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Einer unserer Quellenschriftsteller, Thietmar von Merseburg, erzählt den Ursprung Frankfurts in folgender Weise:
»Als Kaiser Karl der Große, der Sohn Pippins, herrschte, war ein Krieg zwischen ihm und unseren Vorfahren, den Sachsen, in welchem die Franken von den Unsrigen besiegt wurden. Wie sie nun an den Fluß kamen, welcher Main genannt wird, und genötigt waren, ohne irgendeine Kenntnis von der Furt zu haben, über denselben zu setzen, so erblickten sie eine Hirschkuh, die ihnen voranging und ihnen nach göttlicher Barmherzigkeit gleichsam den Weg zeigte. Sie folgten ihr und erreichten glücklich das sie sichernde jenseitige Ufer. Hiernach wurde der Ort Frankfurt genannt. Als der Kaiser sich in jenem Feldzug überwunden erklärte, redete er seine Krieger folgendermaßen an: ›Es ist mir lieber, den Vorwurf von den Völkern zu hören, ich sei hier geflohen, als daß sie sagen, ich sei hier gefallen, denn solange ich lebe, lebt auch noch der Rächer meiner Ehre.‹«
Hiermit stimmen Otto von Freising, der den Namen der Stadt ausdrücklich mit Vadum Francorum (Furt der Franken) übersetzt, Günther im »Ligurinus« und Werner Rolewink überein. Letzterer bezieht auch den Namen Sachsenhausen auf diesen Vorfall.
Die Geschichtsschreiber jener Zeit hatten keine Ahnung von historischer Kritik und wußten Geschichte und Sage so wenig zu unterscheiden als unsere heutigen Theologen, einen de Wette und Strauß etwa ausgenommen. Sie würden sonst, wenn sie auch der epische Zug mit der Hirschkuh, welche die Furt durchwatet, nicht schon stutzig gemacht hätte, wenigstens den Umstand bedenklich gefunden haben, daß die Sachsen auf der Südseite des Mains stehen, wo doch eher Schwaben- als Sachsenland zu suchen ist. Freilich lag dort Sachsenhausen, ein Umstand, der die Glaubwürdigkeit der Erzählung zu verbürgen schien.
Daß Karl der Große vor den Sachsen geflohen sei, mochte die Annalisten oder ihre Gewährsmänner selber auffallend dünken: sie erfanden deshalb jene Ausrede Karls, es sei besser geflohen als umgekommen.
Die Erzählung der Chronisten ist ein schlagendes Beispiel, wie wunderbar sich im Mund des Volkes Wahres und Falsches, Geschehenes und Erdichtetes zu verschmelzen pflegen und wie reich an historischem Gehalt eine Sage immer noch sein kann, wenn sie auch einer einzelnen Abweichung von der Geschichte überführt worden ist. Die Warnung, das Kind nicht mit dem Bade zu verschütten, ist daher bei der Sagenkritik sehr am Platze. Von den gerügten, schon an sich unwahrscheinlichen Nebenumständen abgesehen, enthält Thietmars Erzählung die reine Wahrheit. Allerdings knüpft sich Frankfurts erstes Erblühen an Karl den Großen und seine Sachsenkriege, und die Furt durch den Main, welche durch dieselben Wichtigkeit erlangte, gab dem Ort, wie es die Sage andeutet, den Namen. Auch Sachsenhausen verdankt den seinigen, so wie den Ursprung, Karl dem Großen, denn er war es bekanntlich, welcher die besiegten Sachsen mit Weib und Kind von den Ufern der Elbe wegführte und ihnen an verschiedenen Orten des Reichs, unter anderen wohl auch hier, neue Wohnsitze anwies.
Das breitere Rheintal, das wir von Basel abwärts bis an den Main durchwandert haben, endet bei diesem Fluß, indem sich jenseits desselben das Taunusgebirge bis an den Rhein vorschiebt. Die große Heerstraße, die jenes breitere Rheintal durchzieht, indem sie sich dem Gebirge näher hält und zuletzt auch ausdrücklich den Namen der Bergstraße führt, erreicht, wenn sie bis an den Main fortgeführt wird, diesen Fluß da, wo jetzt Sachsenhausen liegt. Dieser Umstand, der noch heute Frankfurts vorteilhafte Lage bedingt, gab durch sein glückliches Zusammentreffen mit einem anderen zum Entstehen der Stadt Veranlassung. Gerade da, wo die Bergstraße in den Main auslief, befand sich eine seichte Stelle im Fluß, die im Sommer durchritten und durchfahren und doch stets mit Kähnen überschifft werden konnte. Seit den Kriegen der Franken mit den Alemannen, die mit der Unterwerfung letzterer endeten, mußte diese Furt beim Übergang der Heerscharen über den Fluß große Wichtigkeit erlangen. Die den Alemannen abgewonnene Gegend von der Lahn bis gegen Baden-Baden hin und vom Rhein bis gegen den Ursprung des Mains wurde Tafelprovinz der fränkischen Könige, welche sie von ihren Meierhöfen aus bebauen ließen. Dieses Land schied der Main in zwei Hälften, welche die Frankenfurt, wenn sie damals schon bekannt und so benannt war, verband. Dies ist jedoch urkundlich so wenig zu erweisen, als daß schon unter den Merowingern ein königlicher Meierhof an dieser Stelle gestanden habe.
Durch die Sachsenkriege erlangte die Frankenfurt eine neue und höhere Bedeutung. Karl der Große pflegte sein Heer in Worms oder einer anderen Stadt des südlichen und überrheinischen Deutschland zu versammeln und von hier aus über die Frankenfurt durch die Wetterau und das jetzige Hessen nach Sachsen zu führen. Wurde er so als Feldherr auf die Bedeutung der Frankenfurt aufmerksam gemacht, so mußte sie auch dem Jäger anziehend scheinen. »Milder«, sagt von Fichard, »war hier die Gegend als in dem unzugänglichen Spechtshart, der Jagdgenuß nicht minder befriedigend, denn der Dreieicherhain begrenzte das (linke) Ufer des Flusses, die größere Nähe des Rheins und der blühenden Moguntia erleichterte jede Zufuhr, und die Furt veranlaßte den Sammelplatz der Truppen.« Vermutlich, denn ausdrücklich wird es nirgends berichtet, baute also Karl der Große ein kleines Palatium oder Jagdschloß an der Frankenfurt. Vorausgesetzt wird das Dasein desselben bei der ersten urkundlichen Erwähnung des Namens der Stadt im Jahre 794, wo Karl hier Ostern feierte und im Juni »in Ioco celebri qui dicitur Franconofurd« die dritte Synode und einen Reichskonvent hielt, in welchem die Ketzerei einiger spanischer Bischöfe verdammt und dem reuigen Tassilo von Bayern verziehen wurde. Im Sommer dieses Jahres ließ Karl jeden dritten Mann aus Sachsen abführen. Die Gründung Sachsenhausens fällt also in dasselbe Jahr, wo Frankfurts zuerst gedacht wird, wenn nicht zehn Jahre später, wo Karl alle Sachsen, welche jenseits der Elbe und in dem Gau Wihmuodi wohnten, mit Frauen und Kindern nach Franken versetzte.
Bis Karl im August des Jahres 794 den Feldzug gegen die Sachsen antrat, hatte er sich in Frankfurt aufgehalten, wo ihm auch seine Gemahlin Fastrada starb. Die Sage deutet an, er habe seitdem die Gegenden des Mittelrheins gemieden und sich lieber zu Aachen aufgehalten. Dennoch finden wir ihn noch einige Mal in Frankfurt, und 802/803 brachte er den größten Teil des Winters hier zu. Sein Sohn, Ludwig der Fromme, scheint sich die meiste Zeit hier aufgehalten zu haben, 822 baute er ein neues, größeres Palatium, in welchem er schon im folgenden Jahr eine große Reichsversammlung austrasischen Franken, Sachsen und angrenzenden wendischen Völkerstämme hielt. In demselben Jahr wurde ihm auch sein Sohn Karl in dem neuen Palast geboren. Unter Ludwig dem Deutschen wurde das junge Frankfurt schon Hauptsitz von Ostfranken (principalis sedes orientalis regni), welches hier im weiteren Sinn zu nehmen ist und also Bayern, Schwaben, Thüringen und Sachsen mitbegriff, jenseits des Rheins aber nur den Speyergau und das Wormsfeld. Da auch nach Osten hin das Reich nicht so weit reichte als später, da die Marken hinzukamen, so war Ludwigs Residenz passend gewählt, denn sie lag nach allen Richtungen just in der Mitte seiner Staaten. Unter Ludwigs nächsten Nachfolgern wurde Frankfurts Ehre nicht gemindert, ja sogar ein Samenkorn neuer Würde dafür ausgestreut, wenn wirklich, wie es jetzt fast gewiß ist, Kaiser Arnulfs Wahl hier von den Fürsten vorgenommen wurde. Als dieses Samenkorn aufging, entschädigte es Frankfurt für den Stoß, den ihm derselbe Arnulf versetzte, indem er seinen Aufenthalt nach Regensburg verlegte. Auch die sächsischen Könige und die ihnen folgenden Salier wohnten nicht mehr in Frankfurt und besuchten nur selten seinen Palast. Unter den Hohenstaufen erblühte ihm wieder eine bessere Zeit, und seine Eigenschaft als Wahlstadt gelangte durch wiederholte Vorgänge allmählich zu weiterer Anerkennung.