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Eine neue Ära gouvernementaler Doppelzüngigkeit hat die sanfte biedermännische Vertrottelung der Müllerregierung abgelöst. Es ist wie unter Cuno. Nur sind die Aufgaben heute nicht mehr so schrecklich niederdrückend. Das Rheinland wird frei, der Young-Plan ist unterschrieben. Jetzt kann man sich ungestört der innern Aufbauarbeit zuwenden. Man ist schon dabei.
Da hat man jetzt den Panzerkreuzer B sehr elegant auf den Tisch des Hauses gezaubert. An diesem einen Beispiel könnte ein tüchtiger Dozent der Hochschule für Politik die gesamte Naturgeschichte der politischen Schiebung entwickeln. Wie war es? Figaro Treviranus chartert einen Strohmann, der im Reichsrat beantragt, die erste Rate in den Etat für 1930 einzusetzen. Schon vorher hatte Herr Gröner im Ausschuß erklärt, es bestünden keine außenpolitischen Bedenken, der Reichskanzler werde den Antrag begrüßen. Soweit Herr Gröner, der noch vor kurzem unter stillem Tränenregen verzichtet hat. Dann wird von dem ostpreußischen Herrn v. Gayl der Antrag gestellt, und Herr Moldenhauer meint dazu mit der ihm eignen rheinländischen Offenheit, daß die Regierung nicht daran denke, die Initiative zu ergreifen zu einer Änderung des Haushaltsplans; sie bitte jedoch den Reichsrat, sich von dieser Stellungnahme in keiner Weise beeinflußt zu fühlen. Die Regierung sieht also unerschrocken dem Risiko ins Auge, sich den Panzerkreuzer eventuell aufnötigen zu lassen. Die Regierung verhält sich wie die neugierige Frau, die gern wissen möchte, wie es ist, mal vergewaltigt zu werden, und zu diesem Zweck in den dunklen Wald geht, mit dem eisenfesten Entschluß, nicht eher um Hilfe zu rufen, als bis an der Sache nichts mehr zu ändern ist. Es ist anzunehmen, daß die Regierung auch nach glücklich überstandener Notzucht nicht allzu würdelos brüllen wird.
Noch heute gibt es republikanische Publizisten, die in Hermann Müller einen durch ein Magenleiden verhinderten Bismarck sehen. Aber auch Brüning hat seine schüchternen Bewunderer, die zwar mit seinem Tun nicht ganz einverstanden sind, aber doch seiner Art, die Dinge zu fingern, ästhetische Reize abgewinnen. Ich finde, daß der artistische Genuß aufhört, wenn einem die Gurgel langsam zugedrückt wird. Die geschickteste Leistung des Herrn Brüning, scheint mir, war sein Entrée. Dieser Mann, so verbreiteten seine Freunde zu seiner Einführung, hat den einen Löwengedanken: den Sturz Hugenbergs. Das war der Freibrief für die Zollgesetze und einiges andre mehr. Damit bestrickt Herr Brüning noch heute die geduldigen Republikaner. Quatsch mit Sauce. Brüning stürzt Hugenberg, indem er ihn entbehrlich macht. Die Agrarpolitik, der Panzerkreuzer, der Kotau vor Frick und übermorgen vielleicht ein »Volkskonservativer« als preußischer Innenminister – wie könnte eine prononzierte Rechtsregierung anders handeln? Brüning stürzt Hugenberg, indem er ihm nichts mehr zu tun übrig läßt.
Man verschone uns doch mit dem Popanz Hugenberg. Was bedeutet eine Person neben der Sache? Die Macht, die wir heute Hugenberg nennen, hieß vor sieben Jahren Stinnes, vor zehn Jahren Ludendorff. Die Sache Hugenbergs ist es, die von Brüning und seinen Leuten realisiert wird. Was bedeutet es daneben, wenn die Person des antiken Geheimrats bei einem Aufruhr seiner Mamelucken zu Schaden kommt?
Ein Bewunderer des »Systems Brüning« hat gefunden, daß es wenigstens den Parlamentarismus wieder etwas in Schwung bringe. Hat die Art, wie die Sache mit dem Panzerkreuzer gedreht wurde, irgend etwas mit einem anständigen Parlamentarismus zu tun? Wie würde ein Kabinett, das in einem Lande mit einer so alten und achtbaren parlamentarischen Tradition, wie es England ist, ähnliches versuchen wollte, von der öffentlichen Meinung und vom Unterhaus selbst begrüßt werden? Und wo – ausgenommen in den Staaten der weißen Diktaturen – ist es Sitte, daß sich der Kriegsminister hinstellt und, wie es Herr Gröner getan hat, außenpolitische Erklärungen abgibt –? Selbst Otto Geßler, der Allmächtige, mußte sich von Stresemann bös in die Parade fahren lassen, wenn er sich unbefugt außerhalb seines Ressorts zu tummeln versuchte. Man hat nicht gehört, daß sich Herr Curtius wegen dieses unbefugten Eingriffs in sein Amt geregt hätte. Manchmal hat man das Gefühl, als wäre Stresemann schon ein Jahrhundert tot ...
Vielleicht ist Herrn Brüning selbst bei dem Gedanken an den Panzerkreuzer etwas unbehaglich zumute. Aber sein Treviranissimus hält ihn in der Zange, und dem kreuzbraven Schiele wird schon der Nachweis gelingen, daß Ostpreußen, um seinen Subventionssegen in Ruhe zu verzehren, kräftigen maritimen Schutz braucht. Und um ganz, ganz sicher zu gehen, hat der Kanzler noch verlauten lassen, er beabsichtige nicht, die Kabinettsfrage zu stellen. So fährt man um Konflikte, um Neuwahlen herum. Wenn trotzdem in der linken Ecke der Regierungsparteien noch jemand maulen sollte, wird das Oberhaupt des Reichs wieder, wie der alte Attinghausen, unter das murrende Volk getragen werden: Seid einig, einig, einig! Und alle werden einig sein.
Wird es überhaupt zu nennenswerten Aufregungen kommen? Sozialdemokratische Minister selbst sind es gewesen, die sich von den bürgerlichen Kollegen überreden ließen, ihren Widerstand gegen das Flottenprogramm aufzugeben. Sozialdemokratischer Einfluß vor allem hat es bewirkt, daß das kommunistische Referendum gegen den Kreuzer A mit einem kümmerlichen Mißerfolg endete. Das liegt alles noch keine zwei Jahre zurück und ist nicht grade angetan, den republikanischen Kampfesmut zu stärken. Wenn Breitscheid im Reichstag in starke oppositionelle Töne ausbrechen sollte, wird ihm Brüning ganz gelassen Zitate aus den Reden der Genossen Hermann Müller und Severing unter die Nase halten.
Die Panzerkreuzerfrage ist viel mehr als eine innenpolitische Zänkerei, mehr selbst als eine Etatfrage. Gewiß, die Finanzen des Reiches sind nicht so, daß Millionen und Abermillionen in ein militärisch wertloses Spielzeug für den ehemaligen Kameraden des Herrn Treviranus gesteckt werden könnten. Weit größer jedoch ist das außenpolitische Unglück. Dieser Panzerkreuzer wird sowohl in Polen als auch in Rußland, wo man sonst nicht so bald einer Meinung ist, als eine grobe Herausforderung empfunden werden. Mit Polen stehen wir trotz des Handelsvertrags alles andre als gut, mit Rußland zur Zeit ausgesprochen schlecht. Und zu allem Überfluß wird auch in Westeuropa unsre maritime Aufrüstung mit ärgstem Mißtrauen betrachtet. Gröners Flottenbauprogramm ist, wie bekannt, in England anläßlich der Veröffentlichung durch Wickham Stead höchst ungünstig beurteilt worden, während Frankreich die eigne Scheu vor Abrüstung seiner Seestreitkräfte gern mit Hinweis auf die deutschen Pläne begreiflich zu machen versucht. Dieser Panzerkreuzer B wird nicht nur unsrer Außenpolitik verderblich werden, er wird auch der Flottenaufrüstung in der ganzen Welt neue Triebkraft geben. Grade das hat nach der blamablen Londoner Konferenz noch gefehlt.
Niemals stand es gut um Deutschland, wenn Michel den Seewind pfeifen hörte. Wenn ein paar hohe Herren die Zukunft auf dem Wasser sahen, dann bedeutete diese Zukunft immer eine Kette von Fatalitäten. Was kümmern solche Bedenken den Tirpitzschüler Treviranus? Hauptsache: die Crew hat zu tun, es gibt Posten, es gibt Betrieb. Was nachher kommt, ist gleichgültig. Setzen wir Deutschland nur aufs Panzerschiff, ersaufen wird es schon können!
Die Weltbühne, 22. April 1930