Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Dingeldey als Erzieher

Wir wissen von frühern Vorgängen zur Genüge, daß unsre berühmten Herren Wirtschaftsführer, wenn sie sich einmal auf das Gebiet hochpolitischer Zusammenhänge begeben, einen dilettantischen Mumpitz zusammenschwatzen, dessen sich jeder kleinere Gewerbetreibende schämen würde. Wir brauchen bloß an die Inflation zurückdenken, wo die Herren von der Wirtschaft sich alle als Könige dünkten und von uns kleinem Volk verlangten, ihre oft recht irrigen oder unwesentlichen Anschauungen als Kabinettsorders ehrfurchtsvoll entgegenzunehmen. Zwar fehlt heute der benebelnde Papiersegen, aber die Wirtschaft fühlt sich wieder sehr stark, und ihre Leute haben das große Maul wie Dreiundzwanzig. Herr Doktor Georg Solmssen von der Deutschen Bank und Discontogesellschaft, der jetzt zum Präsidenten des Zentralverbandes des deutschen Bank- und Bankiergewerbes gewählt worden ist, hat sich in seinem Amt mit einer recht blamablen Rede eingeführt. Herr Solmssen hat neben manchem andern von seinem Vater auch den Namen Salomonsohn geerbt. Auf den Namen hat er verzichtet, das andre jedoch behalten. Dieser neu gekürte Führer des Bankiergewerbes hielt seine Rede offensichtlich im Schatten der Weltesche. Herr Solmssen wünscht, den »nationalen Widerstand« zu kräftigen, »der sich innerhalb weiter Volksschichten dagegen bemerkbar macht, die nationalen Bedürfnisse immer wieder mit Rücksicht auf die vermeintlichen internationalen sozialen Zusammenhänge zurücktreten zu lassen«. Der Redner beklagt es, daß die »besten Gefühle nationaler Würde und die positiven Kräfte einer Bewegung entwertet werden, durch die Vermengung mit wirtschaftspolitischen Utopien«. Das hört sich dunkel an, aber es ist nur stilistisch dunkel, inhaltlich bleibt kein Zweifel. Es ist ein populärer Irrtum, die Vorsteher der gigantischen Bankinstitute etwa als Halbgötter zu betrachten, die nur in ganz, ganz großen Zusammenhängen denken. Man kann den Herrschaften nur den Rat geben, die Nase nicht so häufig aus ihren Kassenschaltern herauszustecken und über Dinge zu reden, von denen sie, die nichts andres gelernt haben, als Geld zu zählen, nun einmal nichts verstehen. Es könnte sonst leicht eintreten, daß der intelligentere Teil ihrer Kundschaft sich darüber Gedanken zu machen beginnt, was für Dummköpfen er sein Geld anvertraut hat.

Trotz ihrer unzulänglichen Formulierung darf man aber Herrn Solmssens Ausführungen symptomatische Bedeutung zusprechen. Grade in den Kreisen der großen Wirtschaft zeigen sich neuerdings ernsthafte Bemühungen, den Nationalsozialismus zu zivilisieren und wieder in die Konstruktion großkapitalistischer Planungen einzuspannen, denen er sich seit seinem riesenhaften Anwachsen zeitweise entzogen hat. Den ersten Versuch machte Herr von Stauß, der allerdings in der nationalsozialistischen Presse nur ein schnödes Echo fand. Er feierte Adolf als säkulare Gestalt, aber was die Naziblätter antworteten, das hieß nur: »Und häng ein Kalbfell um die schnöden Glieder!« Trotzdem, sie kommen jetzt doch alle der Reihe nach. In einem hochfeudalen hamburger Klub hat Herr Hitler höchstdieselbst gastiert. Am berliner Abend des Herrenklubs war neulich der Herr Reichspräsident anwesend, als Herr Geßler eine etwas seltsame Rede hielt, in der er postulierte, daß es heute darauf ankäme, etwas zu schaffen, das von unsrer neuen Jugend als das Dritte Reich anerkannt werden könnte. Man sieht, wo auch das Hitlertum selbst nicht ohne weiteres hingenommen wird, da gebraucht man wenigstens seine marktgängigen Formeln. Über die Beschaffenheit des Dritten Reichs scheint demnach bereits eine gewisse Klarheit zu bestehen: man möchte es schon, aber man möchte es doch lieber selber machen; Hitler und seine Leute sollen dabei nur die dienenden Arme sein. War die nationalsozialistische Bewegung in der Zeit bis zum 14. September nur eine primitive und in den Ausdrucksmitteln rohe Opposition, so wird sie heute, wo die den Wirtschaftskapitänen attachierten Politiker so offen von ihrer bestmöglichen Verwendung sprechen, zu einem bewußten Volksbetrug. Herr Gottfried Feder, der Adam Smith der Nazis, hat schon freigebig genug den Sozialismus preisgegeben. Was bleibt, ist nur noch eine nationalistische Terrorgruppe, die zur schärfern Akzentuierung der künftigen Außenpolitik manifestierend auf die Straße geschickt, zu Zwecken der innern Politik nach fascistischen Spielregeln vom Unternehmertum gegen die Arbeiterschaft eingesetzt wird.

Dieser Prozeß wird noch eine Weile dauern, und es wird nicht immer friedlich abgehen, aber daß er mit einem Siege der Wirtschaft, mit einem Siege auch über die nebelhaften sozialen Oppositionsströmungen unsres Fascismus enden wird, darf heute schon als ziemlich gewiß anzusehen sein. Die Diktatur Hitlers verschwimmt in der Ferne, aber die Diktatur Brüning ist da. Ihr und den hinter ihr stehenden großen Wirtschaftskräften kommt es nun darauf an, sich die Scharen der Windjacken helfend anzugliedern. Das hat niemand deutlicher ausgesprochen, als der neue Führer der Deutschen Volkspartei, Herr Doktor Dingeldey, der unter Preisgabe seines Parteiministers Curtius die Bereitschaft seiner Partei erklärte, das letzte Stückchen Liberalismus zu opfern, sich dafür aber die nationalen Kräfte der Hitlerbewegung nutzbar zu machen. Dabei fielen auch einige Unfreundlichkeiten gegen die preußische Regierung ab, deren angebliche Unterdrückungsmethoden nur geeignet seien, diese wertvollen nationalen Kräfte zu verärgern. Wir stehen nicht an, dieses Programm des Herrn Dingeldey sehr ernst zu nehmen, ja, es ist das erste bedeutsame bürgerliche Programm seit dem 14. September. In der Deutschen Volkspartei beginnt man langsam den Chok zu überwinden, man ahnt wohl, daß an eine Wiederherstellung der Partei im alten Umfange nicht mehr zu denken ist, aber das scheint dort auch nicht als großes Unglück empfunden zu werden, weil man ja auch für lange Zeit nicht mehr mit einer Wiederherstellung des Parlamentarismus im alten Sinne rechnet. Der brenzlige Teil der Gesetzgebung wird auf dem Verordnungswege erledigt.

Herr Doktor Dingeldey verlangte in seiner Programmrede ein neues Wahlrecht und auch die Schaffung eines neuen Oberhauses. Wir leben jetzt im politischen Zwielicht, wir leben zwischen Fascismus und Demokratie; der alte Zustand ist wenigstens formal noch nicht beseitigt, der neue Zustand wenigstens auf dem Papier noch nicht da. Bei dieser trüben Beleuchtung verschwimmt auch die wirkliche Größe der Parteien, sie sind im Grunde nur noch Trümmer, aber wenn man nur ihre noch ganz gut erhaltenen Führer belichtet, dann macht sich die Sache noch ganz stattlich. So läßt sich sehr gut einiges durchsetzen, was im hellen Tageslicht nicht möglich wäre, und die nationalsozialistischen Massen, obgleich sie etwas andres wollen, sind doch für Ziele, wenn sie nur genügend reaktionär aussehen und angetan sind, die Sozialdemokraten zu ärgern, leicht ins Gefecht zu bringen. Es ist auch beachtlich, daß ein Intimer des Hauses Hugenberg, der Professor Ludwig Bernhard, sich jetzt mit Emphase gegen den Fascismus und für das parlamentarische System eingesetzt hat. Herr Professor Bernhard findet einen schlechten Parlamentarismus noch immer besser als einen guten Fascismus. Er meint natürlich den Parlamentarismus mit den Nazis. Eine bittere Kur für die wilden Männer, aber es hilft ihnen nichts. Herr Hugenberg war gewiß nicht töricht, als er, die gefährdete Situation seiner Partei erkennend, es vorzog, im Wahlkampf hinter dem Fascismus zu verschwinden. Jetzt kommt der Augenblick, wo er der von ihm selbst heraufbeschworenen Gefahr Einhalt gebieten, wo er den Strom, dessen Schleusen er zerstört hat, wieder regulieren muß. An die Stelle des turbulenten Fascismus unter Führung von Psychopathen und Idioten, der für eine Periode der schrankenlosen Agitation gut war, soll jetzt ein andrer treten, dessen Hebel fest in der Hand der bürgerlichen Rechtsparteien ruhen. Im Grunde ist das Ziel Hugenbergs kein andres als das Dingeldeys. »In der Lücke zwischen Zentrum und Nationalsozialismus«, schreibt die ›Germania‹, »also im Lager der sogenannten bürgerlichen Parteien, scheint alles im Fluß.« Und die ›D.A.Z.‹ fordert auf, »der Sprache absoluter Verneinung ... eine praktisch-politisch verwertbare Form zu geben.«

Es heißt jetzt, sehr wachsam sein. Wir dürfen uns durch manche kritische Stimmen von rechts, die den Nationalsozialisten verbindlich zureden oder ihnen mancherlei Tadel aussprechen, nicht täuschen lassen. Herr Brüning steht sehr fest, er kann es, weil er Herrn von Schleicher und das Militär hinter sich hat. Seine Freunde bemühen sich nunmehr, den Nationalsozialisten gut zuzureden. In dem gehorsamen Einschwenken der Regierung gegen den Remarque-Film, in der Fügsamkeit, die besonders das auf der Rechten so verhaßte Auswärtige Amt des Herrn Curtius wiederholt zeigte, liegt der deutliche Beweis, daß diese Regierung sich nicht lumpen läßt, wenn es darauf ankommt, den Widersachern von heute, den Verbündeten von morgen Gefälligkeiten zu erweisen. Es wird viel davon abhängen, ob entschlossene republikanische Intelligenzen rechtzeitig dies elegante Projekt durchschauen. Eine große Verpflichtung liegt besonders bei den Gewerkschaften, deren Aufgabe es sein muß, die Arbeiterschaft in planmäßige Kämpfe gegen die pauperistische Einengung ihres Lebensstandards zu führen, denn hier in dem sozialen Alltag liegt die politische Wirklichkeit von heute. Der nationalistische Tumult von Goebbels und Konsorten ist nur ein dummes Narkotikum, dazu bestimmt, die Massen einzuschläfern. Es kann nicht verkannt werden, daß die nationalsozialistische Führerschaft tief unter dem Niveau ihrer eignen Erfolge steht und daß sie mit ihren Siegen nichts Richtiges anzufangen weiß. Das wäre also der richtige Augenblick für die spekulativen Köpfe des geschlagenen Bürgertums, jetzt selbst hervorzutreten, um eine Bewegung offen leitend oder wenigstens inspirierend zu übernehmen, mit der ihre eignen Führer nichts Rechtes anzufangen wissen. Selbst Goebbels mahnt tagtäglich zur Legalität – aber wie lange wird das noch durchzuhalten sein? Diese Sieger sind nur im Sportpalast groß, wo sie ohne Akklamation empfangen werden, können sie nichts anfangen. Die allzusehr strapazierte Sturmglocke hat einen Sprung bekommen und sie ist nicht mehr recht zu gebrauchen, aber die kleinen Christglöckchen des gepanschten Bürgertums, die so lange bescheiden geschwiegen haben, werden wieder vernehmbar und bimmeln melodisch ins frohe Fest hinein: Dingel – dey, Dingel – dey ...

Die Weltbühne. 23. Dezember 1930


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