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Es wäre heute an der Zeit, wieder eine Soziologie der literarischen Moden zu schreiben. Ein besonderes Kapitel darin müßte der rapiden Abwirtschaftung des literarischen Kommunismus gewidmet sein. An jenen Plätzen um die Gedächtniskirche, wo Epochen gemacht und wieder zum Streichsatz getan werden, trägt man nicht mehr Rot. Man ist erschöpft und benutzt gern das auch in den Glanztagen des Radikalismus nicht fortgeworfene Retourbillett in vergangene Zeiten. Der Snob geht wieder katholisch oder äugt nach nationalistischem und militaristischem Gedankenflitter. Man nennt unter sich Herrn Hussong den Henri Rochefort der Rechten, und sogar Herr von Seeckt hat seine verschämten Bewunderer. Einige besonders Beherzte haben schon den Russenkittel offen gegen die Offizierslitewka eingetauscht, und so wie früher die Internationale summt man jetzt: »Doch übers Jahr im Lampenschein, Annemarie ...«
Die deutsche Rechte ist politisch keinen Deut mehr wert als ihre Gegenspieler. Aber sie hat der Linken heute voraus, daß sich bei ihr eine eigne Literatur entfaltet, daß ihre jungen Federn sich energisch von dem überlieferten Kafferntum emanzipieren. Nationale Dichtung, das hieß bis jetzt: Ernst von Wildenbruch und Joseph Lauff; nationale Moderne: Artur Dinter. Die jungen Leute steckten die Nase in das Methorn der Väter, und siehe, es roch sauer. Sie empfanden es als Schande, daß national sein durchweg gleichbedeutend war mit schlechtem Stil und mangelnden Beziehungen zu den geistigen Mächten von Vergangenheit und Gegenwart. Jetzt haben sie ihre eignen gut geschriebenen Zeitschriften, ihre Diskutierzirkel, ihre Ideenbörse und ihren Klatsch. Sie betonen ihre deutsche Art gern, aber mit einigen durch die Vernunft der Praxis geregelten Einschränkungen. So haben sie in aller Stille ihr Germanisches Café gegründet, wo es sehr geistig, sehr literarisch zugeht. Es wird viel von nationaler Revolution gesprochen, von soldatischer Überlieferung, vom echten Adel, vom Mythos des Führertums und den unsterblichen kriegerischen Tugenden. Die Noblesse der Form ist anerkennenswert; Hitler und Seldte sind siriusweit entfernt; Spenglers Geist rutscht vernehmlich über die Marmortische.
Und dennoch hat der »neue Nationalismus« kein rechtes Leben. Der Kriegsgott schreit nun einmal nach kräftigern Getränken. Der »neue Nationalismus« nährt sich einstweilen noch von dem nicht mehr ganz frischen Vokabularium der Linken, das kühn aber oft nicht ganz richtig verwendet wird. Ich denke noch an den Schrecken, den ich empfand, als mich vor zwei Jahren Herr Doktor Hielscher in einer Klubdiskussion auf meine Frage, wer in Dreiteufelsnamen die nationale Revolution denn machen solle, mit der gewaltigen Behauptung niederdonnerte: »Das souveräne Volk«. Ich war damals so bestürzt, daß ich den ganzen Abend kein Wort mehr sagte. Wenn ein Mann von rechts einen so jakobinischen Patriotismus verkündet, dann stimmt etwas nicht. Der »neue Nationalismus« klirrt sehr melodisch mit den Sporen, er hat Reitergeist, er hat die Peitsche dazu und den Sattel, es fehlt nur noch eines: das Pferd. Der Nationalismus alten Genres hatte wenigstens das gute dumme Volk als Reittier. Sein junger Nachfolger jedoch macht es durch eine fremdwirkende Intellektualität scheu. So ist einstweilen nichts da als ein Bündel von Büchern und Broschüren, die vorzüglich geschrieben sind, deren Gedanken aber wolkig und ohne Substanz bleiben. Nation, Krieg und Freiheit, schöne tönende Worte, um die genug Tinte und Blut verspritzt worden ist, werden in der neuen Formung schaukelnde, konturlose Begriffe, die jeglicher nach seinem Gusto auslegen kann. Aus den Schriften des Herrn Ernst Jünger und seines Kreises nimmt man nichts mit als die Erinnerung an eine sehr nuancierte Diktion und die beruhigende Gewißheit, daß ein paar Dutzend jüdische Autoren doch nicht umsonst gelebt haben.
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Herr Ernst von Salomon, einer jener unternehmungslustigen Tyrannentöter, die Walther Rathenau zur Strecke gebracht haben, veröffentlicht im ›8-Uhr-Abendblatt‹ seine Erinnerungen. Ich weiß nicht, ob der Titel »Wie wir Empörer wurden« vom Verfasser selbst stammt, aber es ist kein Zweifel, daß er sich für einen großen Empörer hält. Auf den Leser jedoch wirkt er als weichlicher, selbstgefälliger Raisonneur, der mit dem quälend empfundenen Nichts in Herz und Kopf nicht fertig werden kann und es deshalb großzügig zum allgemeingültigen Lebensprinzip erhebt. Seine Sprache ist sehr gepflegt aber von einer monotonen Weinerlichkeit, die auf die Nerven fällt. Es ist schwer ertragbar, wenn die Schilderung von unmenschlichen Vorgängen immer wieder von lyrischem Geschluchze unterbrochen wird, wenn der Autor und Mitspieler dieser Scheußlichkeiten immer bereit scheint, dem Leser mit einem eben noch geröchelten »Bruder, o Menschenbruder!« um den Hals zu fallen und sich an seinem Busen auszuweinen.
Ich weiß nicht, ob sich Herr von Salomon für sein Selbstporträt mit Absicht die zartesten Farben ausgesucht hat. Aber männlich und soldatisch wirkt dies Porträt gar nicht. Wir sehen einen jungen Menschen, der aus dem Krieg in die Freikorps torkelt, erst im Baltikum mitmacht, nachher in der »nationalen Bewegung«, dessen Aktivität sich aber darauf zu beschränken scheint, im Dunstkreis kräftigerer Persönlichkeiten gelitten zu werden. Ein tragikomischer Schlemihl im Grunde, der sich für einen Soldaten von Geblüt hält, wenn er für die höhere Charge die Stiefel putzen darf. Die Gerechtigkeit gebietet zu sagen, daß er seine Kameraden nicht anders sieht als sich selbst. Diese Baltikumer sind empfindsame Wesen und ohne Groll gegen die Menschen, die sie niedermetzeln. Sie kennen keinen Haß gegen Franzosen, Bolschewiken, Juden und Sozis. Sie sind Exekutoren und zugleich Märtyrer einer geheimnisvollen Idee, schicksalsverbunden durch eine mystische Mission, die der Verfasser nicht näher erklären kann oder will, Soldaten Gottes, Engel der ewigen Revolte, Schürer der heiligen Flamme des Mars. Diese jungen Marodeuroffiziere, denen das Füsilieren so leicht fiel, kommen bei dem sanften Pastellkünstler mit der asketischen Traurigkeit der irrenden Ritter von Rossetti oder Burne-Jones heraus, wie prärafaelitische Lancelots oder Tristans, die einsam träumen, während das weiße Mondlicht über den dunklen Panzer rieselt. Auch Kern und Fischer, die beiden Mörder Rathenaus, können vor lauter Lyrik kaum gehen. Sie bringen ihrem Opfer die besten Empfindungen entgegen, sie reden von ihm mit Güte und Zärtlichkeit. Angesichts dieser Umbiegung einer irrsinnigen Bluttat in sanfte Idyllik, muß ich an den Oktobertag 1922 zurückdenken, an die dichtgefüllten Anklagebänke im Reichsgericht. Da saß dieses Konsortium von Tyrannenmördern zusammen: lachend, schwatzend, Freunden im Hörerraum zuwinkend, schicksalsverbunden und pralinékauend. Nicht ein Gesicht dabei, das vom Erlebnis angeweht war, auf allen Visagen malte sich die heitere Gewißheit, daß es bei den Richtern der Republik nicht den Kragen kosten wird und daß, für den Ernstfall, die Kameraden draußen nicht müßig sind.
Die meisten dieser Einwendungen gegen Herrn von Salomon sind, wie ich zugebe, nur geschmackliche. Also wohl überflüssige Bemühung, denn dieser jugendliche Memoirenverfasser hat zu viel Seele, als daß von ihm auch noch Geschmack verlangt werden könnte. Viel ernster ist der Einwand, daß er auch heute noch, acht Jahre älter geworden, die Ermordung Rathenaus zu heroisieren wagt, daß ihm noch heute jedes Verständnis dafür fehlt, was für eine erbärmliche Feigheit diese Tötung gewesen ist. Denn diese jungen Brutusse haben mit der denkbar größten Sicherung ihrer Retraite gearbeitet. Auto und Pässe waren vorhanden, alles war aufs beste für die Flucht vorbereitet; es ist nicht die Schuld Kerns und Fischers, daß infolge einer Deroute unter ihren Freunden die Sache nicht klappte. Diese beiden Bravi haben mit geringem Risiko einen Unvorbereiteten und Wehrlosen gemeuchelt. Herr von Salomon überschmiert diese Scheußlichkeit mit sehr viel salbigem Pathos, während er lang und breit das traurige Ende seiner Freunde bejammert und seine Entrüstung darüber ausläßt, daß die Verfolger mit den beiden bewaffneten Männern schließlich kurzen Prozeß machten. Kern erscheint noch immer als strahlender Held und Fischer als »der Typus eines Frontoffiziers«.
Warum aber mußte Rathenau ermordet werden? Über die wirklichen politischen Gründe und die Auftraggeber schweigt Herr von Salomon begreiflicherweise. Von ihm erfahren wir nur, daß Kern, der Mann Ehrhardts, sich diesen Mord etwa als Signal für die nationale Revolution dachte. In einer Versammlung in Frankfurt sieht sich Kern das erkorene Opfer zunächst einmal an:
»Ich sah, wie Kern, halb vorgebeugt, nicht ganz drei Schritt von Rathenau entfernt, ihn in den Bannkreis seiner Augen zwang. Ich sah in seinen dunklen Augen metallisch grünen Schein, ich sah die Bleiche seiner Stirn, die Starre seiner Kraft, ich sah den Raum sich schnell verflüchtigen, daß nichts mehr blieb von ihm als dieser eine arme Kreis und in dem Kreis zwei Menschen nur.
Der Minister aber wandte sich zögernd, sah flüchtig erst, verwirrt, sodann nach jener Säule, stockte, suchte mühsam, fand sich dann und wischte fahrig mit der Hand sich von der Stirn, was ihm angeflogen war. Doch sprach Rathenau nun fortan zu Kern allein.«
Wahrscheinlich ist bei Herrn von Salomon die Imagination stärker als die Beobachtungsgabe und die Erinnerung nicht frei von romantisierenden Zutaten. Schließlich entwickelt Kern seinen Plan:
»Kern sagte: ›Wenn jetzt das Letzte nicht gewagt wird, kann es für Jahrzehnte zu spät sein. Was in uns brodelt, gärt in allen Hirnen, auf die es ankommt. Was werden will, soll nicht in dumpfen Räumen reifen. Es kann sich nicht anders formen, als unter dem steten Zwang zu steter Tat ... Nicht anders vollzieht sich eine Revolution. Wir wollen die Revolution. Wir sind frei von der Belastung von Plan, Methode und System. Darum ist es an uns, den ersten Schritt zu tun, die Bresche zu schlagen. Wir müssen abtreten in dem Augenblick, da unsre Aufgabe erfüllt ist. Unsre Aufgabe ist der Anstoß, nicht die Herrschaft.‹
Fischer saß unbeweglich. Ein Schutzpolizist ging langsam vorbei und musterte uns. Es wurde dunkel. Kern sagte: ›Der Wille zur Verwandlung ist da, überall. Er hat ganze Völker ergriffen, er steht als Furcht vor dem Leben, die immer eine Furcht vor dem Tode ist, in den Herzen der Kleinmütigen ... Was wir bis jetzt getan, steigerte, aber genügte nicht. Schlag auf Schlag fielen die Exponenten der Haltung, die es um jeden Preis zu vernichten gilt. Wir greifen das Sichtbare an; es ist immer noch durch Menschen verkörpert. Wir trafen Glieder, nicht das Haupt und nicht das Herz.
Ich habe die Absicht, den Mann zu erschießen, der größer ist, als alle, die um ihn stehen.‹
Mir wurde die Kehle trocken. Ich fragte: ›Rathenau?‹ ›Rathenau‹, sagte Kern. Er stand auf und sagte: ›Das Blut dieses Mannes soll unversöhnlich trennen, was auf ewig getrennt werden muß.‹«
Kurz vor der Tat wird Fischer in den Reichstag mitgenommen, um sich die Züge des zu Erlegenden einzuprägen:
»Kern und Fischer besuchten den Reichstag. Rathenau sprach. Auf dem Heimweg blieb Kern Unter den Linden vor einem Photographenaushang lange stehen, in dem Rathenaus Bildnis hing. Die dunklen, merkwürdig warmen und gesammelten Augen blickten aus dem schmalen und gepflegten Gesicht uns beinahe forschend an. Fischer sagte nach langem Zögern: ›Er sieht sehr anständig aus.‹ Wir gingen rasch davon.«
Und dann kommt die Stunde der Tat:
»Am Sonnabend, dem 24. Juni 1922, des Morgens gegen halb elf Uhr, stand der Wagen in einer Seitenstraße der Königsallee im Grunewald, in der Nähe der Wohnung Rathenaus.
An der Stelle, wo die Straße in die Königsallee einmündete, stand wartend Fischer. Kern holte aus dem Wagen seinen alten Gummimantel. Techow bastelte an der Haube seines Wagens. Er berichtete Kern, der Ölzuführer sei kaputt. Für eine kurze und schnelle Fahrt würde der Wagen noch genügen.
Kern blieb bei seiner freien Gelassenheit. Ich stand vor ihm und sah ihn an. Ich zitterte so stark, daß ich zeitweilig dachte, der Motor des Wagens, an den ich gelehnt stand, sei bereits angelassen. Kern schlüpfte in den Mantel. Ich wollte irgend etwas sagen, irgend etwas Warmes, Sicheres. Schließlich fragte ich kläglich: ›Was sollen wir für Motive angeben, wenn wir gegriffen werden?‹
›Wenn ihr gegriffen werdet‹, sagte Kern fröhlich, ›dann schiebt wacker alle Schuld auf mich. Das ist selbstverständlich. Sagt um keinen Preis die Wahrheit, sagt irgend etwas; Gott es ist so gleichgültig, was. Sagt irgend etwas, das die Leute verstehen, die gewohnt sind, ihren Morgenblättern zu glauben. Sagt meinetwegen, er sei einer von den Weisen von Zion, oder er habe seine Schwester an Radek verheiratet, oder sonst was Blödes. Oder sagt, was euch die Zeitungen vorkauen werden, was ihnen eingeht wie braune Butter, wenn sie es in eurer Aussage wiederfinden werden. Vielleicht schämen sie sich dann ein bißchen. Sagt es so platt wie möglich, wenn ihr überhaupt etwas sagen müßt, nur so seid ihr verständlich. Was uns bewegte, werden sie nie verstehen, und verstünden sie es, so müßte es euch erniedrigen. Seht zu, daß ihr euch nicht kriegen laßt. Bald wird jeder Mann gebraucht.›
Er zog sich die Lederkappe über den Kopf. Sein Gesicht sah kühn und offen aus der braunen, strengen Umrahmung.«
Man kann die »Fröhlichkeit«, die »Gelassenheit« Kerns anders auslegen als es dieser wehleidige Komplize tut. Ob die Schilderungen des Herrn von Salomon wirklich der letzten Wahrheit entsprechen, wird sich niemals mehr nachweisen lassen. Es ist auch gleichgültig. Kern und Fischer sind nicht mehr am Leben, die andern Tathelfer amnestiert. Aber abstoßender als die ärgste Verunglimpfung des toten Rathenau nimmt sich diese fatale, durch und durch schleimige Generosität aus, mit der einer der Henkersknechte hier von ihm spricht. Das Opfer wird gleichsam in den Bruderbund seiner Mörder einbezogen. Man findet, daß es anständig aussieht, man klopft ihm wohlwollend auf die Schulter. Diese den Blutrichter spielenden Knaben sind kleinbürgerliche Snobs: sie empfinden Genugtuung, einen so feinen Mann umbringen zu dürfen. Und zu allem Überfluß bemerkt Herr von Salomon noch, daß sich nachher die Freunde des Ermordeten nicht seiner Bedeutung angemessen verhielten:
»Der Rang des Menschen Rathenau vermochte nicht dem Haß und nicht der Trauer seiner Freunde das Gesicht zu geben. Er blieb auch im Tode einsam.«
Hier traut man seinen Augen nicht. Ist das noch sentimentale Verwaschenheit oder schon dummfreche Herausforderung? Es gibt eine Roheit, die auch an der Totenbahre nicht endet. Aber viel ärger wirkt dieser Seelensabber über eine Leiche, herrührend von einem, der geholfen hat, sie zu produzieren.
Wenn Herr von Salomon über jene herbe Männlichkeit verfügte, von der er so gern spricht und die seine Freunde vom »neuen Nationalismus« als vornehmste Tugend preisen, hätte er dies larmoyante Geschwafel nicht aufs Papier bringen, geschweige denn herausgeben können. Er ist als dummer Junge in ein tragisches Komplott hineingestolpert. Jetzt, Jahre später, belästigt er uns mit hysterischen Bekenntnissen, mit waschlappigen Paraphrasen einer herzlich eindeutigen Tat, anstatt den einzigen männlichen Weg zur Sühne zu suchen: zu schweigen, an sich zu arbeiten, um der Welt, der er einen bedeutenden Mann geraubt hat, wenigstens einen brauchbaren und tüchtigen wiederzugeben. Das soll ein Empörer sein? Ein Krieger? Nein, ein Schlemihl, ein armseliger Nebbich, der sich an einer glühenden Zeit die Finger verbrannt hat und sein Ach und Weh noch in vielen Büchern deponieren wird.