Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Zapfstellen

Zu Beginn dieses Jahres begann in einem Teil der deutschen Presse ein ausgedehntes Treiben gegen die »Derop« (Deutsche Vertriebsgesellschaft für russische Ölprodukte). Die Vorwürfe gingen dahin, daß die KPD in russischem Auftrage in den öffentlichen Zapfstellen organisierte kommunistische Arbeiter unterbringe. »Im preußischen Staatsgebiet allein«, schrieb die ›Kölnische Zeitung‹, »unterhält die Gesellschaft 138 Zapfstellen. Selbst wenn man für jede dieser Stellen nur drei Arbeiter in Ansatz bringt, ergibt sich für das preußische Staatsgebiet allein innerhalb der ›Derop‹ ein zuverlässiger Kerntrupp von 414 Kommunisten. Vorsichtige Schätzungen errechnen für das ganze Deutsche Reich rund viertausend derartige Vertrauensleute der Kommunistischen Partei.«

Zu einer Berichtigung der ›Derop‹ schrieb die ›Kölnische Zeitung›: »Diese Berichtigung kann an dem Kernstück unsrer Mitteilungen nichts ändern ... als ob die räterussische Handelsvertretung nicht eine Organisation der Kommunistischen Partei in Rußland wäre. Wir überlassen dem Leser das Urteil.«

Wenn das schon in einem klug geleiteten Blatt wie der ›Kölnischen Zeitung‹ möglich war, so braucht man sich über das nicht zu wundern, was von schlechtem journalistischen Zapfstellen verbreitet wurde. Es muß auch noch vermerkt werden, daß überall an den »Derop«-Tankstellen Flugblätter auftauchten, in denen behauptet wurde, diese wären Stützpunkte kommunistischer Propaganda.

Um das deutsche Vaterland vor diesem neuen Moskowiterkomplott zu retten, unternahm die preußische Polizei umständliche Recherchen. Sie ging gewissenhaft Einzelfällen nach und prüfte mehrere tausend Zuschriften. Das Ergebnis bildete ein kürzlich an die »Derop« gerichtetes Schreiben des preußischen Innenministeriums, I.V. gez. Dr. Abegg: »Auf das Schreiben vom 28. April 1930 erwidere ich ergebenst, daß die polizeilichen Ermittlungen den Verdacht einer agitatorischen politischen Betätigung der Angestellten an den Zapfstellen Ihrer Gesellschaft nicht bestätigt haben.« Damit wäre es also wieder nichts.

Morus hat hier im vorigen Heft beherzigenswerte Worte über die Trübung des deutsch-russischen Verhältnisses durch personale Bagatellen und törichte Quertreibereien gesagt. Den Schaden davon hat die deutsche Geschäftswelt, die, konsequenter als die englische und amerikanische, ihre Abneigung gegen den Bolschewismus auch praktisch betätigt. Die Distanz zwischen dem einzigen sozialistischen Staat der Welt und seinen kapitalistischen Nachbarn ist schon ohnehin groß genug. Das liegt in der Natur der Dinge. Man sollte in Deutschland endlich auf einen vergiftenden Heckenkrieg verzichten und sich wieder erinnern, daß man hier bei uns seinerzeit zuerst die kindliche Furcht vor dem Bolschewismus überwunden hat und sich deswegen damals sehr überlegen vorkam.

Die Weltbühne, 10. Juni 1930


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