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kennen wir nur von Oberstein an, doch pflegt man es nicht höher hinauf zu verfolgen.
Im Wald Homerich, bei dem oldenburg-birkenfeldischen Grenzort Selbach, unweit des Hochwalds, entsprungen, hat die Nahe schon manche Wildnis durchlaufen, als ihr oberhalb jenes durch seine Achatschleifereien berühmten Städtchens der Idarbach zufällt, der aus dem Idarwald kommt. Die Wälder haben hier Namen, so schaurig, wie sie wirklich sind. Jener der Winterhauch, eines rauhen Waldgebirges bei Oberstein, begegnet auch im Odenwald. Die größte Merkwürdigkeit des Ortes ist die in die hohe, steile Felswand eingehauene Kirche, nach der Sage zur Büßung eines Brudermords in den harten Stein gemeißelt. Über ihr auf dem Gipfel des Berges erblickt man die Trümmer der alten Burg und noch höher das sogenannte Neue Schloß. Die Kirche hat eine lebendige, dem Felsen entrieselnde Quelle. Die Brüder werden Wirich und Emich genannt, Namen, die wirklich dieses Grafengeschlecht führte. Nach den Inschriften der Grabmäler war es den Wildgrafen verwandt. In welcher Leidenschaft der Brudermord begangen wurde, darüber findet man nur modern entstellte Angaben, nirgends aber eine naivere Auskunft, als die mir der Küster gab: »Der eine Bruder konnte die Katzen nicht leiden; der andere steckte ihm einen alten Kater in den Stiefel, der grausam kreischte und spauchte, als der Graf mit dem Bein hineinfuhr: das war die Ursache.« Von den Zinnen der alten Burg, die senkrecht über der Kirche stand, schleuderte der Ergrimmte den Bruder hinab, so daß gerade da, wo der Unglückliche vorbeifiel, die Kirche in den Felsen gehauen ist.
Von Oberstein bis Kirn erweitert sich allmählich die enge Talschlucht. Vier mächtige Felsenstücke haben sich gelöst, das erste liegt vereinzelt, drei andere so beisammen, daß zwischen den beiden größeren ein drittes oben eingeklemmt ist, wodurch unten eine Lücke entsteht, die arme Leute zu einer Hütte benutzt haben. Eine alte Frau saß davor und spann. Weiterhin die Trümmer der ältesten sponheimischen Burg des Nahegaus, deren Namen Naumburg (Neuenburg) doch wieder eine ältere voraussetzt. Von der Kirburg bei Kirn, das bis zur Revolution Residenz der rhein- und wildgräflichen Linie Salm-Kirburg blieb, sind wenig Überreste; Kirn hält aber das Andenken seiner Fürsten in Ehren, namentlich das Johann Dominiks, nach dem noch ein Haus auf dem Markt heißt, wo er wie ein Privatmann wohnte und seine Einkünfte zum Besten des Landes sparte. Der letzte Fürst wurde 1794 in Paris erst guillotiniert, dann für unschuldig erklärt.
Kirn wird von dem Hahnenbach durchflossen. In dessen Tal liegen auf steilen Felsenkämmen die seltsam gebrochenen, halb spukhaften Trümmer der drei Schwesterburgen Steinkallenfels, die einst weit umher Schrecken verbreiteten. Unter ihren Gemeineren findet sich auch der Name Sickingen. Die Franzosen sprengten sie 1686 in die Luft. Unweit davon prangt das neue Wartensteiner Schloß auf den Ruinen der alten Burg. Höher hinauf in dem wilden Felsental wollte ich die gewaltige Schmittburg, das älteste Besitztum der Raugrafen, besuchen, aber ein Gewitter, in diesen Schlünden doppelt furchtbar, hätte uns fast in den Hahnenbach geschwemmt. Wir mußten in dem gleichnamigen Dorf zwei Stunden lang verweilen und doch zuletzt, weil der schmale Pfad am waldigen Saum des Gebirges unter Wasser stand, unseren Vorsatz aufgeben. Nach dem »Alzeyer Weistum« mußte ein Raugraf des Pfalzgrafen Vogt sein und mit zwei freien Männern bei dem Schultheiß zu Gericht sitzen, um des Pfalzgrafen Bresten zu hören. Der Raugraf Heinrich von Schmittburg scheint aber seine Zeit besser genutzt zu haben: leider warf er dadurch den Schatten eines Verdachts auf die Pfalzgräfin Maria von Brabant, welche Ludwig der Strenge, wie bei Heidelberg erwähnt wurde, unschuldig hinrichten ließ.
Die Wild- und Raugrafen leiten ihr Geschlecht von den alten Grafen des Nahegaus ab. Der angebliche Stammvater Nortpolt tauschte mit seinen Brüdern einen Felsen am Bach Kyre (Hahnenbach) ein, um darauf eine Feste (Kirburg) zu bauen. Hierauf erscheint ein Emich von Schmittburg, von dessen zwei Söhnen Gerlach die erste Linie der Grafen von Veldenz an der Mosel gründete; der andere, Emich, hatte wieder zwei Söhne, Emich und Konrad. Jener nannte sich zuerst Raugraf (comes hirsutus), dieser sich zuerst Wildgraf (comes silvestris). Der Raugraf erhielt die Besitzungen um Alt-Simmern und Stromberg und im Alsenztal; der Wildgraf jene an der oberen Nahe. Wildgraf Konrads gleichnamiger Sohn stiftete durch seine Söhne zwei neue, von Kirburg und Dhaun genannte Linien. Von des Kirburgers Söhnen Konrad III. und Gottfried Raup nahm ersterer Schmittburg zu seinem Los, das sein Sohn Heinrich Trier zu Lehen auftrug, wodurch er den Grund zu langen verderblichen Fehden legte. Die Wildgrafen wurden von den Rheingrafen beerbt, deren Ursprung uns schon bekannt ist. Nach Verschmelzung der Wild- und Rheingrafen mit dem Haus Salm entstanden wieder neue Linien, von denen noch einige blühen: die Grumbachsche, die 1803 für den Verlust ihrer Erbgüter durch das Amt Horstmar im Münsterischen entschädigt wurde, und die fürstlich-rheingräflichen Häuser Salm-Salm und Salm-Neu-Kirburg.
Dhaun, der erwähnte dritte rheingräfliche Sitz, liegt hoch über dem Simmerbach, der, zwischen Altsimmern und Kastellaun auf dem Hunsrück entsprungen, bei Simmerntal unter Dhaun der Nahe zufließt. Von unten sieht er einer durchbrochenen Krone oder einem griechischen Säulentempel ähnlich. Das großartige Fürstenschloß, aus älteren, räumlich beschränkteren und weitläufigen neuen Gebäuden bestehend, die noch nicht hundert Jahre zählten, wurde in den letzten Jahrzehnten mutwillig abgebrochen, die traurigen Überreste wurden als »Monument von unserer Zeiten Schande« für einen Spottpreis verkauft, und in den öden Sälen wachsen jetzt Kartoffeln. Diese Bestimmung hat denn auch der alte Rittersaal (Palas), über dessen Türbogen von rotem Sandstein ein Basrelief, das berühmte Wahrzeichen Dhauns, folgende Sage darstellt:
Der Affe zu Dhaun
Die Wiege leer, des Grafen Kind
Hinweg, ich arme Frau!
Der Vater schlägt mich lahm und blind,
Der Raugraf ist so rauh.
Zigeuner wohl, da kurze Frist
Ich nickte, trugen's fort;
Und wo der Wald am tiefsten ist,
Da sei mein Zufluchtsort.«
Und wo der Wald am tiefsten war,
Im eichenstarren Soon,
Des Grafen Affe pflegt fürwahr
Geschickt den Grafensohn.
Er bringt ihm Äpfel, die er fand
Dort vor des Waldes Saum,
Und süßer Beeren allerhand
Und Honig aus dem Baum.
Wiegt ihn in Schlaf auf seinem Schoß
Ganz nach der Amme Brauch,
Macht ihm ein Bett aus weichem Moos,
Sitzt dann und schlummert auch.
Da nimmt die Frau den Knaben froh
Und trägt ihn heim geschwind.
Im Schlosse war schon ein Hallo
Um das verlorne Kind!
»Hier ist der Jung', er war im Wald;
Der Affe, der ihn stahl,
Er kehrt wohl auch, der Schläfer, bald,
Erwacht er erst einmal.
Er hat mir alles nachgemacht,
Genau wie er's geschaut;
Nur halt' ich immer beßre Wacht
Und schnarche nicht so laut.«
Des Grafen und der Gräfin Pein
War da in Lust verkehrt;
Dem Affen setzten sie in Stein
Ein Mal, das heut noch währt.
Hier hält er vor dem Saal zu Dhaun
Dem Kind den Apfel hin;
Doch warum ward nicht ausgehaun
Die fleiß'ge Wärterin?
In der Fehde, welche Wildgraf Heinrich veranlaßte, indem er Schmittburg aus Haß seiner Verwandten Trier auftrug, wurde Dhaun mit einem Kranz von Festen und Bollwerken umgeben. Martinstein und Johannisberg, wo die Wildgrafen später ihre Erbbegräbnisse hatten, befestigten die Kurfürsten Balduin von Trier und Heinrich von Mainz; Johann von Daun setzte ihnen Brunkenstein und Rothenburg entgegen. Aber die kriegerischen Erzbischöfe türmten die dritte Burg auf die Geierslei, eine Daun beherrschende Höhe. Doch konnte die Fehde nur durch Vergleich beendet werden. Von Martinstein und Brunkenstein sind noch bedeutende Überreste vorhanden. Die Terrasse vor dem Rittersaal gewährt einen herrlichen Überblick des Nahetals bis zum Lemberg; im Schloßgarten, der links unter der Burg herlief, sieht man ins Simmertal und in die Schluchten des Soonwalds, dessen Höhen die Warte von Koppenstein, des Sitzes eines sponheimischen Nebenzweigs, überragt.
Von Martinstein abwärts begleiten sanftere Hügel die muntere Nahe, um die sich blühende Ortschaften reihen. Auch der Weinbau, der bisher nur vereinzelt vorkam, tritt nun entschiedener auf. Berühmt ist die Rebe von Monzingen durch feurigen Wein, der selbst die Linie zu kreuzen erträgt, wie Versuche bewiesen haben. Merkwürdig ist die höchst einfache Erziehung dieser sogenannten Heckenwingerte: die Reben werden nicht gepfählt, sondern kriechen am Boden hin, auch überläßt man sie den Sommer über ihrem freien Wachstum. Auf anderem Boden als diesem reinlich trockenen grünen Tonschiefer wäre ein solches Verfahren wenig anwendbar; und auch hier wird über den Erdgeschmack des jungen Weins Klage geführt, der aber dem vorjährigen wie die Monzinger versichern, vergeht. Nach dem Flecken führt ein Nebental, das zu beiden Seiten mit Reben bepflanzt ist.
Über Sobernheim, das durch Tabaksbau, eine schöne alte Kirche und einige bei der Pfalzvergiftung verschonte Häuser, eines sogar mit Inschriften aus dem Freidank, merkwürdig ist, gelangen wir an die Mündung des Glans bei dem hessen-homburgischen Staudernheim, wo auf waldigem Berggipfel zwei Seitengiebel und eine einzeln stehende hohe Mauer als die einzigen unten sichtbaren Überreste des einst berühmten Klosters Disibodenberg emporragen. Oben findet man des Gemäuers noch mehr, man erkennt einen Rittersaal und den Grundriß der Kirche, deren Hochaltar gestanden haben mag, wo jetzt die hohe Eiche den Triumph des ältesten deutschen Gottesdienstes zu verkünden scheint; es ist aber um so schwer, die Bestimmung der vielfältigen Gebäude herauszufinden, als man nur mühsam von einer Stelle zur anderen gelangt, so struppig mit Dornen und Brombeersträuchen verwachsen ist der überdies höchst ungleiche, überall verschüttete Boden.
Von Irland, das uns so viele Bekehrer zusandte, war auch Disibod, einst Bischof Erins, herübergekommen, um im wilden Tal der Nahe das Licht des Christentums und der Kultur zu verbreiten. Wo jetzt der Klosterhof steht, am nordöstlichen Abhang, hatte er zuerst sich und seinen Gefährten Hütten gebaut, aber auf dem Scheitel des Berges erhoben sich bald Kloster und Kirche. Bonifazius, der Apostel der Deutschen, säumte nicht, die Gebeine seines im Ruf großer Heiligkeit vorangegangenen Landsmanns feierlich in die Gruft unter dem Hochaltar zu übertragen. Die Verheerungszüge der Normannen und andere Zeitstürme unter den letzten Karolingern hatten auch dieses Kloster verödet; unter Kaiser Otto I. hoffte man seine Wiederherstellung, aber Hatto II. von Mainz, welchen die Neueren, um ein armes Märchen zu widerlegen, so hoch preisen, zog die Güter vollends ein, und erst Willigis wurde sein zweiter Gründer, ja er fügte eine Frauenklause hinzu, die doch späterhin mancherlei Anstoß gab. Die heilige Hildegard, aus dem benachbarten Böckelheim stammend, verlegte dieselbe, da sie nach Jutta von Sponheim Äbtissin wurde, auf den Rupertsberg bei Bingen, wohin ihre Freundin, Hiltrudis von Sponheim, ihr folgte.
Bis Schloß Böckelheim ist uns nur das Dörfchen Boos bemerkenswert, von dem sich die noch fortblühenden Boose von Waldeck schreiben. Jenes Schloß lag auf einem von drei Seiten unzugänglichen Felsen, der auch die Nahe zwingt, sich südlich zu wenden; die vierte Seite schützte der Schloßgraben, den jetzt, gerade da, wo einst die Zugbrücke gestanden haben muß, ein Bauernhaus füllt. Über den Giebel dieses Hauses hinweg schritt einst der unglückliche Kaiser Heinrich IV., als ihn sein Sohn Heinrich V. hier bewachen ließ, damit er in Ingelheim auf Reich und Krone verzichte. Böckelheim, einst Reichsburg, veranlaßte, als sie sponheimisch geworden war, die berühmte Sponheimer Fehde gegen Mainz, welche die Sprendlinger Schlacht zum Vorteil des letzteren entschied, später war sie der Zankapfel, der Mainz und Pfalz entzweite; letztere blieb bis auf die neuesten Zeiten in Besitz des Amts; die Burg aber hatten 1688 die Franzosen zerstört.