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Es ist ein verbreiteter Irrtum in diesen Tagen, von der Reichstagseröffnung so etwas wie eine Entscheidung zu erwarten. Die unsichern Mehrheitsverhältnisse sprechen nicht für baldige Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung, die Maßnahmen des Kanzlers Brüning auch nicht. Im treviranischen Winkel der Reichskanzlei, den nicht nur die Freundschaft Brünings erhellt, sondern auch ein Licht von ganz oben bestrahlt, wird gegen Curtius und Wirth gearbeitet. Das Treiben gegen den Außenminister wird von den Hilfsvölkern in der Deutschen Volkspartei natürlich mitgemacht. Die Parteien haben alle wenig Lust, sich mit Brünings Programm zu identifizieren. Der Kanzler allerdings scheint sich in dem Wahn gefangen zu haben, Träger besonderer Suggestivkräfte zu sein, die das Volk wie gebannt zu ihm und seinen Sanierungsvorlagen aufblicken lassen. Ahnungsloser Kanzler. Sein Finanzprogramm wird bald Gegenstand allseitiger wütender Angriffe sein, und selbst dies Programm bezieht sich nur auf das noch reichlich nebelhafte nächste Frühjahr. Gegen die akute Not bringt es nichts. Was die Bekämpfung der ärgsten Schrecken des kommenden Winters angeht, so hat sich die Regierung nach reiflicher Erwägung entschlossen, sich nicht zu entschließen.
Ebensowenig verlautet, was die Regierung zur Eindämmung der wirtschaftszerstörenden Kapitalflucht vorhat respektive was sie zu tun gedenkt, um das desertierte Geld wenigstens teilweise zurückzubekommen. Es brauchen ja nicht gleich jene robusten Methoden zu sein, mit denen Stalin die Entsagung der Besitzenden fördert. Wir verlangen nicht von Herrn Dietrich, daß er die von ihm gebrandmarkten Interessentenhaufen, die er im Wahlkampf nicht hat totreden können, nun gleich mit Maschinengewehren bestreichen läßt – die Reichswehr würde auch ohne vorherige Abstimmung nicht schießen. Wir verlangen nur, daß die Reichsregierung eine skandalöse Tatsache, die offen vor Augen liegt, nicht einfach mit Schweigen übergeht. Es handelt sich dabei nicht nur um den materiellen sondern auch um den moralischen Kredit Deutschlands. Ganz unmöglich ist auch, was Hjalmar Schacht, der Finanzhitler, zur Zeit in Amerika treibt. Liberale Blätter wagen von einem Nutzen der Kampagne Schachts zu reden, die eine Kampagne für die Schwerindustrie und gegen den deutschen Staat ist. Das deutsche Unternehmertum, führte Herr Schacht aus, ist kreditwürdig, anders verhalte es sich mit dem Kredit für öffentliche Körperschaften. Das ist die Sprache der Stinneszeit, die Sprache der großen Wirtschaftspiraten der Inflation. Der heutige Zustand zeigt Deutschland ohne Autorität, ohne Führung, zeigt keine Anstrengungen, beides zu gewinnen. Wer soll politisch und wirtschaftlich mit einem Lande handeln, dessen Regierung nicht mehr ist als ein verschlissener Wandschirm, durch den bereits die Säbelspitzen unbekannter Nachfolger dringen –? Was soll man mit energielosen Männern beginnen, die einen Papierberg vomieren und dann glückstrahlend drum herumstehen? Was bedeutet in London oder New York dieser vergilbte Kanzler und sein bordeauxroter optimistischer Finanzminister?
So wendet sich die Aufmerksamkeit immer lebhafter dem Retter aus eigner Berufung zu. Adolf Hitler ist zu einer Persönlichkeit avanciert, deren wichtig vorgetragene Sottisen von der internationalen Presse mit Respekt vermerkt werden. Aus dem Schreihals ist über Nacht ein Politiker geworden, der gewohnt ist, von den namhaften Journalisten zweier Hemisphären interviewt zu werden, und der für Übersee Bulletins ausgibt, die seine eigne Presse ihren Lesern bis auf weiteres nicht vorzusetzen wagt. Vielleicht hält er auch seine deutschen Feueranbeter noch nicht reif genug für Erkenntnisse seiner letzten Entwicklung. Da gibt es nichts mehr von klirrenden Schwertern, der Schandvertrag wird nicht mehr zerrissen; statt der wilden Tiraden von ewigem Haß kommen beruhigende Erklärungen. Der Führer in die neue Freiheit will vor allem außenpolitisch akzeptabel werden. Wohin rollst du, Köpfchen? In den dicksten Sumpf Stresemannscher Erfüllungspolitik, in jene verbotenen Bezirke der nationalen Ehrlosigkeit, deren Betreten Erzberger und Rathenau das Leben gekostet hat. Aus dem wüsten Bärenhäuter wird ein geleckter Hans Dampf in allen diplomatischen Gassen. Der Leiter der berliner Filiale, der wortgewaltige Goebbels, hat schon den feinsten gesellschaftlichen Anschluß gefunden und wird von Salon zu Salon gereicht. Kann da der oberste Chef zurückbleiben? Man braucht der Plutokratie nicht gleich wie einem giftigen Drachen das Messer ins Gekröse stoßen: laßt es uns zunächst mit den friedlichen Mitteln der Überredung versuchen! Adolphus Rex kommt von der Audienz bei Brüning und speist bei Herrn von Stauß von der Deutschen Bank, dem frischgewählten Abgeordneten der Scholzpartei. Warum nicht im Tempel des goldenen Kalbs dinieren? Die Misere von Millionen Beschwatzter und Verführter entfernt sich. Entwicklung ist alles. Schließen wir also zunächst mit dem raffenden Kapital ein kleines Locarno. Das Dritte Reich kann nicht auf einmal fertig sein, und ein Zipfel ist schon erhascht, wenn es einem Kranz Auserlesener gut schmeckt.
Aron selbst wird fortgezogen
von des Tanzes Wahnsinnswogen,
und er selbst, der Glaubenswächter,
tanzt im Hohenpriesterrock
wie ein Bock – –
Paukenschläge und Gelächter!
Die nationalsozialistische Heeresleitung denkt nicht mehr im Traum daran, Europa mit Krieg zu überziehen. Sie will über Deutschland herrschen und opfert dafür den nationalen Radikalismus. Denn der deutsche Fascismus kann sich nur behaupten, wenn er sich den Verträgen unterwirft und von der Weltfinanz als sicheres Mauerwerk gegen den Bolschewismus anerkannt wird. Und damit hapert es noch. Ganz davon zu schweigen, daß man in Paris bei aller madigen Bolschewikenfurcht doch dem deutschen Nationalismus einen aus dem Blute rührenden Haß entgegenbringt, auch in Wall Street ist man noch mißtrauisch. Die guten Sittenatteste, die die Hearst- und Rothermerepresse dem Nationalsozialismus ausstellt, schlagen da nicht durch. Die amerikanischen Bankiers betrachten den europäischen Kontinent mit Argwohn: er ist unruhig und zum Platzen gefüllt mit den verderblichen Mikroben der Anarchie. Sie ahnen in der Hitlerbewegung den Urgrund von sozialer Rebellion, sie fürchten mit mehr oder weniger Recht, daß sich das einmal anders firmieren kann, und daß gegen einen solchen Orkan die Führer keine Garantie mehr bieten würden. Sollen sie Geld in eine Sache stecken, für die morgen niemand mehr grade stehen kann?
Aber selbst wenn es Hitler gelingt, Wall Street zu überzeugen, daß er der gottgesandte Erzengel zur Heimschickung des Kommunismus ist, so bleibt noch der andre Dreh, das Temperament der eignen Anhängerschaft auf ein ausschließlich innenpolitisches Betätigungsfeld abzulenken. Hitler hat zu viel versprochen, um die Kapitulation vor Young lautlos zu vollziehen. Und es sind unter seinen Heerscharen zu viele von andern Parteien Enttäuschte, die ein geübtes Ohr haben für die sanften Geigenstriche, die dem Verrat der öffentlich mit Posaunengedröhn beschworenen Prinzipien vorangehen. Hitler muß seinen Hetzhunden ein paar fette Happen zuwerfen, wenn er nicht von ihnen zerrissen werden soll. Er wird mitregieren oder wenigstens die Brüningregierung zwingen müssen, von seinen Gnaden zu leben. Das heißt: er muß der Partei sichtbare Macht verschaffen, den Triariern Ämter, Pöstchen, Einkünfte; er muß wenigstens den ersten, den wildesten Appetit stillen. Wenn er sehr viel Glück hat, verzichten die Helden zunächst auf blanke Münze und geben sich mit Blut zufrieden. Aber Geld und Blut – eins von beiden muß geliefert werden. Es ist kein Wunder, daß der große Sieger der Wahlschlacht plötzlich in vielen Zungen zu reden beginnt, wenn auch in keiner einzigen ehrlichen. Polyglott Hitler.
Den Katastrophensehern sei trotzdem geraten, mit ruhiger Heiterkeit in die Zukunft zu blicken. Die Philosophie kennt viele Tröstungen, wenns auf Erden schief geht, und die deutsche vor allem. Und vor dem größten Unglück sind wir übrigens ganz sicher: – vor dem Bürgerkrieg. Denn auch zum Bürgerkrieg gehören Zwei, und der Andre ist nicht da. Der Andre produziert seinen Parteimist wie gewöhnlich und lebt überhaupt wie im tiefsten Frieden. Etwas Krach mit den Nachbarn, sehr viel geheime Angst, aber trotzdem der frohe Glaube über allem, daß das Gute, verkörpert in der Weimarer Demokratie, am Ende siegen wird. Zwar hängen die Wolken seit dem 14. September sehr tief, aber in dem bißchen falben Glanz zwischen all dem Grau kann man mit etwas Phantasie noch immer die goldene Hühnerleiter sehen, auf der der deutsche Mensch in die ihm von seinen Parteien bereitete Gloria steigt.
Die Weltbühne, 14. Oktober 1930