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Die republikanischen Parteien haben augenblicklich sehr schwere Tage: sie zerbrechen sich nämlich den Kopf über die Sorgen Hugenbergs. Weil man auf der Rechten zurzeit über einige taktische Dinge nicht ganz einig ist und weil der ungemütliche alte Geheimrat gern dogmatischer redet als er handelt, sieht die Demopresse Auflösung, Ausbruch, Abmarsch in die seligen Gefilde gemeinsamer liberalistischer Prinzipienlosigkeit. Schon zirkulieren Projekte mittelbürgerlicher Einheitslisten, auf denen Herr von Keudell neben erprobten schwarzrotgoldnen Sturmgesellen steht.
Herr Hugenberg ist, wie gesagt, altmodisch und reichlich engherzig. Aber er ist methodisch. Weil man bei den Demokraten schon so lange von einer Gelegenheit bis zur nächsten lebt, ist man geneigt, in jeder Methode Wahnsinn zu erblicken. Mit nichten. Herr Hugenberg will noch etwas warten, bis die Partei es allein schaffen kann; er will auch keine Mitesser. Sein Gegenspieler Schiele dagegen will keine Zeit verlieren, ist aber nicht so egoistisch. Warum soll man nicht diesen kleinen Troß von Bundesgenossen mitschleppen, die auch ein bißchen auf der Gemeindeweide grasen wollen? Das große Futter ist doch schon beiseite geschafft. »Armer Kerl, du willst auch leben«, rief jener König von Frankreich, als er unter dem Bett seiner Geliebten einen Mann entdeckte und warf ihm eine Orange zu.
Die Differenzen zwischen Hugenberg einerseits und Schiele-Westarp andrerseits sind nur solche der Taktik und des Tempos. Deswegen der Streit, der von vielen großen und kleinen Ehrgeizen angeheizt wird. Es ist möglich und wahrscheinlich, daß die Deutschnationalen ihre Einheit als Partei nicht mehr lange wahren werden. Aber es ist verfehlt, darin ein Krankheitssymptom, ein Zeichen des Verfalls zu sehen. Die Rechte als geschlossene Front hat ihre historische Mission erfüllt, jetzt, wo es zur Ernte geht, teilt sie sich. Denn jeder will einbringen, was er kann. Wenn sich die Reaktion heute in vier Gruppen teilen sollte, würde das an der gesamten Situation in Deutschland gar nichts ändern, weil die Linke nichts davon zu erwarten hat. In der Abneigung gegen die Republik sind sich Hugenberg und seine Gegner einig. Konservativ sind sie alle. Militaristisch und nationalistisch sind sie alle. Gegen die Arbeiterschaft sind sie alle. Und zum Einkassieren sind sie alle rechtzeitig zur Stelle.
Auch Parteikrisen haben verschiedenste Ursachen. Die Demokraten könnten ganz gut aus Angst vor den nächsten Wahlen plötzlich auseinanderfallen und einfach nicht mehr vorhanden sein. Die Deutschnationalen dagegen drohen vor lauter Gesundheit zu bersten. Ein überfütterter Organismus muß schließlich gewisse Elemente ausstoßen, wenn er weiter aufnahmefähig bleiben will. Hugenberg platzt, weil er alles bekommen hat, was er wollte. Es geht nichts mehr hinein. Diese letzten Jahre waren für die Rechte politisch und wirtschaftlich eine einzige Gargantuamahlzeit, ein Riesenfraß.
Die republikanischen Parteien sind gewohnt, die politische Macht immer nur in großen geschlossenen Kadres zu sehen, die von einer unerbittlichen Disziplin regiert werden müssen. Dieser Aberglaube hat sie alle so gründlich auf den Hund gebracht. Bei dieser Art, die Dinge zu betrachten, müßten sie eigentlich dankbar sein für eine einheitliche konservative Oppositionspartei. Statt dessen begrüßen sie das taktische Auseinandergehen der bisherigen Hugenbergleute und hoffen auf baldige organisatorische Konsequenzen. Wem aber dient das?
Die Herren um Schiele und Treviranus sind ja keine Überläufer, keine glühenden Neophyten, die sich massenweise ans republikanische Taufbecken drängen. Sie kommen als gute Geschäftsleute. Sie sagen: wir wollen nicht mehr mit den groben teutonischen Baumästen dazwischenschlagen, wir wollen, so lange ihr euch manierlich führt, mit euch leben und handeln – was gebt ihr dafür? Aber das ist wenigstens offen, das ist sichtbar. Viel schlimmer ist der neuerdings beliebte Weg durch versteckte Kanäle. In letzter Zeit häufen sich die katastrophalen Überraschungen. Das Kabinett Brüning kam schon wie der Geist aus der Flasche. Ebenso unvermutet war der Panzerkreuzer B da. Ebenso unvermutet soll jetzt plötzlich das Verbot des Stahlhelms im Rheinland aufgehoben werden – wohl damit Herr Treviranus sein ideales Publikum für die Befreiungsfeier im Sommer hat. Ebenso unvermutet kann morgen schon der entscheidende Stoß gegen die preußische Koalition geführt sein.
Es bleibt bei alledem die Frage offen, wer denn eigentlich in Deutschland zurzeit regiert. Das ist schwierig zu beantworten. Alles ist unsicher und sicher nur eines: Herr Brüning regiert nicht. Der Herr Reichskanzler hat seine Augen gedankenvoll ins Weite gerichtet ... Aus allen Winkeln und Ecken kriechen derweilen dunkle Existenzen und üben jene Funktionen aus, die sonst dem Reichskanzler und den Kabinettsministern zufallen. Unbekannt regiert. Das ist ein höchst unbehaglicher Zustand, aber die demokratischen Beschwichtigungsräte laufen umher und sagen: Pst, man darf den Auflösungsprozeß auf der Rechten nicht durch unzeitgemäße Radikalismen stören ...
Hugenberg platzt. Aber das Ergebnis sind Legionen von Würmern, die sich über die Republik werfen und sie bei lebendigem Leibe verzehren.
Die Sozialdemokratie wagt sich nicht zu rühren. Täte sie es, so würde das Zentrum einfach die preußische Regierung auffliegen lassen. Deshalb muß das große Hauptquartier des Reichsbanners einen Aufruf an seine Heerscharen richten, der die Fiktion der union sacrée weiter aufrecht zu erhalten sucht und eine nicht zu entschuldigende Verdrehung offenkundiger Tatsachen bedeutet. Es gibt Sorgen, die uns mehr angehen als die Hugenbergs.
Die Weltbühne, 29. April 1930