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In Paris hat man kürzlich bei Einbruch der großen Kälte sogleich eine Verfügung herausgebracht, daß die Pfandhäuser Betten, Decken, Pelze etcetera an die Verpfänder zurückzugeben hätten. In Berlin, wo doch so schrecklich viel sozial geredet wird, ist keine volksfreundliche Maßnahme dieser Art zu verbuchen. Nein, Berlin hat sich nicht ausgezeichnet. Aber was wir hier erleben, diese völlige Hilflosigkeit der professionellen Organisationsmatadore, die Laschheit aller verantwortlichen Instanzen, die Wucherorgie, die sofort neu eingesetzt hat, alles das haben wir schon ein Mal erlebt, nämlich 1914, und deshalb wirkt das, was sich in diesen Wochen zugetragen hat, wie eine kleine Arrangierprobe für die nächste große Zeit.
Man steht wieder um Kohlen und Kartoffeln an ... Es ist nichts da, meine Herrschaften, nächste Woche vielleicht ... Ein paar Theaterbilletts oder ein kräftiger Aufschlag aber sind dennoch imstande, die Geheimspeicher zu öffnen. Es ist wie damals, wo man sich die Butter aufs Brot mit ein paar zugeschobenen Brotkarten erkaufen mußte. Waren werden wieder zurückgehalten und künstliche Teuerung geschaffen. Ersteht ein Glücklicher Kohlen, so fehlt es plötzlich an Transportmitteln. Wieder sieht man die Frauen, wie Lasttiere bepackt, in den Straßen. Große Zeit.
Ob aus Sensationssucht oder aus noch trübern Motiven aber geben Zeitungen die Stichworte für die Händler. Kaum begann die Kälteperiode, so setzte es riesenhafte Überschriften »Kohlenvorräte ausgegangen, Lebensmittelzufuhr bedroht«, und jetzt heißt es bereits »Selbst wenn Tauwetter einsetzt, so ist für Wochen nicht zu rechnen ...«, und der Groß- und Kleinhandel wäre dumm, wenn er sich diese Signale nicht zunutze machen wollte.
Eine besondere Leistung war die der Stadt Berlin. Täglich gingen Bulletins aus, in welchem Frontabschnitt eine neue Heeresgruppe von Schneeschippern eingesetzt worden war. Und dabei häuften sich überall am Straßenrand Berge schmutzigen Schnees und von Fortschaffung keine Spur. In einer Reihe von Vororten hatte die Wasserversorgung aufgehört, wer sich an die zuständige Stelle wandte, hörte, daß er noch lange nicht an der Reihe wäre. Denn in unsrer Kommune herrschaft das evolutionäre Prinzip. Um aber wenigstens eine Tätigkeit zu zeigen, wird in den von Trockenheit befallenen Häusern grade jetzt das Wassergeld einkassiert. Ich weiß nicht, ob bei Zahlungsverweigerung mit Einstellung der Wasserzufuhr gedroht wird. Jeder Kaufmann, der ähnlich schlecht Vorsorge träfe wie diese Kommune, wäre im Augenblick bankerott.
Unfähigkeit der Behörden, schamloser Wucher, Rücksichtslosigkeit gegen die Wenigbemittelten und fette Zeitungslettern dazu. Es fehlt nur noch der Feind und etwas Gas in der Luft, und alles ist allright!
Die Weltbühne, 26. Februar 1929