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»In einer Bahnhofshalle, nicht für es gebaut«, nämlich für das Drama, spielt Piscator ein Stück, das gewiß Beschleunigung und Straffung verlangt, aber keine Apparatur, deren Knirschen seine innere Musik übertönt. Der alte Streit zwischen Regisseur und Dichter wird hier jusqu'au bout ausgefochten, wobei der Regisseur den Erbfeind des Theaters siegreich schlägt. Piscator benutzt die Gelegenheit zu einer Mustermesse seiner technischen Errungenschaften. Die Bühne rotiert, versinkt, entschwebt. Oberhalb der Szene fliegt Wanderschrift vorüber. Film in doppelter Ausfertigung – auf einem Gazevorhang und einer zweiten Leinewand dahinter. Selige Beruhigung fürs Auge tritt ein, wenn für Minuten nur ein paar Personen auf dem Laufband vorübergleiten. Aber blickst Du zufällig nach oben, so kommt schon ein drohendes Eisenskelett herunter, eine kolossale Hängebrücke, eine gespenstische Brooklyn-Brücke, ein Vorortbahnhof von Metropolis.
Wenigstens in der ersten Stunde wirkt das hinreißend. Es zu leugnen wäre töricht. Dieser Piscator hat vor dem traditionellen Theater ein Prae: die Bühnenfläche, sonst dem mehr oder weniger bewegten Aufenthalt der Akteure dienend, gewinnt ein nie geahntes Eigenleben; hier verschwindet ein Sektor mit einem kleinen Menschengewimmel in der dunklen Tiefe, während dort schon aus einem andern ein Gesicht langsam ins Licht wächst. Das ist bewundernswert und eine wirkliche Bereicherung des Theaters. Aber dann die Kehrseite: die Maschine wird individuell und lebendig bis zu Starlaunen, dafür wird der Mensch zu einer leerlaufenden Maschine. Wo die Szene ganz auf den Schauspielern liegt, da verfliegt sie ins Leere. Wie unendlich ärmlich zerrinnt zum Beispiel das Ballfest im Palais des Inflationskönigs! Da müßte die ganze gefährliche Atmosphäre von Dreiundzwanzig eingefangen sein, das müßte eine Sammlung der Zeittypen von damals, mindestens aber ein glänzendes Aufgebot von Fräcken und Dekolletés sein. Aber grade diesem Fest, das die Schlußkatastrophe bringt, fehlt es an Spannung, an Geladenheit; beziehungslos stehen ein paar Statisten um die Hauptdarsteller teils herum, teils ihnen im Wege. Jeßner in seinen puritanischsten Stunden wirkt daneben orgiastisch.
Ein fanatischer Arbeiter ist Piscator, gewiß. Aber dieser Wille schaltet nicht souverän, sondern als Sklave seines Materials. Es fehlt der kleine Schuß Hexerei, ohne den das Theater nicht Theater wird. Es fehlt jenes bißchen Hexerei, das aus einer grünen Gardine den Ardennerwald blühen läßt. Schließlich erliegt der Regisseur den eignen Mitteln. Er hat zwar den Autor glorreich in die Flucht geschlagen, aber er wird des Sieges nicht froh. Er hat das Stück untergekriegt, es gibt keinen Gegner mehr; er steht allein auf weiter Flur und wirft das Spiel um. Lustlos und holterdipolter rollt nach der großen Pause der Abend dem Ende zu.
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Dabei ist dieser »Kaufmann von Berlin« von Walter Mehring das erste Drama, das wirklich für die Bühne Piscators gedacht ist. Er hat nicht jenen heute beliebten Revuecharakter, aber es ist doch eine Wanderung durch viele Stationen, es hat eine Handlung, die sich weniger von Innen entwickelt als vielmehr auf dem laufenden Band weitergleitet. Die Stoffwahl ist wundervoll: die Inflation, die zweite Große Zeit unsres Lebens. Im Herbst 1923 wickelt sich das Schicksal des Simon Chajim Kaftan ab, der mit hundert zusammengegaunerten Dollars von Osten gekommen ist: »zu koifn ganz Berlin«. Gierig aber hilflos, dumpf aber verschmitzt, irrt er hungernd in den Elendsvierteln herum, zaudernd, seinen Schatz für einen Bissen Brot anzubrechen. Da stößt er auf ein teutonisches Musterexemplar, das bequem zehn Galizier in die Tasche steckt; aus Luftgeschäften entfaltet sich über Nacht ein Kutisker-Konzern und zerplatzt prompt mit der Stabilisierung. Kaftan irrt in die Tiefe zurück, aus der er gekommen, aber eine Polizeifaust rettet ihn eben noch fürs Hochgericht. Er wird kämpfen und zusammenbrechen, und am Seziertisch wird ihm ein Lubarsch zum Gaudium der Herren Studenten eine mehr charakterisierende als pietätvolle Leichenrede halten.
Das Werk hat seine greifbaren Mängel, seine Übertreibungen und Lücken, aber es hat einiges mehr als das Gros der heutigen dramatischen Produktion: es hat beträchtliche dichterische Substanz. Nicht immer in den Dialogen, wohl aber in den balladenhaften Zusammenfassungen der Handlung, in den Versen der Kantate von Krieg und Frieden am Beginn, in den Gesängen der Hakenkreuzler, der Straßenkehrer, da brennt die soziale Lyrik Mehrings, und ihr Impetus ist stark genug, um das Stück vorwärts zu treiben. In den spitzen, knappen Strophen Walter Mehrings, der als Chansonnier und Kabarettist abgestempelt ist, spukt viel echte Dämonie, ein unzeitgemäßes Element also, von dem die klare Vernünftigkeit neunaturalistischer Tendenzdramatik nichts weiß. Wenn in einer erschütternd bizarren Alkoholvision potsdamer Honoratioren der Alte Fritz mit dem Krückstock zwischen die sieben Weisen von Zion fährt, so hat das die Brillanz großer Satire, die vehemente Hetzteufelei heineschen Witzes und erinnert nicht nur von fern an das unvergeßliche kölner Nachtstück in »Deutschland, ein Wintermärchen«:
Den Paganini begleitete stets
ein spiritus familiaris ...
Das ist ein genialischer Sprung in die Phantasmagorie, und von dieser Ecke her muß das Werk genommen werden. Denn es hat mehr Geist als Körperlichkeit, aber dieser Geist ist nicht verschwommen, sondern blank und manifest. Es ist eine frech geschnittene Arabeske, eine Allegorie, aus Anklage und Trauer, aus Pathos und behendem Gaminwitz seltsam gemischt. Hier ist jede szenische Ausschweifung erlaubt, wenn sie nur die Essenz verschärft. Verboten ist nur Verdickung und Überdeutlichmachung. Piscator aber ruht nicht eher, als bis er die Flötentöne ausgetrieben hat. Es bleibt: Die deutsche Inflation – ein Vortrag mit Lichtbildern und wertvollen Einblicken in das Räderwerk der Zeit.
Die Intermezzi der Regie fressen den halben Abend. Aus dem Text fliegt alles, was den Schauspielern Chancen gibt. Gestrichen, daß Kaftan die hundert Dollars in seiner Heimatstadt ergaunert hat. Gestrichen, daß Jessie Kaftan sich dem Rechtsanwalt Müller verkaufen muß. Gestrichen der ganze letzte Teil, der Gang Kaftans in die Unterwelt zurück. Was langsam verklingen müßte, bricht abrupt und fast unverständlich ab. Piscator spielt zusammenhanglose Fragmente, grade genug noch, um den maschinellen Aufwand zu rechtfertigen. Die Darsteller laufen starr und ungenützt herum. Baratoff, sicher ein Schauspieler ganz hohen Ranges, kommt nicht über die Monotonie der Eingangsszenen hinweg, bleibt bei eckigen Armbewegungen und dem gespannten, gehetzten Blick. Schünzel kann dem blonden Oberschieber nicht mehr geben als das gleiche verbindliche Lächeln. Fräulein Schilskaja, eine rührende Bergnergestalt, sendet ihre seelenvollen Blicke den verlorenen Dreivierteln ihrer Rolle nach. Doch keine Sorge, es gibt einen Ersatz: zum Schluß weht siegreich eine rote Fahne, die im Textbuch nicht vorgesehen ist.
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Zweck der Bearbeitung wäre gewesen, das Werk elastischer zu machen. Statt dessen wird es verstümmelt und um seinen Sinn gebracht. Mehring wollte ein Stück aus der Inflation gestalten, er wollte zeigen, wie sie alle Klassen in den Höllentanz hineinzog, wie der Schieber selbst, ob Jude oder Christ, nur der Geschobene war. Denn dieser Simon Kaftan ist nicht weniger Opfer der Zeit als der verarmte potsdamer Putschgeneral und seine Offiziere. Indem man aber statt der Wirkung der Inflation sie selbst spielt, erweckt man die irrtümliche Vorstellung, als ob dieses ganze Satanstheater inszeniert worden wäre von ein paar kleinen christlichen und jüdischen Hyänen. Nun war aber die Inflation weiß Gott nicht das Werk einiger Okkasionisten, die an der Peripherie des eben noch Erlaubten zu pendeln pflegen, sondern ein bewußtes freches Beutemanöver der Schwerindustrie, das für ewig mit den Namen Stinnes, Cuno und Hermes verknüpft ist. Doch hier sieht der erstaunte Zuschauer ein Komplott zwischen einem wurmstichigen Israeliten und einem entsprechenden evangelischen Christen, ein Komplott zwischen Rockelor und Lodenjoppe, zwischen Potsdam und Bialystock. Die Diskussion kapriziert sich denn auch folgerichtig darauf, wer von beiden die größere Schuld hat. Die Stammgäste der Rassenfrage finden ihr fettestes Futter. Die völkischen Rasierpinsel sträuben sich aggressiv. Die Zylinderhüte des Zentralvereins deutscher Staatsjuden bürgerlichen Glaubens rücken drohend in die Stirn und ziehen in geschlossenen Formationen durch die liberalen Redaktionen, Klage zu rufen wider Walter Mehring, den berüchtigten Judenfresser ...
Zum erstenmal also ist das neue politische Theater in einen ernsthaften Kampf geraten. Seit Jahresfrist etwa werden Tendenzstücke gegen die Todesstrafe, gegen den § 218, gegen die Barbarei von Erziehungshäusern gespielt. Sie fanden starke gleichgestimmte Massen, erweckten Begeisterung. Doch hier tritt zum erstenmal das politische Theater in sein natürliches Element: in den Kampf.
Denn das muß man wissen: verschreibt man sich so ostentativ wie Piscator der aktuellen, der kämpferischen Dramatik, die nicht den Ölzweig trägt, sondern das Schwert, dann ist es Desertion, wenn man vor Widerständen zurückzuckt. Denn man will ja doch ein Publikum, das vor aufreizenden Gegenwartsdingen nicht stumm ergriffen dasitzt wie vor der Braut von Messina. Man will Menschen, die sich mitreißen lassen, man liebt die Widerstrebenden mehr als die Lauen, die sich für einen kurzen Abend fangen lassen, weil ja »alles nur Theater ist«. Man will Politik, also Kampf, und rechnet damit, daß auch die Andern mit den Mitteln der Politik antworten, also kämpfen.
Und jetzt geschieht das Unfaßbare: Piscator kneift.
*
Es gab schon bei der Premiere einen kleinen Skandal: man pfiff über die Geschmacklosigkeit eines Schauspielers beim Vortrag der Straßenkehrerballade. Ich setze zur bessern Deutlichmachung den Text hierher:
Der erste Strassenkehrer fegt einen Haufen Papier zusammen:
– Mensch, das war mal schwerreich gewesen!
Wenn das mal alles einer besessen,
Wies nischt zu fressen gab – dafür gab es zu essen!
Der Aufseher: – Kommt alles untern Besen! Kommt alles untern Besen!
Der Erste: – Dafür warn wir mal
Alle zu haben,
Weil man dafür alles
Haben konnte,
Weil das mal Geld war,
Weil man dafür stritt!
Der Zweite: – Dreck!
Der Aufseher: – Weg damit!
Der erste Strassenkehrer fegt einen kullernden Stahlhelm:
– Mensch! Das war mal die Macht gewesen!
Das hat mal auf einem Koppe gesessen!
Und dafür gab man dem Kopp was zu fressen!
– Kommt alles untern Besen! Kommt alles untern Besen!
– Das hat mal den
Stahlhelm getragen,
Weil der mal an der
Macht gewesen,
Weil das mal Geld war,
Weil man dadafür stritt!
– Dreck!
– Weg damit!
Der erste Strassenkehrer stösst mit dem Besen an einen Leichnam:
– Mensch! Das war mal Mensch gewesen!
Das hat mal einen Stahlhelm besessen!
Das lebte mal – das hat ausgefressen!
– Kommt alles untern Besen! Kommt alles untern Besen!
– Das hat mal
Erschießen dürfen,
Weil es mal den
Stahlhelm getragen,
Weil das mal Geld war,
Weil man dadafür stritt!
– Dreck!
– Weg damit!
Gewiß, das ist nicht sehr fein. Aber ist es nicht ein sehr sinnfälliges Symbol des Abschlusses der Papiergeldzeit? Kehraus, Aschermittwoch. Vanity Fair ist zu Ende. Der große Chansonnier des wiener Biedermeier sagte das weniger grob, nämlich:
Das Schicksal setzt den Hobel an
und hobelt alles glatt ...
– aber hat er im Grunde etwas Andres gemeint? Genug, der Herr, der den dritten Straßenkehrer gab, tat zu viel: er gab dem Leichnam einen Tritt. Das war eine Roheit, die ein berechtigtes Pfeifkonzert quittierte. Piscator aber strich nicht etwa den Fußtritt, den der Verfasser nicht vorgeschrieben hatte, er strich gleich die ganze Strophe, eingeschüchtert von dem Krakehl der Zeitungen, denen natürlich die ganze Richtung nicht paßte. Für die Ausschreitung eines Schauspielers, von dem man nicht einmal weiß, ob er nicht auf Anordnung der Regie handelte, muß der Dichter büßen. Er ist das brutale Subjekt, das den guten Ton des roten Theaters gestört hat.
Ein paar Pfiffe, ein Zeitungssturm, bei dem die reaktionäre Presse talentvoll einen Amoklauf markiert, während die demokratischen Blätter mehr ästhetisch angewidert die Nase rümpfen – ihre natürlichste Geste – bewegen Piscator, dem Dichter die Verantwortung aufzuladen.
Kämpferisches Theater –?
Was sind Programme? Was sind Proklamationen? Schließlich siegt doch der Kassenrapport. Der revolutionäre Direktor nimmt die phrygische Mütze ab. Jetzt sieht er aus wie jeder andre berliner Kaufmann auch.
*
Soweit Piscator.
Doch jetzt erscheint ein Andrer auf der Bildfläche. Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser Herrn Paul Fechter kennt, den sublimen Kunstrichter der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹. Herr Fechter hat im heitern Reigen der berliner Theaterkritik seine bitter ernste Mission: er hat die Würde der deutschen Menschheit in die Hand genommen, die bei den deutschen Frauen nicht mehr gut aufgehoben ist, seit sie kurze Röcke tragen und jeden Tag baden. Vor Jahr und Tag hat Herr Fechter zwar in einem schwer erklärbaren dionysischen Raptus den »fröhlichen Weinberg« kleistpreisgekrönt, aber das ist lange her, und Herr Fechter läßt seine Muse seitdem bei Grünberger büßen. Dieser unentwegte nationale Klopffechter sieht Mehring zwar am Nollendorfplatz ausgeräuchert, aber er findet die Würde noch immer nicht genug gewahrt, denn noch hat der verjagte Fuchs sein Malepartus: das Buch. Doch der kritische Isegrimm läßt sich nicht schrecken. Er nimmt wieder Fechterstellung ein und drischt auf den Verlag S. Fischer, allwo die nationale Würdelosigkeit in Buchform erschienen. Und jetzt geschieht die zweite Unfaßbarkeit: anstatt den Fechter höflich zu ersuchen, die Plempe in der Garderobe abzugeben, läßt ein hochangesehener Verlag wie S. Fischer – wo unter anderm auch der »Florian Geyer« erschienen ist – sich von diesem hysterisch herumfuchtelnden Stück Malheur in die Pfanne hauen und kriecht zu Kreuze. Es ist, wie gesagt, schwer zu fassen, aber nichtsdestoweniger wahr: der Verlag S. Fischer teilt Herrn Fechter in einem feierlichen Schreibebrief mit, daß er die angegriffenen Verse gestrichen habe. Kein Wunder, daß der Sieger sich in Positur wirft, aber es ist doch wohl schon Größenwahn, wenn er schreibt, es wäre jetzt hohe Zeit, »daß Verleger, Autoren und Theaterdirektoren sich, bevor sie mit ihren Unternehmungen an die Öffentlichkeit treten, mit ein paar vernünftigen gewöhnlichen Leuten wie unsereinem in Verbindung setzen.« Das ist die Folge: jetzt verlangt dieser miles gloriosus von einem Rezensenten, daß seine anmaßliche Privatzensur möglichst in ein Obligatorium umgewandelt werde. Eine heitere Literatur kann das werden, der Herr Fechter sein Visum gibt ...
Aber hat er nicht recht, wenn S. Fischer sich diesem Diktat beugt? Was für Blasphemien hatten nicht Hoffmann & Campe zu verwalten! Damals war Vormärz, der Geist war geknebelt, Metternichs Zensoren regierten, so haben wir in der Schule gelernt. Heute leben wir in der Republik der Geistesfreiheit, und jedes schwachnervige Heulweib, das irgendwo über einer kritischen Sparte sitzt, zwingt fortschrittliche Theaterdirektoren und Verleger zum Einschwenken.
In dieser Sache hat die junge Literatur eine Bataille verloren. Jeder und auch der greisenhafteste Kunst- und Literaturbetrieb unterhält heute sein Ressort Jugend, eine Tatsache, die häufig zu falschen Schlüssen verführt hat. Da hätten wir denn endlich die Probe aufs Exempel. Denn bei dem ersten kleinen Konflikt bricht der bibbernde Geschäftsmann durch, der Kaufmann, der es mit keinem Kunden verderben will. Erwin Piscator und S. Fischer vertreten gewiß zwei sehr verschiedene Grade von Progressivismus, aber sie sind sich einig in dem einen Punkte, daß der Autor das Geschäft nicht stören darf. Man schreibt es nicht ohne Schmerz nieder: zwischen diesen Händlern wirkt der brave Fechter wie ein Held.
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Die beiden beteiligten Firmen haben den Mißstand abgedreht und rüsten sich zu weitern radikalen Taten. Es gibt nur einen Leidtragenden dabei, das ist der Dichter, ist Walter Mehring. Buchverlag und Theater haben ihn gradezu exkommuniziert. Das ist kein übertriebenes Wort für diesen Zustand. Was Piscator spielte und was von der Kritik nach Strich und Faden verrissen wurde, war eine groteske Verstümmelung des Originals, zugerichtet als Objekt für den unerbittlichen Maschinenfanatismus des Regisseurs. Schließlich wurde der Dichter noch einem Theaterskandal als Opfer hingeworfen, einem Skandal, den nicht er, sondern ein Schauspieler oder das Regiebuch verschuldet hat, und der Verleger trägt das Autodafé weiter in den Buchtext. Vor zwei Jahren war dieses selbe Stück von Max Reinhardt fürs Deutsche Theater angenommen worden, und Reinhardt hatte sich bereit erklärt, selbst Regie zu führen. Erst auf dringendes Bitten Piscators eiste Mehring das Manuskript vom Deutschen Theater los, um es obenerwähnten glorreichen Zeiten entgegenzuführen. Bald wird es auch am Nollendorfplatz verschwunden sein, und welche Bühne wird sich dann noch seiner annehmen?
Armer Walter Mehring! Es ist ein schreckliches Schicksal für einen Dichter, unter berliner Kaufleute zu geraten.
Die Weltbühne, 17. September 1929