Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Boden- und Zeller See

Eine Stunde unterhalb Rheineck mündet der Rhein in den Bodensee; zuweilen, nach heftigen Regengüssen, mit solcher Gewalt, daß seine Strömung jener der auf der entgegengesetzten Seite mündenden Bergwasser Argen und Schüssen begegnet. Noch eine Weile erkennt man den Strom im See, teils an der Bewegung, teils an der helleren Farbe des Wassers. Daher mag wohl die Meinung entstanden sein, daß er sich gar nicht mit dem Seewasser vermische. Vielleicht erreichte er den See in früheren Zeiten schon bei Rheineck, wenigstens deuten dessen Name und der des Dörfchens Altenrhein, des letzten im Rheintal, darauf hin, daß hier Wasser und Land seit Jahrhunderten große Veränderungen erlitten haben. Der Rhein und die rechts von ihm mündenden Waldströme, Fussach und Bregenz, sollen einer schon älteren Vermutung zufolge nach und nach die ganze Landspitze angeschwemmt haben, welche unterhalb Rheineck weit in den See hineinreicht. Diese wäre also das oberste Holland.

Der Bodensee, unter den deutschen Seen der größte, ist nach dem Genfer See auch der größte der Schweiz. Dieser übertrifft ihn außerdem durch die schöne blaue Färbung des Wassers und die himmelhohen, schneegekrönten Gebirge, die seine Ufer bilden. Das Wasser des Bodensees ist tiefgrün, wie das aller übrigen Schweizer Seen, und nur mäßige Höhen umgeben ihn; aber um so fruchtbarer sind auch diese von Natur, um so besser bebaut durch den Fleiß ihrer Bewohner. Die gesegneten Gaue, welche ihn umschließen, sind wie ein großer Garten Gottes, in dem Obsthaine, Weingärten, Getreidefelder, Wiesen und Waldungen im üppigsten Gedeihen prangen. Die Insel Mainau, durch eine liebliche Sage berühmt, und das auf Pfählen im Wasser erbaute Lindau, das schwäbische Venedig, tauchen reizend aus dem grünen, glatten Spiegel. In der Ferne heben im Duft des Vorlands die Graubündener, Appenzeller und Vorarlberger Alpen ihre schneebedeckten Häupter. Unzählige Dörfer und Städte, Burgen und Schlösser, Klöster, Kirchen und Landsitze scheinen eine geschlossene Kette um den See zu ziehen, als sollten sie die Fassung des wasserreichen Edelsteins bilden. Ein Blick auf die Karte genügt, um zu zeigen, wie gut die deutschen Fürsten den Wert dieses Kleinods zu schätzen verstanden, denn außer den angrenzenden Kantonen der Schweiz – St. Gallen und Thurgau – haben Österreich, Bayern, Württemberg und Baden sich ereifert, Anteile an ihm zu erwerben. Österreich hat Bregenz, die Hauptstadt Vorarlbergs, Bayern Lindau und den kürzesten Küstenstrich, Württemberg Buchhorn, jetzt Friedrichshafen genannt, Baden endlich Meersburg und Konstanz nebst beiden Ufern jener Verlängerung des Sees, die den Namen Überlinger See führt. Den Zeller See, dessen nördliche Küste ebenfalls badisch ist, rechnen wir nicht zum Bodensee, weil er tiefer liegt und einen eigenen See für sich bildet, der mittels des Rheins mit dem Bodensee zusammenhängt. Es ist daher unrichtig, wenn letzterer in den oberen und unteren (Zeller See) eingeteilt wird. Der Rhein ist nicht der einzige unter den Flüssen der Schweiz, der durch zwei Seen fließt; auch die Aar muß durch den Brienzer und den Thuner See.

Es ist eine Eigentümlichkeit fast aller in der Schweiz entspringenden Flüsse, daß sie, die schon anfänglich in kleinen Seen ihre Quellen hatten, auch in ihrem weiteren Lauf plötzlich einmal stillstehen, um in geräumigen Becken ihre Wasser zu sammeln und die erworbenen Schätze zu mustern. Oder hatte die Natur bei dieser Anordnung weisere Absichten? Wollte sie Überschwemmungen oder Wassermangel verhüten? Wir neigen nicht zu teleologischer Betrachtung der Dinge, aber so trocken ist nicht leicht ein Sommer, daß er die hier gesammelten Vorräte erschöpfte; und der wasserreichste, wo Wolkenbrüche und glühende Hitze noch so große Massen des Alpenschnees schmelzen, vermag nicht den weiten Spiegel des Sees um mehr als einige Fuß zu heben. Wäre aber der Bodensee nicht, und flösse der Rhein hier zwischen engen Ufern, so müßte er bei plötzlich starkem Anschwellen aller Alpenströme, die ihm Wasser zuführen, auf seinem weiteren Lauf die furchtbarsten Zerstörungen anrichten.

Lange mag der Rhein unschlüssig gewesen sein, an welcher Stelle er die Becken des Boden- und des Zeller Sees verlassen soll. Vielleicht entstanden der Überlinger See und die beiden Arme des Zeller Sees, welche die gleiche Richtung nehmen, aus einem Versuch des Rheins, sich nach dieser Seite hin einen Durchbruch zu schaffen. Aber das Gebirge, das sein Flußgebiet von dem der Donau trennt, stellte sich ihm entgegen und zwang ihn, in einer von seinem bisherigen Lauf ganz abweichenden Richtung weiterzufließen. Allein auch hier begegnete ihm bald ein Gebirgszug, der mit dem Jura zusammenhängend erst die Aar und dann das jetzige Rheintal durchsetzt, um sich jenseits allmählich zu verlieren. Es ist dasselbe Gebirge, welchem die Kalkfelsen angehören, die den berühmten Rheinfall von Schaffhausen verursachen. Dieses Hindernis war aber schwächer als der Rhein. Doch wir wollen nicht vorgreifen; es mag genügen, den Bezug des Rheinfalls auf den Boden- und den Zeller See angedeutet zu haben.

Von allen Schweizer Seen läßt sich behaupten, daß sie nach den Orten benannt sind, die an ihren Enden liegen. Nur hat man das Ende bald in dieser, bald in jener Richtung gesucht; bei einigen, und dies ist der häufigste Fall und zugleich das Richtigste, beim Ausfluß des Stroms, der den See bildet; bei anderen am entgegengesetzten Ende. Beispiele des ersten Falls geben der Genfer, der Zürich-, der Thuner und der Sarner, Beispiele des anderen der Brienzer und der Walensee. Diese Wahrnehmung kann uns durch das Labyrinth der Namen, womit der Bodensee prangt, zum Leitfaden dienen. Konstanzer See heißt er mit Recht, weil ihn der Rhein bei Konstanz wieder verläßt. Aber älter ist der Name Bregenzer See, wie er schon bei den Alten hieß; allgemeiner führt er den Namen Boden- oder Bodmensee, von dem alten Schloß Bodman oder Bödmen am entgegengesetzten überlingischen Ende. Beide Namen sind ohne Rücksicht auf Aus- oder Einfluß des Rheins von den äußersten Endpunkten hergenommen. Ergötzlich ist es, wenn Sebastian Münster meint, Bodensee heiße er, wie »lucus a non lucendo«, von seiner Bodenlosigkeit, oder wenn Walafried Strabo, einst Abt in der Reichenau, berichtetet, er habe den Namen von dem griechischen Potamos-Fluß. Warum nicht lieber von Wodan, dem Gott der Götter, Wodansee = Bodensee? Hat man doch den Namen Lacus Acronius, den er bei Pomponius Mela führt, auf den griechischen Kronos bezogen. Da wir uns einmal etymologisch belustigen, so soll nicht verschwiegen bleiben, daß einige meinen, statt »acronius« sei »acromus« zu lesen; die ältesten Anwohner hätten nämlich den See wegen seiner vielen Buchten und Krümmungen »A kromma See« genannt, was von den Römern begreiflich mißverstanden worden ist. Was uns betrifft, so ist uns der gangbarste Name der liebste; will aber einer etwas Apartes haben, so mag er ihn den Schwabensee oder das Deutsche Meer nennen. Der letzte, etwas hochmütig klingende Name wird bei einer Länge von höchstens 18, einer Breite von nicht mehr als 7 Stunden schwerlich ernstlich gemeint sein. Gleichwohl überbietet seine höchste Tiefe (964 württembergische Fuß) die der Nord- und der Ostsee. Auch auf dem Deutschen Meer wüten Stürme, die häuserhohe Wellen schlagen; ja sie sind, wegen der Nähe der Küsten, gefährlicher als auf der hohen See. Aber kein Ungewitter trübt sein kristallklares Wasser, dessen tiefer Grund niemals aufgewühlt wird.

Mitten zwischen beiden Seen liegt Konstanz, eine Stadt großer, aber betrübender Erinnerungen. Schon ihr Name gemahnt an Konstantin, der zuerst die Kirche zu Macht und Reichtum erhob, worüber ihr Schutzengel, nach Walther von der Vogelweide, laut »O weh!« schrie, weil er voraussah, daß damit auch ihre Entartung gegeben sei. Als diese in einem Maße eingetreten war, daß es die Welt nicht mehr ertragen mochte, wurde das berühmte Konstanzer Konzil ausgeschrieben, von dem man die Abstellung so vieler ärgerlicher Mißbräuche erwartete. Wäre hier wirklich allen Gebrechen der Kirche an Haupt und Gliedern abgeholfen worden, so würde die Kirchenspaltung vermieden worden sein, die noch immer in Deutschlands Fleisch eine klaffende Wunde ist, an der es sich im Dreißigjährigen Krieg fast verblutet hätte. Da aber dies nicht geschah, vielmehr die Kirche, die sich eine liebende Mutter nennt, fortfuhr, ihren Kindern auf dem Schindanger Scheiterhaufen zu schichten, so ging in Erfüllung, was Hus vorhersagte, ehe er den seinigen bestieg: »Heute bratet ihr mich wie eine Gans, aber binnen hier und hundert Jahren wird unter den Christen ein Schwan kommen, den werdet ihr wohl ungebraten lassen müssen!« Dieser unmenschlichen Tat, die um so unverantwortlicher war, als sie gegen das vom Kaiser gegebene Geleit geschah, folgte bald eine zweite, die Verbrennung des Hieronymus, und seitdem ist es dem Wanderer, als ob die Luft in Konstanz vom Rauch der Menschenopfer geschwängert wäre. Merkwürdig bleibt es aber, wie sich dieselben Ereignisse unter veränderten Verhältnissen an demselben Ort wiederholen, denn ein Jahrtausend vorher war hier der heilige Pelagius, dessen Gedächtnis die Kirche am 28. August begeht, ebenfalls wegen Religionsmeinungen dem Martertod übergeben worden.

Von solch unseligen Verirrungen wenden wir uns gern zu dem geistreichen, prachtliebenden Bischof Salomon, der ein Lichtpunkt in der Geschichte von Konstanz ist. An ihn erinnert noch heute das benachbarte Salmannsweiler mit seinem großen Weinfaß, durch dessen weites Spundloch einst ein Mönch hineinfiel und ertrank.

Zwischen den steinernen Pfeilern der Brücke, welche Konstanz mit der gegenüberliegenden ehemaligen Abtei Petershausen verbindet, tritt der Rhein aus dem Bodensee, um nach dem kürzesten Lauf bis zum Flecken Gottlieben einen zweiten See zu durchfließen. Diese kurze Strecke zwischen beiden Seen ist die oberste des Stroms, welche Dampfschiffe durchfurchten, deren im Jahr 1825 drei, von Konstanz, Lindau und Friedrichshafen aus, die beiden Seen beschifften und bis nach Schaffhausen fuhren. Eins derselben gehörte zur Hälfte dem Herrn von Cotta. Seitdem soll sich nach den Zeitungen ihre Zahl noch bedeutend vermehrt haben.

Auch der Zeller See ist von einem Ort benannt, welcher der Einmündung des Rheins gegenüberliegt, der Stadt Zell oder Radolfzell. In der Mitte erhebt sich die große Insel Reichenau mit der berühmten, 1799 aufgehobenen Abtei. Zwischen dem Zeller und dem Überlinger See liegt eine lange, breite Erdzunge, das Eichhorn genannt, die nur zwischen Bodman und Zell, den beiden namengebenden Orten, mit dem festen Land zusammenhängt. Eine zweite erstreckt sich zwischen Zell und Stein, wo der Rhein ausfließt, in den Zeller See. An ihrer Spitze liegt Horn, ein Name, den auch am Bodensee die hineinlaufenden Landzungen führen.

Da wir hier zum zweitenmal den Namen Bodman erwähnten, so können wir nicht umhin, einige Worte über dieses uralte fränkische Palatium und seine Sage einzuschalten. Schon früh erscheint eine edle, von ihm genannte Familie. Ein Schloßbrand, durch den Blitzschlag entzündet, schien im Jahre 1307 diesem Geschlecht den Untergang zugedacht zu haben, denn alle verbrannten bis auf einen Säugling, Johannes Bodman genannt, der durch die Geistesgegenwart seiner Amme in einem kupfernen Kessel geborgen und in Sicherheit gebracht wurde. Dieser Hans Bodman zeichnete sich, wie alle seine Abkömmlinge, durch Tapferkeit aus. Sie besaßen einst den größten Teil der Ufer des nach ihrem Schloß benannten Sees. In jenem werden der Kessel und einige andere vom Feuer verschont gebliebene Hausgeräte noch heute gezeigt. Eine nähere Untersuchung würde ergeben, ob diese Überlieferung auf mythischen oder historischen Grundlagen ruht. Bei dem Bezug des Namen Bodman auf den See wie auf das Geschlecht möchte man versucht sein, den kupfernen Kessel, in dem der Ahnherr des Hauses gerettet wurde, gleich jenen Braukessel Ägirs, des eddischen Meergotts, auf das tiefe Becken des Sees zu deuten.

Die Ufer des Zeller Sees sind nicht weniger reizend als die seines Nachbarn. Auf der badischen Seite reichen sie näher an den Höwgau und seine hohen, von alten Burgen und Festen gekrönten Basaltkegel: Hohenhöwen, Hohenstoffeln, Hohenkrähen, Hohentwiel usw. An das letztere allein, das wir hier übergehen müssen, knüpfen sich so viele Erinnerungen, daß Folianten sie nicht erschöpfen könnten. Ebenso unermeßlich ist die Aussicht, welche sich auf diesen hochragenden Kuppen in die Schweizer Berge eröffnet.

Die andere, schönere Seite des Seeufers bildet der sangesreiche Thurgau. Ein anmutiger Bergrücken durchzieht ihn, an dem im dreizehnten Jahrhundert unzählige Sängerburgen standen. Hier ist die wahre Heimat des Minnesangs. Auch auf dessen Entwicklung hat das nahegelegene St. Gallen günstig gewirkt. Tutiolo, ein St. Galler Mönch, Notkers und Ratperts Freund und Karls des Dicken, der auf der Reichenau starb, besonderer Liebling, war in allen Künsten, besonders in Musik und Dichtkunst, erfahren. Mit Erlaubnis des Abtes Hartmuot unterrichtete er die Söhne der benachbarten Edlen in Gesang und Saitenspiel. Aus dieser Schule, die sich mehrere Jahrhunderte lang hielt, gingen die vielen ritterlichen Sänger hervor, auf die der Thurgau stolz ist.

Auch das Städtchen Stein am Rhein, bei dem der Rhein aus dem Zeller See tritt, erinnert durch sein hochliegendes altes Schloß, die Steiner Klinge genannt, an das im Thurgau heimische Geschlecht derer von Klingen, dem die kaum zwei Meilen auseinanderliegenden Rittersitze Hohenklingen (Steiner Klinge), Klingenberg und Altenklingen ursprünglich gehört zu haben scheinen. Späterhin mögen sich die Besitzungen wie die Geschlechter getrennt haben. Walther von Klingen, ein Dienstmann Rudolfs von Habsburg, der im Kloster Klingental bei Basel, das er gestiftet hat, mit drei seiner Töchter begraben liegt, war einer der besten Sänger seiner Zeit. Heinrich von Klingenberg, Bischof von Konstanz, war erst Abt in der Reichenau, dann Propst im großen Münster zu Zürich, wo er die Scholasterei und Kantorei wiederaufrichtete und letzterer den Liederdichter Conrad von Mure vorsetzte. Hadloub rühmt von Heinrich, er könne Weise und Wort, das heißt, er sei Dichter und Komponist. Als Kanzler Kaiser Rudolfs war er so gefürchtet, daß Gebhard, Kurfürst zu Mainz, sich von seinem Vetter, König Adolf von Nassau, versprechen ließ, den von Klingenberg nie in seinen Dienst zu nehmen. Die Vermutung, daß er der in der sogenannten »Manessischen Sammlung« unter dem Namen Kanzler vorkommende Minnesänger gewesen sei, wird hier nicht zum erstenmal ausgesprochen.

 


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