Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Wahlkampf: die Staatspartei

Oheim, vermische nicht ideales Wollen
mit eigensüchtigen Zielen, materiellen
Lohnfragen und dergleichen ...

Aus »Allvater hilf!« Jungdeutsches Schauspiel von Artur Mahraun

Es gibt nichts Schöneres als eine Parteigründung. Die Welt atmet in neuer Frische. Die Flut sinkt. Über dem Ararat schwebt der Bogen des neuen Bundes. Auch die Gründer der Deutschen Staatspartei möchten uns an ein so frohes Brausen glauben machen, aber wir Unbeteiligten sehen nur die fragwürdige Vereinigung von Gruppen, deren Existenzberechtigung schon lange zweifelhaft geworden war. Die Jungdeutschen waren als rechtsradikaler Bund, die Demokraten als Linkspartei unmöglich geworden. Sie taten sich zusammen unter dem ebenso anspruchsvollen wie nichtssagenden Namen Staatspartei.

Überall auf Gottes weiter Erde nennen sich die Parteien sonst konservativ, liberal oder sozialistisch, monarchistisch oder republikanisch. Man verlangt nämlich von einer Partei zu wissen, welchen Staat sie will, nicht, daß sie den Staat will, der von keiner Seite bestritten wird und an dessen Dasein uns die Finanzämter hinreichend erinnern. Eine deutsche Partei, die sich mitten in der heutigen Auseinandersetzung zwischen Reaktion und Weiterentwicklung einfach Staatspartei nennt, bekennt damit, daß es ihr auf die politischen Prinzipien, die den Staat formen sollen, nicht ankommt. Sie bekennt sich damit nur zur ungestörten Funktion der Verwaltungsmaschinerie. Ob Republik oder Monarchie, das ist ihr gleichgültig.

Aber wir wollen uns nicht bei der vielleicht unerheblichen Namengebung aufhalten, auch nicht bei der mehr oder weniger großen Belastung der Gründer. Wenn Herr Oscar Meyer sich nicht an der Judenklausel der Jungdos stößt, wenn die erklärten Friedensfreunde unter den Demokraten den Ausfall Mahrauns gegen »pazifistische Ideologien« hinnehmen, so ist das deren Sache. Die Herrschaften müssen selbst wissen, wie ernst sie sich zu nehmen haben. Von öffentlichem Interesse ist nur, was die Partei an Männern und Ideen serviert. Nun, die erste Proklamation war von einer himmelschreienden Plattheit. Kein konkretes Wort, dafür aber ein wahrer Traufregen von Selbstzufriedenheit. Und wenn ein ehemaliges Demoblatt versichert, Herr Mahraun habe beim ersten Presseempfang in seinem blauen Jackettanzug wie ein Marineoffizier ausgesehen, so bedeutet das vielleicht den Einbruch der Herrenkonfektion in die bessere Politik aber noch lange nicht den Anbruch der Ära großer Persönlichkeiten, und übrigens trägt auch Herr Treviranus blau.

Wer macht nun wirklich mit? Wer sind denn die Feuerköpfe, die das junge Deutschland zur Tat aufrufen? Da ist Citoyen Erich Koch, der sich in der neuen Ordenstracht gewiß seltsam vorkommt. Da ist Oscar Meyer als Komtur der Bailei Börse, da ist Gertrud Bäumer (Allvater hilf!). Da ist der Industrielle August Weber, der früher die Liberale Vereinigung gedrechselt hat. Da sind Hansafischer, J.G. Hummel, Z.K. Külz und alle Andern, die die Demopartei auf den Hund gebracht haben. Es fehlt nur noch der Herr Staatsminister a.D. Fischbeck, der Veteran des Prinzipienverrats, der alle liberalen Umfälle seit etwa 1830 erfolgreich mitgemacht hat, und nicht fehlen darf, wo Jugend zu Jugend will. Das junge Element dürfte also vornehmlich von den Jungdos gestellt werden, wie überhaupt die Körperlichkeit der neuen Partei, während die Demokraten als Morgengabe nur eine Fuhre ausgedienter Deputiertenknochen und ihre schöne Seele mitbringen. Von dieser Seele scheint der Romantiker Mahraun große Stücke zu erwarten. Der auch in dieser Hinsicht heftig irrende Ritter wird da noch sein mattviolettes Wunder erleben. Herr Mahraun hat grauenerregende Verse geschrieben, aber seine Leute haben gut geschossen. Der Hochmeister hat einen Orden, der als eine Art Ku-Klux-Klan begonnen und bei Mechterstädt ein trauriges Meisterstück geliefert hat, geschickt aus der rechtsradikalen Drecklinie hinausmanövriert. Ob die Ordensbrüder auf der andern Seite der Barrikade ebensogut schießen werden, muß abgewartet werden. Unsereiner tut allerdings gut, aus dem Wege zu gehen, da sich die Jungdotirailleure, durch die jähe Schwenkung irritiert, auf die neue Zielrichtung noch nicht recht eingeschossen haben. Eine gewisse Sicherheit gegen manche Dummheiten bietet vielleicht die alte Feindschaft des Ordens mit dem Reichswehrministerium respektive mit der dort allmächtigen Schleicherclique. (Die Clique des Generals von Schleicher, Herr Staatsanwalt!) Gradezu gemeingefährlich ist dagegen die Rußlandpolitik des Ordens. In seinem oben zitierten Drama hat Herr Mahraun schon vor Jahren »die neue Welt, die Bolschew uns gewiesen«, entschieden abgelehnt. Denn Bolschew ist bekanntlich der Erfinder des Bolschewismus, und Mahraun haßt ihn und seine Brut. Der Pressechef des Ordens, Herr August Abel, hat wiederholt in Paris den europäischen Kreuzzug gegen die Sowjetunion propagiert, ganz im Sinne der Pläne Arnold Rechbergs, der sich die deutsch-französische Verständigung nur als Militärkonvention vorstellen kann. Herr Abel hat in Paris keinen großen Eindruck gemacht; man wird trotzdem aufpassen müssen.

Ein unbestreitbares aktuelles Verdienst hat sich die neue Partei dadurch erworben, daß sie die reaktionären Sammlungspläne des Herrn Scholz einstweilen durchkreuzt und diesen selbst gezwungen hat, Farbe zu bekennen. Was bisher noch dürftig verdeckt war, liegt jetzt unverhüllt: die Deutsche Volkspartei würde sich nicht gegen einen Regierungsblock mit den Nationalsozialisten sperren. Zwar bestanden darüber längst keine Zweifel mehr, aber wegen der großen Republikaner im Zentrum ist es gut, daß man es schwarz auf weiß hat. Wird die Staatspartei dagegen in demselben Maße bereit sein, die Brüningdiktatur abzulehnen? Einstweilen ist ihre Hauptattraktion, Herr Dietrich, noch deren stärkste Säule und temperamentvollster Verteidiger. Ob die Staatspartei besondere Chancen hat, läßt sich nicht voraussagen. Das hängt zum Teil auch von dem Verhalten der andern bürgerlichen Parteien ab, und es ist denkbar, daß die oft bewährte Elefantenfüßigkeit des Herrn Scholz diesmal besser für sie wirbt, als sie selbst es vermöchte. Ihre innern Möglichkeiten sind dagegen gering. Schon heute toben in den Beratungszimmern die heftigsten Kämpfe zwischen der von Lemmer geführten Arbeitnehmergruppe und den Scharfmachern vom Hansabund etcetera, die sich gern Liberale nennen und Rechtens auf den von Herrn Dietrich mit so viel Emphase gewünschten Komposthaufen der gemeinschädlichen Interessenten gehören. Auch diese Partei, die mit viel vagen Redensarten über die echte Volksgemeinschaft auf den Plan tritt und das Schicksalsgesetz der Klassengegensätze ignorieren möchte, wird letztlich erhärten müssen, daß die Tatsachen der Klassenkämpfe auch in der Wattierung politischer Romantik nichts von ihrer Schärfe verlieren. Noch einmal zwingt die Wirklichkeit der Wirtschaft die bürgerlichen Parteien zu einer ideologischen Maskerade: sie flüchten alle aus ihren alten Namen und vernebeln die Spuren. Keine will als plutokratisch, keine als Arbeitgeberpartei abgestempelt in diese Wahlen, in diesen Hungerwinter gehen. Da heften sich dutzendfache Aufsichtsräte lieber das Jungdokreuz an den Hut und vergessen gern, daß es einmal ihren Galgen zieren sollte.

Die Weltbühne, 5. August 1930


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