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Es gibt keinen Anlaß zum Jubeln. Keine Diktatur ist gestürzt, keine Demokratie restauriert worden. Denn es war auch vorher keine da. Ein General ist von einem andern abgelöst worden. Der Scheidende ist ein liebenswürdiger älterer Herr mit viel Witz und gesundem bürgerlichem Verstand, während sein Nachfolger bisher noch keine Gelegenheit hatte, so schätzenswerte Eigenschaften zu zeigen. Zwar verheißt General Damaso Berenguer, der neue Herr, Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände aber zugleich eine »Übergangszeit« ... Es ist hoffentlich nicht zu paradox ausgedrückt: aber Primo de Rivera ist durch die Reaktion gestürzt worden. Denn gegen ihn standen nicht nur ein paar radikalistische Studentchen sondern auch die konservativsten Elemente. Um das Weitertreiben liberaler oder gar republikanischer Tendenzen zu verhindern, warf sich die Hofpartei dem General Berenguer in die Arme und ließ Primo fallen. In dem neuen Kabinett sitzt, wie ein Signum des ganzen Kurses, der Herzog von Alba, der größte Latifundienherr Spaniens. Die Generalsdiktatur hat in Spanien eine ehrwürdige Tradition und ist mit keiner der andern europäischen Diktaturen zu vergleichen. Denn in diesem Lande der pittoresken Rückständigkeiten bildet das Militär die einzige festorganisierte Macht. Primo hat viel weniger blutig regiert als seine sozusagen legalen Vorgänger. Er hat den Marokkokrieg liquidiert, er hat Katalonien beruhigt, dieses hochentwickelte Land, das zur altmodischen castilischen Nachbarschaft nicht mehr paßt und von separatistischen Strömungen beherrscht wird. Seine Bemühungen, die verrottete Administration zu säubern und umzubilden, sind gescheitert, weil das überhaupt kein Einzelner kann, sondern weil hinter solchen Reformen der Wirtschaftswille einer Nation stehen muß oder ein emporstrebendes Klassenbewußtsein bei Bürgern und Arbeitern. Beides fehlt, und deshalb mußten auch Primos bescheidene Fascisierungsversuche stecken bleiben. Das Gros der Spanier ist von einer nicht zu überbietenden politischen Uninteressiertheit, wie vor Jahrhunderten herrscht der Klerus in seiner ungemütlichsten Form. Die Bildungsschicht ist ganz dünn, und republikanische Ideen werden nur in kleinen Diskutierklubs gepflegt. Die offiziellen Politiker, Konservative und Liberale, sind nicht mehr als Vertreter von Großgrundbesitz oder Finanz und differieren nur in Äußerlichkeiten. Hinter den ernsthaft revoltierenden Intellektuellen aus den Kreisen von Unamuno und Ibanez steht keine Klasse, nicht einmal ein reales Interesse. So fährt Spanien einer sehr mysteriösen Zukunft entgegen. Bestenfalls entdecken die Berufspolitiker über kurz oder lang, daß es auch ohne den König geht, und dann kommt am Ende eine Republik heraus wie die portugiesische, wo seit zwanzig Jahren jeder kleine Krakehl mit dem Offizierssäbel behandelt wird. Man stelle sich etwa vor, bei dieser letzten preußischen Krise hätte Herr Doktor Becker, anstatt still zu verschwinden, eine Reichswehrdivision für sich zu gewinnen versucht und wäre damit gegen Berlin marschiert, während sein Gegner Heilmann schleunigst irgendwo ein Kavallerie-Detachement aufgegabelt hätte, um ihm zuvorzukommen, so erhält man eine Vorstellung von dem politischen Interieur der iberischen Staaten, begreift aber auch, daß sich unsre gewohnten Begriffe dort nicht anwenden lassen. Womit nicht gesagt sein soll, daß es unterhalb unsrer demokratisch-parlamentarischen Couverture weniger abenteuerlich zugeht als in diesen unter Militärdespotien seufzenden Ländern. Der Diktator Primo war ein jovialerer Gouverneur als der Genosse Z. Er hat zwar mit dem Bajonett regiert, aber es stak ein Sektpfropfen drauf.
Die Weltbühne. 4. Februar 1930