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Die große berliner Pleitewelle, die sich vor einiger Zeit auf Konfektion und kleine Bankhäuser zu kaprizieren schien, schüttelt nun die stolzesten Fregatten der berliner Gastronomie, und wenn auch die Inhaber in Erklärungen für die Presse offensichtlich Contenance wahren, so zeigen doch die auf dem Trockenen gebliebenen Geldgeber unverkennbare Merkmale von Seekrankheit. Imperator, Ambassadeurs, Barberina, Delphi, Mokka-Efti, Onkel Toms Hütte, Gourmenia sind in ihrer Existenz bedroht und vielleicht nur die Eröffnung einer noch viel länger werdenden Reihe. Besonders die Krise der Gourmenia wird in Berlin als eine Art nationales Unglück empfunden, neben dem der Heldenkampf unsrer Delegation im Haag stark zurücktritt. Soweit die Kommentarschreiber für das Débâcle nicht die Begehrlichkeit der Angestellten verantwortlich machen oder die Unersättlichkeit des Feindbundes, belasten sie die städtische Steuerpolitik, die allerdings nicht sehr sanft ist, aber trotzdem noch immer keinen so ingeniösen Steuererfinder produziert hat wie den wiener Schatzkanzler Breitner, der bei uns noch ganz andre Möglichkeit gehabt hätte. Das Zeitungslamento über den neuen Krach ist zwar gefühlvoll aber nicht ganz berechtigt. Denn die meisten der wankenden Unternehmungen waren von vornherein ungesund, weil sie auf zu optimistischen Kalkulationen beruhten, die Bedürfnisfrage falsch einschätzten und ihre Strategie einzig auf verrücktes Niederkonkurrieren älterer Betriebe stellten, ohne dabei im Auge zu behalten, daß ihre Glücksspielermethoden nur neue Konkurrenten zur Nachahmung ermuntern mußten. Es war keine organische Entwicklung sondern ein Fieber, und selbst wenn das Nachtlicht am Zoo erlischt, wird es in Berlin nicht finsterer werden. Die apokalyptischen Reiter, die jetzt überall gesichtet werden, sind schon vorher dagewesen, man hat sie nur nicht sehen wollen. Zusammengebrochen ist keine gewachsene Realität sondern nur eine großspurige Kulisse, das falsche berliner Amerika, der Broadway aus Tragant. In Frage gestellt ist ein Lebensstil, der der ökonomischen Wirklichkeit nicht entspricht. Jeder Besucher dieser in den letzten Jahren entstandenen Betriebe wird in eine aus garantiert edelstem Material hergestellte Gaukelwelt versetzt, wo er sich wie bei Adlon fühlt, während bei 90 Prozent der Leute das Budget unerbittlich auf Aschinger hindeutet.
Die Unternehmer spekulieren sehr geschickt auf den gut deutschen Wunsch, mehr zu scheinen als zu sein, wenn sie ihren Bierpalästen mit Weinabteilungen das Air von internationalen Luxusrestaurants geben, wo man schon in der Garderobe über ein paar Pierpont Morgans stolpert. So wirken diese »Stätten vornehmster Erholung«, die sich in den Inseraten selbst »kultiviert« nennen, wie Mahnmale für die Gläubigermächte, daß Deutschland noch lange nicht so pauperisiert ist, wie es sich hat. Was für ein törichter Tamtam wurde nicht von den Blättern bei der Eröffnung der Gourmenia geschlagen! Mit welchem Stolz wurden nicht alle dekorativen und technischen Schikanen reportiert, mit welch alberner Genugtuung wurden nicht die irrsinnigen Kosten ausgeplaudert! Und doch hätte damals schon kritische Betrachtung die Unsolidität des Unternehmens wittern müssen, denn es war damals schon bekannt, daß durch einige amüsante aber nicht grade billige Einfälle des Architekten die Baukosten schließlich fünffach über den Voranschlag hinausgewachsen waren. Von einem Rentabelwerden konnte da überhaupt nicht mehr die Rede sein; alle Einnahmen mußten für Jahre hinaus der Schuldentilgung dienen. So entstehen Kathedralen der Vergnügungsindustrie, die zwar nach letztem Chic ausgestattet sind, in Wirklichkeit aber nur eine Fortsetzung des wilhelminischen Fassadenkultus bedeuten, obschon es weder Begasbarock noch gemeißelte Eberleintorten mehr gibt. Wenn die Architektur heute überall nach schmuckloser Zweckmäßigkeit strebt, so hat es eine gewisse neuberliner Baukunst doch fertig gebracht, selbst das Schlichte pampig zu machen, selbst die Einfachheit marktschreierisch oder erdrückend. Trittst du in einen solchen Raum, so brüllt zunächst die Wand dich an: »Sieh her, ich bin echtes Rosenholz! Ich bin diskret, ich bin distinguiert, ich brauche gar kein Ornament und koste daher zehnmal so viel!« und fällt dir krachend auf den Kopf. Du faßt nach dem Treppengeländer, und spinös abweisend klingt es: »Aluminium!« Auf dem Tisch: echtes Kristall, echtes Silber, echtes Rosenthaler Porzellan. Alles bestes Material, alles echt. Nur die Gäste sind nicht echt, denn die meisten davon können es sich nicht leisten. Sie sind durch die Bank schlechtbezahlte Angestellte und spielen Großbürger. Fassade, Fassade, Stuck und Kitsch.
Daß wir ein verarmtes Volk sind und rechtens unsre paar Zechinen zusammenhalten müßten, soll uns kein Hjalmar Schacht mit seinen 340 000 Mark jährlich erzählen. Wenn ich heute zu Herrn Schacht ginge und ihn feierlichst aufforderte, zugunsten des Vaterlandes einmal auf sein Honorar zu verzichten, würde er wahrscheinlich nach dem Überfallkommando schreien. Die gutbezahlten Kapuziner, die bußepredigenden Puritaner im Klubsessel verbitten wir uns freundlichst. Die Tatsachen reden eine härtere Sprache; überall fällt die Fassade herab und begräbt unter sich ungezählte unschuldige Existenzen. Die neue von Schwerindustrie und Hochfinanz lancierte Sparparole ist ebenso verlogen wie die in den trügerischen Stabilisierungsjahren auf amerikanische Kredite gegründete Gesangvereinshochstimmung hirnlos war. Sparen, das bedeutet für die Gebieter der Wirtschaft nicht nur Abbau von Angestellten und Arbeitern sondern auch neuen Beutezug in bisher verschlossenes Gebiet. Herr Doktor Kehl, das Wunderkind der Deutschen Bank, hat vor ein paar Monaten das hoffnungsvolle Wort geprägt, daß die Städte jetzt von ihrer Substanz hergeben müßten. Das war mehr als eine phantastisch blühende kapitalistische Utopie, der Zeitpunkt zum Handeln ist schon da. Nicht ohne eigne Schuld haben sich etliche große und kleine Kommunen, Berlin voran, schwer verheddert. Herr Schacht selbst hat die Hauptstadt seine Hand hart fühlen lassen, er hat ihre Selbstverwaltung illusorisch gemacht und sie auf Gedeih und Verderb dem vaterländischen Finanzkapital ausgeliefert. Er konnte das um so ungestörter tun, weil unmittelbar nach den Enthüllungen über den Sklarekskandal das öffentliche Vertrauen in die finanzielle Einsicht der städtischen Häupter ziemlich tief unter Null gesunken war. Fast wirkte er wie ein rauher aber gutartiger Vormund, der seine Schutzbefohlenen vor Schaden hüten muß und sie dabei zu ihrem Nutzen Schmerz fühlen läßt. Indessen bemüht sich Berlin nach Kräften um seine Anleihe, aber die Banken, wie gesagt, wollen endlich an die Substanz. Es wird erzählt, daß die Deutsche Bank ein Angebot gemacht habe, einstweilen mit 200 Millionen auszuhelfen, was die Stadt Berlin für lange aus der Kalamität ziehen würde, aber dafür soll auch die Aktienmajorität der Bewag hergegeben werden. Andre Projekte sind etwas bescheidener, deuten aber auf die gleiche Richtung. Damit auch alles gut geht, sitzt im Aufsichtsrat der Bewag Einer, der weiß, wie man mit dem Staat umzuspringen hat, nämlich Herr Friedrich Minoux, der Lord Treasurer des versunkenen stinnesischen Reiches, der Mann mit dem achtzehnstündigen Arbeitstag. Wird diese Entwicklung erst einmal zugelassen, dann ist das Ende der Kommunen da, weil es dann eben bald nichts Kommunes mehr geben wird. Dann wird in ein paar Jahren jede Müllkarre mit dem Namen des Bankhauses versehen sein, dem sie gehört, und wenn heute, beinahe schon anachronistisch, von einer Krise der Selbstverwaltung gesprochen wird, so wird auch das bald behoben sein, denn die Städte werden dann nichts mehr zu verwalten haben. In diesem Falle würde sich auch leicht ein Verzicht auf den traditionellen kostspieligen Apparat empfehlen, der doch nur leerlaufen müßte: der ideale Nachfolger des Herrn Boeß wäre also nicht ein hochdotierter Mann vom Bau sondern schlicht und billig der Portier der Deutschen Bank. Das ist gewiß keine sehr dekorative Lösung, aber es ist immer gut, wenn tatsächliche Machtverhältnisse unabgeschwächt zur Erscheinung kommen.
Solche Deutlichkeit jedoch ist unbeliebt, und so wird es im Reich und seiner Hauptstadt nicht anders verlaufen als in der Gourmenia. Die Presse teilt nämlich mit: »Zurzeit ist ein Finanzkonsortium bemüht, den Fortbestand des Unternehmens unter der alten Leitung auf neuer Grundlage zu sichern.« Damit wird unsre kultivierte Gaststätte zu einem kleinen aber gutgelungenen Abbild der großen Mutter Germania, wo auch immer, und wäre es noch so wild hergegangen, die alte Leitung auf angeblich neuer Grundlage geblieben ist. Das deutsche Volk hat keine hochentwickelte Gourmandise: es schluckt die dickste Kröte auf nüchternen Magen, wenn es nur den Fortbestand des Unternehmens gesichert weiß. Personenwechsel gibt es nicht. Verantwortung gibt es nicht! Die alte Leitung bleibt. La séance continue. Hurra Gourmenia –!
Die Weltbühne. 14. Januar 1930