, ließ es auf dem Boden des alten Sees einen kalkigen Niederschlag zurück, der teils von den Wassern des Jura, teils von den Gehäusen kleiner Schnecken herrühren mag. »Da diese Schnecken«, sagt Goethe, »nach der neuesten Überzeugung Ausgeburten des Süßwassers sind, so wird die ehemalige Restagnation des Flusses zu einem großen See immer anschaulicher.«

Da indessen, nach den allerneuesten Überzeugungen, in den Kalkbrüchen des Rheingaus und seiner Nachbarschaft auch Meeresschnecken vorkommen, so müssen wir mit Steininger vermuten, »daß das schöne Tal, so weit es durch ebenes Land, von Bingen aufwärts, gebildet wird, der Boden eines alten Sees war, der anfangs, mit salzigem Wasser gefüllt, Meeresschnecken nährte, bis es spät nach dem Rückzug des Meers von dem gegenwärtigen Festland, als das salzige Wasser durch süßes ersetzt war, der Aufenthalt von Flußschnecken wurde«. Glücklicherweise ist es jetzt der Aufenthalt froher Menschen, um so mehr, als der von den Häusern früherer Bewohner gebildete Kalkniederschlag ihren Reben üppiges; Wachstum schenkt. Diese Reben sind des Rheingauers Stolz; und mit Recht, denn er verdankt sie nicht dem Klima und dem Boden allein als eine freiwillige, sondern ebensosehr seinem Fleiß und seiner Kunst als eine mühsam errungene, noch täglich mühsam zu erringende Gabe. War der Rheingau schon ursprünglich das Paradies der deutschen Rebe, so ist er durch die Einsicht und die Tätigkeit seiner Bewohner die Hochschule des deutschen Weinbaus geworden.

Der Rheingau wurde sonst in den oberen und niederen eingeteilt; letzterer reichte vom Niedertal zwischen Kaub und Lorcherhausen bis an den Main, jenes aber vom Main bis gegen Weinheim an der Bergstraße, wo der Lobdengau begann. Hier haben wir es nur mit dem niederen zu tun, und auch diesen müssen wir noch enger begrenzen. Wie wir es eben bestimmt haben, begriff es auch die uns schon bekannte Königshundert zwischen Waldaff, Main und Kriftel, und das dahinter liegende Niedgau zwischen Kriftel, Main und Kinzig. Als sich diese abgelöst hatten, ging er am Rhein nur bis an die Waldaff, landeinwärts aber noch weit über »die Rabenköpfe« seines Gebirges hinaus bis jenseits der Höhe, so daß er außer dem heutigen Schlangenbad auch Langenschwalbach mit vielen anderen übergebirgischen Orten umschloß.

Aber auch dieser Teil löste sich unter dem Namen des hinteren Rheingaus von dem vorderen, der sich jetzt allein des Namens erfreut. Bis zu den neuesten Zeiten stand er unmittelbar unter der Mainzer Inful, deren edelste Perle er bildete, während die Überhöhe an die niedere Grafschaft Katzenellenbogen und mit dieser an Hessen kam. Wie erwarb aber das Erzstift diese Perle? Gewöhnlich erzählt man, König Otto I. habe seinem Nebensohn, Erzbischof Wilhelm von Mainz, zum Lohn für die auf dem Reichstag zu Worms durchgesetzte Wahl seines Sohnes Otto II, den Komitat des vorderen Rheingaus mit den Städten Mainz und Bingen geschenkt. Es ist aber urkundlich erwiesen, daß die westliche Hälfte des unteren Rheingaus von der Elsbach bei Oestrich bis an das Niedertal unter Lorcherhausen erst dem Erzbischof Willigis von Otto II. geschenkt wurde, während die östliche, von der Waldaff bis zur Elsbach, schon unter Otto I. mit dem Mantel des heiligen Martin bedeckt worden war. Wahrscheinlich wurde sie dem berufenen Erzbischof Hatto zur Entschädigung für die bei der Gründung des Erzbistums Magdeburg ihm entzogenen Suffraganstifter verliehen.

 


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