Karl Simrock
Der Rhein
Karl Simrock

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Die vier Täler

Unterhalb Sooneck bildete der Heimbach, der zwei Ortschaften und der alten Heimburg den Namen gibt, die Grenze zwischen Mainz und Pfalz. Der Dompropst zu Mainz war Herr zu Heimbach, und »man wies ihm, daß er kommen solle zu dreien ungebotenen Dingen mit zwölf Mannen und dreizehntehalbem Pferd«. Die nun folgenden sogenannten vier Täler Manubach, Diebach, Bacharach und Steeg sind als eine Wiege der Pfalz zu betrachten, die sich von hier aus über den Oberrhein, Heidelberg, Alzey und die Hardtgegenden verbreitete. Wie schon erwähnt, gehörten sie eigentlich Köln, welches einen Grafen Goswin von Stahleck, der Burg über Bacharach, damit beliehen hatte. Dessen Sohn Hermann erhielt nach dem unbeerbten gänzlichen Abgang des ersten pfalzgräflichen Geschlechts von Kaiser Konrad III. die pfalzgräfliche Würde, wurde aber, weil er die Pfalz als Erbin des rheinfränkischen Herzogtums betrachtete und wegen der alten Besitzungen desselben, die in geistliche Hände gekommen waren, mit den Bischöfen von Worms und Speyer und den Erzbischöfen von Trier und Mainz in Fehde geriet, von Kaiser Friedrich Rotbart als Landfriedensbrecher zu der entehrenden Strafe des Hundetragens verurteilt. Als er sich hierauf zurückzog und erblos verstarb, gab der Kaiser die Pfalzgrafschaft, bei welcher Stahleck und die vier Täler fortan verblieben, seinem Halbbruder Konrad, der den Anspruch auf die Erbschaft des alten rheinfränkischen Herzogtums in seiner Person als Abkömmling der Herzöge besser begründet fand und den von Hermann begonnenen Krieg gegen die geistlichen Fürsten von Heidelberg aus, dem neuen Sitz der Pfalzgrafen, erfolgreicher fortsetzte.

siehe Bildunterschrift

Sooneck

Die Grafschaft Stahleck, welche späterhin das pfälzische Oberamt Bacharach bildete, reichte vom Heimbach bis an den Pützbach, Kaub gegenüber. Nach den vier Bacharacher Weistümern (das älteste von 1386) und dem noch älteren Bacharacher Blutrecht hatte der Bischof von Köln, als Lehnsherr und Schultheiß, einen Unterschultheiß zu setzen; der Pfalzgraf, als belehnter Herr und Vogt, einen Untervogt. Diese bildeten das Gericht mit den Schöffen, die aus den vier Tälern gekoren wurden. Die Bresten, Frevel und Brüchte gehörten dem Bischof von Köln zu zwei Teilen und dem Pfalzgrafen zu einem Drittel. Köln hatte zwei dem Pfalzgrafen unverliehene Höfe, einen zu Dorweiler, den anderen zu Henschhausen, ferner zu Bacharach den Fronhof, den langen Hof und den Saal. In dem Fronhof mußte der Bischof einen Stock und einen Käfig haben; in den Stock Diebe zu schließen, in den Käfig verschuldete Leute zu legen, die keine Bürgen fanden. Der Pfalzgraf durfte Gericht und Land nicht höher schätzen als hundert Markpfennige und vier, die sie dazugetan haben. Dem Bischof gab jedes Schiff, das Wein lud, sechs Heller zu Röderzoll. So frei sollte diese Landschaft sein, daß der Ankommende nicht gefragt werden durfte, wo er herkomme, der Ausziehende nicht, wohin er wolle. Jeder Bürger sollte zwölf Mark Eigentum an liegenden Gründen oder Bürgen dafür haben; alsdann durfte ihn niemand gefänglich einsetzen lassen. Die Schöffen wählten sich selbst; wenn einer mit Tod abgegangen war, Ersatzmänner; den Gewählten mahnte der Schultheiß dem Gericht von beider Herren wegen gehorsam zu sein: wollte er das nicht tun, so nahm der Schultheiß zwei Schöffen zu sich und legte ihm einen Faden vor die Haustür, und sooft er und sein Gesinde durch die Tür gingen, den Faden brachen oder die Siegel schwächten, so oft verwirkten sie die beträchtliche Hegebuße. So setzten die Schöffen auch einen Büttel und einen Gerichtsschreiber ein, und weder der Schultheiß noch sonst jemand sollte damit zu schaffen haben.

Einer der letzten kölnischen Saalschultheiße war Kügelgen, Vater zweier schöner, höchst ähnlicher Zwillingssöhne. Im Kummerhof, dem alten Schuldgefängnis, von einer überaus romantischen Natur umgeben, fühlten sie früh ein bedeutendes Malertalent angeregt, das hernach in der Ferne reiche und weitum bewunderte Blüten trieb. Gerhard endete 1820 bei Dresden durch Mörderhand.

Die Pfalz schütze ihre Rechte an der Grafschaft Stahleck durch drei Burgen: Stahleck über Bacharach, Stahlberg über Steeg und Fürstenberg über Rheindiebach. Von diesen ist Fürstenberg am besten erhalten. Von hier aus wurde König Adolf, als er von der Krönung zu Aachen zurückkehrte und vorbeischiffen wollte, gewaltsam angehalten und zur Entrichtung des Bacharacher Zolls gezwungen. Unweit Fürstenberg, bei der Mündung des veilchenreichen Windensbachs, sieht man auch die Ruinen von Fürstental. Die Pfalzgrafen haben das Klösterlein gleich der Wernerskirche zu Ehren des von den Juden zu Oberwesel gemarterten Knaben Werner gestiftet.

»Ein Kloster«, sagt ein eifriger Protestant, »ist nur in den Ruinen schön.« Von Stahlberg sind noch zwei mächtige Türme übrig, aber Stahleck, jetzt Eigentum der Kronprinzessin von Preußen, ist zu gründlich zerstört, um auf seine Wiederherstellung zu hoffen.

Aus dem Hof des Posthalters, wo noch ein alter Turm von dem Templerhaus übrig ist, führt ein unvergeßlich schöner Weg an der alten, sogenannten Templerkirche vorbei. Bald sind die gotischen Trümmer der zierlichen Wernerskirche erreicht, die Künstlerhand so unzählig oft nachgebildet hat, aus Bewunderung oder Dankbarkeit für die Fernsicht, die sich so gut in die schön profilierten Fenster- und Gewölbebogen einrahmt.

Aber Stahlecks Adlerhöhe ist noch lange nicht erstiegen, und wir suchen zuerst die höchste Stelle, die oberste Befestigungsmauer zu erreichen, an der die nach Rheinböllen führende Straße dicht vorbeiläuft, denn hier ist die Aussicht nach allen Seiten unbegrenzt und schaurig erhaben. Unter uns, im Graus vollster Zerstörung, die mächtige Feste, wo sich der Bund der Welfen und Staufen knüpfte, dessen früher Bruch Deutschlands alte Herrlichkeit nicht minder grauenhaft zerstören sollte. Wir brauchen lange Zeit, um über den Schutt der weitläufigen Nebengebäude hinabzuklettern, bis wir durch den einzigen noch stehenden Bogen endlich in die inneren Burgräume gelangen. Gegen Süden sind noch Wände der Prachtsäle übrig; aber die Bekleidungen der doppelten Bänke in den Fenstervertiefungen sind verschwunden, die Frauen blicken nicht mehr hinab in das Tal, das unten noch so groß und erhaben liegt wie vor sechshundert Jahren. Vor der äußersten Giebelwand bleibt ein freier Gartenplatz, wo dem Leser, der mehr Zeit hat als wir, der reichste Naturgenuß winkt.

siehe Bildunterschrift

Bacharach

Über Bacharachs Namen ist viel gefabelt worden. Auf einem Felsen am Rhein, der nur in trockenen Jahren zum Vorschein kommt, und dann nach dem Sprichwort »Ein kleiner Rhein gibt guten Wein«, das dem Winzer Hoffnungen erregt, die sich auch nicht immer erfüllen, sollen die Römer dem Bacchus geopfert haben. Die diesem sogenannten Elter- oder Altarstein angeblich eingegrabenen Worte oder Zeichen will Oertel 1803 und 1811 noch gesehen haben. Schade, daß er sie nicht abgeschrieben oder doch nachgezeichnet hat. Aber die Rheingrafen ließen ja zur Erweiterung des Wilden Gefährts den Oberbau des Eltersteins abtragen. Bacharachs Schiffer mögen immerhin, wenn der Stein zutage tritt, eine Figur aus Stroh und Lumpen zusammenflicken und als Bacchus an einer Stange befestigt daraufstellen: hier war doch weder eine Ara Ubiorum, wie Oertel träumt, noch eine Ara Bacchi. Auf diese deutet Bacharachs Name so wenig als Steeg auf Scala Bacchi, Diebach (Dietbach) auf Digitus Bacchi, Trarbach auf Thronus Bacchi usw.

Mit Bacharachs altem urkundlichem Namen Bachrecha ist freilich auch nicht viel anzufangen. Der bedeutendste von den Bächen, die bei Bacharach münden, ist der Münzbach, der, aus dem weinreichen Steeger Tal kommend, durch die Stadt läuft. Sein alter Name ist vergessen, den gegenwärtigen empfing er von der pfalzgräflichen Münzstätte, deren Schmelz- und Prägewerke er treiben mußte. Regino gedenkt eines Flüßchens im Trachgau, das er Wochara nennt. Er setzt ihn, vielleicht irrtümlich, nach St. Goar; vielleicht ist dies der vergessene Name des Münzbachs, von dem Bacharach den Namen empfing. Die Fabel von dem Bacchusaltar scheint den Bacharachern geschmeichelt zu haben, weil sie den alten Ruhm ihres Weins zu verbürgen schien. Sie beriefen sich auch gern auf den Spruch:

Zu Hochheim an dem Maine,
Zu Würzburg auf dem Steine,
Zu Bacharach am Rheine,
Da wachsen edle Weine.

Allein schon Pater Bär erkannte, daß hier nicht vom Bacharacher Gewächs die Rede ist, das sich niemals mit Rheingauer Weinen vergleichen durfte. Diese brachte man vor der Erweiterung des Binger Lochs in Kähnen nach Bacharach, wo sie in größere Schiffe verladen und nach Köln versandt wurden, wohin damals der Handelszug der Rheinweine ging; ein Umstand, der vielleicht mit Kölns Lehnsherrlichkeit an den vier Tälern einen noch unerforschten Zusammenhang hatte. So war Bacharach die Niederlage, der Stapelplatz aller edlen Rheinweine, die mit demselben Recht Bacharacher Weine hießen, wie heutzutage alle gascognischen und aquitanischen Weine Bordeauxweine heißen, weil Kaufleute dieser Stadt die ganze Welt damit überschwemmen.

Übrigens wird ein Spaziergang durch das Münzbacher Tal nach Steeg und Breitschied, von da über den Berg in das Manubacher und Diebacher Tal, überzeugen, daß sich die vier Täler höchst günstiger Weinlagen erfreuen, daß auch der Bau sorgfältig und die Erziehungsart den steilen Bergen anpassend ist. Die Güte des Produkts erkannte ich nach einer solch genußreichen Wanderung in Martin Fischels gewölbtem Felsenkeller, wo noch mancher verzauberte Geist auf Erlösung aus eisernen Banden hofft.

Der Name vier Täler muß nicht verführen, vier verschiedene Bergeinschnitte anzunehmen. Steeg liegt oberhalb Bacharach im Münztal, Manubach oberhalb Diebach in dem Tal des unbenannten Bachs, der erst bei Rheindiebach in den Rhein fällt.

Da hier von Wein und Pfalzgrafen die Rede war, so lassen wir ein rheinisches Volkslied folgen, das, von denselben Gegenständen handelnd, die schönste Seite der alten Zeit heraushebt:

Es fuhr ein Fuhrknecht übern Rhein,
Der kehrt' beim jungen Pfalzgraf ein;
Er fuhr ein schönes Faß voll Wein,
Der Pfalzgraf schenkt' ihm selber ein.

Es lebt der Fürst, es lebt der Knecht,
Ein jeder tut das Seine recht.
So trank der Fürst, so trank der Knecht,
Und Wein und Treue waren echt.

 


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