Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Herr Paul Scheffer

Im ›B.T.‹ hat dessen früherer Korrespondent in Rußland, Herr Paul Scheffer, einen Rückblick auf seine moskauer Zeit begonnen, ein in allen Schwefelfarben der Gehässigkeit gehaltenes Bild, das man eine große polemische Leistung nennen könnte, wenn die Motive auf der Höhe der Ausführung stünden. Seit Herr Scheffer nicht mehr nach Rußland zurückdarf, ist er böse. Seitdem sieht er in dem Sowjetstaat nur noch ein zusammenkrachendes Sodom. Darüber wäre kein Wort zu verlieren, wenn er nicht an die deutsche Regierung die Forderung richtete, Konsequenzen zu ziehen, »zu prüfen, wieviel nach dem Sturz der Nep wirklich noch von Rapallo zu halten und zu erhalten ist«. Warum gleich Krieg, nur weil ein Zeitungsmann Ungelegenheiten hatte? Die Bedeutung des Rapallovertrages liegt nicht in politischen und wirtschaftlichen Vorteilen für Deutschland, Hoffnungen dieser Art haben sich nicht verwirklicht. Dieser Vertrag ist heute das letzte Band zwischen Rußland und Europa, zerreißt es, so ist die endgültige Aufstellung zweier feindlicher Heerlager in der Welt Tatsache. Wer heute als Freund oder Gegner des Bolschewismus über russische Dinge schreibt, trägt deshalb eine ungeheure Verantwortung, und sie wird vollends zu einer Riesenlast für einen Publizisten wie Herrn Scheffer, der sich bisher als ausgesprochener Russophile gab. Denn Herr Scheffer hat die Sowjets in Deutschland erst gesellschaftsfähig gemacht, er hat einer objektiven Beurteilung der Männer im Kreml das Wort geredet; es ist nicht zum wenigsten sein Verdienst, daß die albernen Plakate der antibolschewistischen Ligen verschwunden sind. Herr Scheffer ist der stärkste journalistische Exponent der Ära Brockdorff-Rantzau gewesen, die ja schon in einer deutsch-französischen Verständigung ein Attentat auf Rußland erblickte und deshalb Locarno bekämpfte. Herr Scheffer hat sich schließlich vor etwa zweieinhalb Jahren noch um die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Moskau und der Schweiz verdient gemacht und ist dafür vom ›B.T.‹ gebührend gefeiert worden. Das ist viel mehr, als ein Journalist sonst tut, dessen Aufgabe einfach ist, zu beobachten und zu berichten. Heute, wo Herr Scheffer in Rußland abgefallen ist, schreibt er, er wäre dankbar, »daß er nun ungeschmälert die Möglichkeit hat, zu sagen, was ist«. So hätte er das also in der Zeit seiner optimistischen Berichterstattung nicht getan? So hätte er also nur unter Zwang sich als Amateurdiplomat erfolgreich betätigt?

Die Wahrheit ist, daß Herr Scheffer in Moskau lange Zeit eine journalistische Monopolstellung innehatte, die für seine weniger bevorzugten Kollegen manches Demütigende mit sich brachte; er war sozusagen der Kulake unter den fremden Pressevertretern. Seine russische Frau unterhielt einen politischen Salon, der sich zu einer Art zweiter Botschaft entwickelte und schließlich für die auswärtige Presse zu einem Vorhof für das Außenkommissariat wurde. Daraus mußten sich unvermeidlicherweise Reibereien ergeben, die noch dadurch verstärkt wurden, daß sich Herr Scheffer tiefer als nützlich mit russischer Innenpolitik befaßte. Er hat immer nur Selbstinszenierung getrieben, ob er nun Moskau in Hell oder in Dunkel malte. Die Russen waren phantasielos genug, ihm schließlich die Wiedereinreise zu verweigern. Das ist gewiß plump, rechtfertigt aber nicht das hemmungslose Rachegeheul. Schließlich gibt es heute keinen nichtkommunistischen Pressevertreter in Rußland, der in einer dem Regime Stalin gefälligen Weise schriebe. So muß die Sonderbehandlung Herrn Scheffers wohl doch ihre besondern Gründe gehabt haben. Übrigens zeigen Scheffers Exklamationen schon üble Folgen. Die Demokraten zum Beispiel haben eine erregte Anfrage an Herrn Doktor Curtius gerichtet, den Bolschewiken nun endlich die Allianz zwischen Regierung und Komintern zu verbieten, und schon gibt es diplomatische Schritte. Was würde wohl in Rom geschehen, wenn unser Botschafter in der Consulta erschiene, um sich über die zu enge Verbindung zwischen Regierung und Fascistischer Partei zu beschweren? Wahrscheinlich würde ihn Herr Mussolini seinen jungen Löwen zum Spielen vorwerfen lassen. Am beklagenswertesten aber ist, daß das ›B.T.‹, anstatt Herrn Scheffer seine Solorolle abwickeln zu lassen, sich nun in seiner ganzen Rußlandpolitik ihm angepaßt hat. Das ist sehr schade bei einem Blatt, das mindestens für fatale außenpolitische Abenteuer sonst nicht zu haben ist. Wenn das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau heute nicht gut ist, so ist das nicht allein deutsche Schuld. Darüber muß und soll offen verhandelt werden. Aber möglichst ohne Einmischung einer journalistischen Primadonna, die gleich Zustände kriegt, wenn ihr nicht vor jeden Fuß ein Seidenkissen gelegt wird.

Die Weltbühne, 18. März 1930


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