Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Remarque-Film

Zu dem Verbot des Remarque-Films hat die republikanische Feigheit, die in der Erfindung knifflicher Ausreden immer viel Talent beweist, eine besonders schöne Formel produziert. Mit bedauerndem Lächeln raunt man sich zu: »Was soll man machen? Der Film ist ja so schlecht!« Gegenüber solchen Verdunklungsversuchen, die wirksam sind, weil sie der republikanischen Neigung zur Bequemlichkeit entgegenkommen, ist unzweideutig festzustellen, daß diese Affäre politisch ist und von ästhetischen Kategorien nicht berührt wird. Es ist ganz belanglos, ob der Film und das Buch, von dem er stofflich abhängig ist, Meisterwerke sind. Es handelt sich nur darum, ob eine bestimmte maßvoll pazifistische Denkungsart, die über Millionen von Anhängern verfügt und in der Verfassung des Reiches selbst, in jener Mahnung, Erziehung im Geiste der Völkerversöhnung zu erstreben, eine legale Prägung gefunden hat, noch weiterhin erlaubt sein soll oder nicht. Diese Denkungsart, die weder radikal tut noch Verpflichtungen auferlegt und dem politisch organisierten Pazifismus auch gar nicht weit genug geht, ist in dieser letzten Woche zuerst von einer fanatischen Pöbelgarde unter der Führung eines klumpfüßigen Psychopathen öffentlich terrorisiert und dann in der obskuren Zensurkammer eines obskuren Ministerialrats schlicht kassiert worden. Die unverbindlichen Banalitäten, die jeder deutsche und überhaupt jeder Staatsmann der Welt bei jeder Gelegenheit gebraucht: daß der Krieg ein Übel ist und Frieden besser als Krieg, bekommen in Deutschland von nun an den Reiz des Verbotenen. Eine deutsche Zensurbehörde, auf die Gutachten von ein paar Ministerien gestützt, hat dem Geächteten des Kelloggpakts wieder alle bürgerlichen Ehrenrechte zugesprochen.

Hier, und nur hier, liegt die Bedeutung der Affäre. Der Rest ist nicht mehr als ein Zusammenbruch von Institutionen und Charakteren. Wenn der Vertreter des großen Jakobiners Joseph Wirth ausführen durfte: »ein Film nicht des Kriegs sondern der deutschen Niederlage«, so wissen wir, daß morgen schon das Reichsgericht gegen die frevelhafte Behauptung einschreiten kann, wir hätten den Krieg verloren. Die Republik hat ihre eigne Ideologie preisgegeben, sie hat kampflos eine Position geräumt. Dieser Film hätte von ihr mit den Zähnen verteidigt werden müssen. Daß selbst eine so gefährdete Sache nicht hoffnungslos ist, beweist der glücklich abgeschlagene Angriff auf George Grosz, obgleich auch hier die Superklugen schon das erlösende Wort parat hatten: »Es gibt auch gerechte Kriege ...«

Nicht ohne Genugtuung schreiben republikanische Blätter, es hätten doch nur an die zweitausend dumme Jungen auf der Straße Krach gemacht, die Vernünftigen wären dagegen zu Haus geblieben. Der Teufel hole diese Vernünftigen! Hätten sie nicht vorm Ofen gehockt, dann wären diese Forumszenen am Nollendorfplatz und Am Knie nicht möglich gewesen. Dann hätte der hysterische Hanswurst nicht in seinem Wagen, Aufruhr predigend, herumsausen dürfen, ohne in den Kotter gesteckt zu werden. Dann wäre es in Charlottenburg nicht zu pogromähnlichen Auftritten gekommen, wobei Severings Polizei mehr assistierte als verhinderte. Noch immer ist Berlin rot und republikanisch. Aber wo steckte das Reichsbanner? Wo die jungen Sozialisten? Wo die Kommunisten? Die Herrschaften sind doch sonst, wenn es sich um Auseinandersetzungen mit verwandten Fakultäten handelt, schnell zur Hand. Aber hier kam es wirklich darauf an, eine Einbruchstelle gegen den Fascismus zu verteidigen, der keinen von ihnen schonen wird, keinen. Hier wären endlich einmal die in tausend Kleingefechten geübten unschönen Künste mit Nutzen angewandt worden, aber da zogen es auch die verdientesten Veteranen der Straßenschlägereien vor, zu Haus zu bleiben, vernünftig zu sein. Und wo steckte endlich Herr Remarque selbst? Wir kennen seine Abneigung gegen öffentliches Hervortreten und teilen mit vielen Andern die Schätzung eines über Nacht berühmt gewordenen Autors, der es ablehnt, sich herumreichen zu lassen und unter Salonkätzchen und Bankettaffen den Löwen zu spielen. Aber dieser so gut ertragene Ruhm bringt doch noch andre Verpflichtungen mit als solche gegen den guten Geschmack. Herr Remarque hat unzähligen Lesern eine Ahnung von der Wahrheit des Krieges gegeben, er hätte nicht in dem Augenblick schweigen dürfen, wo die Zensur, im Bunde mit dem nationalistischen Pöbelhaufen, zu statuieren wagt, daß diese Wahrheit, auf der Filmleinewand gezeigt, zur verbotwürdigen Ausschreitung wird. Herr Remarque mag nicht das Zeug zum Volkstribunen in sich fühlen, aber das ist auch gar nicht nötig. Ein paar bekennende Worte zum Inhalt des Films, der auch der Inhalt seines Romans ist, würden genügt haben. Ein Autor, der eine zentrale deutsche Frage aufgreift und in ein paar Monaten eine Millionenauflage erzielt, wird, ob er will oder nicht, eine öffentliche Macht. Herr Remarque hat im entscheidenden Stadium geschwiegen und sich damit selbst zu einer literarischen Ohnmacht degradiert.

So hat sich also wieder ein echtes republikanisches Drama entwickelt: ein Staat, der sich selbst verläßt und denen, die ihn verteidigen wollen, den Arm lähmt durch das Bild seiner Jämmerlichkeit. Der Fascismus hat seinen ersten großen Sieg nach dem 14. September errungen. Heute hat er einen Film erlegt, morgen wirds etwas Andres sein. Eins muß deshalb jetzt ganz deutlich gemacht werden: wenn der Staat schon nicht Autorität aufbringt, dann soll er wenigstens Parität gelten lassen. Man kann dem Republikaner nicht versagen, was man Goebbels gestattet hat. Die Republikaner dürfen von nun an monarchistische und militärische Filme nicht mehr dulden. Der Spruch der Oberprüfstelle hat bewiesen, daß ein Film durch Kräfte von außen in die Versenkung gestoßen werden kann. Es muß Ehrensache der berliner Republikaner sein, daß der neue Fridericusfilm, den Hugenberg sich demnächst vorzuführen beehrt, nach Gebühr heimgeschickt wird, ebenso der andre, den Cserepy wieder vorbereitet. Dieser Dreck hat im roten Berlin nichts verloren. Wenn die Konsuln schlafen, muß das Volk zur Selbsthilfe greifen. Die liberale Feigheit, die sich selbst für Vernunft halten möchte, hat ausgelitten. Der Fascismus ist nur auf der Straße zu schlagen. Gegen die nationalsozialistische Gesindelpartei gibt es nur die Logik des dickern Knüppels, zu ihrer Zähmung nur eine Pädagogik: A un corsaire – corsaire et demi!

Die Weltbühne, 16. Dezember 1930


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