Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Ahrgau und Auelgau

Wir nahen jetzt der schönsten Gegend des Rheins, die in Deutschland ihresgleichen nicht findet, die auch in Italien nur der Golf von Neapel überbietet. Dieses rheinische Paradies, dessen Mittelpunkt das Siebengebirge bildet, erstreckt sich so weit dieses in seiner ganzen Schönheit gesehen wird, also etwa von Unkel bis Bonn. Aber ehe es beginnt, nimmt der Rhein die Ahr auf, ein Flüßchen, in dessen mittlerem Tal von Ahrweiler bis Altenahr sich alle Reize zusammendrängen, die man in anderen Nebentälern des Rheins, mit Ausnahme des einzigen Nahetals, verstreut suchen muß. Die Burg Are über Altenahr war der Grafensitz des Ahrgaus, das auf dem linken Rheinufer von Rheineck bis Gondorf reichte, während jenseits der Auelgau lag, der von Erpel bis Niederkassel und tief in das Sieg- und das Aggertal ging und dessen Malstätte der Auelberg war, die höchste Spitze des Siebengebirges.

Das Ahrtal öffnet sich Linz gegenüber zwischen Sinzig und Remagen. Auch Sinzig, dessen herrliche alte Kirche gleich so vielen anderen am Niederrhein von der heiligen Helena, der Kreuzerfinderin, gestiftet sein soll, spricht die Ehre an, den Sieg des Christentums entschieden zu haben, ja es leitet seinen Namen (Sinzeichen) von dem Zeichen des Kreuzes ab, das ihr Sohn Konstantin vor der Schlacht gegen Maxentius am Himmel erblickte und in das Labarum aufnahm. Gewisser ist, daß Sinzig eine fränkische Königspfalz besaß, in deren Ruinen die Schloßjungfrau, eine Art Weiße Frau, den Schlüsselbund in der Hand, den Begegnenden freundlich winkt. Mehr als auf dies alles und auf seinen sogenannten heiligen Vogt – eine natürliche Mumie, die man vergebens zur Reliquie zu stempeln versuchte – mag es sich auf seine Lage zugute tun. Von der Höhe, die sich nach dem Ahrtal zieht, beherrscht der Blick das vulkanische Rheintal von Andernach bis zum Siebengebirge.

Von Remagens rätselhaftem Pfarrtor ist schon gelegentlich die Rede gewesen. Hundeshagen erklärt es ohne Beweis für einen Rest des Palatium Sconilare, in dem unsere ersten Könige Urkunden ausgestellt haben. Die seltsamen Symbole, die es verzieren, harren zwar noch des Erklärers, doch scheinen sie auf höheres Alter zu deuten. Pfarrhof und Kirche sind von einer römischen Ringmauer umgeben. Der Ort war den Römern als Rigomagus bekannt.

Von der Höhe des Apollinariusberges sieht man den Rhein viele Stunden weit durch sein schlangenhaft gewundenes Tal daherziehen und vor dem Siebengebirge, als könnt' er von seiner Pracht nicht scheiden, zum See gesammelt ausruhen. Einst bewahrte die Kirche dieser Siegburger Propstei das Haupt des genannten Heiligen, das mit den Reliquien der Heiligen Drei Könige von Mailand kam. Sie wird jetzt auf Kosten eines Privatmanns in edlem Stil wiederaufgebaut und von Künstlern der Düsseldorfer Schule mit Fresken verziert.

Das untere Ahrtal ist ebenso mild und geräumig als das obere wild und eng. Zwei hohe Basaltkegel, Landskrone und Neuenahr, heben diesseits und jenseits ihre prächtigen Scheitel. Der Sage nach waren sie einst durch eine Brücke verbunden.

 

Die Wunderbrücke

Wo sich zwei Berge winken, dazwischen rauscht die Ahr,
Da sahn die Väter blinken Landskron und Neuenahr,
Und einer Brücke Bogen erglühn im Sonnenstrahl,
Von Schloß zu Schloß gezogen über das breite Tal.

Wer schuf die Wunderbrücke, wie Regenbogen schön,
Der Kunst zum Meisterstücke, und einte diese Höhn?
Der Vater sagt's dem Sohne, drum spricht die Sage wahr:
Ein Herr von Landskrone, ein Graf von Neuenahr.

Sie hatte treu verbunden der engsten Freundschaft Band,
Daß man zu allen Stunden sie gern beisammen fand.
Und mußten sie dann scheiden, so war die Brücke da,
Die brachte bald die beiden einander wieder nah.

In Stücke brach die Brücke nach schwerer Zeiten Lauf,
Da baute sich zum Glücke ein zärtlich Paar sie auf.
Und Liebesboten gingen dahin, daher gar viel,
Bis sie sich selbst umfingen in süßem Minnespiel.

Viel schöne Brücken schlagen sah ich in deutschem Land,
Doch keinen Bogen ragen, der sich so weithin spannt.
Weil's ewig unterbliebe, so ist wohl klar zu schaun,
Daß Freundschaft und Liebe die schönsten Brücken baun.

Die Kuppe der Landskrone, die im Rhein- und im Ahrtal weit und breit gesehen wird, trägt eine Kapelle, der eine naturhistorisch merkwürdige Basaltgrotte zur Sakristei dient, und die Trümmer einer von Philipp im Kampf gegen den Welfen Otto IV. erbauten Reichsburg, womit er das obere Erzstift zu bewältigen gedachte. Die Aussicht ist in der Nähe und Ferne unaussprechlich schön; sie blickt auch in ein Nebental, aus dem die Ruine Tomberg, einer der ältesten Sitze der Pfalzgrafen (von Aachen), herüberwinkt. Der Landskrone zu Füßen liegt Heppingen mit zwei Mineralquellen. Der Neuenahr, dessen Basalt nicht zutage tritt, weil ihn die Grauwacke mantelförmig umhüllen, zeigt keine Spur seiner Grafenburg mehr, die ein jüngerer Zweig des Hauses Are bewohnte.

Erst hinter Ahrweiler, dem Hauptort des Tals, beginnt dessen wildkühne Romantik. Der Weg führt durch das weinberühmte Walporzheim, dessen Ruhm wir begreifen, wenn wir die steilen Grauwackenfelsen sehen, in deren verwitternden Spalten sein jetzt tiefdunkler Bleichart gewonnen wird. Noch mehr erstaunen wir über die basteiartigen Terrassen und Erker, die im nackten Felsen aufsitzen und die wenige Erde, die man meist hinauftragen mußte, zusammenhalten. Die prächtigste dieser braunen ummauerten Felsmassen ist die Bunte Kuh, ohne Zweifel nach der phantastischen, tierkopfähnlichen Bildung ihres zackigen Firsts benannt.

Von der Bunten Kuh an dem Kloster Mariental vorbei, durch die Dörfchen Dernau, Rech und Mayschoß, über den verfallenen Sitz der Dynasten von Saffenburg, deren Herrschaft zuletzt an die Herzöge von Aremberg kam, die noch jetzt hier bedeutende Güter besitzen – wenn wir diese Wanderung eine malerische nennen, so brauchen wir das Wort ganz in der eigentlichsten Bedeutung: Maler werden uns genug begegnen, denn hier, nicht in Düsseldorf, ist die hohe Schule, wo sich ihre Skizzenbücher mit Studien füllen. Doch einzig und unübertroffen wird das Ahrtal erst in der Nähe von Altenahr. Senkrecht steigt die Grauwacke himmelhoch aus dem Flüßchen auf, das nach halbstündigem, mäandrischem Lauf fast auf die alte Stelle zurückkehrt. Zwischen Wasser und Felsen verschwindet des Wanderers Weg, und er mußte bisher, um Altenahr zu erreichen, über den Berg klettern. Die Mühe lohnte sich ihm reichlich, denn an dem Weißen Kreuz genoß er einen Anblick, der so leicht nicht vergessen wird. Hoch über ein Meer seltsam gestalteter Berggipfel hebt sich der Fels, den die Ruine des Schlosses Are, der alte Grafensitz des Ahrgaus, krönt; ihr zu Füßen das Dorf Altenahr im neuen Tal der verlorenen, überraschend wieder erscheinenden Ahr. Neuerdings ist ein zweites Mittel gefunden, um trotz ihres mutwilligen Laufs, der den Wanderer plötzlich ratlos im Stich läßt, die Ahr wieder zu erreichen. Man hat nämlich den Felsen durchbrochen und einen Tunnel von 432 Fuß Länge angelegt, der, den Galerien der Schweiz ähnlich, die Täuschung, als befänden wir uns in diesem Wunderland, vollkommen macht.

Das Geschlecht der Grafen von Are, das von dem höchsten Gipfel des Ahrtals aus drei Gaue beherrschte, und die Schirmvogtei zweier Kirchen – der trierischen und der kölnischen – ausübte, könne, meint Herr von Stramberg, wohl keinen anderen Ursprung haben als von den vormerowingischen, von Chlodwig entsetzten Königen von Köln. Graf Friedrich von Hochstaden-Are schenkte, als sein Halbbruder, der gewaltige Konrad von Hochstaden, den erzbischöflichen Stuhl besaß, die ganze Grafschaft mit den Schlössern Are und Hochstaden (bei Grevenbroich an der Erft) dem Erzstift Köln. Seitdem war Schloß Are eine kölnische Zwingburg, und man mag in der »Kölnischen Reimchronik« oder in meinen »Rheinsagen«, wo ich die Lücken ihres Berichts ergänzt habe, nachlesen, wie hier einst elf der edelsten kölnischen Patrizier, darunter mehrere des ruhmwürdigen Namens Overstolz, in schmählicher Gefangenschaft schmachtete; wie ihr einziger Leidvertreib eine gezähmte Maus war; wie sie in deren Schlupfwinkel Meißel und Feile fanden, womit sie sich der Ketten entledigten und die Gitterstäbe des Fensters durchsägten; wie sie sich dann vom Turm niederließen, den »Ziegenpfad« hinabkletterten und nach manch gefährlichem Abenteuer den Tag der Freiheit begrüßten.

siehe Bildunterschrift

Schloß Altenahr

siehe Bildunterschrift

Dorf Altenahr

Die oberen Ahrgegenden sind nicht mehr so groß und erhaben, doch immer noch, auch in den Nebentälern, mannigfaltig und reich. Die letzteren bieten dem Wanderer, der nicht gern in seine eigenen Stapfen tritt, Gelegenheit, sich die Rückreise ebenso genußreich zu machen, als die Hinreise war. Einige wenden sich durch das Kesselingtal nach dem Gänsehals, Schloß Ohlbrück und dem Laacher See, andere folgen der idyllischen Liers nach Adenau und besuchen von da an die Hohe Acht oder die stolze Nürburg, den Sitz eines Zweiges des Geschlechts Hochstaden-Are; die aber der Ahr treu bleiben, die führt sie auf schauerlichen Pfaden nach Aremberg, dem Stammschloß der berühmten Herzöge, die ihr Geschlecht gleichfalls von den Grafen von Are ableiten. Daß die Burg Are der älteste Sitz dieser Grafen an der Ahr gewesen sei, darauf will man aus einem Regal schließen, das sie bis auf die neuesten Zeiten ausübte. Alljährlich im Frühling zog ein Beamter des Herzogs von Aremberg, von einem Fähnlein Landsknechte begleitet, die Ahr hinab, um den Fluß zu öffnen, d. h. um alle Mühlendämme zu durchstechen und so das Hindernis wegzuräumen, das dem Aufsteigen der Salme und der beliebten Rümpchen entgegenstehen konnte. Ist der Schluß richtig, so muß eine Zeit gewesen sein, wo der ganze Fluß mit beiden Ufern von Schloß Aremberg abhängig war.

Ist man den Anfängen der Ahr einmal so nahe gekommen, so wird man sie auch gern bis zu ihrer Quelle begleiten und sich wundern, diese mitten in einer Stadt, ja in einem Stall zu finden, ein Ursprung, dessen sie sich gleichwohl nicht schämen darf, da sie ihn mit dem Heiland der Welt gemein hat. Das altertümliche Städtchen Blankenheim liegt unter dem Schutz seiner mächtigen Grafenburg in tiefer Talschlucht versteckt. Die römische Wasserleitung von der Eifel nach Köln, deren Spuren wir hier begegnen, scheint bei der Ahr, die ursprünglich Eifel geheißen haben soll, Pate gestanden zu haben, denn ihr bisher immer unrichtig abgeleiteter Name bedeutet einen Kanal.

Dabei fällt mir ein, daß ich vergessen habe zu erzählen, wie die Andernacher die Röhre einer Wasserleitung reinigen, welche sie mit gesundem Trinkwasser versorgt. Dies geschieht jährlich an dem bestimmten Tag mittels eines Aals. Man bringt ihn nämlich lebend in die Öffnung und gibt ihm das bis dahin zurückgehaltene Wasser auf den Schwanz, worauf er wie ein abgeschossener Pfeil die Röhre durchfährt und alle Unreinheiten wegnimmt. Statt des Lohns muß er nun noch den Vorwand zu einem Festmahl geben, bei dem sich Bürgermeister und Rat mit Fastenspeise nicht begnügen.

Da wird mit diesem Nachtrag den Riesensprung aus der hinteren Eifel nach der Andernacher Schlucht glücklich vollbracht haben, so dürfen wir den kleineren – von da nach Erpel, Remagen gegenüber, wo wir den Rhein verließen – nicht scheuen. Zwischen den Basalten der Erpeler Lei gedeiht ein köstlicher Bleichart, den man in der Legende von der »Rose von Jericho«, wie sie hier lokalisiert wird, eine Rolle spielen läßt. Sie wird nämlich welk und dürr und mit gesenkter, staubiger Krone in ein Glas voll Wein gestellt und zwar in der Christnacht, wo doch sonst nach dem alten Glauben alles Wasser sich in Wein verwandelt:

Und wie die zwölfe tönen feierlich,
Und wie durchs Land der Mette Stimmen wehen,
Da öffnet still die Wunderblume sich,
Die Heil'ge Nacht, die Christnacht, zu begehen.
Ein neues Leben hat sie jäh durchzückt,
Sie tut sich auf, die eben noch erschlaffte,
Und wie vom Pilger gestern noch gepflückt,
Wiegt sich den Kelch auf dem geweihten Schafte,
In dunkler Röte lodert sie und flammt,
Wie sie geflammt auf ihrer Heimat Triften,
Und um der Blätter königlichen Samt
Weht als ein Opfer ihrer Krone Düften.
                                      Ferdinand von Freiligrath

Das nun folgende Unkel scheint von der Tintenfarbe seines Basalts genannt, denn die behaupteten Inschriften von der Dea Uncia sind noch nicht zum Vorschein gekommen. Der weggesprengte Unkelstein gehörte zu den gefürchteten Riffen im Strombett; noch meine Mutter ist an ihm gescheitert. Der sogenannte Deisterbaum mag sich darauf bezogen haben; an ihm wurden in Notfällen die Schiffstaue befestigt.

Unkel ist wegen seiner herrlichen Aussichten auf das Siebengebirge berühmt; bald hinter ihm öffnet sich auch die wunderschöne Honnefer Talbucht. Nur wenigen Glücklichen ist sie bekannt, denn keine Heerstraße führt hindurch; und die von der jenseitigen in dieses rheinische Tempe scheuen, entzücken sich an den prächtigen Formen des Siebengebirges und ahnen kaum, wie wohl denen zumute wird, die es in seinen faltigen Mantel hüllt. Honnef (Hunnhof, Hunnonis curia) ist nur ein Dorf und doch größer als manche Stadt: seine sieben Hunschaften, seine Landhäuser und Villen liegen zerstreut in dem geräumigen Tal, als hätte sich jeder seine Hütte gebaut, wo es ihm am lieblichsten, heimlichsten schien. Das südliche Gehänge des Siebengebirges bildet mit den zum Rhein auslaufenden Wurzeln der nächsten Basalt- und Trachytkegel einen halben Bogen, dessen Sehne der Rhein ist. Fast aus dem Strom hebt der Drachenfels wie ein erzgepanzerter Riese das steinhelmbewehrte Haupt empor. Seine nächste Nachbarin, die Wolkenburg, ist nur noch ein Steinbruch und allen Laubschmucks entkleidet. Von ihr zieht sich eine Kette scheinbar geringerer Höhen nach der gewölbten waldigen Löwenburg, die groß und ruhig daliegt, als wäre alles ihr eigen, so weit sie blickt und gesehen wird. Wenn der Drachenfels einem Helden gleicht, so scheint die Löwenburg ein König, ein Hirte der Völker. Aus der dunklen Schlucht zwischen Wolken- und Löwenburg heben vielgestaltige Kegel waldgrüne Häupter empor, die gegen die heiteren Rebenhügel Honnefs einen schönen Gegensatz bilden. Eine zweite, nicht minder reizende Talschlucht zieht sich zwischen Löwenburg und Himmerich nach der St.-Servatius-Kapelle; aus ihr blickt außer dem Himmerich der Bruder-Kunz-Berg hervor; der Leiberg mit seinem Krater sitzt wie eine Frauenbrust einem breiteren Bergrücken auf, und in der Ferne schließen die Linzer Berge sich an.

siehe Bildunterschrift

Aremberg

siehe Bildunterschrift

Blankenheim

Noch einmal öffnet sich das Gebirge einer trefflichen Weinlage, die von den Menzenberger Winzerhütten aus bestellt wird. Dieses friedliche Nebental ziert die anmutige Villa und die geschmackvolle Gartenanlage des Herrn Farina. Hier bieten das sogenannte Köppelchen auf der Niederhalde und einige Punkte des Gartens Aussichten, wie sie kein Sommernachtstraum entzückender vorgaukeln mag.

Nun wendet sich die Breitbacher Höhe dem Rhein zu, von der Bruchhauser Heide blickt eine stattliche Meierei tief in das Rheintal. Breitbach, das dem Rheingau mehr als einen Vizedomus gab, ruht mit seinen Burgen am südlichen Saum dieses untersten, aber schönsten Rheingaus, und Unkel mit seinem weiß gegräteten Turm spiegelt sich auf vorspringendem Ufersaum in der schimmernden Flut. Von jenseits winken Oberwinter und der Apollinariusberg herüber, Schloß Ohlbrück grüßt aus blauer Ferne, Rolandseck zeugt seinen von Freiligraths »Amphionsgesang« erneuerten Bogen, Rolandswerth mit seinem sagenberühmten Kloster und die Schwesterinsel Grafenwerth umfängt den Strom als köstliche Kleinode mit drei Armen; und im Nachtigallenwäldchen diesseits flöten die Nachkömmlinge jener von dem heiligen Bernhard aus Himmerode verbannten brünstigen Sängerinnen:

Die meisten flogen an den Rhein
Bei Honnef in dem schönen Tale,
Da schloß sie vor dem heißen Strahle
Ein Wald in duft'ge Schatten ein.

Sie saßen im belaubten Dom
Und sangen ihre sel'gen Lieder,
Die sieben Berge hallten wider,
Andächtig floß vorbei der Strom.

Der Wandrer, den ein Leid gedrückt,
Vernahm's und ging dahin getroster;
Die Nonnen in dem Inselkloster,
Zum Himmel ward ihr Geist entrückt.

Das ist fürwahr nicht sünd'ge Lust,
Das ist kein irdisch eitles Klingen:
St. Bernhard, hörtest du sie singen!
Sie loben Gott aus voller Brust.

Schon oben habe ich der verbreiteten Meinung widersprochen, als wäre bei Rolandseck die Szene von Schillers »Ritter Toggenburg«. Die Ähnlichkeit mit der »Rolandsage« verkenne ich nicht; aber sie unterscheiden sich in einem Hauptmoment: des Toggenburgers Liebe wird nicht erwidert, während Hildegunde nur im Schmerz über den vermeintlichen Tod des Paladins den Schleier genommen hat. Die »schönste Sage des Rheins« ist vielmehr eine ganz mittelalterliche Auffassung der »Liebessage«, die in »Pyramus und Thisbe«, in »Tristan und Isolde«, in »Romeo und Julia« dieselben Grundzüge trägt. In dem einen Liebenden ruft der Irrtum, als wäre der andere tot, den Entschluß hervor, sich freiwillig den Tod zu geben. Hierdurch verwandelt sich für den anderen Teil der Irrtum in traurige Wahrheit, und nichts bleibt ihm übrig, als dem Vorangegangenen zu folgen. Wenn dies den genannten drei Sagen gemeinschaftlich ist, so weicht die »Rolandsage« nur darin ab, daß statt des Selbstmords eine dem Mittelalter eigentümliche Art, sich der Welt zu entziehen, eingeführt wird. Hildegunde geht ins Kloster, und Roland wird Einsiedler:

»Und begräbt das Kloster schön Hildegund,
So setz' ich mich hier auf den Stein
Und schaue zeitlebens zum Tode wund
Hinab auf das Kloster im Rhein.«

Unter den aufstarrenden, zackigen, vielfach zerklüfteten Trachytporphyrmassen, die gleich Schilden die südliche Seite des Drachenfelsens decken, liegt die Domkaule, so genannt, weil sie die Steine zu dem Riesentorso des Doms von Köln geliefert hat. Der in der Domkaule gewonnene Bleichart wird Drachenblut genannt, denn gerade über ihr zeigt man das Drachenloch, eine von den Feuern der Steinbrecher geschwärzte Felsenhöhle. Die Sage von dem Drachen wird verschiedentlich erzählt: die modern-christliche Auffassung findet man in meinen »Rheinsagen«; älter ist gewiß die Anknüpfung an den von Siegfried erschlagenen Drachen, auf den dieser niederrheinische Drachenfels größere Ansprüche hat als sein Doppelgänger am Hardtgebirge, weil er im Niederland liegt und Siegfried König im Niederland heißt. Die neueste Auffassung der Drachensage, die ich aus dem Mund eines Honnefer Bauern vernommen habe, ist kurz folgende: Der Drache pflegte die vorüberfahrenden Schiffe anzufallen, was er so lange trieb, bis einst ein mit Pulver beladenes Schiff vorbeikam. Sein Feueratem entzündete das Pulver, die Explosion zersprengte zwar das Fahrzeug, aber auch der Drache wurde zerschmettert. Man sieht, die Volkssage symbolisiert den Untergang des Ritterwesens, denn allerdings machte das Pulver dieser und anderen Drachenburgen und ihren räuberischen Angriffen auf die Rheinschiffahrt ein Ende.

siehe Bildunterschrift

Rolandseck und Nonnenwerth

Aber noch eine größere Rolle war dem Drachenfelsen in der Heldensage zugedacht. Auch Dietrich von Bern, der andere Hauptheld unserer »Epischen Lieder«, versuchte sich an demselben. Eins der bekanntesten Gedichte des Heldenbuchs ist »Ecken Ausfahrt«, das in »Grippigenland« oder »Agrippinan« spielt, dessen Hauptstadt Köln ist. Der Inhalt des Liedes findet sich in der »Wilkinasage« wieder, und hier heißt es ausdrücklich, jene Königin, Drusians Gemahlin deren neun Töchter Herrn Eck gegen Dietrich von Bern aufreizten, habe auf dem Drachenfelsen gewohnt. Zwar hat die Erwähnung des Osnings irregeleitet, man suchte ihn im Teutoburger Wald, weil man nicht wußte, daß auch die Eifel, als deren letzter Ausläufer Rolandseck anzusehen ist, Osning heißt. Der Inhalt des Liedes ist der Kampf Dietrichs mit Eck und seinen Brüdern Fasolt und Ebenrot. Nachdem Dietrich Eck im Zweikampf getötet und seine Rüstung angelegt hatte, stürmt er, das Haupt des Erschlagenen in der Hand, den Drachenfels hinan, dessen Weinterrassen ihm als Stiegen dienen. Die neun Königinnen, durch die Rüstung getäuscht, halten ihn für Eck, der ihnen Dietrichs Haupt zu bringen kommt. Da wirft er ihnen das Haupt ihres Buhlen zu Füßen, und sie erkennen Dietrich, ihren furchtbaren Feind. Bolfriane, eine der neun Königstöchter, wird hernach mit Harlung, Dietrichs Oheim, vermählt, und Wittich empfängt, nach dessen Tod, Breisach (Breisich?) mit ihr.

Wenn Mone Bonns alten Beinamen Verona (Bern), für den wir oben einen Grund zu finden meinten, durch die Hypothese erklärt, daß der Niederrhein die Heimat der Heldensage gewesen und daher ursprünglich, wo in den Liedern Bern genannt wird, nicht das lombardische Verona, sondern Bonn verstanden worden ist, so darf man ihm vielleicht zugeben, daß wenigstens der soeben besprochene Teil der Sage, der noch nach ihrer jüngsten Auffassung in unseren Gegenden spielt – Dietrichs Kampf mit Eck und seinen Brüdern –, niederrheinischen Ursprungs und dieser Dietrich, Ecks Besieger, ein Bonner Theoderich gewesen sein müsse. Gefährlicher mag es scheinen, wenn Grimm in der »Mythologie« Eck für einen Wassergott, Fasolt für den Gott des Sturms erklärt. Den dritten Bruder, Ebenrot, vergißt er, der doch ebensogut ein Feuergott sein und, da der Kampf bei Rolandseck stattfand, auf den Vulkan des Röderbergs bezogen werden könnte.

Indessen ist uns doch ein Wettersegen erhalten, worin Fasolt als Urheber der Stürme angerufen wird. Damit stimmt es ganz wohl, wenn im Honnefer Tal die Gebirgsspalte zwischen Löwenburg und Himmerich, durch die ein scharfer, gefürchteter Nordost hereinweht, die Faseltskaule heißt, wie denn hier andere Ortsnamen an Dietrich und Ebenrot erinnern. Dederichsloch heißt die obengenannte Menzenberger Talschlucht in ihrer oberen Enge und Ebenrot eine der zwölf Hunschaften von Ägidienberg, das als eine Kolonie von Honnef auch Honnefer Rott genannt wird. Königswinter am Fuß des Drachenfels hat seinen Namen nicht von König Drusian, sondern von seiner Königspfalz, welche Heinrich II. mit allem dazugehörigen Reichsgut dem Frauenkloster Dietkirchen zu Bonn schenkte. Von dieser Königspfalz sind links von dem Weg nach dem Drachenfels noch Spuren übrig.

Diesem, seit die Dampfschiffe es zum Hafen des Siebengebirges erkoren haben, rasch aufblühenden Königswinter liegt Mehlem gegenüber, von dem ich auch eine bisher unbekannt gebliebene Sage zu berichten habe: »Zur Zeit des Schöppengerichts wurde ein junger Mann angeklagt, im benachbarten Kottenforst seine Braut erschlagen zu haben; die Schoppen ließen ihn sofort hängen. Ehe dieses Urteil vollzogen wurde, verfügte sein Letzter Wille: wenn nach seinem Tod die vermeintlich Ermordete lebend wieder erscheine und sich so seine Unschuld erweise, so solle man aus seinem Vermögen eine ewige Messe stiften, zu der dreimal mit allen Glocken geläutet und die Läuter mit Brot, Wein usw. vergnügt werden sollten. Den Rest seines Nachlasses erhalte die Braut. Sein Ankläger war, wie sich nach der Hinrichtung ergab, ein eifersüchtiger Schöppensohn: er aber hatte seine Verlobte durch den Kottenforst begleitet und sie jenseits des Gebirges auf der Reise zu ihren Eltern, deren Wohnort er nicht nachweisen konnte, verlassen. Sie machte die Reise, um sich der Eltern Segen zu holen. Sie kehrte zurück, erfuhr das Schicksal ihres Geliebten, und noch bis heute wird alljährlich am bestimmten Jahrestag, um Fastnacht, dreimal geläutet, die Messe gehalten und gezecht.«

Das malerische Tor der schönen Rheingegenden bildet den zu Berg Fahrenden der Drachenfels mit dem schräg gegenüberliegenden Godesberg. Sein Name, früher Godenesberg oder Wodenesberg, deutet auf die Verehrung Wodans, des deutschen Sieges- und Kriegsgottes hin, zumal auch der Mittwoch, den alle germanischen Völker nach Wodan nannten, hier Godestag heißt. Das benachbarte Gudenau und das Godenhaus bei Sinzig sind gleichfalls in Anschlag zu bringen. Indessen kann diese Ableitung, der Grimm beigetreten ist, die Frage nicht entscheiden, ob auf dem Godesberg die vielbesprochene Ara Ubiorum gestanden habe. In christlicher Zeit stand hier eine Kapelle des heiligen Michael, und es wurde dem Erzbischof Theodorich für Frevel ausgelegt, als er mit den Steinen dieses Heiligtums die Feste erbaute. Das Geld hatte er von einem gefangenen Juden erpreßt. Zürnend entflog der Erzengel über den Rhein nach dem Petersberg. Da die Kapelle tiefer unten wieder aufgebaut wurde, wo sie noch jetzt zur Pfarrkirche des Dorfes dient, so begreift sich jene Entrüstung der Zeitgenossen, die noch in der »Kölner Chronik« nachklingt, nur aus der uralten Heiligkeit des Orts. Von der gewaltigen Warte, die erst Kurfürst Wolfram aufführte, genießt man eine Aussicht, deren Zauber noch lieblicher und milder ist als jene vom Rolandseck, dem schönsten Punkt des Landes. Die Draischquelle (Draisch bedeutet, wie wir wissen, ein Mineralwasser) war schon den Römern bekannt; in neuerer Zeit hat weniger sie, sondern die unerschöpflichen Reize seiner Lage haben Godesberg zu einem beliebten Kurort gemacht. Seine geschmackvollen Villen und prächtigen Gasthöfe würden es noch belebter und genußreicher machen, wenn es unmittelbar am Rhein läge.

Von Oberdollendorf aus, das Godesberg gegenüberliegt, besuchen wir am bequemsten das Siebengebirge. Bald ist im einsamen St.-Peters-Tal die Abtei Heisterbach erreicht, von der wir nichts übrig finden als den kunstgeschichtlich bemerkenswerten altgotischen Chor der Kirche. Die Mönche bewohnten zuerst die unwirtliche Höhe des Petersberges, wo noch die von einem frommen Einsiedler namens Walther gegründete KapelleDie Sage von ihrer Erbauung, die Schreiber erzählt und viele ihm nachschreiben, ist von seiner eigenen Erfindung. Sie hat weder äußere Zeugnisse noch innere Merkmale der Echtheit. In der Nähe des Gebirges ist keine Burg Schwarzeneck bekannt, so wenig als ein Treuenfels, was auch manchen irregeleitet hat. steht und ein Brunnen von geringer Tiefe Wasser spendet. Hernach zogen sie sich in dieses von dem »Heisterbacher Mantel« geschützte Tal, von wo aus sie sich als echte Zisterzienser um den Anbau der Gegend verdient machten, wie noch Pfaffenröttchen und Heisterbacher Rott von ihrem Kulturfleiß zeugen. Hier schrieb Caesarius Heisterbacensis seine von Klostersagen und Wundergeschichten wimmelnden Dialoge, denen wir uns vielfach verpflichtet bekennen. Sie sind nicht nur in einer Zeit, wo die Geschichtsquellen noch nicht so reichlich fließen, als solche höchst wichtig, sondern gewähren auch das anschaulichste Bild des Mönchslebens.

Der Auelberg, den wir zunächst besuchen, ist seines steilen, pfadlosen Gipfels wegen schwer zu ersteigen; dafür entschädigt aber die luftige Höhe, wo der Blick bis zum Taunus, ja bis zum Donnersberg schweift. Das Siebengebirge und der ganze Gau sind vom Auelberg aus leicht zu übersehen, und wir müssen den Natursinn unserer Vorfahren loben, die ohne Quecksilberwaage und Trigonometrie den höchsten Punkt des Landes zur Dingstätte wählten. Der Löwenberg, dessen Gestalt königlicher, dessen Gipfel wilder und schauriger ist, mißt doch dreißig Fuß weniger und gewährt bei weitem nicht diese Übersicht. Anders war es vielleicht, als seine stolze Burg noch stand. Diese kam als ein sainisches Erbe mit dem schönen Honnef an die Grafen von Heinsberg, die bekanntlich Sponheimer waren. Zuletzt bildete diese Herrschaft ein bergisches Amt. Auf der Löwenburg spielt ein schönes bergisches Volkslied:

Verstohlen geht der Mond auf,
    Blau, blau Blümelein.
Durch Silberwölkchen führt sein Lauf;
    Rosen im Tal, Mädel im Saal, o schönste Rosa!

Er steigt die blaue Luft hindurch,
    usw.
Bis daß er schaut auf Löwenburg;
    usw.

O schaue, Mond, durchs Fensterlein,
Schön Trude lock mit deinem Schein.

Und siehst du mich, und siehst du sie,
Zwei treure Herzen sahst du nie.

Der Drachenfels, der uns auf der Löwenburg tief zu Füßen lag, ist zwar einer der niedrigsten, doch bei weitem und mit Recht der besuchteste der sieben. Schon ehe ihn Lord Byron besungen hatte, war sein Gipfel einer der Punkte, zu deren Besuch sich jeder Rheinreisende in seinem Gewissen verbunden hielt. Reicht sein Panorama nicht so weit wie das des Auelbergs, so macht es eben seine Beschränkung malerisch schön. Daß er dem Rhein so nahe liegt, ist gewiß auch – und nicht bloß für die Bequemen – ein Vorzug. Die reizenden Inseln, die er umschließt, und die vielfachen Windungen, mit denen er in der blühenden Ebene zwischen Bonn und Köln dem Blick entschlüpft; die Dampf- und Segelschiffe, die uns wie Kähne, die Kähne, die uns wie Nußschalen vorkommen – für das alles muß man diesen Standpunkt wählen. Nur wolle man auf dem Drachenfels die Sonne nicht aufgehen sehen, denn die östlich hinter ihm liegenden höheren Berge verhalten sie zu lange. Lieber lasse man sich den Dombruch zeigen und jenseits die Höhen der Eifel und des Maifelds, den eingesunkenen Krater des nahen Röderbergs und das Eigentum der Burggrafen, das sogenannte Drachenfelser Ländchen.

Von den übrigen zahlreichen Berghäuptern der Gruppe waren noch drei mit Burgen gekrönt: die Wolkenburg, die Rosenau und der Himmerich. Die erste war eine kölnische Feste, die Herren von Rosenau sind unbekannt, und die Burg des Hindbergs, deren Spuren verschwunden sind, soll den Herren von Heinsberg gehört haben, wenn hier nicht die Ähnlichkeit der Namen Verwirrung gestiftet hat.

siehe Bildunterschrift

Godesberg

Nach dem Volksglauben der Niederlande ist das Siebengebirge eine Art Vorhölle, indem die armen Seelen, die am Jüngsten Tag kein gutes Urteil zu erwarten haben, einstweilen dahin verbannt werden. Ein Kölner Wucherer wandelt in bleiernen Schuhen und bleiernem Mantel umher, ein Bonner Minister als Feuermann. Jetzt fürchtet man ihn nicht mehr; ein Bauer bei Königswinter will sogar seine Pfeife an ihm angezündet haben. Wenn aus den Schlünden des Gebirges Nebelwolken aufsteigen und langsam um die Felsenköpfe ziehen, so hält sie der Aberglaube für dichte Scharen nach Erlösung schmachtender Seelen.

 


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