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Der Hechtsheimer Berg, den man hier ganz übersieht, war der Exerzierplatz der römischen Soldaten. Da, wo jetzt der von Weißenau ausgehende Fahrweg die neue Hechtsheimer Straße erreicht, stand einst die Meta ludorum, das Ziel ihrer kriegerischen Übungen und Spiele. In der christlichen Zeit wurde dort die Heiligkreuzkirche erbaut, wie im oberen Kastell bei Weißenau das Viktorstift entstand. Zwischen Heiligkreuz und Weißenau war der Campus Martis, das Marsfeld, auch wohl Marsberg genannt, der hernach in den Märtyrerberg umgetauft wurde, weil bei den hier gefeierten Quinquennalfesten die Christen, welche für das Wohl des Kaisers den Götzen zu opfern sich weigerten, als Feinde des Kaisers und der Götter dem Mutwillen der Soldaten preisgegeben und grausam getötet worden waren. Hier stand im Mittelalter die von Karl dem Großen gegründete, altberühmte Abtei St. Alban, von der Sie nun hören sollen.
Die Legende berichtet, St. Alban sei um die Zeit, wo der Mainzer Bischof Auräus durch die ketzerischen Arianer von seiner Herde genommen wurde, in Gesellschaft des heiligen Theonestus hier angelangt. Ihn trieb der Eifer für den Sieg des wahren Glaubens, dem zuliebe sein dritter Gefährte Ursus schon in Savoyen den Martertod erlitten hatte. In Mainz wurde er auch ihm zuteil. Unterhalb der Stadt, in dem sogenannten Gartenfeld, das sich Ihnen aus dem diesem entgegengesetzten vierten Fenster zeigen wird, enthaupteten ihn die Arianer, die seiner Beredsamkeit keine besseren Gründe entgegenzusetzen hatten. Nach der Sage soll St. Alban sein abgeschlagenes Haupt selbst aufgehoben und durch die Stadt nach dem soeben beschriebenen Mars- oder Marterberg getragen haben, nachdem er bei der sogenannten Albansruhe eine kurze Rast gehalten hatte, wie die Inschrift der Kapelle, die zum Gedächtnis des Wunders dort errichtet wurde, besagte:
Hie hat geruhet St. Alban
Als ihm sein Haupt ward abgeschlahn.
Sein Gefährte Theonestus wurde von den Arianern auf ein durchlöchertes Schiff, nach anderen Meldungen in eine Kufe, gesetzt und den Wellen des Rheins überlassen, die ihn aber am anderen Tag bei Kaub, das nach der Kufe benannt sein soll, unversehrt ans Ufer spülten. Unterhalb der Martinsburg war ihm am Ufer des Rheins eine Kapelle geweiht, die den Mombachern eine Zeitlang zur Pfarrkirche diente.
Auf dem Marterberg, wohin St. Alban seine vom Schwert geteilten Glieder getragen hatte, entstand erst gleichfalls eine Kapelle, dann aber, der häufigen Wunder wegen, die sich auf des Heiligen Fürbitte hier zutrugen, durch den Erzbischof Richolf und Karls des Großen Freigebigkeit eine herrliche Kirche und zu ihrer Bedienung eine Benediktinerabtei, die durch unschätzbare Reliquien, eine überaus reichhaltige Bibliothek und die vielen gelehrten Männer, die aus ihr hervorgingen, zu den berühmtesten am Rhein gehörte. Kirchen- und Reichsversammlungen sind in ihr gehalten worden, sie enthielt die Grabstätte der ersten Mainzer Erzbischöfe, ja selbst karolingischer Könige, wie auch bekannt ist, daß Karls dritte Gemahlin, Fastrade, deren Denkmal sich jetzt im Dom befindet, in St. Alban beigesetzt wurde. Unsere Erzbischöfe durften das ihnen von Rom übersandte, teuer bezahlte Pallium nirgends anders als hier zum ersten Mal anlegen, nachdem es zuvor durch die Berührung der Reliquien St. Albans geheiligt worden war. In Rom hatte man eine ähnliche Zeremonie mit ihm vorgenommen. Es wurde nämlich den Tag vor der Überschickung auf die Reliquien der Apostel Petrus und Paulus gelegt, über Nacht dort gelassen und am anderen Morgen unter vorgeschriebenen Gebeten abgeholt, so daß die Formel in den päpstlichen Begleitungsbullen ›Pallium de corpore SS. Apostolorum Petri et Pauli tibi transmittimus‹ eine Wahrheit war.
Die Abtei St. Alban hatte nicht bloß mit dem hiesigen Domkapitel, das doch vornehmer war, eine Verbrüderung geschlossen, sondern ist auch mit vielen anderen Klöstern und Stiften zu Mainz, Trier, Eberbach im Rheingau, Seligenstadt, Regensburg, Worms usw. ähnliche Verbindungen eingegangen. Unter allen die wichtigste ist die mit St. Gallen, auf die aus folgender Anekdote geschlossen wird. Der bekannte St. Galler Mönch TutiloAuch uns ist er oben als Stifter der Gesangschule bekannt geworden, welchem die frühe Blüte der schwäbischen Liederpoesie verdankt wird. wurde einst von seinem Abt nach Mainz geschickt, um Linnenzeug und Tuniken zu kaufen. Als er in die Nähe von St. Alban kam und die Stadt schon im Angesicht hatte, stieg er in einer ländlichen Herberge ab und ließ sich, um auszuruhen, in einem Sessel nieder. Es war eben Weinlese, und die Mönche von St. Alban hatten sich ringsumher in die Gärten und Berge verteilt, um den Zehnten einzutreiben. Als nun das erste Zeichen zur Vesper gegeben wurde, kam der Circator, der die Brüder heimrufen sollte, wie gewöhnlich auf seinem Esel geritten. Als er nun jene Herberge erreichte, trat er hinein, als ob er dort jemanden zu suchen habe, eigentlich aber wollte er nur sehen, ob seine Gevatterin zu Hause sei. Diese kam auch gleich aus der Stube, begrüßte den Gevatter freundlich und bot ihm, da der Gast im Sessel zu schlummern schien, ein Glas Most an. Der Gevatter, nicht faul, leerte es, gab das Glas zurück und fing nun an, sich einige Zärtlichkeiten zu erlauben, denen sie nur schwachen Widerstand entgegensetzte. Aber Tutilo, dem das Ärgernis nicht entgangen war, sprang auf, damit jener nicht weiter ginge, ergriff den Gottlosen, wie er ihn schalt, bei den Haaren, riß ihn zur Erde und versetzte ihm mit der Reitgerte, die er noch in der Hand hielt, eine derbe Züchtigung, indem er ausrief: ›Dies schickt dir St. Gall, der Bruder des heiligen Alban.‹ Als darauf der Abt erfuhr, daß ein Bruder aus St. Gallen vor dem Tor herberge, ließ er ihn sogleich durch einen Boten in die Abtei bescheiden usw.
Die Abtei St. Alban wurde nach mancherlei Schicksalen und mehrmaliger Zerstörung zuletzt in ein weltliches Ritterstift verwandelt. Einer der ersten Pröpste desselben war der berühmte Melchior Pfinzing, ein Liebling Kaiser Maximilians, dessen Jugendtaten er im ›Theuerdank‹ verherrlicht hat. Er war zugleich Dechant in dem benachbarten St.-Viktor-Stift bei Weißenau, wo er auch gestorben und im Chor beerdigt ist. Dem Stift St. Alban aber erwirkte Pfinzing vom Kaiser Max die besondere Gnade, daß es alljährlich eine Anzahl Gulden von ungarischem Schrot und Gewicht münzen und auf St.-Albans-Fest in der anderen Vesper unter seine Glieder austeilen durfte. Diese Goldmünzen, welche man St.-Albans-Gulden nannte, zeigten auf der einen Seite das Bildnis des heiligen Alban, der den Kopf in der Hand und den Heiligenschein um den Hals trug; auf der anderen aber einen Schild, worin ein Esel seine beiden rechten Füße, den vorderen und den hinteren, aufhob, nebst einer auf die Regierungszeit des Kaisers bezüglichen Inschrift. Man hat sich vergebens den Kopf zerbrochen, warum das Ritterstift einen Esel im Schild geführt hat und zur Erklärung folgendes Märchen ersonnen: Der Propst Pfinzing, so wird erzählt, eifersüchtig über die dem Domkapitel zustehende Befugnis, die sogenannten Martinsgulden zu prägen, hoffte für sein Stift ein Ähnliches bei dem Kaiser zu erwirken. Dieser, ungehalten über das Ansinnen, beschied ihn mit den volkstümlichen Worten: ›Einen Esel soll er münzen!‹ Der Propst jedoch, der sich als guter Hofmann in die Umstände zu schicken wußte, sah die Gnade im ganzen Ernst für bewilligt an und legte bald darauf seine Albansgulden mit dem Esel im Schild unter der Bitte vor, daß der Kaiser nun auch das Diplom darüber in der Reichskanzlei ausfertigen lasse. Maximilian, der einen guten Spaß liebte, willfahrte ihm. Die Fabel mag hingehen, für Geschichte kann sie nicht gelten, da der Esel schon vor Pfinzings Zeit im propsteilichen Wappen prangte.