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Unter den Nebentälern des Rheins ist dieses reichste und mannigfaltigste bisher fast ganz unbesucht und unbeschrieben geblieben, da doch schon Goethe ihm einen Empfehlungsbrief ausgestellt hatte: Er war, um mit Merk in Koblenz zusammenzutreffen, zu Fuß die Lahn, »diesen schönen, durch seine Krümmungen lieblichen, in seinen Ufern so mannigfaltigen Fluß«, hinabgewandert. »Mein Auge, geübt, die malerischen und übermalerischen Schönheiten der Landschaft zu entdecken, schwelgte in Betrachtung der Nähen und Fernen, der bebuschten Felsen, der sonnigen Wipfel, der feuchten Gründe, der thronenden Schlösser und der aus der Ferne lockenden blauen Bergreihen.« Der alte Wunsch, solche Gegenstände würdig nachahmen zu können, stieg wieder in ihm auf, und sogleich schleuderte er sein Taschenmesser in den Fluß, damit es ihm als Orakel diene, ob sein künstlerischer Wunsch erfüllt werden oder ob er Wunsch und Bemühung fahren lassen sollte.
Ems, eines der ältesten (schon die Römer sollen es gekannt haben), vornehmsten und jetzt auch prächtigsten Bäder Deutschlands, wird zwar ausnahmsweise häufig genug beschrieben und besucht, seine unfreiwilligen Besucher klagen aber über Hitze und Langeweile; sollte es den Tal-Ehrenbreitsteinern gelingen, ihm das Wasser abzubohren, wozu freilich noch wenig Aussichten sind, so wird es ohne Zweifel veröden. Gleichwohl ist seine Lage reizend: des entzückenden Weges von Lahnstein durch das Lahntal ist schon gedacht, die Abtei Arnstein, die Burgen Nassau und Stein sind in der Nähe, nach der Silberhütte, der Kapelle von Winden, den Ruinen von Balduinsteig und der Sporkenburg usw. lassen sich die schönsten Ausflüge machen. Aber die Nähe des alles überbietenden und verdunkelnden Rheintals mit seinem regen Leben und Treiben schadet dem stillen Tal, und den toten, nur aus Gast- und Kurhäusern bestehenden Ort kann die vornehm zurückgezogene Badegesellschaft nicht beleben.
Die Burgen Nassau und Stein liegen dem Städtchen Nassau gegenüber auf demselben waldigen Bergkegel, und zwar nimmt erstere die oberste Stelle ein. Herrliche Gartenanlagen verbinden beide. Jene hat dem ganzen Land den Namen geliehen, es ist der Stammsitz des edlen Fürstenhauses, das Deutschland einen König, den Niederlanden einen Befreier gab. Unkluge Mönche fabelten sonst von ihrem Stammvater Nahna, dem Heerführer der Schwaben, dessen Cäsar gedenkt, oder von zwei Brüdern, den Lepartiern, deren einen Cäsar zum Bewahrer der bis Koblenz geschlagenen Brücke, zum Präfekt der umliegenden Landschaft bestellt habe. Hier soll er selbst das nach seinem Geschlechtsnamen benannte Schloß Lipporn und einer seiner Nachkommen Laurenburg, ein anderer Nassau – von der nassen Beschaffenheit der Gegend – gegründet haben. In diesen Nachrichten ist nicht alles Lüge: von Lipporn als dem ältesten Sitz des Geschlechts ist schon oben die Rede gewesen, und von Laurenburg, das einige Stunden höher an der Lahn liegt, schrieb es sich bekanntlich ein Jahrhundert lang, ehe es Nassau baute und dadurch mit Worms in Streit geriet, das diesen Bezirk mit der Kirche von Weilburg erworben hatte. Die Laurenburger, welche die Vogtei über die Kirche zu Weilburg hergebracht hatten, ließen sich nicht wieder vertreiben, und der Streit wurde dadurch ausgeglichen, daß Worms sein Eigentum tauschweise an Trier abtrat und dies nun das nassauische Haus mit dieser seiner Stammburg belehnte.
Das im Burgfrieden von Nassau gelegene Schloß Stein ist das Stammhaus des Ministers, der in seinem gotischen Turm die letzten Tage seines bedeutenden Lebens den Wissenschaften widmete. Die »Limburger Chronik« erzählt von seiner Urgroßmutter eine dieses Urenkels würdige Tat, die auffallend an den »Ring des Polykrates« erinnert; nur ließ diesmal das Geschick sich versöhnen. »Sie hatte vier Töchter und zwei Söhne, und jede der Töchter hatte einen Ritter zum Mann. Nun trug es sich zu, daß die obgenannten vier Ritter bei ihrer Schwiegermutter in deren Haus waren, und die zwei Ritter vom Stein, ihre Söhne, waren auch bei ihr, und da sie zu Tische beieinander saßen, da hatte die Frau sechs Ritter beisammen über ihrer Tafel sitzen, davon waren vier ihre Schwiegersöhne und zwei ihre Söhne, und ihr Mann war auch ein Ritter gewesen. Und als sie beieinander über einer Tafel saßen, da sagte die Frau insgemein: ›Diese Ehre ist zuviel.‹ Darauf hatte niemand acht. Sehr kurz darauf steht dieselbe Frau auf und geht heimlich ihre Straße weg, daß nie kein Mensch davon die Wahrheit hat erfahren können, wohin sie gekommen wäre.«
Wenige Schritte führen uns zu der berühmten Klosterburg Arnstein, einst Stammburg der mächtigen Gaugrafen des Einrichs. Ihr Erbauer, Graf Arnold, nannte sie nach seinem Namen Arnoldstein, wovon Arnstein eine Verkürzung ist, die nicht als Adlerstein ausgelegt werden darf, wie der mönchische Lebensbeschreiber des letzten Grafen Ludwig von Arnstein glauben machen möchte. Wohl lag sie auf einem harten Fels zwischen zwei fließenden Wassern, wohl war sie unaussprechlich fest von allen Seiten und hatte nur einen einzigen Zugang, der mit starken eisernen Ketten und Riegeln geschlossen war; aber er tut ihr zuviel, wenn er sie eine Raubburg nennt, eine Wildnis, bequem zu rauben, einen Stein der Lästerung und Schande, ein Diebhaus, ein- und auszureiten und alles zu plündern, was auf der Straße floß oder fuhr. Von dem letzten Grafen, den wir schon als den Stifter der Abtei kennengelernt haben, der den ganzen Einrich besaß und die Vogtei so vieler Orte des Trachgaus, ist nicht einmal zu glauben, daß er »solchen Jammer geschehen ließ und erlaubte, die Armen zu verdrucken«. Seine sieben Tanten, von denen bei Oberwesel schon die Rede gewesen ist, erwähnt der Chronist ehrenvoller, er nennt sie »ein Exempel aller Dogenden schoen, von libe schöner, von angesichte noch schöner, von geburt aller schöneste«. Graf Ludwig, den wohl nur die Kinderlosigkeit vermochte, seine Burg in ein Prämonstratenserkloster zu verwandeln, starb als Laienbruder der Abtei im Ruch der Heiligkeit. Die Grafen von Katzenelnbogen, Nassau, Diez und Isenburg bezeugten ihm ihre Ehrfurcht dadurch, daß sie seine Leiche eine gute Strecke bis zur Klosterkirche auf ihren Schultern trugen. Seine Grafschaft hinterließ er, auch nach dem Zeugnis des Chronisten, den Grafen von Isenburg, die sie den Grafen von Nassau und Katzenelnbogen verkauften.
Auf anmutiger Straße, von zahlreichen Schlössern überhangen, womit die Lahn dem Rhein nachahmen zu wollen scheint, gelangen wir in die Gegend der berühmten Gesundbrunnen Geilnau und Fachingen. Hier sieht man sich wieder ringsum von erinnerungsreichen Denkmälern der Ritterzeit umgeben. Von jenseits lauscht die berühmte Laurenburg herüber, diesseits mahnt uns der schöne Balduinstein an seinen gewaltigen Erbauer Balduin von Trier, der ihn in einer Fehde mit den Herren von Westerburg auf deren Grund und Boden gewaltsam erbaute, hernach aber durch Kauf erwarb und so zu der Herrschaft des Erzstifts über die Lahngegenden den ersten Stein legte. Etwas tiefer im Land liegt die alte, noch jetzt bewohnbare Schaumburg, welche Gerlach von Isenburg, Herr zu Limburg, dessen Tochter Imagina an Adolf von Nassau vermählt war, mit allem Zubehör an Köln schenkte, damit dessen Erzbischof Siegfried von Westerburg, als mitwählender Kurfürst, seinem Schwiegersohn die Stimme nicht versagte. Wirklich salbte ihn Siegfried zum deutschen König, die Herrschaft Schaumburg gab er als kölnisches Lehen seinem eigenen Haus. Auf schaumburgischem Boden erbaute Balduin die Burg seines Namens.
Unterhalb Diez mündet die Aar in die Lahn, ein Flüßchen, das wir schon bei Langenschwalbach und Hohenstein kennengelernt haben. Von Hohenstein lief sie an den Burgen Hohlenfels und Burgschwalbach vorbei und gab, kurz vor ihrer Vereinigung mit der Lahn, noch dem stolzen Schloß Aardeck den Namen.
An dem modernen Schlößchen Oranienstein vorüber gelangen wir jetzt nach Limburg, dessen herrliche Stiftskirche von einem der beliebtesten Helden des deutschen Volks gegründet wurde, der auch in ihr begraben liegt. Kuno oder Konrad, Graf des unteren Lahngaus, ein Brudersohn des deutschen Königs gleichen Namens, aus salischem Geblüt und dem erloschenen karolingischen Stamm verwandt, lebte als ein Wunder seiner Zeit in Liedern und Gedichten fort, und manche Sage knöpfte sich an seine Taten. Von seiner kleinen Gestalt hatte er den Beinamen Kurzbold erhalten; aber die Größe seines Geistes erwarb ihm den ehrenvollen Titel »der Weise«. Doch auch körperliche Kraft und persönliche Tapferkeit zeichneten ihn aus. Er war der treueste Anhänger Heinrichs des Voglers, den seine nächsten Blutsfreunde, die Salier, als einen Sachsen haßten. Giselbert von Lothringen und König Konrads I. Bruder, der Salier Eberhard, Herzog von Franken, die sich gegen den König empört hatten, waren im Begriff, ihr Heer bei Breisich, unterhalb Andernach, überzuschiffen, Kurzbold überfiel sie mit 24 Gefährten und stieß seine Lanze mit solcher Kraft in das Schiff, daß er den Herzog von Lothringen mit allen, die darin waren, versenkte; Eberhard von Franken durchbohrte er am Ufer mit dem Schwert. Zu einer anderen Zeit stand Kurzbold allein bei Kaiser Otto I., als ein Löwe aus seinem Käfig brach. Der unbewaffnete Kaiser wollte Kuno das Schwert entreißen; aber jener sprang zuvor auf den Löwen los und tötete ihn. Einstmals forderte ein Slawe, auf seine riesenhafte Gestalt pochend, des Königs Heer heraus. Da trat ihm Kurzbold entgegen und erlegte ihn, wie ein anderer David, mit der Lanze, statt des Steines. Aber eine Eigenheit hatte Konrad der Weise: er mochte die Äpfel und die Weiber nicht leiden. Auch starb er unvermählt, und die Kirche, die er der Seelenruhe seines Vaters widmete, ist dem heiligen Georg geweiht, dem mannhaften Ritter, der den Drachen (die Schlange) erschlug. Die jetzige Kirche, im reinen Rundbogenstil erbaut, ist eines der schönsten Denkmäler der Baukunst des dreizehnten Jahrhunderts. Graf Heinrich von Nassau, der gemeinsame Stammvater aller späteren Linien des Hauses, ließ sie als Vogt des Stiftes zwischen 1215 und 1242 aufführen, da die ältere seit Kurzbolds Zeiten baufällig geworden war. Auch Kurzbolds Grabmal, von dem F. H. Müller eine Abbildung geliefert hat, scheint gleichfalls aus den Zeiten der zweiten Erbauung zu stammen. Auf der Höhe über der Lahn, wo Kurzbold diese Kirche gründete, scheint bis dahin eine feste Burg gestanden zu haben, aus deren Namen Lindburg Limburgs heutiger Name hervorging. Bekanntlich heißt Lindburg die Burg des Drachen, des Lindwurms; auch weiß man, welche Rolle dieses fabelhafte Tier in der deutschen Mythologie und Heldensage spielt. Indem Kurzbold die Burg niederriß und die dem Drachentöter Georg gewidmete Kirche an die Stelle setzte, vertauschte er ein heidnisches Symbol mit einem christlichen.
Der Handelsweg, der von Frankfurt über Limburg nach Köln führte und diese Stadt zu einer Warenniederlassung zwischen den beiden reichen Städten machte, war auch die Quelle ihres Wohlstands. Nach den Arnsteinern übte hier ein Zweig des isenburgischen Hauses die vogteilichen Rechte aus; als aber Trier unter Balduins und Kunos Verwaltung sich im Lahntal festsetzte und die Anwartschaft auf diese Vogtei zu erwerben wußte, standen die Bürger, welche die benachbarten isenburgischen und westerburgischen Dynasten fürchteten, auf seiner Seite. In der trefflichen »Limburger Chronik«, die uns von diesen Händeln die lebhafteste Anschauung gibt, wird man mit Vergnügen lesen, wie wacker die Limburger ihre Freiheit sowohl gegen Trier als gegen jene Dynasten verteidigten. Als Graf Philipp von Isenburg in bedrohlicher Nähe Limburgs die Feste Gretenstein aufschlug und Kuno von Falkenstein sie mit Hilfe der Limburger belagerte und nach dem ersten abgeschlagenen Angriff ein Amtmann des Erzstifts die Bürger zu neuem Sturm ermahnte, gab ihm der Bürgermeister Boppe zur Antwort: »Er dürfe nicht denken, daß man die Graben mit den Limburgern allein ausfüllen werde. Ritter und Knechte müßten zu ihnen treten, so würden sie nicht die Hintersten bleiben.«
Auch die Schöffen von Limburg ließen sich an ihrem Recht nichts abbrechen: Als einst Kuno mit dem Erzbischof von Köln und anderen Herren nach Limburg gekommen war, um kraft der erworbenen Vogtei über einen Bürger zu richten, wurden die Schöffen gefragt, was der Herrschaft zu Limburg Recht und Freiheit wäre. Auf diese schlüpfrige Frage baten sie sich Bedenkzeit aus, und als sie darob Rat gehalten hatten, kamen sie zurück, und Boppe sprach: »Wir weisen vor ein Recht, daß das Gericht unseren Herrn und gnädiger Obrigkeit ist über Hals und Haupt, jedoch, daß die Herrn keinen Bürger von Limburg greifen sollen, es haben denn die Schöffen zuvor Recht über ihn gesprochen.« Als man ihnen hierauf noch mehrere verfängliche Fragen vorlegte, welchen sie mit ebensoviel Mut als Klugheit ausgewichen waren, sprachen sie endlich: »Wir Schöffen von Limburg weisen und sprechen kein Recht auf Gutdünken und Willkür: mehr können wir nicht sagen: Amen.« Da diese Fragen geschehen waren, standen die Fürsten, Grafen und Edelleute auf und wunderten sich über die große Vorsicht und Weisheit der Schöffen. Einer sah den anderen an, als wollte er sagen: »Der Fuchs, den wir meinten zu fangen, ist uns entsprungen.« Sie bezeugten den Schöffen viel Ehre und zogen ab. Daran, sagte die Chronik, gedenkt alt und jung und ist unseren Kindern eine gute Mär.