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Wenden wir uns jetzt nach Heiligkreuz, dessen Lage ich schon bezeichnet habe. Die Kirche hieß eigentlich Zu Unserer Lieben Frau im Felde (Beatae Mariae virginis in campis). Jenem urkundlichen und amtlichen Namen zum Trotz hat das Volk seinen Willen, daß sie Heiligkreuz heißen sollte, beharrlich durchgesetzt. Zwei verschiedene wundertätige Kreuze, die nacheinander dort verehrt wurden, begründeten den vom Volk behaupteten Namen. Jedes hat seine eigene Legende.
Die von dem ältesten berichtet, einer Gesellschaft von Männern und Frauen, die zu Schiff nach Mainz fuhr, sei in der Luft ein strahlendes Kreuz erschienen. Das Lichtgebilde folgte der Richtung des Schiffes, als sei es durch unsichtbare Fäden an seinen Mast geheftet. Zuletzt landete es mit ihm in der Gegend des Holztors, wo damals die Schiffbrücke stand. Näherer Betrachtung erwies es sich nicht als eine Augentäuschung, sondern als ein greifbares ehernes Kreuz. Man erzählt auch, es sei zu seiner Fortschaffung zwei ungeschirrten und ungejochten Ochsen auf den Rücken gelegt und von diesen, ohne daß sie jemand geführt oder getrieben hätte, auf den Hechtsheimer Berg gebracht worden. Dort wurde ihm später eine Kirche gebaut, in der es sich, besonders gegen Fieber, heilkräftig erwies. Als bei der Einnahme von Mainz durch den Markgrafen Albrecht von Brandenburg alle Kirchen und Klöster vor dieser südlichen Seite der Stadt, St. Viktor, St. Alban, die Karthause und Heiligkreuz in Flammen aufgingen, teilte es das Schicksal der Kirche. In der Gegend des Holztors, wo es mit dem Schiff gelandet war, zeugte noch in der neuesten Zeit ein verblichenes Gemälde an der Stadtmauer, das sich, gleich den darunter stehenden deutschen und lateinischen Versen, genau auf die Legende bezog, von seiner wunderbaren Ankunft.
Die Legende von dem zweiten, jüngeren Kreuz ist folgende: Zu den Zeiten Erzbischof Adolfs von Nassau lebte in Mainz ein gewisser Schelkropf, dessen Name ihn schon als einen Ausbund von Häßlichkeit verrät. Und wie das Sprichwort vor denen warnt, die Gott gezeichnet hat, so war er auch ein Ausbund aller Laster. Besonders wird er als dem Trunk und dem Spiel ergeben geschildert; aber diese Leidenschaften rissen ihn zu größeren Freveln fort. In der später eingegangenen Vorstadt Filzbach stand damals das Wirtshaus Zur Blume, das Schelkropf täglich zu besuchen pflegte. Eines Tages verlor er dort im Spiel seine ganze Barschaft. Um den Verdruß wegzuschwemmen, übernahm er sich im Wein und kehrte, vom Rausch zu neuen Hoffnungen ermutigt, bald an den Spieltisch zurück, wo er ein Stück seiner Habe nach dem anderen auf die Karte setzte. Aber das Glück wurde ihm nicht günstiger, er verlor alles, was er besaß. Darüber aufs äußerste erbittert, begann er erst die Mitspieler zu schelten, dann Gott und seine Heiligen zu lästern. Er schloß mit der Drohung, sich an dem ersten Christusbild, das ihm begegne, für Verlust und Schaden zu rächen. So verließ er das Haus und rannte wie ein Rasender durch die Felder. Zwischen St. Alban und Heiligkreuz sah man damals eine offene Kapelle mit einem aus Holz gefertigten Bild des Gekreuzigten, den seine Mutter und andere Heilige umstanden. An diesem ließ der Unselige mit gezogenem Schwert seine blinde Wut aus, indem er ihm mehrere Wunden versetzte. Aber wie betroffen stand der Frevler, als aus den versehrten Gliedern das lebendige Blut hervorsprang! Doch es heilte nicht seine Augen – wie damals, als Longin mit dem Speer die Seite des Heilands öffnete, welcher Blut und Wasser entquoll –, es schien ihn mit neuer Blindheit zu schlagen, daß er die Gefahr nicht ahnte, in der er schwebte. Oder lähmte der Schreck ihm die Glieder, daß er wie an den Boden gewurzelt stehenblieb, bis die Arbeiter im Feld zusammenliefen und den auf frischer Tat ertappten Schänder des Heiligtums gefangen nach Mainz führten, wo ein schreckliches Gericht seiner harrte. Er wurde im Angesicht des Volks lebendig verbrannt; das wundertätige Christusbild hingegen brachte man aus jener Kapelle nach der benachbarten Kirche, in der auch das aufgesammelte heilige Blut noch lange ein Gegenstand andächtiger Verehrung blieb. Bei dem erwähnten Brand verschonten es die Flammen, und als das Stift Zum heiligen Kreuz vor der Belagerung im Jahre 1793 völlig zerstört wurde, rettete es fromme Fürsorge in die Stadt, wo es noch jetzt in der St.-Christoph-Kirche den Gläubigen gezeigt wird.