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... so Kinder, jetzt laßt mich auch mal zu Wort kommen! Von Zweien ist jetzt die Macht der Reklame in ihrem erschütternden Umfang festgestellt worden. Die Dame hat die Lockungen und Verführungen geschildert, wie sie tagtäglich die sparsamen Vorsätze langsam abmurksen, während der Herr Räuberhauptmann, wohl aus einem Gefühl von Brancheverwandtschaft, aus der richtig angewandten Reklame das Dritte Reich blühen läßt. Ich melde mich zum Wort für eine auch noch vorhandene Spezies, die die geschätzten Vorredner nicht berücksichtigt haben: nämlich für Die, denen Reklame wurst ist.
Daß auf dem Kongreß auch eine eigne Ethik entwickelt und auf letzte Menschheitsfragen angewandt wurde, versteht sich von selbst. Ebenso, daß dort Prominenzen der Politik erschienen sind – der Earl of Birkenhead und Lord Luther of Germany, Staatsmänner, deren innigen Zusammenhang mit der Reklame wir schon immer geahnt haben. Früher hatte jeder Beruf seine eigne – manchmal etwas verwinkelte – Moral, die den Einzelnen in schwierigen Fällen beriet. Heute hat jeder Beruf seine prima Ethik bereit – für die Andern. Besonders auf Kongressen, wo im allgemeinen ganz leidlich gelebt wird. Nennt mich einen Timon – ich habe ein schreckliches Mißtrauen gegen die Ethik von Leuten, die grade gut gegessen haben.
Ich habe keine Lust, gegen Windmühlen zu rennen, deshalb keine Verwahrung gegen das, was der Reklameagent zur Verwüstung des täglichen Lebens beigetragen hat. Aber nur eine kleine Korrektur der gutmütigen Annahme, daß die wachsende Intensität der Reklame auch den wachsenden Bedarf eines sich der zivilisatorischen Güter bewußt werdenden Volkes bedeutet. So ästhetisch ansprechend auch das Bild der Reklame oft sein mag, es ist nur die optimistische Widerspiegelung entweder einer irrsinnig entfesselten Produktion, die bald mit dem Brecheisen zu ihrer Kundschaft dringen muß, oder eines heulenden Elends, das seinen Jammer mit den heitersten Farben des Lebens bemalt. Die Reklame ist der melodisch abgetönte Schrei nach Brot. Sie ist das Symbol der Wirtschaftsanarchie, in der nicht mehr die Leistung, sondern der Ellenbogen entscheidet. Wer für soziale Dinge nicht stockblind ist, der muß unter dem weichen Elidateint der Plakatgesichter die hektischen Flecken sehen, die Zeichen eines lange krank gewordenen Wettbewerbes, der sich für gesund hält, wenn er den Nachbarn, der das selbe Geschäft betreibt, noch umbringen kann. Es gibt eine unheimliche Geschichte von Maupassant: – nachts steht auf den Grabsteinen an Stelle der pietätvollen Lüge plötzlich die Wahrheit. Ach, wenn man einmal für Minuten der Reklame die schillernde Oberhaut abziehen könnte! Dann würde dir die blonde Dame, die dir freundlichst eine Zigarette offeriert, zurufen: »Kaufe mich, sonst muß ich ultimo zweihundert Arbeiter entlassen! In Dreiteufelsnamen, laß die Brünette nebenan verrecken sie ist ja sowieso fast pleite ...« Hier hat vor zwei Wochen gestanden, was ein berliner Warenhaus seinen Heimarbeiterinnen, die »Annoncenkleider« herstellen, für Löhne zahlt. Und hier endet auch das ganze Geschwätz von Werbepsychologie und Werbewissenschaft und Werbesittlichkeit und wie der ganze Krimskrams berauschter Managergehirne heißt. Hier braucht auch nicht einmal mehr groß inseriert zu werden; ein Mantel für 6,90 Mark, da braucht man bloß ein Stück ins Schaufenster zu hängen. Die Kosten dieses »Sonderangebots« tragen die Arbeiterinnen. Die geschätzte Firma sollte sich ihre Plakate von Käthe Kollwitz entwerfen lassen.
Nun wollen die Amerikaner mit Reklame nicht nur prosperity machen, sondern auch peace. Sehr schön. Mit guter Reklame läßt sich viel machen. Viele der wichtigsten hygienischen Fortschritte, zum Beispiel, sind ein Triumph der Reklame, aber man kann damit auch letzten Dreck wie Kaugummi über den ganzen Erdball werfen. In Amerika kann man vielleicht Ideen wie Schmierseife vertreiben, in Europa kann man es nicht. Wir haben ein klassisches Beispiel: die Heilsarmee, die Religion mit Rummelplatzmethoden propagiert, blüht üppig in den angelsächsischen Ländern, aber kommt bei uns auf dem Kontinent nicht aus der Zone unfreiwilliger Komik heraus. Die Friedensbewegung aber, die es ohnehin schwer genug hat, auf eine Seite mit Persil und Chlorodont gesetzt, würde in einem diskreditierenden Gelächter versinken. Der Europäer ist skeptisch und spottsüchtig. Ein Propagandafeldzug für die Friedensbewegung nach amerikanischem Muster, reichlichst finanziert, das würde die Sache als plutokratische Machination abstempeln. Keine geistige Bewegung aber wird in Europa populär, die von der Plutokratie gestartet wird. Die bewußte und oft auch nur instinktive Ablehnung der Geldmächte ist das deutlichste Kennzeichen des europäischen Geistes.
Was die Reden der Amerikaner auf dem Kongreß angeht, so sind sie nicht mal das Fixativ auf der Kehrseite der Affichen wert. Wie haben die Herren vor zehn Jahren gesprochen, wie werden sie in ?? Jahren sprechen? Liebe Pazifisten, der Krieg ist noch immer ein besseres Geschäft als der Friede. Der Friede mag das Gleichmaß anständigen Wohlstandes bringen, aber der Krieg, das ist die brennende Konjunktur, der boom, ohne den der Kapitalismus nicht leben kann, denn er braucht immer wieder die große Ausschweifung, um seine Kraft bestätigt zu wissen. Der amerikanische Friede aber ruht auf dem geduldigen Ameisendasein von Millionen genormter Existenzen. Ihre Lebenshaltung, ihr Bedarf, ihr Denken und Fühlen, alles kommt aus der einen und nur der einen gültigen Form. Hier hat der Kapitalismus ein Friedensideal verwirklicht, das in seiner schrecklichen Trostlosigkeit mit den schlimmsten Kriegsvisionen konkurrieren kann. Springt Einer aus der Reihe, wird der Friede ungemütlich. Sacco und Vanzetti sind der aufgescheuchten Ruhe des amerikanischen Normmenschen geopfert worden. Vielleicht die tristeste Erinnerung an diese Tage vor zwei Jahren: während die ganze Welt ihre Erregung hinausschrie, blieb Amerika ganz ruhig, und kaum ein paar tausend Menschen fanden sich zu einer Protestkundgebung. Auf dem elektrischen Stuhl der beiden Märtyrer standen mit unsichtbarer Schrift die beiden Bekenntnisworte der amerikanischen Geschäftsreligion: Prosperity und Service.
Ich glaube, jede Sache kann ihre Ziele nur mit den ihr eignen Mitteln verfolgen. Und der Geist, mag ihn auch manchmal ein perverser Mäzen kapitalisieren, wird in der letzten Entscheidung immer auf sich allein angewiesen sein. Man kann Schopenhauer nicht wie einen Autoreifen propagieren, und man kann den Frieden nicht mit den Methoden der Rüstungsindustrie verbreiten. Die Ideologie Europas in allen ihren Nuancen hat sich den Geist immer arm und kämpferisch vorgestellt. Das wird sich nicht bald ändern. Was ist schließlich aus Andrew Carnegies reichdotiertem Friedensinstitut geworden? Wie lange Jahre hat die Nobelstiftung gebraucht, ehe der Friedenspreis endlich einmal an ein paar richtige Pazifisten gekommen ist –? Vestigia terrent.
Aber – weil ich eigentlich von Reklame reden wollte – die schönste hat doch seiner Zeit das ›Oeuvre‹ gemacht, als es Paris mit Plakaten überschwemmte: »Die Dummen von Paris lesen das ›Oeuvre‹ nicht!« Hier wird nicht nur geworben, sondern auch gehauen. Diese Reklame offeriert nicht devotest, sie knallt dem zögernden Kunden das Blatt um die Ohren. Und er empfängt die Maulschelle selig lächelnd, in erhobenem Gefühl, als wärs ein Ritterschlag. Hier ist Propaganda schlechtweg Geist geworden, ein Fall von seltener Köstlichkeit.
Die Weltbühne, 27. August 1929