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Skandale und Sensationsprozesse der letzten Jahre haben die politischen Polizeien der Welt wiederholt in eine ihnen sehr unerwünschte Tageshelle gerückt. Man kennt die IA, das Zweite Bureau, den Intelligence Service, die Siguranza, die G.P.U.; aus Memoirenwerken steigt der häßliche Schatten der zaristischen Ochrana auf. Gelegentlich fällt auch der Name des Mannes, der das unerreichte Vorbild einer zentralen politischen Überwachungsbehörde geschaffen hat. Doch haben die Wenigsten nur eine klare Vorstellung von Joseph Fouché, dem Polizeiminister der napoleonischen Ära. Denn Fouche ist mehr gewesen als der begabte Schnüffler, für den er gewöhnlich gehalten wird. Er war ein Politiker von ganz seltenen Qualitäten, ein Machiavellist von schreckerregender Skrupellosigkeit, für seine historische Mission ausgestattet mit der seelischen Veranlagung zu einer ganz großen Bösewichtrolle in der Tragikomödie der Menschheit.
Die Literatur über Fouché ist gering. Sein Spezialist ist der französische Historiker Louis Madelin, auf dessen Forschungen vornehmlich gestützt, jetzt Stefan Zweig eine sehr bemerkenswerte Darstellung Fouchés geschrieben hat (Joseph Fouché, Bildnis eines politischen Menschen. Inselverlag). Es gibt zum gleichen Gegenstand noch eine kleine inhaltreiche Studie von Hans von Hentig, dem ausgezeichneten Kriminologen.
Über Stefan Zweigs Arbeit läßt sich viel Gutes sagen. Der Autor hat hier nicht nur eine Persönlichkeit in den Mittelpunkt gerückt, über die noch keine Bibliothek zusammengeschrieben worden ist, es gelingt ihm auch unter Verzicht auf seine oft allzu blendenden formalen Mittel in klaren festen Linien ein höchst dramatisches Leben inmitten einer ebenso glänzenden wie brutalen Epoche zu zeichnen. Dieses ernste und bescheidene Werk, das nicht mit psychologischen Konstruktionen dort nachzuhelfen versucht, wo das Material nicht ausreicht, hat nichts mit gewissen heute beliebten Biographien zu tun, die nicht mehr sind als schlecht verkappte historische Romane. Es bedeutet eine wirkliche Bereicherung unsrer politisch-historischen Literatur, und, verehrte Herren vom Fach, es ist wieder einmal ein Außenseiter, der euch geschlagen hat.
Stefan Zweig meint einleitend, daß es wohl gegen den Wunsch der Zeit gehe, die heroische Biographien liebt, eine so amoralische Natur wie die Fouchés darzustellen. Aber in der Machtsphäre der Politik, so statuiert er sein Unternehmen, entscheiden selten die überlegenen Gestalten, die Menschen der reinen Ideen, sondern die Geringwertigeren aber Geschickteren: die Hasardeure, die Diplomaten mit flinken Händen und kalten Nerven. Joseph Fouché war eine jener bedeutenden Hintergrundgestalten, deren Anteil an den Geschehnissen den Mitlebenden kaum bekannt wird, während er der Nachwelt völlig verschwimmt. Er war ein Passionierter der Macht, in Intrigen, in Spekulationen, in anonymen Entscheidungen suchte er ihren Genuß; er brauchte nicht ihre Embleme, nicht die Kanonenstiefel der Autorität. Mehr als zwanzig Jahre ging er gesichtlos durch die große Politik, die er oft wesentlich bestimmte, in höflicher Gleichgültigkeit gegen die Unzähligen, die nicht einmal wußten, daß in dieser Hand die Bänder zusammenliefen, an denen sie zappelten. Napoleon hat ihn auf Sankt Helena den einzigen ganz vollendeten Verräter genannt, dem er begegnet sei. Dieses grausame Urteil ist mehr als die Erbitterung eines Gestürzten, die Geschichte bestätigt es. Joseph Fouché war der geborene Verräter, mehr noch: der vollendete Künstler, das Genie des Verrats.
Es lockt, die Etappen dieses Lebens zu skizzieren. Zu Beginn der Revolution ist Joseph Fouché Priesterlehrer in Nantes. Er legt den schwarzen Rock ab, geht in die Politik, wird Freund Robespierres und beinahe dessen Schwager. Kommt als Gemäßigter in den Konvent, was zum Bruch mit dem Freund führt, der bereits Haupt der Montagnards ist. Es ist 1793 nicht leicht, Gemäßigter zu bleiben, der im Konvent zwar schweigt aber sich nicht immer um Ja oder Nein drücken kann, wenn er auch dem tarpejischen Fels nicht so nahe ist wie ein Vergniaud oder Danton. Es kommt doch einmal die Abstimmung über das Schicksal Ludwig Capets. Käseweiß und zitternd gibt der kleine Deputierte von Nantes sein Votum ab: La mort, damit den eignen Gefährten in den Rücken fallend. Dann schwenkt Citoyen Fouché zu den Radikalen ab. Man schickt ihn als Proconsul in die Provinz, wo er sich als hemmungsfreier Expropriateur von Kirchenschätzen ausweist; Wagenladungen von Monstranzen und kostbaren Altargeräten wandern nach Paris. Dann geht er nach Lyon, den Tod Chaliers zu rächen. Die Strafexpedition beginnt er mit einer in ihrer Art einzigen grotesken Blasphemie: er läßt einen Esel durch die Stadt treiben, dem man eine Bischofsmütze aufgesetzt und Bibel und Kruzifix an den Schwanz gebunden hat. Doch das ist nur der humoristische Teil seiner Mission: nachher werden in Monatsfrist etwa sechzehnhundert Menschen füsiliert – die Mitrailladen von Lyon. Nach Paris zurückgekehrt, wird Fouché Präsident des Jakobinerklubs, doch der Argwohn Robespierres vertreibt ihn schnell. Er scheint verloren zu sein, nur der Sturz des Unbestechlichen rettet seinen Hals. Sein Treiben in diesen Tagen ist ungeklärt. Man weiß nicht, ob er der Einpeitscher der Thermidoristen gewesen ist oder bereits seine Freunde an Robespierre verraten hatte.
Unter dem Direktorium hatte der Henker von Lyon geringe Chancen. Erst in den Abendstunden des wankenden Regimes entdeckt ihn Barras wieder und macht ihn zum Polizeiminister. Fouché steht jetzt fest auf der andern Seite der Barrikade. Seine erste Leistung ist die Schließung des Jakobinerklubs, dessen Präsident er einst gewesen war. Den Ministerkollegen fällt er bald auf die Nerven, weil er sie mehr bespitzelt als die Feinde des Staates. Am 18. Brumaire schläft der Herr Polizeiminister ungewöhnlich lange. Bei seinem Erscheinen ist der Putsch Bonapartes geglückt, Fouché tritt ruhig auf den lange vorbereiteten Boden der Tatsachen. In den folgenden zehn Jahren wird er der klassische Polizeiminister Europas. Napoleon verabscheut den Unentbehrlichen, der seine Ohren überall hat, jeden Morgen mit hämischer Gelassenheit die Skandale der erlauchten Brüder und Schwestern des Kaisers rapportiert, sich Josephine durch Gefälligkeiten verpflichtet und damit die Kaiserin selbst zur ersten Agentin seines ungeheuren anonymen Polizeireichs gemacht hat. Der Imperator wittert, daß der Minister mit seinen Feinden korrespondiert, kommt ein solcher Fall heraus, nun, so gehört das eben zum pflichtgemäßen Überwachungsdienst. Die Polizei führt eine eigne und unkontrollierbare Existenz. Die Polizei ist die einzige Garde, die sich nicht ergibt, nicht mal ihrem Herrn, dem Kaiser. Es kommt zu schrecklichen Auftritten: Napoleon möchte die fahle, dürre Häßlichkeit dieses Mannes am liebsten körperlich attackieren; vor den wässerigen, empfindungslosen Augen Fouchés schlägt der corsische Orkan in ohnmächtiges, unartikuliertes Gestammel um. Endlich kommt der große Krach. Entlassung. Doch jetzt leistet sich der Herr Polizeiminister den frechsten Witz seines Lebens: alles ist auf seine Person eingespielt, er braucht nicht erst sekrete Dokumente mitzunehmen, um die Apparatur lahmzulegen. Hilflos sitzt sein Nachfolger am leeren Schreibtisch. Der eigentliche Chef bleibt der Vertriebene.
Einmal tritt er noch bedeutsam hervor, es ist in der tragischen Episode der Hundert Tage. Er steht wieder in des Kaisers Diensten, aber hält auch Verbindung mit den Kabinetten der Alliierten. Nach Waterloo beendet er die Agonie des Bonapartismus mit einem kalten sichergeführten Stoß. Gegen Napoleons Pläne, den Widerstand nochmals aufzunehmen, entfesselt er ein bizarres republikanisches Spectaculum: er holt Carnot und Lafayette aus ihren politischen Mausoleen und läßt sie pathetisch gegen die Despotie deklamieren. Plötzlich ist Paris wieder ganz jakobinisch. Napoleon resigniert. Fouché verhindert das Erscheinen der kaiserlichen Abschiedsproklamation im ›Moniteur‹. Nun ist er Herr der gesamten Exekutive und benutzt die Macht zu seinem letzten und abscheulichsten Streich: – er liefert Paris an die bourbonische Restauration aus. Unter dem Protektorat des Regiciden von Dreiundneunzig zieht Ludwig XVIII. in Paris ein.
Aber dieser Zynismus wurde selbst in dieser wenig heiklen Zeit als überdimensional empfunden. Mit Recht betont Stefan Zweig, daß Fouchés Erfolge großenteils in der kalten Schamlosigkeit lagen, mit der er die Partei wechselte. Er war kein heimlicher Überläufer, er ging am hellen Tage ins andre Lager. Seine öffentliche, unmaskierte Charakterlosigkeit war imposant. Sie war sein stärkster Bluff. Doch der letzte Verrat wollte sich nicht mehr auszahlen. Den Royalisten war der Expräsident des Jakobinerklubs nur ein wertvolles Instrument zur Wiederherstellung der Monarchie gewesen; ein paar Monate später hat man an seiner terroristischen Vergangenheit Ärgernis genommen. Seiner Ämter enthoben und verbannt geht er nach Österreich, wo Metternich ihm den prager Wohnsitz verwehrt, ihn erst nach Linz, dann nach Triest abschiebt. Tatenlos der Langweiligkeit österreichischer Provinznester ausgeliefert, von seiner jungen Frau öffentlich als Cocu lächerlich gemacht und – witzige Arabeske der strafenden Gerechtigkeit! – von Metternichs Polizei schikaniert und ewig unter Glas gehalten, verfällt der Sechzigjährige schnell und findet in seinem Jammer eben vor Torschluß zu den Heiligen zurück, deren Altäre er einst geplündert, deren Verehrung er persifliert hat.
Hans von Hentig hat das Wesen des Systems Fouché in ein paar knappen Strichen gezeichnet. Dieses System war nicht blutdürstig, nicht gewalttätig sondern ganz auf Vorbeugung gestellt. Zu diesem Zweck wurde nicht nur ein Netz von Observation über das Land gebreitet sondern auch die Auslandsspionage und Überwachung royalistischer und republikanischer Emigranten in aller Welt mit einer methodischen Genauigkeit betrieben, wie sie niemals wieder erreicht worden ist. Jeder wird zum Kontrolleur und Denunzianten seines Nächsten: der Concierge beobachtet die Hausbewohner, der Krämer die Kunden, die Dienstmagd die Herrschaft. Die Kneipwirte, die Pfandleiher, die Straßenbettler, alle, die viele Menschen sehen, sind, oft nur unbewußt, Augen und Ohren der Polizei. So kommen die Gewohnheiten und Heimlichkeiten jedes Einzelnen auf die Liste, muckt einer auf, so wird sie präsentiert. Die Politiker, die hohen Beamten können sich nicht mehr rühren; sie spüren die Kette am Fuß, ihre Neigungen und Laster sind registriert, eine selbständige Handlung nur, und der Skandal kommt über sie. Die Polizei ist allgegenwärtig und allwissend, sie ist aber auch nicht ungefällig. Sie bezahlt die Spielschulden von Ministersöhnen, die Kleiderrechnungen von Generalsfrauen, sie unterdrückt großmütig das Bekanntwerden von nächtlichen Abenteuern vornehmer Damen. Sie ist wirklich eine galante Institution, denn sie verlangt nichts als ein paar kleine Informationen, die gern gegeben werden. Die Damen sind glücklich, so billig davonzukommen. Was wissen sie, daß die ausgesagten Bagatellen einmal Mann oder Liebhaber Kopf und Hals kosten können?
Es ist nicht bekannt, daß Fouché dieses gefährliche Wissen jemals finanziell oder erotisch ausgebeutet hätte. Ihm genügte die Macht, das süße Gefühl, von seinem Arbeitszimmer aus, wie der Student bei Lesage, die Stadt ohne Dächer zu sehen und seine Werkzeuge überall dort tätig zu wissen, wo auch nur ein einziges Hirn sich gegen dies Regiment verschworen hatte. Kein Exil, keine Verborgenheit schützte vor seinen Spähern. Es paßt gut zu seiner behutsamen, Brutalitäten gern vermeidenden Art, daß er der Erfinder der Schutzhaft wurde und die Briefkontrolle aufs raffinierteste vervollkommnete. Schließlich schuf er, seiner Zeit weit voraus, eine Pressestelle, wo die besten Publizisten und Versemacher von Paris arbeiteten. Hier wurden Artikel fabriziert, die später in ahnungslose Blätter kamen, hier wurden Pamphlete auf mißliebige Politiker und Militärs geschrieben, Flugblätter mit frechen Karikaturen hergestellt, die dann von den Beamten beschlagnahmt wurden, wenn Paris sie genügend bestaunt hatte. Die französische Polizei trägt noch heute die unverkennbaren Merkmale ihres Schöpfers, das Zweite Bureau ist noch immer eines der exaktest arbeitenden Institute des Genres.
Als Fouché fünf Jahre nach seiner Entmachtung starb, war er schon ganz vergessen, fast eine mythologische Figur. Nur als das Gerücht entstand, daß er Memoiren hinterlassen habe, ging ein kleiner Schauer durch die pariser Gesellschaft. Vielleicht hilft gegen eine solche Erscheinung, die ihrer Zeit die Haut abgezogen und alles Tierische, alle Menschenunwürdigkeiten einer Epoche protokolliert hat, nur das Vergessen. So ist es wohl nur folgerichtig, daß die Erinnerung an Joseph Fouché, den Fanatiker der Lüge, von den Überlebenden so unbarmherzig unterdrückt wurde, als wäre er ein Fanatiker der Wahrheit gewesen. Der Seelenkenner Balzac, dieser wunderbare Mitfühlende aller Besessenen, hat ihn als Erster wieder ans Licht gebracht und ihm in »Une ténébreuse affaire« ein paar Sätze großartigen Gedenkens gewidmet.
Die Weltbühne, 29. Oktober 1929