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Der Pabst lebte herrlich in Österreich, zuerst incognito in Tirol, später im vollen Glanze seines Heldennamens abwechselnd in Innsbruck und Wien – ein Wallenstein des innern Krieges. Dennoch hätte er auch auf der Höhe der Macht nicht den verhängnisvollen Abschluß der Karriere seines großen Vorgängers vergessen sollen. Als im Weltkrieg der General Auffenberg unter dem Verdacht des Hochverrats verhaftet wurde, weil er einen Sieg über die Russen errungen hatte, sagte er zu seinem entsetzten Stabe: »Beruhigen Sie sich, meine Herren, meinem Kollegen Wallenstein ist es noch viel schlimmer ergangen.« Dieser heitere Einblick in die Tücke der österreichischen Staatsseele fehlte dem evangelischen Preußen Waldemar Pabst, deshalb mußte ihn seine jähe Abschiebung wie ein Donnerschlag treffen; diese Abschiebung, die aus Ernst und Komödie so seltsam gemischt ist.
Zwei Kräftegruppen sind es, die bis heute erbittert um die Herrschaft über die Heimwehr gerungen haben. Die Christlich-Sozialen, denen dabei nur der Gedanke einer Parteitruppe vorschwebt, einer Bürger- und Bauern-Miliz, vom Klerus für den Klassenkampf gegen die Roten einexerziert. Ein bescheidenes kleinbürgerliches und kleinstaatliches Ideal, dessen Verwirklichung Österreich aus den Händeln der Welt zieht: innigster Wunsch eines arm gewordenen Landes, dem das Schicksal alle verwegenen Träume schrecklich ausgeklopft hat. Und eine zweite kleinere Partei, die, von den reichsdeutschen Wehrverbänden und Nationalsozialisten angesteckt, die große Politik pflegt, und in Österreich nicht viel mehr sieht als den Saumpfad über die Berge zwischen Italien und Ungarn. Es sind in der Mehrzahl, wie Major Pabst, deutsche Flüchtlinge, die von Neunzehn bis Dreiundzwanzig Konterrevolution gespielt haben, überall dabei gewesen sind und jetzt, bald Mussolini, bald Horthy verdingt, ein wurzelloses Condottierendasein führen. Denn der Pabst ist nicht allein gekommen sondern hat auch seine Vettern mitgebracht. Über ganz Österreich verteilt, wirtschaften Matadore aus dem Baltikum, aus Döberitz und dem Sennelager. Überall stoßen wir in der Heimwehrbewegung auf frühere deutsche Offiziere, die mit der Ära der Putsche und politischen Morde engstens verknüpft sind. Sie haben ihre Pöstchen gefunden, sie organisieren wieder Bürgerkrieg. Über die Alpine Montan fließt aus der Ruhrindustrie der nötige Zaster in die Kriegskasse. Die soziale Frage ist für die nächste Zeit gelöst. Man hat Geld, man kann sich mit dem Hahnenschwanz am Hut aufspielen, und man hat endlich wieder einen Feind. Der Pabst lebte herrlich in Österreich, und die freigebige deutsche Republik führte an den flüchtigen Hochverräter pünktlich jeden Monat seine Pension als Peterspfennig ab.
Ganz reibungslos ging es zwischen den Exilierten nicht immer her. Die alten Gegensätze unter den Führern, die schon früher das Gelingen größerer Aktionen unmöglich gemacht hatten, lebten auf fremdem Boden und unter ganz veränderten Verhältnissen gespenstisch weiter. Diese Rivalitäten sollen der österreichischen Regierung das schnelle Vorgehen gegen Pabst sehr erleichtert haben.
Der und seine Landstörzer haben den Heimwehren Gestalt gegeben. Sie haben sie nicht nur gedrillt sondern ihnen auch ihren bösen, rachsüchtigen Geist eingeflößt. Ohne diese Fremden wären die Heimwehren wahrscheinlich nur ein Bündel disziplinloser, von Cantönli-Interessen hin- und hergezerrter Kriegervereine geblieben, die für die gut organisierte Arbeiterschaft der roten Hauptstadt wenig Gefahr bedeutet hätten. Der tiroler Landeshauptmann Stumpf hatte schon einen vorzüglichen Griff gemacht, als er vor zehn Jahren den geflohenen Kappisten beherbergte und seinen ländlichen Knüppelgarden als Instruktor vorsetzte. Aber seitdem ist der Instruktor zum Generalstabschef geworden, der den großsprecherischen, aber ganz und gar initiativelosen Führer Steidle an seinen Drähten hielt und schließlich nur noch als Agent der italienischen Politik arbeitete.
In manchen Stücken erinnert die Art, wie Pabst abgeschafft wurde, an den berühmten Handstreich Kahrs gegen Hitler und Ludendorff. Gestern noch Verbrüderung und heute Verhaftsbefehle und Kartätschen. Es mag eine gewisse Beruhigung gewähren, daß die Regierung Schober-Schumy-Vaugoin dem Rechtsradikalismus nicht das Feld überlassen will, aber zugleich beweist die Überrumpelung des Generalstabschef der Konterrevolution doch, wie sicher diese schon in den Staatskörper eingebaut ist – so sicher, daß der Arrangeur entbehrt werden kann. Solange Wallenstein im Namen seines Kaisers Länder verwüstete und Ketzer ausrottete, war er der allmächtige Favorit. Doch als er mit eigner Zielsetzung zu arbeiten begann, mußte er gefällt werden. Jetzt wissen alle um Pabstens Anrüchigkeit und seufzen erleichtert auf. Keiner der guten Katholiken hat in langen Jahren Anstoß genommen, daß dieser Mann immer dringend verdächtig gewesen war, den Meuchelmord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg inszeniert zu haben, daß er selbst mit der Ermordung Erzbergers und Rathenaus in Verbindung gebracht worden war, daß seine Hände rot von Bruderblut waren.
Es schien ein Bürgerkrieg werden zu wollen und hat doch mit einer simplen Polizeiaktion geendet. Erstaunlich ist die Ruhe, mit der in Österreich die gewaltsame Entfernung des Condottiere hingenommen worden ist, erstaunlicher noch, daß selbst der gewaltige Steidle nur einen herzlich matten Angriff geführt hat. Dämmert es in den harten Schädeln der Provinzialen, daß dieser Mann sie zu einem gefährlichen Spiel hatte verleiten wollen? Ihnen genügte ja eine Waffe, deren bloßes Vorhandensein schon die Sozialisten in Schach hielt und die Überlegenheit der Bourgeoisie sicherstellte – aber vor der blutigen Anwendung hatten sie doch Angst. Oder hat es die Schoberregierung den Kapitänen der Hahnenschwänzler mühsam eingepaukt, daß dieser Eine – wenigstens vorübergehend – fortmüsse, weil sonst die Mächte auf Österreich böse sein und ihm keinen Kredit mehr geben würden –? Schober hat im Nationalrat mit schöner Offenheit ausgeplaudert, daß ein der Rechtsdiktatur anheimgefallenes Österreich mit einer Intervention zu rechnen habe und daß diese Drohung allein ihn zwinge, für eine halbwegs liberale Fassade zu sorgen. Dieser bittern Tatsache mußte ein Opfer gebracht werden. Da aber auch Herr Schober gar nicht daran denkt, den Heimwehren ernsthaft an den Kragen zu gehen, so wurde wenigstens ihr allzu sichtbarer und draußen Ärgernis erregender preußischer Helmbusch in die Ecke geworfen. Der Pabst flog ab, ohne daß sich ein Arm für ihn erhoben hätte. Er ist der einzige Geprellte bei diesem schwierigen Intrigenstück, denn der Gewinn seiner Arbeit fällt nicht ihm und seiner Sache sondern den Hofräten und der Klerisei zu. Der Mann, der eben noch Österreichs heimlicher Herrscher war, kann heute in Italien als Supernumerar des Fascismus neu anfangen. Der Mörder Matteottis hat für solche Leute Verwendung.
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Welches auch immer die Motive der österreichischen Regierung gewesen sein mögen, den Pabst an die Luft zu setzen, die Tat selbst hat gezeigt, wie auch ein nicht sehr starkes Regiment sich in Respekt zu setzen vermag, wenn es nur seine Autorität zu gebrauchen wagt. Das macht den Fall beispielhaft. Warum hat eigentlich noch keine deutsche Regierung daran gedacht, Herrn Adolf Hitler aus Braunau (Tschechoslowakei) endlich des Landes zu verweisen? Herr Hitler ist ja nicht Österreicher, das Anschlußsentiment kommt also nicht in Frage. Wie hart können die Behörden nicht sonst gegen Ausländer sein, wenn es sich um kleine Paßvergehen oder um bescheidene politische Betätigung handelt. Nur der große Adolf darf seit zehn Jahren unbehindert Aufruhr und Hochverrat predigen und praktisch ausüben und die Losungen ausgeben für die Bluttaten, die sich tagtäglich auf der Straße und in Versammlungen wiederholen. Der Russe Eugen Léviné ist kurzerhand vor die Gewehre gestellt worden, und wäre Max Hölz auch nur ein paar Schritte jenseits einer Grenze beheimatet, die Zugehörigkeit zum deutschen Sprachstamm hätte ihn nicht vor einer rauhen Austreibung geschützt. Hitler selbst versucht ja seit Jahren mit den verschiedensten Mitteln seine Einbürgerung durchzusetzen, es ist ihm immer wieder mißlungen, und selbst sein Freund Frick hat es nicht schaffen können. Die Regierungen drücken sich davor, Herrn Hitler zum deutschen Staatsbürger zu machen, was ihn erst zur politischen Betätigung qualifizieren würde. Eine wenig tapfere Halbheit. Man wagt ihn weder auf Schub zu bringen noch als Mitbürger anzuerkennen; man läßt den Landfremden ungestört herumtoben und für sich und seine Komitatschis Ansprüche auf Alleinherrschaft proklamieren. Das Gesetz ist nur gegen Schwache schrecklich. Hat Einer seine Prügelgarden hinter sich und eine große nationale Schnauze, so ist er gegen das gemeine Schicksal gefeit. Übrigens würde es gar nicht so schlimm werden. Auch der Hinauswurf Pabstens kostet Schober nicht den Kopf.
Die Weltbühne, 24. Juni 1930