Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Wahlkampf: Zwischenspiel der Generale

Seitdem es einer von ihnen so weit gebracht hat, wollen die alten Generale gern in die Politik, zunächst in den Reichstag. Es läßt sich nichts dagegen einwenden, daß die Herren nach der Bürgerkrone streben, und da sämtliche Parteien mit ihren Frontkämpfern paradieren, so ist es zu begrüßen, daß der nächste Reichstag doch ein paar Mitglieder enthalten wird, die am allerwenigsten als Frontkrieger zu betrachten sind, nämlich Generale. Die Herren täuschen sich aber: das Parlament ist für Rapidkarrieren nicht sehr geeignet. Die meisten unsrer Bonapartes befinden sich in gesetzten Jahren; wenn sie die berühmte Kleinarbeit in den Kommissionen endlich hinter sich haben und ministrabel werden, sind sie achtzig. Wer kümmerte sich um die Parlamentarier Tirpitz, Gallwitz und Ludendorff? Und selbst der verwitterte Seeheld Brüninghaus hat keine neuen Lorbeeren sondern höchstens neue Spesen errungen. Er vertritt nämlich im Reichstag die Interessen der Tabakindustrie, und die Roten nennen ihn höhnisch den »Zigarrenreisenden«. Herr von Lettow-Vorbeck, der 1928 noch als ein ungezähmter hugenbergscher Buschkrieger nach Berlin kam, hat sich längst den Ring aus der Nase genommen; er trägt jetzt das Totemzeichen der Neukonservativen und redet über außenpolitische Dinge manierlicher als Treviranus, sein Boss. Herr von Seeckt mag weitreichende Pläne haben, aber einmal gewählt wird er sich weniger gigantisch ausnehmen als jetzt, da wird er einfach Mitglied der Fraktion Scholz sein. Ein Abgeordneter, eine Nummer. Ein Mann wie General von Seeckt will aber mehr.

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Generaloberst Heye der Chef der Heeresleitung wird still in den Abschied geschickt. Voran ging das übliche skandalöse Dementierspiel. Schon im vorigen Jahre, als er in seine südamerikanischen Ferien fuhr, sollte Herr Heye abgehalftert werden. Damals war die neue Auflage von Professor Moedes Betriebslehre mit ihrer klassischen Anweisung, wie man Mißliebige während ihrer Urlaubszeit um den Posten bringt, noch nicht erschienen, und es klappte nicht. Die Stunde der Hammerstein und Schleicher war noch nicht da. In der liberalen Presse wird der Abgang Heyes lebhaft beklagt – aber warum werden die Vorgänge, die zu seinem Sturz führten, nicht endlich erzählt? Sie sind doch bekannt genug. Der Reichskanzler Brüning hat dem General Heye mitgeteilt, daß der nächste Reichstag nicht arbeitsfähig sein würde und deshalb weiter mit dem Artikel 48 regiert werden müßte; Heye habe sich also für »den Ernstfall« parat zu halten. Worauf der General erwiderte, daß für ihn nur die verfassungsmäßigen Bestimmungen maßgebend seien und daß er sich auf andres nicht einlassen könne. Hierauf Brüning: »Dann ohne Sie ...« Man wandte sich nunmehr an die Herren von Schleicher und von Hammerstein, die sich weniger schüchtern zeigten und bereitwillig ihr Programm entwickelten.

Das war Heyes Ende. Es ist wahrscheinlich, daß dabei auch die Kanzlei des Reichspräsidenten und alte Regimentskameradschaften des Majors von Hindenburg eine Rolle gespielt haben. Dem Verfassungsdoktrinär Heye ist seine Dickköpfigkeit schlecht bekommen. Er hat versucht, wenigstens die Außenseite der Armee glatt zu halten, die dramatischen Zwischenfälle hörten auf. Die Reichswehr zeigte sich nicht mehr demonstrativ antirepublikanisch, die nationalsozialistische Zersetzungsarbeit wurde bekämpft. Nun ist der Chef selbst durch die Tür geflogen, die er für die Komplotteure geöffnet hatte. Es ist dies das zweite Mal in der Geschichte unsrer Wehrmacht, daß einem hohen Kommandeur seine Verfassungstreue zum Verhängnis wurde. Als im März Zwanzig die Brigade Ehrhardt gegen Berlin rückte, war der jüngst verstorbene General Reinhardt der einzige unter den nach der Wilhelmstraße gerufenen Truppenführern, der sich bereit erklärte, die Meuterer mit dem Degen in der Hand zu empfangen. In dieser schrecklichen Stunde zeigte Herr von Seeckt zum ersten Mal sein Sphinxgesicht: er sah gelangweilt auf seine Stiefelspitzen und sagte nichts. Dafür wurde er auch später dem General Reinhardt als Generalissimus vorgezogen. Der Zurückgesetzte ging in seiner Verärgerung nach der andern Seite; er ist als dezidierter Rechtsradikaler gestorben. So führt man dem jüngsten Leutnant vor, daß Loyalität sich nicht lohnt. So zeigt man den Gutwilligen, daß sie keine Aussichten haben. Wohin wird General Heye gehen?

*

Mit einer noch nie vorgekommenen Offenheit ist in der letzten Woche das Verhältnis der Reichswehr zur Roten Armee von der berliner Presse behandelt worden. Ja, man konnte es ganz offen lesen, daß ein gewisses Zusammenarbeiten zwischen deutschen und russischen Offizieren noch immer nicht aufgehört hätte und daß Heye, von Hammerstein und Schleicher mit Zustimmung des Reichswehrministers Groener beseitigt worden sei, weil er diese Art von Ostorientierung nicht liebte. Es ist über diese Dinge immer viel geraunt worden, aber Sicheres war kaum zu erfahren. Gelegentlich konnte man hören, daß eine deutsche militärische Studienkommission in Moskau arbeite, man hörte auch manches von deutschen Drilloffizieren in der russischen Armee. Im allgemeinen jedoch glaubte man, daß diese Geschichten der Vergangenheit angehörten. Was Rußland bei einer solchen Cooperation profitierte, war leicht auszudenken. Aber Deutschland –? Aber Deutschland –? Während die Reichswehr fast zu einer Spezialtruppe gegen die deutsche Sektion der kommunistischen Internationale geworden war, sollten unsre Offiziere mit den Bolschewikenteufeln von Moskau über gemeinschaftlichen Plänen brüten –? Das ist doch eine Vorstellung, aus der ein vollbesetztes Tollhaus schreit. Stutzig werden konnte man allerdings über die Zähigkeit, mit der seinerzeit im Kreml die Entsendung des Herrn von Seeckt als Botschafter nach Moskau gewünscht wurde. Übrigens war es auch nicht empfehlenswert, sich über dies Thema breiter auszulassen, denn in Leipzig ist man mindestens in diesem Punkte sehr prokommunistisch. Die ›Weltbühne‹ selbst befindet sich seit einem Jahre in einem vom Oberreichsanwalt eröffneten Untersuchungsverfahren, weil sie einmal nur an ein Zipfelchen des Schleiers zu rühren versucht hatte. Es ist zu begreifen, daß ich mir deswegen einige Reserve auferlegen muß, aber kein Oberreichsanwalt kann mich hindern, der diebischen Freude Ausdruck zu geben, die ich beim Gedanken an diesen Prozeß empfinde. Das Blatt des Reichskanzlers, die ›Germania‹, eröffnet höchstpersönlich die Diskussion über russophile Strömungen im Reichswehrministerium und gibt den »nun einmal vorhandenen Eindruck« zu, »daß zum mindesten innerhalb des Truppenamtes in der Pflege von Beziehungen zur Sowjetarmee ein außenpolitisches Wunschbild gesehen wird, das sehr viel bestimmter und positiver gezeichnet ist, als die Vorstellungen, die der amtlichen deutschen Politik von Rapallo und Berlin zugrunde lagen«. Dann fragt die ›Germania‹ allerdings, ob die dem General von Hammerstein untergeschobene Politik nicht auch in gewissen führenden Kreisen der amtlichen Außenpolitik Anklang finde. Das ist eine faustdicke Lüge, um den Schuldanteil der Offiziere zu verkleinern. Als moskaufreundlich ist wohl nur der Botschafter von Dircksen zu bezeichnen, der sich damit in beträchtlicher Isolierung befindet. Seitdem bekannt geworden ist, daß der ehemalige Rittmeister Amlinger nicht einem Rennunfall sondern einem Flugzeugunglück in Rußland zum Opfer gefallen ist, führt die liberale Presse eine unverhüllte Sprache. »Man kann diese neue Phase der Diskussion über die Reichswehr bedauern, aber man kann sie nicht verhindern.« (›Berliner Tageblatt›) »Ohne Zweifel wird die deutsche Position in Moskau nicht dadurch gestärkt, daß man auf russischer Seite den Trumpf in der Hand hat, Mitwisser eines ›Geheimnisses‹ zu sein. Dies um so weniger, wenn es sich um ein öffentliches Geheimnis handelt« (›Vossische Zeitung‹). Das Reichswehrministerium behauptet zwar, Amlinger sei vorher aus dem aktiven Dienst geschieden und der Grund seines Aufenthaltes in Rußland ganz unbekannt. »In diesem Zusammenhang ist ... die uns gewordene Mitteilung merkwürdig, daß ein Kamerad Amlingers aus dem gleichen Regiment, ein Oberleutnant Gerstenberg, ebenfalls nach Rußland übergesiedelt ist.« (›8 Uhr-Abendblatt‹) So so. Jedenfalls zum Studium des Fünfjahresplans, um dem Agrarminister Schiele ein paar Rezepte für die Sozialisierung der Landwirtschaft zu liefern. Vor ein paar Monaten hatte die ›Weltbühne‹ ein Stück aus einem der Enthüllungsartikel Bessedowskis kommentarlos wiedergegeben, worin auch von aerotechnischer Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Militärs die Rede gewesen war. Kurze Zeit darauf rief ein Herr vom Reichswehrministerium in unsrer Redaktion an und verlangte das Heft, »in dem was über Junkers in Rußland gestanden hat«. So lebhaft wir auch immer auf die Wahrung unsrer traditionell guten Beziehungen zur Bendler-Straße bedacht sind, wir konnten dem Herrn den Gefallen nicht erweisen, einfach weil bei uns kein Artikel erschienen war, in dem »was über Junkers in Rußland« gestanden hätte. Wahrscheinlich war das Referat über Bessedowskis Indiskretionen oder Phantasien gemeint. Dem Reichswehrministerium aber möchte ich den dringenden Rat geben, mit militärischen Geheimnissen weniger unvorsichtig umzugehen.

*

Nun sind die Herren von Schleicher und von Hammerstein obenauf. Beide haben in der Geschichte ihres Ministeriums eine oft angefochtene Rolle gespielt. Unter dem Generalobersten Heye hat man von der Reichswehr nicht viel gesprochen, unter seinem Nachfolger, Herrn von Hammerstein-Equord, wird es um sie wieder dramatisch werden. Der neue Chef gilt als hochintelligenter Offizier, und er ist ohne Zweifel niemals intelligenter gewesen als damals, wo er den hochverräterischen Brief des Herrn von Gaza still in den Papierkorb tat. Jahrelang hat die Kritik der linksbürgerlichen Presse die Reichswehr schonend behandelt. Heute wird Alarm geschlagen – aber ist es nicht schon zu spät? Wie irgend ein lateinamerikanisches Unruheland steht die deutsche Republik vor der unmittelbaren Gefahr, von einer Offiziersjunta in Besitz genommen zu werden. In dem Zweikampf zwischen Bürgertum und Militär zieht das Bürgertum den Kürzern. Daß das Heer in der Republik eine kleinere Stellung einnehmen muß als in der Militärmonarchie, hat es niemals erkennen wollen. »Das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft ist das Recht, die Freiheit, die Gerechtigkeit. Das Prinzip der militärischen Gesellschaft ist die Disziplin, der Befehl, der Gehorsam ... Die Soldaten haben nur Daseinsberechtigung, weil sie das Prinzip verteidigen, das die bürgerliche Gesellschaft darstellt.« (Georges Clemenceau im Prozeß Zola.)

Die Weltbühne, 2. September 1930


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