Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Rotkoller

Durch die meisten europäischen Länder geht zurzeit wieder eine Kommunistenjagd, wie sie seit Jahren nicht erlebt wurde. Die große Presse kolportiert Blutmysterien aus den Souterrains russischer Botschaftsgebäude, die pariser Polizei sucht einen wahrscheinlich vor seinen Gläubigern entwichenen Emigrantengeneral in Berlin, überhaupt sind alle Polizeien der Welt entfesselt, die Spitzel haben große Zeit, und sogar der Heilige Vater erhebt verwünschend die Hände gegen Moskau. Es kann nicht geleugnet werden, daß die Sowjetregierer sich augenblicklich nicht klug verhalten und der Hysterie ihrer Gegner wertvolle Tips in die Hände spielen. Rußland, in der Durchführung seiner neuen Planwirtschaft begriffen, macht schwere Zeiten durch, hat im Innern genug zu tun und ist schon darum weniger angriffslustig als je. Man kann es deshalb als keinen besonders gelungenen Einfall bezeichnen, grade in einer solchen Periode der äußersten Schonungsbedürftigkeit den neuen Kurs nicht durch die formgewandte Diplomatie sondern durch die Sensenmänner der Komintern redend und handelnd vertreten zu lassen. Gewiß lebt der einzige sozialistische Staat der Welt in einer nicht geringen Gefährdung, aber dauernd den imperialistischen Krieg des ganzen kapitalistischen Universums an die Wand zu malen, das ist ein nicht unbedenkliches Spiel, weil es die Köpfe abstumpft, die an sich berechtigte Warnung zur leeren Phrase heruntersetzt und den Blick für akutere Gefahren verschleiert. Es steht auch heute nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, Ost gegen West, inzwischen hat sich der fascistische Mächteblock unter italienischer Führung dazwischengeschoben, dessen Spitze scharf gegen Frankreich gerichtet ist. Daß sich innen- und außenpolitische Inhalte der Staaten nicht immer decken, ist nicht neu, aber nicht oft wird die zwangsläufige Gruppierung so absurd wie in diesem Fall sein, wo Rot und Weiß in eine Reihe treten müssen. Jetzt hat Mussolini auch Österreich gewonnen, ein kleines Land, aber doch die Brücke nach Ungarn. Der fascistische Block rundet sich, und man kann ruhig mit der Uhr in der Hand die Adresse an Deutschland erwarten.

So entspricht die wirkliche Kräftelagerung in der Welt keineswegs dem Bild, das die Sprecher der Mächte davon entwerfen. Europa zittert in ungewisser Bangigkeit, es ist ein dunkles, kaum eingestandenes Gefühl, als stünde etwas ganz Schweres bevor. Unsicher ist alles, sicher nur die ungeheure Überlegenheit Amerikas. Europas Angstzustand entladet sich in nervösen Ausbrüchen. Es fühlt sich verkauft an amerikanische Bankiers, verraten an russische Proleten. Einstweilen hat man sich, weil es ungefährlicher ist, still geeinigt, den Russen die Urheberschaft jener geheimnisvollen Verschwörung zuzuschieben, die an der Krankheit Europas die Schuld tragen soll. Daß der Papst die roten Bilderstürmer verwünscht, ist nicht unverständlich, aber warum die europäischen Demokraten dem Heiligen Vater bei der Verfluchung Gesellschaft leisten müssen, doch nicht recht erfindlich. Haben nicht die Fürsten der Reformation ebenso wie die französischen Jakobiner die Güter der sichtbaren Kirche an sich gerissen und die silbernen Monstranzen, Kelche und Apostelfiguren in harte Taler umgeschmolzen? Haben wir nicht in der Schule gelernt, daß das – soweit es wenigstens die Fürsten taten – Gott wohlgefällig und dem Evangelium dienlich war? Haben nicht noch die Urgroßväter der heutigen Liberalen das schöne Lied gesungen von der letzten Nonne, die am letzten Pfaffendarm hängt? Es ist kein Wunder, daß auch die Russen auf die Verrücktheiten der neuen Bolschewikenhetze jetzt ebenso grotesk reagieren, daß die Komintern ihren Sektionen erhöhte Tätigkeit anbefiehlt und daß im Lande selbst überall Geheimbünde ausgehoben und Konspirationen entdeckt werden, die wahrscheinlich auch nicht viel intelligenter ausgeheckt worden sind als die Magazingeschichte von der Entführung des Generals Kutiepow.

*

Alles das ist schon dagewesen und wird wieder verschwinden. Nur in Deutschland denkt man ernsthaft daran, den Rotkoller zu stabilisieren und in gesatztes Recht zu verwandeln. Der Reichsinnenminister Severing nennt sein Ausnahmegesetz gegen die Kommunistische Partei allzu anspruchsvoll Gesetz zum Schutze der Republik und zur Befriedung des politischen Lebens. Das ist um die höflichste Erklärung zu wählen – eine grobe Selbsttäuschung. Denn dieses Gesetz enthält zum Schutz der Republik (gegen monarchistische Angriffe und Umtriebe doch, Herr Minister ?) nur ein paar Geringfügigkeiten und zur Befriedung des innern Lebens der Republik gar nichts. In seiner falschen Frontstellung, in seiner Einseitigkeit und Ungerechtigkeit aber wuchert es gradezu von Keimen künftiger Empörung, künftigen Aufruhrs. Wenn wir trotz der unsäglichen wirtschaftlichen Depression dieses Winters bisher von größern Unruhen verschont geblieben sind, so wird dies Gesetz zur Bedrohung der politischen Freiheit und zur dauernden Fernhaltung des innern Friedens in trauriger Weise vollenden, was nicht einmal dem Hunger gelang.

Schon das erste Republikschutzgesetz war keine reine Freude. Damals haben unabhängige Publizisten wie Friedrich Wilhelm Förster und Maximilian Harden, die selbst von völkischen Terroristen an Leib und Leben bedroht waren und rechtens zu den schutzbedürftigen Republikanern zählten, sich gegen das Gesetz verwahrt, es als unmoralisch und verfassungswidrig abgelehnt. Aber damals war es noch ganz als Abwehrmaßnahme gegen rechts gedacht. Es entstand ja unter dem niederschmetternden Eindruck des Rathenaumordes, es entsprang dem Bewußtsein eines Notstandes: es war das offenkundige Eingeständnis, daß die Regierung sich auf ihre Organe: Justiz, Militär, Polizei nicht verlassen könne und deshalb gezwungen sei, sich ein neues außerordentliches Instrument zu schaffen. Es war also ein Ausnahmegesetz zur Verteidigung der Republik, und die Republik schien 1922 wirklich nur noch kurz befristet zu sein.

Die Unglückspropheten haben recht behalten. Das Gesetz hat seine Funktionen niemals erfüllt. Die Monarchisten haben seine Schärfe niemals wirklich zu spüren bekommen, leidtragend war allein die äußerste Linke. Auf Grund des berüchtigten § 7 Ziffer 4 erklärte der Staatsgerichtshof die Tendenzen der Kommunistischen Partei für hochverräterisch und eröffnete die Serie der Kommunistenprozesse, die ein so bedeutender Jurist wie der verstorbene Moritz Liepmann in Grund und Boden kritisiert hat. Als das Gesetz im vergangenen Sommer durch einen kleinen Revancheakt der Wirtschaftspartei ganz unerwartet in die Versenkung fiel, atmete man ringsum erleichtert auf. Denn die Judikatur des Staatsgerichtshofs war schon lange zu einer Quelle von Blamagen und Skandalen geworden. Die Ausführung des Gesetzes deckte sich nicht mehr mit seinem Inhalt, und die Gerichte selbst kümmerten sich nicht mehr um die Gründe, die zu seiner Schaffung geführt hatten. Das Gesetz wurde von der linksradikalen Arbeiterschaft als ein Instrument bürgerlichen Klassenkampfes empfunden. Denn so, genau so, wurde es ausgeübt. Es war zur Lüge geworden. Das neue Gesetz bedeutet eine ernste Verschlimmerung, indem es jedem willkürlichen Auslegungsversuch die Möglichkeit gibt, alle verfassungsmäßigen Barrieren zu überspringen. Gefallen ist der sogenannte Kaiserparagraph – Wilhelm II. kann also ruhig nach Deutschland zurückkommen – es fehlt jede Handhabe, gegen einen der frühern Fürsten vorzugehen, der sich zum Mittelpunkt monarchistischer Umtriebe macht, es fehlt in diesem seltsamsten aller zum Schutze einer republikanischen Staatsform bestimmten Gesetze jede Bestimmung, die monarchistische Tendenzen und Propaganda und aggressiv zur Schau gestellte monarchistische Traditionen trifft und verhindert. Günstigstenfalls wird einmal ein erkennender Richter, der, sagen wir, das ›Berliner Tageblatt‹ liest, auf Grund des Gesetzes auch ein paar nationalsozialistische Krawallbrüder einbuchten. Da aber die Mehrzahl unsrer Richter etwas weiter rechts hält, ein nicht zu ignorierender Teil davon, wie viele Provinzprozesse bewiesen haben, die Nationalsozialisten als eine auf dem Boden unerschütterlicher Legalität wandelnde Partei betrachtet, so wird nicht mal das häufig eintreten. In der Praxis wird jede einzelne Ziffer zu einer hartkantigen Waffe gegen kämpfende Arbeiterparteien werden, die nicht nur in die Politik sondern auch in den gewerkschaftlichen Alltag hineinschlagen wird, indem jeder Arbeiter daraufhin abgeurteilt werden kann, der bei irgend einer Lohnbewegung ein etwas zu populär gehaltenes Flugblatt verteilt. Das ist eben das Hinterhältige an diesem Gesetzentwurf, daß er abwechselnd mit den Begriffen »republikfeindlich« und »staatsfeindlich« operiert. Der Sozialist und Kommunist ist weder republik- noch staatsfeindlich, er tritt nur für eine andre Güterverteilung innerhalb des republikanischen Staates ein, und das ist ganz gewiß nicht verboten – ob diese Forderung nun ein Einzelner erhebt oder ob sie eine Klasse zu ihrem vornehmsten Programmsatz erklärt. Soll aber der Emanzipationskampf der Besitzlosen allein für strafwürdig gelten, so führt das Gesetz einen falschen Namen. Dann hat es nichts mit Republikschutz zu tun und müßte von Rechts wegen »Gesetz zum Schutz des Geldsacks« heißen.

Wie Bismarck zur moralischen Infamierung seiner Gegner die Bezeichnung »Reichsfeind« prägte, worunter er schließlich alle verstand, die nicht seiner Meinung waren, so wird dies Gesetz unsre ohnehin enge und untolerante politische Existenz noch um den »Staatsfeind« bereichern. Und das soll der Befriedung dienen? Die Pestilenz ist das, Herr Minister, das alles vergiftende Stichwort, mit dem jeder lächerliche Denunziant jeden karrierefreudigen Staatsanwalt in Funktion setzen kann! Man möchte Ihnen, Herr Minister, einen Augenblick der Besinnung wünschen, wo Sie fern von den Einflüsterungen reaktionärer Bureaukraten, ganz nüchtern erwägen, daß auch Ihre Herrschaft und die Ihrer Partei zeitlich begrenzt ist und daß jede kommende deutschnationale Regierung dieses Ausnahmegesetz gegen Sie und Ihre Freunde mit gleichem Fug anwenden kann, wie Sie es gegen Ihre linksradikalen Gegner anzuwenden bereit sind. Wer die Hetzgeister dieses Gesetzes auf Deutschland losläßt, der muß entweder seine Macht und die seiner Freunde für ewig halten, oder er läßt sich von dem zynischen Nihilismus leiten, daß morgen die Sintflut kommt und dann doch alles aus ist. Für dies ärmlich maskierte Kommunistengesetz gilt das Gleiche, was Wilhelm Liebknecht vor mehr als einem halben Jahrhundert den Machern des durch seine brutale Offenheit von dieser ängstlichen Kopie vorteilhaft unterschiedenen Sozialistengesetzes zurief: »Das Gesetz gegen die Sozialdemokratie ächtet die Freiheit, durchbricht alle Verfassungsrechte. Die Verantwortlichkeit dafür falle auf diejenigen, welche es bringen! Der Tag wird kommen, wo das deutsche Volk Rechenschaft fordern wird für dieses Attentat an seiner Wohlfahrt, an seiner Freiheit, an seiner Ehre!«

Die Weltbühne. 18. Februar 1930


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