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Bundeskanzler Schober ist in Rom empfangen worden wie Aman Ullah. Der höchste Staatspomp war aufgeboten, und bei der Bestattung des fascistischen Ministers und Parteiheiligen Bianchi folgte er, dem Duce zur Seite, dem Sarge. Besuche fremder Minister gehen heute überall in recht bürgerlichen Formen vor sich. Herr Schober aber war für Rom mehr als der Vertreter eines kleinen Landes, der in Staatsgeschäften reist. Das üppige Zeremoniell galt Österreich, dem neuen Bundesfreund, der gestern noch ein mürrischer, ewig über Benachteiligung und schlechte Behandlung zeternder Nachbar war und sich jetzt auf Gedeih und Verderb Italien unterworfen und seiner Führung anvertraut hat. Warum sagt unsre Linkspresse nicht diese Wahrheit, die man bei Hugenberg nicht zurückbehält? Warum sagt man nicht, daß Schober endgültig Südtirol preisgegeben hat und Österreich von jetzt an nicht mehr ist als ein Versatzstück in der kunstvollen Einkreisung Jugoslawiens, der andern Adriamacht? Weil sonst auch zugegeben werden muß, daß es in Rom noch eine zweite, wenn auch viel stiller heimgeleitete Leiche gab – und das war der Anschlußgedanke, wie er von Loebe und Renner verkündet worden ist. Denn es ist nicht anzunehmen, daß Mussolini ein enges Freundschaftsabkommen mit einem kleinen Nachbarstaat abschließt, der morgen nicht mehr existieren und nur noch Bestandteil eines viel größern sein wird. Die deutschen Nationalisten sind durch diese Entwicklung, wie ihre Presse verrät, durchaus nicht unangenehm berührt. Sie haben die großdeutsche Idee immer nur kultiviert, um Franzosen und Tschechen zu ärgern. Die wirklichen Leidtragenden sind die braven schwarzrotgoldnen Republikaner, die die Propaganda immer aus der Gemütskiste bezogen und sich allzu lange in jenem blinden Glauben geschaukelt haben, der mit pupillarischer Sicherheit in die großen Enttäuschungen führt.
Trotzdem Johann Schober deutsches Land widerstandslos der Verwelschung preisgegeben hat, wird ihm das von Hitler und Seldte nicht nachgetragen. Nach deren strenger Anschauung müßte er eigentlich ein Vaterlandsverräter sein. Aber in der Praxis ist Vaterlandsverrat nicht unter allen Umständen verwerflich: es hängt immer davon ab, an wen verraten wird. Mussolini ist der Vertreter eines verwandten politischen Prinzips, das macht den Verräter nicht nur straffrei sondern gereicht ihm auch zu hohem Ruhme. Denn Außenpolitik ist niemals das Produkt spekulierender Diplomaten allein, sie ist die Summe aller am stärksten wirkenden innenpolitischen Kräfte. Schober aber ist den deutschen Reaktionären heute sympathischer als je: er hat dort mit Glück weiteroperiert, wo der gallsüchtige Kleriker Seipel stecken geblieben ist. Er hat die reaktionären Pläne seiner Bourgeoisie entweder zu Ende geführt oder doch entscheidend gefördert, er hat das ohne neue Barrikaden, ohne Hinrichtungspelotons gemacht und dabei noch die heißesten und allmählich auch durch eigne Projekte gefährlich werdenden Fremdenlegionäre um Pabst und Starrhemberg rechtzeitig mattgesetzt. Sein geschicktestes Stück aber bleibt die Einseifung der Sozialdemokraten. Da drohten monatelang, wie alle wiener Korrespondenten übereinstimmend meldeten, die Gewehre von selbst loszugehen, und die gefürchteten Sozialdemokraten, die so schrecklich roten Austromarxisten, wagten keinen Mucks mehr. Und da, in höchster Not, erschien Johann Schober mit dem Ölzweig, versprach den armen Leuten freien Abzug aus ihren letzten Machtpositionen und ungestörtes Dahinvegetieren in ihren Parteibureaus. So half er nicht nur der bürgerlichen Gesellschaft sondern auch noch ihren Feinden. Wie ein heldenmütiger Feuerwehrmann hat er die Sozialdemokratie, das arme, zitternde Kind, aus dem brennenden Hause geholt. Das ist eine tapfere und aufopfernde Tat. Niemand wird gegen diesen rettenden Engel den Vorwurf erheben, daß er mit dabei war, als das Haus angezündet wurde.
Das deutsche Bürgertum beneidet Österreich mit Recht um Johann Schober, wenngleich unter den viel kompliziertern deutschen Verhältnissen eine so intelligente Spitzbubenleistung nicht denkbar wäre. Der Bundeskanzler kommt zwiefach bekränzt nach Berlin; er hat die Roten zum Kuschen gebracht, und ihn umgibt das süße Aroma des römischen Erfolges, das Aroma der Freundschaft mit Mussolini. Was soll noch die Komödie der Demopresse, Schober komme nach Deutschland, um uns über seine römische Tournee zu beruhigen? Was er mitzuteilen hat, sagt er nicht den Interviewern und tutet er nicht durch den Rundfunk. Er bringt die italienische Offerte an Deutschland, mitzuspielen im Ring der weißen Diktaturen. Wird man sich durch die vage Zusicherung betören lassen, daß Italien nicht abgeneigt sei, in ungewisser Zukunft einmal als Belohnung für geleistete Landsknechtsdienste den Anschluß zu gestatten? Niemals würde so ein Versprechen gehalten werden, und der Preis für die großdeutsche Marotte wäre auch zu hoch. Die pariser Blätter, denen immer aller Instinkt und alle Vernunft wegbleibt, wenn sie sich mit der Anschlußfrage beschäftigen, verfolgen Schobers Aufenthalt in Berlin mit ärgstem Mißtrauen und sehen schon wieder eine perfekte Verschwörung zur Durchführung der Vereinigung Deutschlands und Österreichs. Diese Annahme ist völlig unsinnig. Schober ist nicht als Einpeitscher des teutonischen Blocks gekommen, er hat überhaupt keine eigne Rolle durchzuführen, er ist nur der Briefträger des Fascismus.
Die Weltbühne, 25. Februar 1930