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»O.S.« von Arnolt Bronnen. Ein trauriges Thema, ein traurigeres Buch. Ober-Schlesien, Frühjahr 1921. Bürgerkrieg und Duell aufgepeitschter nationaler Leidenschaften. Metzeleien am hellen Tage und Meuchelmorde im Dunkeln. Ein großer Stoff für einen tragischen Romancier, für einen Kenner nicht nur der Seelen sondern auch der politischen Realitäten. Herr Bronnen bringt nichts mit als die Unbedenklichkeit, mit spitzen Fingernägeln in kaum verheilenden Wunden zu wühlen. Er selbst läßt keinen Zweifel darüber, daß er seinen Roman für ein Fanal des deutschen Patriotismus hält. Aber sein Patriotismus gehört zu jener Art, die, nach dem guten Wort Conrad Ferdinand Meyers, nichts andres kann als wehetun. Es ist ein Patriotismus, der im Gefühl seiner Minderwertigkeit und weil ihm keine bessern Waffen zu Gebote stehen, wie ein hysterisches Frauenzimmer mit Vitriol spritzt.
Es wird nachher dargelegt werden, daß Herr Bronnen auch darin Dilettant ist. Er hat sich in der Flasche vergriffen.
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Es sind jetzt sechs Jahre her, daß in Paris Maurice Barrès mit jenem feierlichen Pomp bestattet wurde, mit dem die französische Nation sich von ihren bedeutenden Repräsentanten verabschiedet. Barrès hatte als Ästhet und Egotist im Sinne Stendhals begonnen, dann kam der große Wendepunkt, die Aktualisierung und Politisierung in den »Romanen der nationalen Energie«. Aus dem Romantiker wurde der Verfechter eines intransigenten Nationalismus, der Deputierte Barrès, der Feind Deutschlands und der unerbittliche Ankläger der demokratischen Republik, der allerdings auch als Rhetor und Pamphletist stets der Wahrer nobelster Formtradition blieb.
Das war um 1890. Zwei Jahrzehnte später erlebte Gabriele d'Annunzio die gleiche Wandlung. Aus dem l'art pour l'art, der Exklusivität radikalen Artistentums tretend, wurde er der tönende Herold des Imperialismus, der Vergöttlichung der Nation.
Inzwischen sind wir durch Krieg und Revolutionen gegangen, unser altes Europa hat ein verändertes Gesicht bekommen. Barrès und auch d'Annunzio sind heute schon historische Begriffe geworden. Nichts verbindet unsere heutige Generation mehr mit dem ästhetischen Immoralismus der Epoche Oscar Wildes und des frühen d'Annunzio, mit der schwülen Atelierluft und dem kalten Glanz eines paganistischen Schönheitskultes. Aber nicht weniger auch trennt sie von einem sentimentalen und überschwänglichen Patriotismus. Sie nimmt die Nation nicht als Mythos sondern als praktische Arbeit. Sie ist sozialkritisch gestimmt, also unpathetisch, ihre Methode ist soziologisch und analytisch. Der neue Naturalismus hat neben manchen Absurditäten auch den demütigen und gewissenhaften Dienst am Detail wiedergebracht. Der jungen Literatur ist das Budget einer Kleinbürgerfamilie wichtiger als die pompöse Heiligsprechung der Quantität Volk. So ist es nicht nur auf unserm gründlich pauperisierten Kontinent, sondern auch im reichen Amerika, das nicht ohne Schrecken sieht, wie Romanciers von zolaischer Unbestechlichkeit die Nachtseiten seiner Prosperität untersuchen.
Herr Bronnen muß sich also zunächst gegen den Vorwurf der Unzeitgemäßheit schützen. Wo er sich in patriotische Visionen verliert, wirkt er am blassesten. »Die Opfer jener Kämpfe fielen nicht vergebens. Wenn auch Verrat die äußersten Erfolge nahm, so gab doch ein neuer Himmel eine neue Saat. Die Zerstörung stockte. Das Ziel blieb oben, flatternd in künftiger Siege Wind«. Das kann eben so gut ein achtzigjähriger Autor geschrieben haben wie ein dreißigjähriger. Und deshalb bietet der Dreißigjährige, um sich zu sichern, den ganzen Komfort des neuen Naturalismus auf. Er stellt soziologische und ethnographische Betrachtungen an, er führt Korfanty, General Hoefer, Staatssekretär Weissmann und andre der politischen Hauptspieler von damals in Person ein, er verwendet gern Dokumente und erstrebt oft protokollarische Nüchternheit. Doch was für Sinn hat dieser Aufwand, wo es sich doch nur darum handelt, Fakten in die Zwangsjacke der Tendenz zu bringen? Und was für einen Sinn hat für einen Schriftsteller, der das Faustrecht als einzige Beziehung zwischen den Völkern proklamiert, der langwierige urkundliche Nachweis, daß Deutschland in der Causa O.S. im Recht war –?
Wenn das Franzosentum des Maurice Barres zeitlebens angezweifelt worden ist, so steht die teutonische Rassereinheit des Herrn Bronnen von vornherein nicht in Diskussion. Denn Herr Bronnen ist Österreicher, die ganzen oberschlesischen Dinge gehen ihn eigentlich, um in seiner wiener Muttersprache zu reden, »einen Schmarren an«. Sein Vater ist ein gläubiger Jude, der vor vielen Jahren sogar ein Drama gegen den Antisemitismus geschrieben hat. Er wird sich sehr wundern, in dem Opus seines Sohnes seine Glaubensgenossen als »Asiaten« bezeichnet zu finden. Die deutschen Chauvinisten aber, die doch auch samt und sonders tätige Antisemiten sind, stehen ziemlich überrascht und kritisch vor ihrer moralischen Eroberung. Sie mögen sich den Engel der Verkündung anders vorgestellt haben.
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Ich frage mich, wie das Buch auf den durchschnittlichen polnischen Leser wirken mag, der weder mit der letzten Entwicklung der deutschen Literatur noch mit dem Inventarium der »neuen Sachlichkeit« vertraut ist. Er wird Handlung und Charaktere wohl bemitleidenswert primitiv finden. Er wird eine Reihe von breitschultrigen und schmalhüftigen Männern am patriotischen Werk sehen – Männer, die nicht immer sehr fein reden, aber stets mutig sind, stets ungebeugt und gegen Unfälle so gefeit wie die Helden von Detektivromanen. Wenn diese Halbgötter, die ihre Feinde in einer Achtelpause dutzendweise erlegen, die tapferer sind als Hektor und listiger als Ulysses, schließlich doch von der feindlichen Überzahl niedergerungen werden, so liegt kein ersichtlicher Grund vor als der, daß die Überlebenden schließlich auch was zu rächen haben müssen, und mit diesem tröstlichen Aspekt schließt das Buch auch. Ich brauche nicht zu versichern, daß diese Helden deutscher Nationalität sind. Die Polen dagegen sieht Herr Bronnen als eine feige Mischlingsrasse, klein, schwärzlich, tückisch. Die Gaben der Seele und des Intellekts sind ihnen versagt, ihr Herr Korfanty selbst ist nur eine alberne Karikatur von einem Zyniker. Wenn sie dennoch siegen, so verdanken sie das nur den Machinationen der großen Mächte.
Der polnische Leser wird also nur das normale Schema des chauvinistischen Romans finden; hier die Guten, dort die Schlechten. Aber er wird auch sprachlich nicht durchkommen, die intimsten Schönheiten werden ihm verschlossen bleiben. Er wird, ohne prüde zu sein, die handgreifliche Massivität einiger Sexualszenen leicht bestaunen, die im Jargon betrunkener Commis voyageurs gehalten sind, und trübe Schlüsse ziehen in Bezug auf den gesellschaftlichen Umgangston in Deutschland. Es ist eine randalierende Sexualität, die Herr Bronnen da vorführt. Sie ist grob und knallig, ohne ehrlich zu sein. Jean Paul sagte von solchen Büchern, sie stünden »im Genius des Schweins«.
Die Sprache ist ein unbetrügbarer Gradmesser. Herr Bronnen möchte als Fanatiker genommen werden, aber er zeigt nur schlechte Manieren. Es gibt einen heißen und einen kalten Fanatismus, aber es gibt keinen Fanatismus, der von oben herab mit Dandygeste seinen Sermon lässig durchs linke Nasenloch schnoddert. Das ist das böseste Kriterium dieses Buches; es bedient sich einer Dialektik, die mit unsrer deutschen Sprache nur gewisse unhygienische Außengelände gemein hat. Die deutsche Sprache, wie alle andern, ein höchst willfähriges Instrument, das der Schmeichelei mondsüchtiger lyrischer Seladone sonst ebenso leicht unterliegt wie der Virilität rabiater Dilettanten – diese oft mißbrauchte, unendlich geduldige deutsche Sprache sagte Herrn Bronnen den Dienst auf und lehnte mit anerkennenswerter Entschiedenheit die Partnerschaft ab. Wenn sie ihn dennoch zur Abfassung seines Werkes verweilen ließ, so nur, wie ein höflicher Mensch jemandem, den er aus dem Hause wirft, vorher noch die Benutzung der Toilette gestattet.
Dieser Engel der Verkündung redet nur mit eingeklemmtem Monokel. Er kopiert nicht ohne Geschick das Genäsel junger Laffen, die an die Bar gelehnt mit ihren Weibergeschichten renommieren und dafür möglichst einen schnarrenden Offizierston treffen möchten. Er macht das, wie gesagt, nicht ohne Geschick, aber für das nationale Evangelium ist das, scheint mir, nicht die richtige Stimmlage.
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Auch sonst hat das nationale Evangelium noch ein paar Löcher.
Jeder Nationalismus kann nur dann einen Sinn haben, wenn er versucht, das ganze Volk zu umfassen. Der Nationalismus des Herrn Bronnen jedoch ist sektiererisch und exklusiv: ein in die falsche Ebene versetztes Artistentum. Es ist nicht meine Aufgabe, mir den Kopf zu zerbrechen, ob Herr Bronnen bewußt eine Maske trägt oder nicht anders kann. Aber ich sehe nur, daß die von ihm entrollte stolze Revanchefahne niemals über die Grenze getragen werden kann, weil sie die Blutfahne des Bürgerkriegs ist, die Fahne der Schwarzen Reichswehr und der Rathenaumörder. Wenn in diesem Buch eine Gefahr wohnt, so nur eine innenpolitische. Es kommt ein Wort allzu häufig vor, und das heißt: Verrat!
Wir wissen, daß es in Deutschland nach dem verlorenen Krieg eine Verratspsychose gab, die noch heute nachwirkt. Geschlagene Generale haben die Legende vom »Dolchstoß in den Rücken des siegreichen Heeres« aufgebracht. Herr Bronnen wendet diese bequeme Methode auf Oberschlesien an. Es konnte nur verloren werden, meint er, weil die deutsche Sache von Deutschen verraten wurde. Er stempelt damit, ohne zu ahnen, wie unsinnig das ist, 80 % der deutschen Staatsbürger zu Verrätern, um jene 20 % zu kanonisieren, die den sogenannten Selbstschutz gestellt haben, jene Wehrorganisationen, die Ober-Schlesien angeblich gerettet haben. Er bauscht deren Taten töricht auf, er verherrlicht ihre Gewalttaten und Morde. Er erhebt zu allein berechtigten Repräsentanten der deutschen Nation jene bunt zusammengewürfelten Guerilleros Ehrhardts und Rossbachs, die das in Schlesien Gelernte nachher an andern Stellen weiterpraktizierten und eine tragische Blutspur in der Geschichte der deutschen Republik hinterlassen haben. Die abscheuliche Ermordung bedeutender Politiker, die Bestialitäten der Feme, die Emeuten des schrecklichen Jahres 1923 – alles das ist in den angeblichen oberschlesischen Freiheitskämpfen einexerziert worden. Dort wurde die Generalprobe des Sturmes auf die Republik exekutiert.
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Damit auch nicht der leiseste Zweifel daran bleibt, schildert Herr Bronnen sehr ausführlich einen Fememord. Ein paar Burschen schleppen einen armen Teufel von Kommunisten, den sie für einen Spitzel halten, nachts in den Wald und zwingen ihn, sein Grab zu schaufeln: »Die drei standen schweigend dabei und warteten. Scholzens Arbeit befriedigte sie nicht. ›Grab' tiefer‹, sagte Rossol, ›Du wirst schön stinken‹. Juritzka fügte hinzu: ›Und für zwo infzig Leberwurst hast Du auch noch gefressen‹. Scholz zuckte, grub eifriger, aber er hatte es noch nicht aufgegeben ... Das Graben hielt ihn. Er war sicher, so lange er arbeitete, noch zu leben. Er irrte sich aber. Die drei standen schweigend, unbeteiligt neben ihm, doch ihre Augen schätzten genau die Tiefe der Grube. Plötzlich fiel ein Schuß. Scholz wußte noch garnicht, daß es seiner war, während er ins Grab stolperte, als wollte er, ganz freiwillig, darin Maß nehmen. So blieb er, ohne Seufzer. Sie warfen hastig Erde über ihn und diskutierten, ob sie ein Gebet über dem Grab sprechen sollten. Rossol, ein Freigeist, war dagegen, und die beiden andern beteten allein. Allerdings war Rossol auch der Schütze gewesen«! So verfährt man mit Verrätern.
Verräter aber sind sie alle, die außerhalb des von Herrn Bronnen abgezirkelten Kreises des Gerechten verbleiben müssen. Verräter sind alle, die den Bandenkrieg als Universalmittel ablehnen. Verräter die Demokraten, Sozialisten und Kommunisten. Verräter Regierung, Parlament und Reichswehrgenerale. Verräter jene deutschen Bürger in den umkämpften Städten, die das unsinnige Blutvergießen abstellen wollten, die wußten, daß diese verrückte Zeit einmal zu Ende gehen und man mit dem polnischen Nachbarn – unter deutscher oder polnischer Fahne – wieder leben und arbeiten würde. Verräter, Verräter. Die ganze Herzlosigkeit des glühenden deutschen Patrioten Bronnen manifestiert sich in dieser perfiden Denunziation jener deutschen Volksgenossen, die schuldlos in den Streit zweier Staaten hineingerissen worden sind und die nicht wußten, ob sie morgen als Deutsche oder als Polen aufwachen würden. Herr Bronnen ahnt nichts von ihren Nöten. Für ihn ist ihr Wortführer nur ein von Korfanty bestochener Schuft: »eine Pest, eine ewige Chance der Niedrigkeit«. Zum Patriotismus gehört eben nicht nur Haß gegen die ganze Welt, sondern auch etwas Liebe zum eignen Volk.
Herr Bronnen möchte ein Künder des Nationalismus sein, der Engel mit dem Schwert der Vergeltung, aber er gleicht nur jenen dunklen Gestalten, die am Abend von Sankt Bartholomäi durch die Straßen schlichen und die Häuser der Ketzer mit Kreidekreuzen bezeichneten.
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Für die deutsch-polnischen Beziehungen, die heute noch zu wünschen übrig lassen, bleibt dieses Buch belanglos. Es führt sich durch seine Häßlichkeiten und Übertreibungen selbst ad absurdum. Herr Bronnen wollte Vitriol spritzen, aber in seiner neurasthenischen Zappeligkeit trifft er nur das eigne Lager. Und er hat, wie eingangs gesagt, nicht mal die Vitriolflasche gegriffen, sondern eine andre weniger ätzende, doch schlimmer riechende Flüssigkeit.
Die Aufnahme des Romans unter den deutschen Nationalisten selbst ist sehr geteilt. Die hundertprozentigen Zustimmungen sind nicht zahlreich. Man ist eher irritiert und hält im allgemeinen auf Distanz. Der große und alle erfassende Erfolg gehört den Kriegsromanen von Erich Maria Remarque und Ludwig Renn, zwei Werken voll Noblesse der Haltung und seelischer Integrität, in denen nicht »künftiger Siege Wind« weht, wohl aber eine Erde das Blut zweier kämpfender Völker trinkt und über dem Gemetzel der Menschen sich ein Himmel wölbt.
Neben der Wirkung dieser beiden Bücher bleibt Herrn Bronnens Attentat auf den Völkerfrieden ein kleines literarisches Kuriosum, ein Kompendium von Obscönitäten, das wahrscheinlich noch recht fleißig von neugierigen Sekundanerinnen frequentiert werden wird. Und damit eröffnen sich auch für den wiener Konjunkturisten, der mit einer rabiaten Grand-Guignol-Dramatik begann, dann in »neuer Sachlichkeit« reiste und jetzt den deutschen Fascismus propagiert, ganz ungeahnte Chancen. Wenn man zwischen scharfen nationalen Erregungen plötzlich dies liest: »Herr Kiwus fand, daß sie viel Hitze haben mußte, in diesem noch kühlen Mai; denn die Steppdecke reichte nicht weit über ihren lüstern gewölbten Bauch, das fleischfarbene Hemd ließ ihre starken weißen Arme frei ... So konnte Herr Kiwus, der diesen Dingen gegenüber das gesunde Empfinden des Volkes besaß, nicht lange zögern und näherte sich dem Ideal seines Herzens, um an ihm alle Tätigkeiten auszuüben, für die ihn das Schicksal in solchen Lagen bestimmt hatte« oder das: »Sie schrieb hierüber, elfjährig, einige Gedichte, aber nie fand sich auf die Wörter, die sie schreiben mußte, ein barmherziger Reim. So verschwanden die Gedichte, und nichts blieb übrig als ein dunkler Schatten unter ihren Augen« – wer das geschlürft hat, dem erscheint auch die Zukunft dieses graziösen Erotikers gesichert. Arnolt Bronnen braucht nur noch den modernen Tyrtäos abzuschminken, und Herr Dekobra hat seine Konkurrenz auf dem Weltmarkt gefunden.
Pologne Littéraire, 15. Oktober 1929