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Lieber Vorwärts! Der Versuch Ludwig Quiddes und seiner Freunde, die den Anschluß der Demopartei an den Jungdeutschen Orden nicht mitmachen wollen, wird von Dir in einer Weise kommentiert, die nicht widerspruchslos passieren darf. Ich weiß nicht, ob Quiddes Vereinigung unabhängiger Demokraten einmal parteibildende Kraft zeigen wird oder ob es sich hier nur um einen charaktervollen Protestakt handelt, ähnlich dem Ledebours, der allein blieb, um nicht Noskes Parteigenosse zu werden. Man kann über die Möglichkeiten dieses Schrittes verschieden denken, jawohl, aber was Du dazu bemerkst, ist keine Kritik sondern ein sehr überheblicher Hymnus auf den eignen Laden. Du erinnerst an den Fehlschlag der Demokratischen Vereinigung vor zwanzig Jahren, die Herr Breitscheid geführt hat, als er noch nicht der parlamentarische Schönheitskönig war sondern ein kämpfender Revolteur. Du meinst, eine Sammlung radikaler Demokraten bedeute heute nicht mehr als die Befriedigung eines »überflüssigen Luxusbedürfnisses« und hieße auch, »das Arbeiten des politischen und parlamentarischen Apparates noch weiter erschweren.« Ausgezeichnet. Ein paar allzu aufrichtige Einzelgänger könnten den politischen und parlamentarischen Apparat allerdings segensreich erschweren, unter anderm auch Deiner Partei die Begründung ihrer Umfälle komplizierter machen. Du nimmst aber auch die Gelegenheit wahr, um die etwas legendär gewordene Radikalität der Partei wieder zu manifestieren: »Allerdings geht die Sozialdemokratie weiter. Sie steht als Partei des arbeitenden Volkes für den Sozialismus gegen den Kapitalismus, und das ist eine Hürde, vor der auch die ›unabhängigen‹ Demokraten noch scheuen. Sie begreifen oder wollen nicht begreifen, daß nur das arbeitende Volk wirklicher Träger der demokratischen Ideale sein kann ... Ehrlichen und aufrechten Demokraten bleibt nichts übrig als der Weg zur Sozialdemokratie.« Gott, was für klassenkämpferische Töne! Ist da ein Bauchredner im Zimmer? Wann außer in Wahlzeiten hört man das? Zwar hat vor ein paar Tagen erst Herr Erkelenz bei Dir versichert, wie angenehm leicht ihm der Übertritt zur Sozialdemokratie gefallen sei; er hätte seine Anschauungen gar nicht zu revidieren brauchen und Marxismus werde ja nicht verlangt. Es ist eine peinliche Geschichte, verehrtes Zentralorgan – Deine Genossen haben in diesen zwölf Jahren Republik mit den seltsamsten Leuten ohne große Einreden das Lager geteilt, aber wenn sie auf ein paar anständige demokratische Republikaner stoßen, dann erwacht plötzlich die Erinnerung an den Sozialismus und daß die Andern doch nur »Bürger« sind. Wo hat die Partei denn für den Sozialismus gestanden? Ist das Republikschutzgesetz Severings, dies Ausnahmegesetz gegen die Kommunisten, etwa eine große demokratische Leistung? Und um nur ein Beispiel von vielen zu nehmen: ist der Bürger Erzberger nicht ein stärkerer und sozialerer Finanzminister gewesen als der Genosse Hilferding? Wäre die Sozialdemokratie wirklich die republikanische Partei par excellence, dann wäre für unzählige freiheitlich Denkende die Frage viel einfacher, welche Mitgliedskarte sie in der Tasche tragen, welche Partei sie am 14. September wählen sollen, und dann würden auch die Linksradikalen nicht so prosperieren wie jetzt. Gegen Quiddes Gründung lassen sich mancherlei Einwände erheben, aber wenn Du, lieber Vorwärts, plötzlich den rauhen Proletarier spielst und mit der vollen Unerbittlichkeit Deiner marxistischen Prinzipien diese Leute als Bürger abtust, die vor dem Klassenkampf zittern, – das geht nicht. Das ist eine widerwärtige Tartüfferie. Faß Dich an Deinen eignen Zörgiebel, alter Pharisäer.
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Der Hund lief in die Küche
und stahl dem Koch den Brei,
da nahm der Koch den Löffel,
und schlug den Hund entzwei.
Kinderlied
Mit der bürgerlichen Sammlung ist es wieder nichts. An Stelle der Einheitspartei der Mitte treten noch ein paar Gruppen mehr auf als sonst. Dabei müssen die Unterschiede der Parteien von Treviranus bis Dietrich mit dem Vergrößerungsglas gesucht werden. Selbst die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹, ein schwerindustrielles Blatt mit fascistischer Gösch, findet, daß Volkspartei und Staatspartei eigentlich dasselbe wollen und deshalb ohne Gewissensbeschwerden in einander aufgehen können. Doch da sind noch Scholz und Koch ... Wenn die Einigung bisher nicht zustande gekommen ist, so lag das ganz gewiß nicht an den Göttern zweiten Ranges sondern an der Eifersucht der Führer. Im Grunde genommen bedeutet die Kreation der Staatspartei nur eine neue Phase in der alten Rivalität zwischen diesen beiden Granden. Daß etwas gegründet werden sollte, stand schon lange fest; es kam nur darauf an, wer den Anfang machen und wer der künftige alleinige Leader sein sollte. Erich Koch hat zwar seine alte Partei mit Mann und Maus ins Verderben gebracht, aber ein schlechter Führer kann noch immer ein flotter Gründer sein. Herr Koch, dem seine Stadt Kassel hoffentlich einmal ein Standbild aus Gelatine setzen wird, ist Herrn Scholz an Fixigkeit entschieden über. Während der Duce der Deutschen Volkspartei über dem Projekt einer Reichspartei und dem dazugehörigen flammenden Aufruf bastelte, setzte sich Koch mit Mahraun ins Rheingold und gründete auf Teufel komm raus. So hatte Scholz das Nachsehen. Er fühlte sich überrumpelt und wurde böse. Es ist kein Zweifel, daß sich die Volkspartei augenblicklich zwischen den Neukonservativen und der Staatspartei etwas unglücklich plaziert fühlt. Denn sie steht so als reine Unternehmerpartei da, auf soziale Redensarten ist sie nicht eingefuchst; Herr Lambach, rechts von ihr, macht das viel besser. Es wäre also rein zum Verzweifeln, wenn ihr nicht aus der Staatspartei selbst Sukkurs käme. Auf dem rechten Flügel, dort wo der Hansabund thront, sehnt man sich nach Scholz und den Seinen, um das sozialreaktionäre Element zu verstärken. Wäre Herr Scholz ein solcher Zwerg und seine Partei so unbedeutend, wie die der Staatspartei befreundeten Blätter behaupten, dann brauchten doch nicht solche Anstrengungen gemacht zu werden, um an den Verhandlungstisch zu kommen. Dann könnte man die Leute doch still verrotten lassen. Statt dessen bietet Herr Koch – gewiß unter schwerem Druck – seinen Rücktritt an und wird dann in Urlaub geschickt, während für die Aussprache »von Mensch zu Mensch« Herr Höpker-Aschoff delegiert wird. Die Staatspartei ist also bereit, ihren eben noch umjubelten Gründer zu opfern, weil er der Nachbarpartei noch immer zu jakobinisch riecht. Denn Mahraun und den Syndici der Jungdeutschen ist nur an Erweiterung nach rechts gelegen, während dem Hochkapitel von LG. Farben die ganze Volksgemeinschaft keinen Spaß mehr macht, wenn die Schwerindustrie nicht dabei ist. Herr Koch hat mit der Gewandtheit des Taschenspielers eine neue Partei aus der Manschette geholt, wobei aus Versehen allerdings auch die Judenklausel der Jungdos ins Parkett gefallen ist. Der schwerfällige Scholz spekuliert dagegen auf die Schwerfälligkeit seiner Mitbürger. Es gibt schon heute genug Nachdenkliche, die sagen, daß die Parteien am besten abschneiden werden, die ihren Namen nicht geändert haben.
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Große Männer waren immer abergläubisch. Bei Goebbels hat man es sehr mit dem Spiritismus, und wenn irdischer Rat nicht mehr verfängt, muß die okkulte Welt regulierend eingreifen. Das paßt zwar nicht recht zu dem Bild, das man sich nach seinen turbulenten Reden von dem völkischen Alleszerschmetterer gemacht hat. Aber unser formidabler Volkstribun ist, sich selbst überlassen, ein armes, seelisch verquetschtes Luder, gar kein Bramarbas mehr, wie an der Rostra im Toben des Beifalls, sondern ein Zerbrechlicher, der mit allerlei magischem Hokuspokus sich selbst mehr als andre mystifiziert. Da fand vor einiger Zeit in Garmisch-Partenkirchen so eine Séance statt ... Man hatte die Gläser im Kreise aufgestellt, und wie sie nachher auf dem Tisch herumtanzten, bezeichneten sie die Orakelsprüche aus Geistermund. Es waren Gäste dabei, die wahrscheinlich Armin und Thusnelda und andre Exzellenzen des Germanentums erwarteten, aber es muß an diesem Tag im Jenseits eine Betriebsstörung fällig gewesen sein, denn es meldete sich zunächst ein nicht eingeladener Herr Simon mit echt jüdischer Vordringlichkeit. Viel schlimmer noch als das Entree war das weitere Benehmen dieses Herrn, denn das Wort, das entziffert wurde, es kann nicht verschwiegen werden, hieß schlicht und rund: »Kotze«. Das hatte die peinliche Folge, daß die Damen entrüstet das Zimmer verließen. Mit Verwünschungen überhäuft zog sich der unanständige jüdische Geist nach Gehenna zurück. Die Damen erschienen erst wieder, als sich der galante Prinz Louis Ferdinand meldete, der indessen keine frivolen Scherze machte, sondern sich nur auf die trockene Bemerkung beschränkte, daß Goebbels nächstens Kultusminister werden würde. Als Letzter stieg, wie selbstverständlich, Bismarck aus dem Hades. Keine Feier ohne Bismarck. Damals war grade der Konflikt Hindenburg-Goebbels ausgebrochen, dem eisernen Kanzler schien das zu weit zu gehen. »Goebbels, denk an Tannenberg!« mahnte er betrübt, und Goebbels dachte daran und war tief erschüttert. So endete die bedeutsame Seance. Kleinere Politiker müssen zur Begründung ihrer taktischen Schwenkungen mit Zitatensprüchen längst Verstorbener aufwarten, doch der nationalsozialistische Häuptling, in den Tiefen der parapsychologischen Wissenschaft zuhause, bestellt die Herren selbst herauf und läßt sich von ihnen bestätigen. Jeder Esel kann sich auf Bismarck berufen, aber um den Schatten Bismarcks selbst an den Zeugenstand und zum Sprechen zu bringen, dazu muß man schon ein Erleuchteter wie Goebbels sein.
Die Weltbühne, 12. August 1930