Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Winkel

Gedrängter reihen sich jetzt die Ortschaften um den Johannisberg. Zunächst Oestrich mit dem vorspringenden Rheinkran, eigentlich wie Mittelheim nur ein Teil von Winkel. Von Oestrich aus pflegt man Ingelheim und Karls des Großen Palast zu besuchen. Man läßt sich nach dem jenseitigen Weinheim treiben, dessen erträumten Bezug auf Winkel, als Weinlager jenes Palastes, Bodmann durch den ursprünglichen Namen Wigenheim widerlegt hat. Geneigter ist er, Winkels lateinischen Namen Vinicella von einem Weinlager der Römer herzuleiten, auf die er das »Heidenloch« und die »Heidentalsgasse« deutet, denen der »Götzenberg« und der »Opferberg« noch beizufügen wäre. Gewiß ist Winkels Name aus sich unerklärlich, schon Goethe konnte nichts Winkelhaftes erkennen. Einer der ältesten Mainzer Bischöfe, Hrabanus Maurus, ein umgekehrter Hatto, hatte hier nicht seine Residenz (denn damals war der Rheingau noch nicht mainzisch), aber doch ein Bethaus; auch soll er in Winkel, seinem öfteren Aufenthalt, gestorben sein. Reste seiner Wohnung und den wohl nicht römischen, doch ältesten Rheingauer Keller will man in einem uralten Gebäude erkennen. »Die Erde oder vielmehr der Schutt, aufgerafft an der Stelle, wo der Altar gestanden hat, soll Ratten und Mäuse vertreiben« (Goethe). Die Sage berichtet nämlich, der Heilige habe die leidigen Gäste, weil sie sein Meßbuch benagt hatten, auf ewig aus Winkel verbannt. Ähnliches wird in Augsburg von St. Udalrich erzählt; der heilige Bernhard, von dem wir wissen, daß er einem Marienbild Stillschweigen auferlegte, soll, wie wir hören werden, die Nachtigallen verbannt haben, und St. Benno, Bayerns Patron, verbot den Fröschen zu quaken und erlaubte es ihnen wieder.

Doch genug von wunderlichen Heiligen. Gleich unter Winkel lag das ausgegangene Klingelmünde, von der Mündung des Klingelbachs benannt, der aus dem Johannisgrund kommt. Noch sind einige Häuser übrig, St. Bartholomäi genannt nach einer Kapelle, die Rheingraf Richolf erbaute. Denn hier lag auch, dem Ufer nah, die Lützelau, wo die Rheingauer tagten. Der Strom hat sie verschlungen wie der Strom der Zeit die Freiheiten des Rheingaus. Wenige Schritte weiter verhüllt ein Weidendickicht das Ufer; hier war es, wenn nicht alles trügt, wo Fräulein von Günderode endete, die Freundin Bettinas, deren Briefe an Goethe die rührende Episode von der Unglücklichen enthalten. Auch Bettinas selber müssen wir gedenken: aus dem Brentanoschen Landhaus am westlichen Ende von Winkel sandte sie ihre Naturbegeisterung atmenden Hymnen nach Weimar. Wer den Rheingau bereist, wähle diese Briefe zu lieben Begleitern.

 


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