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Harold Nicolson: Miss Plimsoll und andere Leute.
Deutsch von Paul Cohen-Portheim.
Verlag der Frankfurter Societätsdruckerei.
Der Verfasser, ein englischer Diplomat, stammt aus einer Diplomatenfamilie und ist von klein auf weit in der Welt herumgekommen. Er hat Menschen und Zustände kennen gelernt und ist darüber zum Humoristen geworden. Die in diesem Buch gesammelten Stücke sind nicht straff genug komponiert, um als Erzählungen gelten zu können, und wieder zu sehr distanziert, um einfach als Erinnerung an wunderliche Begegnungen genommen zu werden. Doch diese Ungewißheit wird zum Vorzug: sie erhöht den Reiz. An jener schwer erkennbaren Grenze, wo der Bericht in die Fabel übergeht, wo die Tatsache unmerklich zur anekdotischen Arabeske wird, hat sich der Schriftsteller Nicolson niedergelassen. Der richtige Platz für einen Diplomaten. Manches ist etwas dünn, manches nur aus den Vertracktheiten des englischen Lebens zu erklären. Aber dann gelingt wieder eine Geschichte wie die von Arketall, Lord Curzons betrunkenem Diener, der mitten im offiziellen Pomp der Lausanner Konferenz ein Debakel nach dem andern anrichtet. Das ist ein großrangiges Humoristikum. Man muß dem Übersetzer für die Vermittlung dieser vorzüglichen literarischen Bekanntschaft Dank sagen.
Michael Smilg-Benario: Von Kerenski zu Lenin.
Amalthea-Verlag, Zürich-Leipzig-Wien.
Smilg-Benario war Zeuge des russischen Zusammenbruches und der zweiten Revolution. Er hat diese erschütternden Epochen mit kritischen Augen erlebt und um den Sinn der Dinge gerungen. In fleißiger publizistischer Arbeit, von der im Laufe der Jahre manche Probe in der ›Weltbühne‹ gestanden hat, ist er zum Historiker gereift. Davon legte schon sein vor zwei Jahren erschienenes Buch »Der Zusammenbruch der Zarenmonarchie« ein gutes Zeugnis ab. Sein neues Buch »Von Kerenski zu Lenin« ist eine geschlossene Darstellung der kurzen demokratisch-sozialistischen Ära in Rußland von Frühjahr bis Herbst 1917 und des bolschewistischen Sieges. Ein sehr nützliches Unternehmen, denn in liberalen und sozialdemokratischen Kreisen gelten bei uns Miljukow und Kerenski noch immer als kreuzbrave Demokraten, die unverschuldet einem zu harten Schicksal erlegen sind. Daß dies Schicksal ein verdientes war, beweist Smilg-Benario in einer mit härtestem authentischen Material gepanzerten Darstellung. Auf den Trümmern eines Staates, auf dem gebrochenen Rücken eines todwunden Volkes errichteten die russischen Demokraten und Sozialisten einen illusionären Imperialismus, der nach dem Bosporus zielte. Dieses Bemühen mußte zerbrechen und mit ihm die Parteien, die es deckten oder nicht den Mut hatten, die Wahrheit zu sagen. Nicht die Bolschewiken haben Rußland ruiniert, sondern der Krieg und der Wahn Kerenskis, ihn fortzusetzen, statt zu liquidieren. In diesem Zusammenhang erscheint Lenins Tat nicht mehr als historische Improvisation, sondern als Vollstreckung unausweichlicher Tatsachen. Smilg-Benarios Arbeit könnte viele Irrtümer beseitigen, viele Köpfe klären. Er hat den Mut zur Wahrheit.
Die Weltbühne, 9. April 1929