Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Diplomatenschub

Der Wunsch nach einem allgemeinen diplomatischen Revirement geht bis auf die Tage von 1926 zurück, wo Deutschland Mitglied der großen genfer Sozietät wurde. Doch standen immer personale Schwierigkeiten im Wege, es fehlte an Leuten, und man hatte überhaupt keine rechte Lust. Der alte Herr Sthamer in London galt schon lange als ablösungsreif, aber jedesmal, wenn es so weit war, hieß es, George V. bestehe auf Sthamer wie Hindenburg auf Schiele. Es ist nicht zu leugnen, daß sich der brave hamborger Senater auf seinem Platz unschätzbare Verdienste erworben hat, indem er sorgfältig vermied, den Londonern, denen noch das »Gott strafe England!« der Alldeutschen in den Ohrmuscheln klebte, durch irgendeine Form von Tätigkeit lästig zu fallen. Jeder Geschäftige hätte die Sache vermurkst, in Herrn Sthamer hatte ein freundliches Schicksal jedoch endlich einmal das Phlegma auf den rechten Platz gestellt. Downing Street wußte das Vakuum zu schätzen und sandte uns als Gegenleistung Lord d'Abernon, den bedeutendsten Diplomaten der Nachkriegszeit.

Jetzt, unter Brüning und Treviranus, wird der oft steckengebliebene Diplomatenschub endlich fällig, und seine Zwecke sind sehr offensichtlich. Die liberale Presse ist nicht gut beraten, wenn sie die Veränderungen durch leidige technische Notwendigkeiten bedingt und gestaltet sieht. Das Rechtskabinett beginnt, seine Tendenzen jetzt auch nach Außen zu tragen.

Staatssekretär von Schubert soll zwar als Botschafter nach Rom gehen, aber die Art, wie dieser Wechsel bekanntgegeben wurde, hatte verzweifelte Ähnlichkeit mit einer Absägung. Die neue Ära nimmt Rache an dem Mann von Locarno, dem Vertreter der Erfüllungspolitik. Herr von Schubert ist kein Idealbild des Diplomaten, eher durch eine gewisse Schwere gehemmt; aber seine Solidität hat segensreich gewirkt. Er war, alles in allem, der Repräsentant des gesunden Menschenverstandes im Auswärtigen Amt. Also fort mit ihm und freie Bahn den spekulativeren Köpfen! Herr von Schubert war ursprünglich für London ausersehen, und das wäre auch der richtige Auftrag für ihn gewesen. Seine Kandidatur ist vornehmlich von einer Clique demoliert worden, die die alberne Geschichte verbreitete, dieser Botschafter werde im Buckingham-Palast nicht gern gesehen werden, weil er mit einer geschiedenen Frau verheiratet sei; wenigstens halte Queen Mary noch an so prähistorischen Anschauungen fest. Wie es damit auch sein mag, es darf jedenfalls nicht übersehen werden, daß der königliche Hofstaat in England seit 1648 nicht mehr allein maßgebend ist, und letzten Endes ist die ganze Geschichte nur kolportiert worden, um die Kandidatur Schubert in der Wilhelm-Straße von vornherein madig zu machen. Was auch gelungen ist.

Staatssekretär soll an Schuberts Stelle Herr von Bülow werden, der vor Jahren als Legationssekretär das Referat für den Völkerbund innegehabt und das Seinige dazu beigetragen hat, daß der Weg nach Genf so spät gefunden wurde. Es war die Zeit, als man im Auswärtigen Amt den Völkerbundgedanken noch für eine beklagenswerte pazifistische Verirrung hielt, und Herr von Bülow hat diese Meinung auch in einer ziemlich tollen dickleibigen Scharteke niedergelegt. Erst nach Locarno kam für das Gros der Herren Legationsräte der psychologische Augenblick, erst damals erkannten sie, daß der Völkerbund gar keine so schreckliche Erfindung sei, sondern für Karrierelustige die freundlichsten Perspektiven eröffne. Auch Herr von Schubert war früher in recht konservativen Vorstellungen befangen gewesen, aber die Gerechtigkeit gebietet zu sagen, daß er ehrlich umgelernt hat. Ob Herr von Bülow auch umgelernt oder sich nur auf eine neue Stimmlage eingerichtet hat, weiß man nicht. Vielleicht sind auch solche Strapazen gar nicht mehr nötig.

Warum republikanische Blätter dem scheidenden Personalreferenten, Herrn Professor Schneider, wehmütige Abschiedsworte widmen, bleibt unerfindlich. Herr Schneider ist ein Mann, der dem praktischen Leben nähersteht als der Diplomatie und der Wissenschaft und sein Ansehen hauptsächlich auf der Verwaltung einiger Fonds ruhen ließ. Ein stiller Arbeiter, der nicht mit den trügerischen Gaben des Intellekts zu blenden suchte, dafür aber desto mehr kostete.

Nach London kommt Herr von Neurath, dessen Tätigkeit in Rom bei der deutschen Linken wiederholt Empörung hervorgerufen hat, was wohl genügt, um ihn auf einen noch wichtigeren Posten zu stellen. Angeblich soll das auf den besondern Wunsch des Herrn Reichspräsidenten zurückzuführen sein, weil Herr von Neurath »so ein anständiger Mensch« wäre. Der Württemberger von Neurath – das muß mit glühenden Nadelspitzen in die Augenwinkel gekritzelt werden – ist nicht nur ein anständiger, sondern sogar ein hochanständiger Mensch, den seine geistigen Eigenschaften und seine gesellschaftlichen Umgangsformen zu einer Zierde für jede schwäbische Wachtstube machen würden. An mangelnder Eignung für die Diplomatie wird Herr von Neurath nur von Herrn Nadolny übertroffen, der noch in Angora auf seine Erhöhung wartet.

Es sieht ganz so aus, als ob unsre Außenpolitik wieder »aktiv« im Sinne der Freunde des Herrn Treviranus werden möchte. Da Herr Doktor Curtius beharrlich schweigt, Herr Groener dagegen soeben erst betont hat, daß er stets in Übereinstimmung mit Reichskanzler und Außenminister spreche, so darf wohl die Frage erlaubt sein, ob in dem schnell geflügelt gewordenen Wort des Herrn Kriegsministers: »Bei der Beschaffung von Waffen und Munition wäre Sparsamkeit schlecht angebracht«, das außenpolitische Programm dieser Regierung zu erblicken ist. Zwar sind nach der Verabschiedung des Young-Plans die Möglichkeiten für folgenschwere Wagnisse geringer geworden, aber die Entschlossenheit zu vielen kleinen Dummheiten ist ohne Zweifel vorhanden, und viele Kleinigkeiten ergeben ein Großes.

Die Weltbühne, 13. Mai 1930


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