Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Fusionen

Nicht oft hat es so viele verdutzte Gesichter gegeben wie vor ein paar Tagen, als der Zusammenschluß der Deutschen Bank mit der Disconto-Gesellschaft bekannt wurde. Das gewiß schwierige Vorbereitungsstadium war in diskreteste Nachtfarbe gehüllt gewesen, und nicht ein Laut drang zu den findigen Finanzjournalisten, die sonst jedes wispernde Mäuschen im Keller eines Bankpalastes zu registrieren pflegen. Den größten Redaktionen blieb vor dieser Nachricht die Luft weg und selbst in den längsten Kommentaren spürt man die noch nicht ganz wiedergewonnene Lungenkraft. Die Verblüffung ist berechtigt, denn mit dieser Vereinigung zweier ohnehin überragender Bankinstitute entsteht ein Finanzungetüm, ein Leviathan, dessen Pranken und Zähne bald fühlbar werden. Was ist daneben Vater Staat, in dem wir alle in rebellischen Momenten einen reißenden Oger zu sehen gewohnt sind? Eine Armenkasse, ein Klingelbeutel in der Kirche einer Hungergemeinde. Und, wenn nicht alles trügt, scheint grade der Staat von der neuen Geldübermacht als Trainingsobjekt für ein paar vorbereitende Exerzitien in Aussicht genommen zu sein. Auf der düsseldorfer Tagung des Reichsverbands der Deutschen Industrie hat neulich Herr Doktor Kehl, der Jüngste in der Gerusia der Deutschen Bank, mit jener frischen Vehemenz, über die Herr Hjalmar Schacht früher verfügte, als er noch nicht so viel Weihrauch inhaliert hatte, ein Programm vom Vorrang der Wirtschaft gegenüber dem Staat eingehend erörtert. Es ist wieder große Mode, auf die öffentliche Hand zu schimpfen, gegen die vom Staat auferlegten Soziallasten zu wettern. Lang ist es noch nicht her, da war der Staat gut genug, um Subventionen herzugeben, und die ach so sieche Wirtschaft ließ sich gern von ihm goldene Prothesen bezahlen. Das ist vorüber, und heute konzentriert sich alles, um den Staat da, wo er als Kapitalist und Unternehmer auftritt, zu enteignen und seine Betriebe in die private Hand zu bringen. Wir sind seit Thomas Morus an sozialistische Utopien gewöhnt, wir pflegten die Gesellschaft der Zukunft immer frei und heiter zu sehen, erlöst von dem Erbfluch der ungerechten Eigentumsverhältnisse. Nun, man kann sich auch kapitalistische Utopien denken. G.K. Chesterton hat eine geschrieben, »Der Napoleon von Nottinghill« heißt sie, eine nachdenkliche kleine Satire, die um 1970 spielt, in einer Zeit, die sich dadurch auszeichnet, daß alles, aber auch alles radikal entkommunalisiert ist; sogar Wasserwerke, Brücken und Straßenreinigung sind in die Privatwirtschaft übergegangen, der Staat, funktionslos geworden, wird vertreten von einem Bäckerdutzend Subalterner, die sich mangels Beschäftigung zu Tode langweilen und von denen einer den Titel König führt. »Die Sozialisierung marschiert«, sagten die Genossen Minister der Noskezeit, und vor ein paar Jahren waren die Kommunisten witzig genug, im preußischen Landtag einmal die Anfrage zu stellen, wohin die Sozialisierung denn marschiert sei. Niemals ist eine Antwort erfolgt.

Eines unterscheidet den Kapitalismus allerdings sehr gründlich von seinen Gegenspielern: er handelt nur nach den Geboten kältester Zweckmäßigkeit. Er kennt nicht Sentimentalität, nicht Tradition. Er würgt, wenn es sein muß, schnell und sicher den Verbündeten von gestern ab und fusioniert sich mit dem Feind. Die beiden Riesenbanken, die sich jetzt zu gemeinsamem Tun zusammengeschmolzen haben, waren intime Konkurrenten und standen sich herzlich schlecht. Abneigungsgefühle haben sie nicht gehindert, das Hausinteresse dem größern Gebilde zu opfern. Könnte dieser Vorgang nicht beispielhaft wirken? Der Kapitalismus erhöht und verstärkt seine Bollwerke, denn er hat alles zu verlieren, und seine einzelnen Glieder verzichten klug auf die Eigensüchte des Moments. Aber die Andern, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten und über nichts verfügen als über eine Reihe umstrittener Ideologien, die raufen sich um ihre Dogmatik, die spalten und splittern sich in kleinste Teile, so daß sie nicht einmal mehr durch Quantität zu wirken vermögen.

*

Die politische Rechte Deutschlands ist ganz gewiß nur der volkstümlich kolorierte Mummenschanz der äußerlich farblosen und seelisch völlig indifferenten kapitalistischen Mächte. Aber wie viel derbe und höchst diesseitige Realistik haben nicht auch diese Tanzmasken des patriotischen Amoklaufs mit auf den Weg bekommen! Wie unterscheidet sie nicht ihre Unbedenklichkeit von den Herren der Linken, die ihren heimlichen Respekt vor den Götzen des von ihnen angeblich so sehr bekämpften Chauvinismus so gern mit der Stimme des nationalen Gewissens zu verwechseln pflegen! Mit welch erschütternder Rücksichtslosigkeit haben nicht die Nationalsten der Nationalen, die sonst die siegreiche Vernichtung Frankreichs mühelos vor dem ersten Frühstück bewältigen, in aller Ruhe eine Fusion zwischen den beiden feindlichen Firmen Foch Sccrs. und Seeckt sel. Witwe zu managen versucht!

Wir haben an dieser Stelle bereits betont, daß wir den Enthüllungswert der von Stresemanns ›Nationalliberaler Correspondenz‹ mit viel Aplomb herausgebrachten Nachrichten über die pariser Verhandlungen des Herrn Klönne nicht sehr hoch einschätzen. Die bekannt gewordenen Dinge sind mehr charakteristisch als sensationell. Denn die Rechtsparteien haben bisher nur in den Zeiten der Opposition mit ihren wilden Befreiungsplänen und ihren Revancheprogrammen Staat gemacht. Hugenberg selbst hat Wert darauf gelegt, das Wohlwollen angesehener amerikanischer Bürger für sich zu gewinnen. Denn die Periode der nationalen Einzelwirtschaften ist gründlich vorüber. Auch die extremste Partei bemüht sich um möglichst günstige Beurteilung im Auslande. Weder Fascisten noch Bolschewiki machen davon eine Ausnahme. Selbst die Regierung des blutigen Horthy ließ mit Rücksicht auf MacDonald und Henderson den uralten Apponyi, den Kahl des Völkerbundes, in Genf eine von allen Geistern des Pazifismus gesalbte Rede halten.

Am interessantesten ist natürlich, daß sich die Agenten der deutschen und französischen Reaktion grade in militär-politische Diskussionen versenkt haben. Und sie haben es so ausgiebig getan, daß wir alten professionellen Landesverräter vor Neid grün anlaufen müssen bei dem Gedanken, wie die sakrosankten militärischen Geheimnisse dabei wohl engros ausgetauscht worden sind. Nein, zimperlich sind die Herrschaften nicht. Sie haben zwar die deutsch-französische Verständigung jahrelang mit Messer und Rattengift bekämpft. Aber wenn ihnen selbst die Sache lohnend erscheint, dann greifen sie auch mit ihren festen Händen zu.

Es ist recht verständlich, wenn bei den Pazifisten und den zu ihnen haltenden Demokraten und Sozialisten die Unbehaglichkeit überwiegt. Denn sie haben die deutsch-französische Verständigung bisher als ihr Monopol aufgefaßt. Nun sind sie ziemlich verdattert angesichts dieser viel stürmischeren Konkurrenz. Müssen wir unterstreichen, daß der Rhythmus der deutschen Verständigungsfreunde durchweg weniger durch das eigne Gefühl als vielmehr durch die gehässigen Kommentare von rechts bestimmt wurde? Die Pazifisten sind oft sehr zag gewesen, sie ließen sich hemmen von der Kritik ihrer Gegner. Doch die Rechte, das hat sie jetzt wieder gezeigt, läßt ihre Handlungen weder unter Diktat noch unter Kontrolle stellen, und unfreundliches Echo ficht sie kaum an. Stresemann hat gewiß viel für die Besserung der Beziehungen zu Frankreich getan, aber in allen seinen Reden wird man kein einziges helles Bekenntnis zur deutsch-französischen Verständigung finden, nur dürre Utilitätsgründe, und immer wird man auf Versicherungen stoßen, daß seine Politik nichts mit Pazifismus zu tun habe. Wie frostig schloß sich nicht das offizielle Deutschland gegen den Nobelpreisträger Quidde ab! Wäre das in Frankreich möglich?

Im Frühjahr 1922 kam zum erstenmal eine Deputation der französischen Liga für Menschenrechte nach Berlin, und es fanden hier, gemeinsam mit deutschen Freunden, ein paar Meetings statt, die auch von der Presse der Linken sehr kühl, wenn nicht völlig ablehnend behandelt wurden. Liest man heute die damals gehaltenen Reden nach, so findet man sie überaus diplomatisch und durchaus von dem Wunsch geleitet, nirgends anzuecken. Nur Graf Harry Keßler wagte damals schon die sehr positive Formulierung: »Wir kommen also logisch zu der Forderung eines gegenseitigen Garantievertrages der europäischen Völker, ja ... zur Forderung der Vereinigten Staaten von Europa. Anders läßt sich die Welt nicht mehr befrieden.« Und Victor Basch, mit seinem durchgehenden Temperament, verlangte die Schaffung »der Brücke, die über den Abgrund führt, die Frankreich und Deutschland verbindet.« Dem Ersten wird niemals verziehen. Wird Victor Basch, weil er als Erster so unzweideutig gesprochen hat, deswegen noch heute von der deutschen Linkspresse so schlecht behandelt? Denn noch vor zwei Jahren attestierte ihm ein sonst als profranzösisch verzetertes demokratisches Blatt, daß er nicht geeignet sei, in Deutschland zu sprechen. Aber soll man sich über die Demokraten wundern, selbst 1922 noch äußerte einer der Erzväter des deutschen Pazifismus seine ernsten Bedenken, ob es nicht zu früh wäre, die deutsch-französische Verständigung einzuleiten. Denn die Pazifisten, die Sozialisten nicht weniger, liefen allzu lange mit schlechtem Gewissen herum, wenn es galt, für die Besserung der Beziehungen zu Frankreich etwas zu tun. Sie waren immer wieder um ihre nationale Reputation bange. So wurde kostbare Zeit vertrödelt. Hätte die deutsche Linke in den ersten Jahren nach dem Kriege etwas mehr Haltung gezeigt und mehr Mut, das offen auszusprechen, was ihr Gewissen und Verstand befahlen, es wäre nicht zu den zerrüttenden Reparationskrisen gekommen, die Schlußrechnung wäre billiger gewesen als die heutige, und vor allem wäre Deutschland das selbstvernichtende Jahr des Ruhrkriegs erspart geblieben.

Ein melancholischer und dennoch nicht überflüssiger Rückblick. Wie unbekümmert und pausbäckig nimmt sich daneben die Politik der Rechten aus! Die öffentliche Franzosenfresserei Hugenbergs und seiner Mitcherusker hindert sie nicht, ihre Agenten beim Erbfeind anpochen zu lassen, und sogar dem Stahlhelm sind jetzt solche Extratouren nachgewiesen worden. Allerdings darf man dabei nicht übersehen: alle diese deutschnationalen Versuche, die Aussöhnung mit Frankreich zu erreichen, haben ja nicht den Zweck, dem europäischen Frieden zu dienen, Ziel ist vielmehr das Militärbündnis gegen einen Dritten, gegen das rote Rußland. Denn Firmen von der militärischen Branche können sich immer nur gegen einen Dritten fusionieren. Sie begraben mit Glockenklang und Orgelspiel eine alte Erbfeindschaft, um eine neue gemeinsame aufzumachen.

Poincaré hat Herrn Arnold Rechberg, der ihm seine Pläne entwickelte, gelassen abgleiten lassen. Auch Aristide Briand schreckt vor dem harten Wort »militärische Allianz« zurück oder sagt statt dessen lieber »Paneuropa« und meint dasselbe. Wer weiß das? Aber hinter der alten und heute schon historischen Politikergeneration Frankreichs steht wartend der jüngere André Tardieu, in seinem verschlagenen, unpathetischen Realismus den deutschen Industrie- und Bankpolitikern nahe verwandt. Ich glaube, die deutschen und die französischen Verständigungsfreunde der Linken sollten sich etwas beeilen, sonst wird die Frage doch noch einmal von der Reaktion und ihren Generalen gelöst werden, und zwar so, daß uns allen die Augen übergehen.

Die Weltbühne. 1. Oktober 1929


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