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Als die Urheberin dieses gewaltigen Werkes, als die Gründerin von Mainz, ist die 14. Legion anzusehen, welche unter Titus, der die Standquartiere veränderte, von der 22. abgelöst wurde. Wenn man die Arbeiten betrachtet, durch die sie sich in unserer Gegend ewige Denkmale gestiftet haben, so muß man über die Anstrengungen erstaunen, welche damals dem Krieger auch in Friedenszeiten zugemutet wurden. Der Bau des Kastells ist es nicht allein, man muß das jenseitige Castellum Drusi, die Anlage der Heerstraßen, die man mit Recht zu den Weltwundern gezählt hat, und die Zahlbacher Wasserleitung, vielleicht auch die erste Gründung der Kastelle und Verschanzungen an der Nidda und am Taunus, hinzunehmen. Was die Wasserleitung betrifft, so bedauere ich über alles, sie Ihnen nicht zeigen zu können. So beschwerlich die Höhe, die ich bewohne, zu ersteigen ist, so wünschte ich doch, der Stephansturm wüchse noch um einige hundert Fuß, damit wir über den Linsen- und den Stahlberg hinweg die gewaltigen Pfeiler des Attachs, wie der alte Mainzer die Wasserleitung nannte, erblicken könnten. Da es nicht anders ist, führe ich Sie auf diesem Plan von Mainz und seinen Umgebungen aus dem Gautor zwischen der Philippsschanze und der doppelten Tenaille durch. In der Nähe von Zahlbach verlassen wir den Fahrweg und folgen einem Fußpfad, der links bergan läuft und durch ein Akazienwäldchen führt, in dem wir römische Grabsteine an dem Ort ihrer Auffindung, dem Begräbnisplatz der Legionäre, aufgestellt finden. Die wichtigeren hat man in die städtische Bibliothek gebracht. In Zahlbach steigen wir wieder hinab und sehen dieses Dorf im Tal der Zeibach zwischen zwei Hügeln liegen, dem nördlichen, von welchem wir kommen, und dem südlichen, der von den Ruinen der Wasserleitung gekrönt wird. Indem wir uns diesen nähern, gelangen wir auf die andere Zahlbacher Straße, welche von dort an den wenigen Überresten des ehemaligen Dahlheimer Jungfernklosters und dem heutigen Kirchhof vorbei durch das Münstertor wieder in die Stadt führt. Der Ort, wo einst Dahlheim stand, ist in der Mainzer Geschichte vielfach berühmt. Er hieß Das Heilige Tal, von den Märtyrern, die hier die Wahrheit des christlichen Glaubens mit ihrem Blut bezeugten. Der heilige Kreszenz, nach der Tradition ein Schüler des Apostel Paulus und erster Bischof von Mainz, wurde hier, unweit des Richtplatzes, wo er gelitten hatte, von den Gläubigen zur Erde bestattet. Über seinem Grab erbauten sie später, als der Sieg des Christentums entschieden war, die erste große Kirche zu Ehren eines anderen Märtyrers, des heiligen Hilarius, den man auch zu unseren ältesten Bischöfen zählt. Doch um Sie nicht aufzuhalten, so sehen Sie, ehe noch Dahlheim erreicht ist, 62 Pfeiler, immer einen höher als den anderen, die letzten 30 Fuß hoch, auf die Straße anlaufen. Die anderen jenseits der Straße, die zum Teil noch höher waren, sind weggeschafft worden. Auch die übriggebliebenen finden Sie leider der sie verbindenden Bogen sowie der Bekleidung mit starken Quadern beraubt, welch letztere die Landleute ausgebrochen und zu ihren Wohnungen verwendet haben. Die Quelle, welche die Zahlbacher Wasserleitung dem römischen Castrum zuführte, entspringt zwischen Finten und Heidesheim, und das Landvolk nennt sie noch heute den Königsborn. Von dort ging ein Kanal unter der Erde her, der erst am Fuß des Fintener Berges zutage trat und nun auf jenen Pfeilern weiter fortgeführt wurde, die, so wie das Tal sich vertiefte, immer höher werden mußten. In der größten Tiefe sollen sie 128 Fuß hoch gestanden haben, daher ist mit Recht behauptet worden, diese Zahlbacher sei die höchste unter allen römischen Wasserleitungen wenigstens in jenen Bogen gewesen, die bei Dahlheim über den Wildgraben gesprengt waren, denn hier übertraf sie die berühmte zu Segovia um 26 Fuß.
Den alten Streit, ob dieses Riesenwerk unternommen worden ist, um dem Kastell gutes Trinkwasser zuzuführen oder um den Provinzialen Roms Macht und Größe zu zeigen, vielleicht gar nur, um die Legionen zu beschäftigen, will ich nicht entscheiden. Wollte man das Heer in der Tätigkeit erhalten und seine Erschlaffung verhüten, so ist dieser Zweck, wie es scheint, vollkommen erreicht worden. Dieselbe Legion, welche nach dem Zeugnis der dabei gefundenen Ziegel und Steine die Wasserleitung erbaut hat, wurde hernach die Überwinderin Britanniens. Ob unsere Soldaten, die im Frieden die Zeit mit Putz- und Schwenkübungen hinbringen und, während sie das Mark des Landes verzehren, nicht einmal eine Hand rühren, wenn dicht bei der eigenen Kaserne Feuer ausbricht, ob diese verweichlichten Müßiggänger sich im Fall eines Krieges plötzlich in Helden verwandeln werden, müssen wir abwarten. Doch wünschen Sie vermutlich noch recht lange darüber in der Ungewißheit zu verbleiben. Freilich hat diese Frucht unserer Kultur und Humanität auch ihre guten Seiten. Wir muten jetzt verurteilten Verbrechern solche Frondienste nicht zu, wie sie der römische Miles ohne Murren übernahm. Unsere Soldaten brauchen keine Ziegeln zu backen und keine Wasserleitungen zu bauen; sie werden aber auch Britannien nicht überwinden.«