Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Die Pfalz und Kaub

Indem der Rhein um einen mächtigen Felsen biegt, entsteigt ihm plötzlich, ehe noch Kaub erreicht ist, die wunderbare Inselfeste, die man der vielen Türme und Türmlein wegen, die mit Wimpeln und Flaggen verziert sind, so gern mit einem Kriegsschiff vergleicht. Die gegen den Rhein zugespitzte Untermauerung aus roten Quadersteinen dient zugleich als Eisbrecher, welcher nicht bloß die Burg, sondern auch die Stadt vor ihrem grimmigsten Feind schützt. Noch steht auf dieser Spitze der pfälzische Löwe als Schildhalter, und das Volk nennt die Felsenburg die Pfalz. Urkundlich heißt sie Pfalzgrafenstein (der Pallenz Grevenstein); doch gehörte sie ursprünglich mit Kaub den Falkensteinern, daher wird sie auch Falkenaue genannt. König Ludwig der Bayer, der auch die Pfalz besaß, scheint sie zum Schutz des Rheinzolls, den er sich zu Kaub anmaßte, errichtet zu haben; wenigstens sagt die Bulle des Papstes, der ihn gebannt hatte, er habe einen sehr festen Turm auf einer Rheininsel bei Kaub erbaut, um seine verfluchten Auflagen und Erpressungen ungestört treiben und kräftiger schirmen zu können. Also nicht bloß Ritter, Dynasten und Kurfürsten beeinträchtigten die Freiheit des Stroms, auch der Kaiser gesellte sich zu den Räubern.

Wenn der Pfalzgrafenstein vor Erbauung der Inselburg der Grafschaft Stahleck als Gaumal diente, so erklärt sich daraus die Bedeutung für die Pfalz, welche ihm die Sage beilegt. Sie versichert nämlich, die Pfalzgräfinnen – oder gar die deutschen Kaiserinnen, was einige Male zusammenfiel – hätten sie bewohnen müssen, wenn sie sich in anderen Umständen befanden – »als das Reich«, fügt ein Spötter hinzu, »nämlich in gesegneten«. Es ist lächerlich, die Sage aus der Enge des Gemachs widerlegen zu wollen, denn von der räumlichen Beschränktheit damaliger Fürstenwohnungen zeugen so viele rheinische Burgen, und ein enges Kämmerlein wäre zur Vermeidung des Unterschleifs bei der Entbindung gerade willkommen gewesen. Ebensowenig wird die Sage durch die urkundlich erwiesene Bestimmung des Gebäudes zum Schutz des Kauber Rheinzolls widerlegt, und so mag ihr historischer Gehalt auf sich beruhen. Einige haben versucht, sie mit der Geschichte in Verbindung zu setzen, indem sie annahmen, Heinrich der Lange von Braunschweig, der als Welfe nicht wagen durfte, offen um die Hand einer Staufin zu werben, habe hier mit der dritten Agnes, der Erbtochter des Pfalzgrafen Konrad, heimliche Zusammenkünfte gehabt, und der Vater sowie dessen Halbbruder, Kaiser Rotbart, hätten zwar endlich in die Verbindung einwilligen müssen, zugleich aber darauf bestanden, daß die Pfalzgräfin da niederkomme, wo sie guter Hoffnung geworden sei.

Der Pfalzgraf und der Kaiser zwar
Ergrimmten erst, die Staufen;
Doch weil es nicht zu ändern war,
So ließen sie es laufen.
Der Kaiser sprach: »Sam mir der Bart!
Das gibt Pfalzgrafen sondrer Art:
Drum hütet fleißig und verwahrt
Auf jener Pfalz die Mütter!«

Historisch ist hiervon nur so viel, daß der Welfe Heinrich mit der einzigen Erbtochter des Staufen Konrad die Pfalzgrafschaft davontrug und Köln dieser dritten Agnes zuliebe das Mannlehen Stahleck in ein Weiberlehen verwandelte.

Die Grafschaft Kaub, die später als pfälzisches Unteramt mit dem Oberamt Bacharach verbunden wurde, gehörte zu Hermann von Stahlecks Zeiten noch nicht zu der Pfalz; erst Pfalzgraf Ludwig der Strenge, der vierten Agnes Sohn, brachte sie durch verschiedene Käufe an sein Haus. Bis dahin besaßen sie die Dynasten von Minzenberg-Falkenstein, denn die von Bolanden hatten sie von den Grafen von Nüringen ererbt, an die sie aus der Arnsteinschen Verlassenschaft gekommen war.

Früher unterschied man Stadt und Burg Kaub und verstand unter letzterer die jetzt so genannte Feste Gutenfels. Diesen Namen soll sie von der Nüringischen Erbtochter Guta oder von der ältesten Tochter Philipps von Falkenstein erhalten haben, von der die Sage behauptet, sie sei ihrer Schönheit wegen mit dem deutschen König Richard von Cornwall vermählt worden; wahrscheinlicher empfing sie ihn, weil sie sich in der bayerischen Fehde 1504 so tapfer hielt, als Landgraf Wilhelm von Hessen sie sechs Wochen lang belagerte und beschoß, wovon die Inschrift am Zollhaus das Nähere meldet.

Wenige Burgen dürfen sich so vornehmer Vögte rühmen: Pfalzgraf Ludwig der Strenge setzte 1287 zum Schloßhauptmann Adolf von Nassau ein, der hernach sein König wurde. Auch Gustav Adolf wohnte lange Zeit in Gutenfels: der »Königssaal« ist nach ihm benannt.

Jetzt gehört die Burg dem um ihre Erhaltung wohlverdienten Herrn Archivar Habel zu Schierthen.

Auch Kaub hat man latinisiert (Cuba) und für einen römischen Wachtposten erklärt. Im Mittelalter war Kaub deutscher gesinnt, denn es leitete sich, vermutlich auf den Ruhm seines Weins bedacht, von Kufe ab, ja das älteste Stadtsiegel Kaubs zeigt den heiligen Theonestus, dessen wir bei Mainz gedachten, in einer Kufe sitzend.

Wir rücken die Legende dieses, seit Kaub protestantisch geworden ist, fast ganz vergessenen Heiligen ein:

Ihr Männer Kaubs, warum vergeßt
Ihr eures Heil'gen, Theonest?
O säht ihr euer altes Siegel:
Da treibt er auf des Rheines Spiegel
In jener Kufe sanft hinab,
Die Kaub erst einen Namen gab.

In Mainz gemartert bis zum Tod,
Besargt in lecker Kufe Boot,
So wiegen ihn die blauen Fluten
Und wecken neue Lebensgluten:
Er fühlt sich heil, das Wasser dringt
Nicht ein zu ihm, der Feuer bringt.

Der Salm umhüpft den selt'nen Kahn,
Ihn lachen alle Hügel an,
Der Rheingau grüßt mit freud'gem Rufe
Den heil'gen Mann und seine Kufe,
Aufjubelnd rauscht der Niederwald,
Im Nahetal jauchzt ihm jung und alt.

Nun schnellt er durch das Binger Loch,
Der Rheinstein denkt: »O käm' er doch!«
»Gefiel es ihm, bei uns zu hausen!«
Erseufzen Lorch und Trechdingshausen,
»Erwählt' er unser warmes Tal!«
Ruft Bacharach und Steg zumal.

Ihr alle haltet ihn nicht fest,
Bei Kaub erst landet Theonest:
Er pflanzte mit dem Christenglauben
In Kaub die ersten süßen Trauben;
In seiner Kufe preßt' er sie:
Ihr Kauber, das vergeßt ihm nie.

Wann feiern wir St. Theonest?
In den Oktober fällt sein Fest,
Wenn aus der Kufe Todesbanden
Der junge Wein ist auferstanden.
Ja wenn ihr um die Kelter tanzt,
Dann denket des, der ihn gepflanzt.

Ob der Name Theonest aus Dionysius entstellt ist, ob der Weingott Bacchus in dem Heiligen christlich wiedergeboren wurde, wollen wir nicht untersuchen. Ohne Zweifel wollte Kaub dem nahen Bacharach und seinem Bacchusaltar nichts schuldig bleiben, wenn nicht gar der Heilige älter ist und der Gott herbeibemüht wurde, ihm den Rang abzulaufen.

Kaub hat zwei Straßen, von denen die eine ein enges Seitental hinanläuft, die andere, längere, am Rhein herzieht. Sie vereinigen sich auf dem Markt, wo der neue Brunnen vor der Kirche steht. Nur die eine Hälfte der Rheinstraße, von der Kirche bis zum Wachtturm, hat eine doppelte Reihe Häuser und heißt In der Stadt, weil dieser Teil einst das ganze Kaub ausmachte, das durch eine starke Mauer befestigt war, die mit Schloß Kaub (Gutenfels) zusammenhing. Vom Markt bis zum Wachtturm steht diese Mauer noch, und an sie ist die eine Häuserreihe dieses Straßenteils von innen angebaut, so daß man vom Rhein her ihr unteres Stockwerk gar nicht sieht. Die Oberfläche dieser Stadtmauer ist zu einem bequemen Fußweg eingerichtet worden, auf welchen alle jene Häuser eine zweite Haustür aus dem oberen Stockwerk haben. Er heißt der Notgang, weil die Leute bei Wassernot nur durch ihn aus ihren Häusern kommen können. Die Wassernot tritt ein, wenn sich im Frühjahr beim Aufbruch des Eises, dem sogenannten Eisgang, an der Lorelei, wo das Bett des Rheins am schmälsten ist, das Eis staut. Alsbald schwillt der Rhein bis oberhalb Kaub über seine Ufer und setzt das ganze Tal unter Wasser. Der gewaltsame Aufbruch des Rheineises ist daher immer ein erwartungsvolles Schauspiel und der Eisgang ein gefürchtetes Übel, das viele Vorkehrungen nötig macht. Die unteren Stockwerke der Häuser müssen geräumt, das Vieh in dem höher liegenden Teil der Stadt untergebracht und die Fässer in den Kellern gesprießt werden. Ähnliche Notgänge, obgleich nicht so gangbar, finden sich auch in Bacharach, Oberwesel und St. Goarshausen.

Am oberen Ende von Kaub, bei dem dicken Turm, standen sonst, mit eigener Befestigung versehen, sieben vereinzelte Häuser, Siebenhausen genannt. Der Raum von hier bis zu alten Stadt enthielt nur Wein- und Küchengärten. Jetzt füllt ihn eine Reihe freundlicher neuer Häuser, die dem Rhein ihre ganze Vorderseite zeigen. Darum ist die Ansicht von Kaub so reizend: alte und neue Zeit haben gleichen Anteil an ihm, und die schwächeren modernen Gebäude werden von würdigen Bauten einer kraftvolleren Vorzeit eingeschlossen und beschirmt.

Bei Kaub müssen alle Schiffe, die Dampfschiffe nicht ausgenommen, landen, um den Zoll zu entrichten. Nur die Flöße dürfen vorbeifahren, indem schon eine Stunde früher der sogenannte Meldenachen, mit einem je nach der Größe des Floßes größeren oder kleineren roten Fähnchen besteckt, vorausgefahren ist, sowohl um alle entgegenkommenden Schiffe mit dem Ruf: »Achtung, es kommt ein Floß!« zu warnen als auch um dem Zollamt die Ankunft des Floßes zu melden und den Zoll zu bezahlen. Wenn ein größeres Floß bei der Pfalz ankommt, so fahren zwei Zollbeamte mit dem Zollknecht bei und besehen es, das heißt, sie vergleichen das vorhandene Holz mit der Angabe im Begleitpapier mittels Meßkette und Winkelmaß. Wird es übereinstimmend befunden, so schlägt der Beamte auf jeden zehnten aller zum Floß gehörigen Stämme mit eigens dazu bestimmten Eisen neben das M (Mainz) ein K (Kaub), zum Unterschied vom C für Koblenz (Coblenz). Das Besehen der mit Kaufmannsgütern beladenen Segelschiffe geschieht nur durch Beobachtung des Grads der Schiffeinsenkung an der Eichskala, welche durch Nägel bezeichnet ist, die auswendig in den Flanken des Schiffs eingeschlagen sind. Außerdem pflegen die Segelschiffe, sowohl bei der Tal- als auch bei der Bergfahrt, in Kaub einen neuen Steuermann zu nehmen. Bei der Bergfahrt werden die Kauber Steuermänner schon von weitem durch ein Sprachrohr abgerufen. Sie dürfen aber zu Berg nur bis Bingen, zu Tal nur bis Koblenz steuern; einige ausgenommen, welche das Recht haben, bis Köln zu steuern.

siehe Bildunterschrift

Kaub mit Pfalz und Burg Gutenfels

Hiermit ist aber Kaubs Wichtigkeit für die Rheinschiffahrt noch nicht erschöpft. Hier geschieht auch das sogenannte Überschlagen bei der Bergfahrt. Bekanntlich müssen die Segelschiffe von Pferden an der Leine bergauf gezogen werden. Von Köln bis Kaub gehen die Pferde auf dem linken Ufer, und die Chaussee dient häufig als Leinpfad. Wegen des Wilden Gefährts, der schon erwähnten Felsenwirbel unterhalb Bacharach, können aber die Schiffe nicht weiter längs des linken Ufers fahren und müssen überschlagen, d. h. nach dem jenseitigen (rechten) Ufer steuern und die Pferde in der sogenannten Nähe übersetzen lassen. Bei hohem Wasserstand geschieht dies oberhalb der Pfalz, sonst aber gleich unter derselben; und zwar läßt der Steuermann das Schiff an einem starken Seil, das an dem großen eisernen Ring auf der Pfalz befestigt ist, in einem halben Bogen hinübertreiben – ein interessantes Schauspiel. Hier wirken dieselben Gesetze wie bei den sogenannten fliegenden Brücken: der Strom gibt die Bewegung und das Steuerruder die Richtung. Von hier wird die Reise, bis das Binger Loch überstanden ist, längs dem rechten Ufer fortgesetzt; alsdann aber wieder nach Bingen übergefahren.

 


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