Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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»Immer treu«

Wenn man Herrn Edgar Wallace und andern ingeniösen Köpfen ein Motiv nicht abnimmt, so ist es das der Verbrecherschlacht im Herzen der großen Stadt. Mag der geheimnisvolle indische Professor mitten im Teesalon seinen Gegner durch einen sonst nicht bemerkten Schlangenbiß töten – gut. Aber wenn eine militärisch gegliederte Verbrecherbande ein Haus in einem belebten Teil der Stadt belagert und ein muntres Feuergefecht mit den Eingeschlossenen eröffnet, dann rebelliert auch die unverbindlichste Spannung, und die Frage drängt sich auf: Aber die Polizei –?

Vor acht Tagen hat in Berlin, nahe am Schlesischen Bahnhof, eine organisierte Verbrecherbande zwei Mal das Vereinslokal einer friedlichen Handwerkergilde überfallen, einen Mann getötet und viele verletzt. Nach dem ersten Vorstoß kam eine Polizeistreife, die die Angreifer schon vom Blachfeld verschwunden fand. Der Polizeioffizier gab den Überfallenen den Rat, hübsch im Hause zu bleiben, da eine zweite Offensive denkbar sei und fuhr mit den Seinen von dannen. Nicht hat den erfahrenen Straßenstrategen die Voraussicht getrogen – die zweite Offensive fand wirklich statt und wurde für die unschuldigen Opfer sehr schlimm. Nachdem das geschehen war, kam auch die Polizei wieder und nahm eine Reihe von Leuten fest.

Die Zeitungen hielten das Ereignis für erstklassig und nagelten es in großen Schlagzeilen fest. Die Polizei kündigte energisches Vorgehen an, was wohl selbstverständlich war. Aber die Energie lebte sich nur in einigen Erklärungen aus, in denen die Presse der Übertreibung bezichtigt wurde. Es war nach Meinung der Hochmögenden im Präsidium nur eine der am Schlesischen Bahnhof landesüblichen Prügeleien. Die erwarteten starken Maßnahmen blieben aus, wenn man dazu nicht die Nachrichtensperre rechnen will, die über ein paar Zeitungen verhängt wurde, weil sie ihre Mahnungen an die Polizei zu dringlich gehalten hatten.

Der hervorstechendste Zug der gegenwärtigen Herren vom berliner Scotland Yard ist ohne Zweifel ihre Begabung für Reklame. In Interviews und Verlautbarungen für die Presse schäumt Tatenlust, und dem kleinsten Langfinger muß das Gewissen klappern, wenn er sich die Mühe nehmen wollte, diese Exklamationen zu lesen. Politische Demonstranten dagegen haben nichts zu lachen, das kann der Vizepräsident der Polizei sachkundig bezeugen. Der Gauner- und Rowdy-Club »Immer treu« dagegen ist viel glimpflicher gefahren, und zum Überfluß hat jetzt noch der vernehmende Polizeirichter die meisten der Festgesetzten entlassen und damit ihrem Wirkungskreis zurückgeschenkt.

Die Presse gibt sich vergeblich Mühe, die geheimnisvolle Untätigkeit der Polizei wie das eiserne Menschenvertrauen des Herrn Polizeirichters zu enträtseln, und das Präsidium selbst läßt durchblicken, daß es über die Entscheidung des Richters entsetzt sei und sich gehandicapt fühle. Vergebliche Mühe, hier eine Lösung zu suchen. Der Zufall hat die Kehrseite eines Systems aufgezeigt, und dessen Einpeitscher haben alles Interesse, diese Demonstration schleunigst zu beenden. Durch die fatale Methode, Verbrecherhöhlen und Verbrecherorganisationen zu dulden, »damit man sie alle hübsch zusammen hat«, ist in Berlin ein Bandenwesen entstanden, das der Schupo lange über den Tschako gewachsen ist. Wo aber solche Zustände herrschen, da bildet sich auch regelmäßig eine Schicht dubioser Gestalten, die nicht hierhin, nicht dorthin gehören, also dorthin, die von der Polizei die Statur und das ernste Führen mitbekommen haben und von der andern Seite die Frohnatur, die Lust am Fabulieren. Es wird augenblicklich in Journalistenkreisen mit schöner Offenheit erzählt, daß die meisten Teilnehmer des Überfalls professionelle Polizeispitzel gewesen seien und daß deshalb die Polizei die Hände nicht rühren könne, weil ein Prozeß die übelsten Schmutzwellen aufwirbeln würde. Deshalb die Verkleinerung des tollen Vorfalles und die ungnädigen Gesten gegen die Presse, die sonst immer zur tätigen Mithilfe aufgefordert wird.

Seit dem Abgang des Herrn Friedensburg hat sich die berliner Polizei erschreckend verschlechtert. Herr Zörgiebel dekretiert, versichert, beruhigt. Herrn Zörgiebel beängstigt ein rotes Kommunistenfähnchen mehr als die stolz wehenden Vereinsbanner sämtlicher berliner Spitzbuben.

Es hat keinen Zweck um Tatsachen herumzureden: wir brauchen endlich wieder einen Polizeipräsidenten.

Die Weltbühne, 8. Januar 1929


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