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Herrn Groeners Empfehlungsschrift für Kreuzerbau, die für die Manualakten der Kabinettsminister bestimmt gewesen war, ist plötzlich in einer angesehenen englischen Zeitschrift aufgetaucht. Nachdem die deutsche Presse das erste lähmende Entsetzen überwunden und zu schreien begonnen hatte, wurde ihr vom Auswärtigen Amt Schweigen geboten. Ruhe trat sofort ein, und die Nachricht von einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt dürfte wohl der Epilog der Affäre sein. Mit dem Hinweis auf das schwebende Verfahren sollen lästige Fragen verhindert werden. Außerhalb Deutschland wird allerdings weiter gefragt werden.
Herrn Groeners öffentliche Begründung für seinen Kreuzer ließ es schon an Schlichtheit nicht fehlen. Was er indessen an Argumentation für seine Ministerkollegen aufgewendet hat, ist von einer Dürftigkeit, die sogar einem Kriegsminister kaum nachzusehen ist. Einige der sozialistischen Herren sollen die Denkschrift mit spitzen Marginalien geziert haben. Sie hätten eine herbere Form wählen sollen, um Herrn Groener ihre Meinung zu sagen. Das schließliche Kompromiß wird nach Kenntnis dieser internen Vorgänge nur noch unverzeihlicher.
Einen gewissen, wenn auch nicht bessern Sinn erhält Herrn Groeners fachministerielle Leistung allerdings, wenn in Betracht gezogen wird, daß er nicht nur den einen Kreuzer A, sondern das ganze maritime Alphabet vertritt, das gesamte Flottenprogramm, wie es gebacken ist. Daß sich mit dem einen Kreuzer nicht die ganze Ostsee verteidigen läßt, daß dieser einexemplarige heroische Kahn nicht zugleich die Seetransporte decken und die Küstenverteidigung unterstützen kann, das weiß auch Herr Groener. Denn dieser Panzerkreuzer ist ihm nur ein bescheidener Vorschuß auf die Seligkeit. Zwar teilt er lang und breit seine Befürchtungen wegen eines polnischen Handstreichs auf Ostpreußen mit, aber seine leitende Idee ist die Überlegenheit der deutschen Flotte im Baltischen Meer. Er spricht offen aus, daß nach Ersetzung der abgenutzten Linienschiffe durch die neuen Kreuzer die deutschen Ostseestreitkräfte die baltische Küste beherrschen und selbst die heutige russische Flotte neutralisieren könnten. In ähnlicher Rundheit ist das von deutschen Reichsministern bisher noch niemals gesagt worden. Hier dreht es sich nicht mehr um die bei allen Parteien gleich beliebte Verteidigung unsrer Grenzen, nicht mehr um die Ausnutzung der kargen Wehrmöglichkeiten, die uns der Friedensvertrag belassen hat, sondern wieder einmal um Überlegenheit, um Herrschaft.
Die nationalistischen Blätter fordern stürmisch, den Verräter, der diese kleinen Intimitäten nach London verschleppt, an den höchsten deutschen Eichbaum zu hängen. Einige davon sind gleich so frei, ein paar pazifistische Politiker zu verdächtigen. Vorsicht, meine Herrschaften. Was pazifistische und antimilitaristische Politiker bisher gegen den deutschen Militarismus veröffentlichten, was über seine schwarzen und weißen Unternehmungen, über die Feme, über die Giftgasliaison der Reichswehr mit dem roten Teufel zu Moskau enthüllt worden ist, das geschah nicht heimlich und durch zweifelhafte Agenten, sondern in Deutschland selbst unter voller politischer und juristischer Verantwortung der Publizierenden. Alle Aktionen dieser Art waren luftreinigend gedacht und haben in der Folge auch so gewirkt. Dieser Streich trägt sichtbarlich eine andre Faktur. Wenn man die unbegrenzte Englandgläubigkeit unsrer Allernationalsten kennt, dann braucht man nicht lange nach den Lieferanten zu suchen. Sie sitzen rechts. Der Irrwahn, der einst zum Ruhrkrieg ermuntert hat, ist noch immer rege. Welch eine einzigartige Gelegenheit für einen von den weltpolitischen Skatbrüdern, die ständig zwischen Bendler-Straße und Wilhelm-Straße jonglieren, hohen englischen Stellen einmal schwarz auf weiß zu zeigen, was wir von Polen zu leiden haben. Offiziell hat Britannia bisher nichts unternommen, um die Verrücktheiten dieser Laiendiplomatie zu stärken. Inoffiziell –? Der etwas darüber sagen könnte, der Memoirenschreiber d'Abernon, verbreitet sich lieber über die alten Germanen als über die neuen.
Wie dem auch sein mag, jedenfalls hat der hoffnungsvolle Tor Herrn Groeners Memorandum dem falschen Engländer zugesteckt. Herr Wickham Steed, früher Chefredakteur der ›Times‹, ist ein gemäßigter Konservativer, ein ausgezeichneter Kenner Zentraleuropas. Er gilt hier nicht als »prodeutsch«, das ist richtig, denn er lügt den Deutschen nicht die Hucke voll und sagt ihnen nicht unbedingt, was sie hören wollen. Wickham Steed ist ein gelegentlich scharfer, doch selten ungerechter Kritiker Deutschlands, seine Sympathien indessen gehören den jungen slavischen Nationen, wie man sehr leicht aus seinen Beiträgen für die ›Prager Presse‹ ersehen kann. Seine Publikation der Groenerschen Denkschrift ist kein privates Vergnügen, sondern liegt im System der jetzigen englischen Politik. Nach der Bedeutung braucht nicht lange geforscht zu werden. Sie soll die polenfeindliche Haltung der deutschen Politik kompromittieren und die kriegsministerlichen Ängste bezüglich eines polnischen Überfalls als Phantasterei lächerlich machen. England ist heute in Polen engagierter als jemals; der Konflikt mit Rußland bedingt das. Deutschland wird zur Ordnung gerufen und – in die gemeinsame Front. Werden die Nationalisten endlich begreifen, daß sie von England nichts zu erwarten haben, wenn es sich um Polen handelt?
Als vor ein paar Monaten der Kampf um den Panzerkreuzer tobte, ist wieder und wieder von Links betont worden, daß die kleine deutsche Flotte eine nutzlose, kostenreiche Spielerei sei. Heute muß diese Meinung revidiert werden. Die Erfüllung des maritimen Bauprogramms zieht uns automatisch in die gefährlichsten Händel der Welt. Die Flotte ist nicht ein Luxus, sondern gemeingefährlich. Diese Erkenntnis verdanken wir dem Denkschreiber Wilhelm Groener.
Die Weltbühne, 22. Januar 1929