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Wenn Herr Geheimrat Hugenberg zurzeit auch als Politiker einige Unannehmlichkeiten einstecken muß, so hat er doch als Ufabeherrscher einen vollen Sieg errungen. Der »Blaue Engel« ist nicht nur ein Geschäft sondern auch ein christlich-germanischer Triumph über den Dichter Heinrich Mann. Das hat Herr Hussong, kurz vor der Premiere, mit unhöflicher Deutlichkeit ausgesprochen. Herr Hussong hat recht: es ist ein Film gegen Heinrich Mann. Der »Blaue Engel« hat mit Heinrich Manns »Professor Unrat« so wenig zu tun wie der amerikanische Sintflut-Film mit der richtigen Sintflut.
Nicht ohne Bedauern nimmt man dies triste Ergebnis zur Kenntnis. Man kannte wohl die natürlichen geistigen Grenzen des hugenbergischen Filmreichs, aber trotzdem wagte man an diesen ersten Ufaton ohne Tauberschmelz ein paar Hoffnungen zu knüpfen. Die ersten deutschen Tonfilme hatten nur den Reiz technischer Sensation. Doch hier war mehr gewollt worden. Hier war ein großer Stoff, ein bedeutender Regisseur, einer unsrer vorzüglichsten Darsteller. Hier war ein künstlerischer Ehrgeiz am Werk, etwas zu schaffen, das für lange Zeit die Generallinie des jungen deutschen Tonfilms bezeichnen sollte. Das Resultat ist ein larmoyantes, unintelligentes Spießerstück.
Als Bearbeiter zeichnen die Herren Vollmöller und Zuckmayer. Wahrscheinlich werden sie uns erzählen, daß ohne sie alles noch viel schlimmer gekommen wäre. Es wäre besser gewesen, sie hätten die vandalische Verballhornung des geistvollsten deutschen Romans den dramaturgischen Hausgeistern der Ufa überlassen. Es hätte nicht ärger werden können. Man muß eben nicht überall dabei sein wollen, meine Herren, man muß auch einmal einen Auftrag zerfetzt retournieren können.
Den Verfilmern hätte es zunächst darauf ankommen müssen, die geistige Essenz des Romans zu retten. Spuren solcher Bemühungen sind nicht mehr erkennbar. Der »Unrat« ist kein realistischer Roman, obwohl er seine Motive aus bürgerlichem Milieu holte und ein alter lübeckischer Schuldespot einige Züge hergeben mußte. Ebenso wenig ist dieser Professor Unrat selbst ein Mensch von Fleisch und Blut, sondern eine bewußte intellektuelle Konstruktion, ein Demonstrationsobjekt, an dem alle Krankheiten des Schulbetriebs aufgezeigt werden. Dieser »Professor Unrat« ist voltairisch, nicht nur in seinem spitzen, boshaften Geist, nicht nur in der verwegenen sprachlichen Stilisierung, sondern auch in der Entschlossenheit, das Geschehen auf eine Ebene zu treiben, die jenseits aller Realität liegt. Deshalb ist ihm niemals ein breiter Massenerfolg beschieden gewesen. Früher war er als ketzerisch, als zersetzend verschrien, heute wünscht das Publikum die platte Handgreiflichkeit. Der geistige Spaß hat in Deutschland niemals eine Heimat gehabt.
Bei der Ufa ist aus der funkelnden Satire die sentimentale Katastrophe einer gutbürgerlichen Existenz geworden, aus dem gespenstischen Scholarchen eine verwässerte Volksausgabe von »Traumulus«. Nichts ist geblieben von der stickigen Luft des alten humanistischen Gymnasiums, nichts von dem Haß, nichts von der Bangigkeit, nichts von der muffigen Pubertätslüsternheit der Schülerschaft. Nirgendwo ein dem Tonfilm gemäßes Motiv, nirgendwo ein szenischer Einfall, nirgendwo auch nur ein Bodensatz photographischen Esprits. Dafür wird uns aber Unrat »menschlich näher gebracht«, der sich nunmehr, traun fürwahr, als ein wunderlicher älterer Herr in Glanz und Elend vorstellt. Er ist also nicht mehr der pädagogische Torquemada, wie aus dem Schulstaub von Jahrhunderten geformt, sondern ein durchaus mitleidwürdiger, lebensfremder Biedermann, der einer späten Passion verfällt und vom Kleinstadtklatsch und von dem halb unbewußten Dummenjungensadismus seiner Primaner zu Tode gehetzt wird. Traumulus. Wenn das Glockenspiel »Üb immer Treu und Redlichkeit« klappert, dann regt sich in dem strauchelnden Helden der gute Genius. So kompliziert sind die Mittel der Charakterisierung. Aber vielleicht ist das auch der eigne satirische Beitrag von Vollmöller und Zuckmayer. Die Herren hätten sich diese nützliche Melodie während der Arbeit vorspielen lassen sollen. Das hätte sie an ihre Verpflichtung gegen das Werk Heinrich Manns erinnert.
In dieser kümmerlichen Welt wandelt Emil Jannings wie ein Centaur, den man in eine Zweizimmerwohnung gesperrt hat und der mit jedem Schritt das Mobilar bedroht. Welch ein absurder Einfall, das breiteste Temperament, den ausladendsten, den niederländischesten aller unsrer Filmkünstler ein hektisches Knochengerüst spielen zu lassen. Für die geringe Spannweite des ganzen Plans hätten Chargenspieler wie Falckenstein oder Picha, Spezialisten für Eckigkeit und Verkniffenheit, auch genügt. Das Ereignis bleibt nur Marlene Dietrich. Weiß Gott, ob dieser Frau ein zweites Mal so etwas gelingen wird, aber dies hier macht ihr in den Filmateliers einiger Kontinente niemand nach. Dieses herrlich lascive Gesicht, diese hagere stelzende Gestalt mit den schäbigen Seidenhöschen und den unwahrscheinlichen schwarzen Gummistrumpfbändern gehört zu den wenigen wirklich großen Filmeindrücken seit Jahren.
Hier und nur hier ist jener Witz der Linie, der die Verfilmung eines so unmateriellen Romans rechtfertigt. Die Dietrich allein verteidigt den Geist Heinrich Manns in diesem Film gegen Heinrich Mann.
Die Weltbühne, 29. April 1930