Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Wahlkampf: die Konservativen

Dieser Wahlkampf wird sehr reich an Absurditäten werden. Denn keine der Parteien, ob sie die gegenwärtige Regierung stützt oder Opposition macht, wird wirklich sagen wollen, worum es geht. Die Finanzvorlagen der Regierung sind auch den Parteien, die hinter ihr stehen, äußerst unbehaglich, und wie die Deutsche Volkspartei Herrn Peter Moldenhauer, eines ihrer Schoßkinder, kaltblütig fallen ließ, so wird jede andre der bürgerlichen Mittelparteien ihren Minister bis ins dritte und vierte Glied verfluchen, wenn das odiose Wort »Negersteuer« allzu häufig fällt und die Wahlaussichten mindert. Die Sozialdemokratie jedoch möchte sich die in künftige Koalitionen führenden Kanäle nicht verstopfen, und wenn auch einige der Genossen ziemlich wilde Deklamationen sprühen, so ahnt doch der feinfühlige Kanzler Brüning schon den kommenden Bruderkuß in der Spucke der Wahlagitation.

Einstweilen wird also der Wahlkampf nur von flüchtigen Improvisationen beherrscht, wie der von dem Herrn Reichsfinanzminister Dietrich aufgeworfenen Frage, ob wir ein Staatsvolk sind oder nur ein Haufen von Interessenten. Daß wir ein Staatsvolk sind, wird nach dem Ablauf des ersten Dezenniums Republik keiner mit Fug zu behaupten wagen, fest steht dagegen, daß wir ein paar Staatskerle haben, die uns niemand nachmachen kann, und Herr Dietrich ist einer davon. Der Herr Reichsfinanzminister hat mit seiner Kapuzinade am Totenlager des Reichstags kurze Epoche gemacht, verblendete Freunde reden schon von »Dietrichwahlen«, ohne zu wissen, was sie ihrer knickebeinigen Partei damit aufpacken. Herr Dietrich hat seine Rede jetzt in der Krolloper wiederholt. Er hat der deutschen Zwietracht gut alemannisch den Text gelesen und mit einem reichen Aufgebot von verschluckten Endungen die Geister der Zwietracht in die Ecke gescheucht. Herr Dietrich hält nämlich haargenau die Reden, die sein Chef, der Reichskanzler, eigentlich halten sollte. Aber Herr Brüning, obgleich mit seinen Sympathien sehr weit rechts, ist doch Zentrumsmann genug, um selbst zu schweigen und dafür andre sich exponieren zu lassen. Wenn wir Herrn Dietrich richtig verstanden haben, so sieht er das ganze Unglück darin, daß der Klassengeist der Arbeiter sich an dem der Syndici stößt. Denn Dietrich setzt Interessent gleich Interessent. Wer 2000 Mark jährlich verdient und sich gegen Steuererhöhungen und eine angeblichen Staatsnotwendigkeiten entsprechende »Reform« der Sozialgesetzgebung sträubt, entbehrt in gleichem Maße der richtigen staatspolitischen Einsicht wie sein Mitbürger, der 200 000 M. jährlich verdient, Kapital verschiebt und die von der Regierung beschlossene Verknappung der Sozialpolitik noch nicht ausreichend findet. Kein beredter Demodietrich kann uns überzeugen, daß auf Grund solcher Konstruktionen ein Ausgleich möglich ist. Der alte Wirtschaftsliberalismus hat für das jetzige Entwicklungsstadium keine Rezepte mehr, bestenfalls nur kleine Formeln für einen zerbrechlichen Waffenstillstand. Und nach Waffenstillstand sieht es nirgends aus. Steht es schon mit der Dietrichschen Theorie schlecht, so noch schlechter mit der Praxis. Denn der Herr Minister richtet seine Philippiken ausschließlich gegen die an der Regierung nicht beteiligten Parteien und unterläßt zu bemerken, daß der Finanzwirrwarr vor allem durch die Unstimmigkeiten im Regierungslager selbst entstanden ist, nämlich durch die ewig neuen Projekte und Proteste in der Deutschen Volkspartei und in der Wirtschaftspartei. Sitzen dort etwa keine Interessenten? Und ist es dem Herrn Minister so sehr darum zu tun gewesen, Hugenberg für seine Vorlagen zu gewinnen? Herrn Dietrich in den Mittelpunkt schieben, das heißt die Demopartei um die letzte Chance bringen, wenigstens in knapper Fraktionsstärke wiederzukehren. Der demokratische Minister als Barde des Artikels 48 und der oktroyierten Steuern, das bedeutet die Vollendung einer Selbstzerstörung, die mit Geßler begonnen hat. Nun, unser Auge bleibt trocken.

Jedenfalls sind Dietrichs naive Bemühungen ein deutliches Zeichen, wie selbstverständlich eine reaktionäre Haltung, die noch vor kurzem unter einem Sturm von Widersprüchen zusammengebrochen wäre, wieder geworden ist. Es ist auch beachtenswert, daß eine neue Partei sich wieder zu der lange verpönten Marke »Konservativ« zu bekennen wagt. Denn in den vergangenen Jahren war man »national« oder sonstwas, aber beileibe nicht »konservativ«. Aus zwei der deutschnationalen Sezessionen hat sich unter Treviranus und Westarp die Konservative Volkspartei gebildet. Die Rückwärtser fühlen sich heute sicher genug, einen Namen neu zu beziehen, den sie 1918 panikartig verlassen haben. Denn die alte Konservative Partei ist die bestimmende Partei der wilhelminischen Ära gewesen; in ungebrochener Allmacht hat sie innere und äußere Politik beherrscht. Sie hat im Frieden und im Krieg die rechtzeitigen rettenden Reformen verhindert. Ihr Geist ist für das Torkeln in die Katastrophe von 1914, für den falschen innern Kurs während des Kriegs, für den endlichen Niederbruch verantwortlich. Was denken sich die Leute, die eine so faule Firma wiederaufnehmen wollen? Konservativ sein, das heißt bewahren, an Vergangenes anknüpfen. Was soll also bewahrt, was von der Vergangenheit wieder belebt werden? Denn das glaubt doch niemand, daß die Rosinante der alten preußischen Junkerpartei wieder aufgezäumt werden soll, um eine forsche Attacke gegen eine Zeit mitzumachen, die in Panzerautos fährt.

Der Name Konservative Volkspartei ist symptomatischer für die quallige Ideologie der Einpeitscher, die an das alte Wort ein Stückchen Volk gepappt haben und sich deswegen schrecklich modern vorkommen, als für die Gesamthaltung der Leute, die sich dort zusammenfinden. Die Wenigsten davon sind Konservative im gewöhnlich gebrauchten Sinne. Ein paar davon, wie der brave Graf Westarp und seine engern Freunde, sind schon mehr Konservierte, Büchsenfleisch von Kaisers Triariern, das, an die Luft gebracht, schnell verdirbt: die Letzten, die noch mit rostiger Tartsche, Mambrins Helm auf dem Kopf, einen Gang für Kaiser und Reich wagen möchten. Das Gros aber ist weder romantisch vernebelt noch ideologisch beengt sondern einfach sozialreaktionär. Mehr nicht. Sozialreaktionär in dem Maße, daß schon die Deutsche Volkspartei als eines kränklichen Liberalismus und einer perversen Hinneigung zur Sozialdemokratie verdächtig erscheint. Der Grund des Abfalls von Hugenberg ist nicht in prinzipiellen Verschiedenheiten zu suchen sondern darin, daß erwachsene Menschen keine Lust mehr hatten, sich die Pantoffeldiktatur des alten Geheimrats gefallen zu lassen, und daß viele davon opportunistischer gestimmt sind als er und es für Unsinn halten, eine gutgefüllte Krippe, aus der man selbst mitfuttern kann, mit Brandbomben zu belegen. So entschlossen sich die Gläubigen der Tradition zur »Mitarbeit am neuen Staat«. Armer Staat.

Für diesen Wahlkampf bedeutet die neue Gruppierung selbstverständlich eine ungewöhnliche Schwächung der Rechten. Vier Parteien treten statt einer an; von Hitler ganz zu schweigen. Da ist Hugenberg selbst, der noch immer Apparat, Presse und Bundeslade der Deutschnationalen Partei in Händen hat. Dann die Volkskonservativen, unter denen sich Westarp schon auffallend distanziert, dann die Agrarpartei des Ministers Schiele, dann der Christlich-Soziale Volksdienst des Lizentiaten Mumm, der wie ein neuer Luther die Barchentfahne der evangelischen Sache schwingt. Vier Parteien auf engem Raum, deren Unterschiede mit der Lupe zu suchen sind, müssen sich einstweilen hart auf die Füße treten. Die Veränderungen auf der Rechten haben erst begonnen; es ist mehr ein Prozeß der Anpassung als der Wandlung. Er berührt nur das Firmenschild, nicht den innern Habitus. Die außenpolitischen Fragen, von denen die Deutschnationalen vornehmlich gelebt haben, erhitzen nicht mehr so; und außerdem kann gegen Hitlers Konkurrenz doch niemand anschreien. Ein wilhelminischer General ist Präsident der roten Republik, Reichskanzler ein Zentrumsmann, der nach rechts strebt, nur nach rechts, und alle Tendenzen des Bürgertums laufen auf die Schaffung eines geschlossenen arbeiterfeindlichen Blocks hinaus. Soll man da böse spielen und noch immer den Flederwisch einer langsam komisch werdenden Unversöhnlichkeit schwingen? Mimikry ist die Losung.

In der Geschichte der dritten französischen Republik läßt sich eine ähnliche Entwicklung verfolgen. Aus den Wahlen von 1877 gingen noch 210 Monarchisten neben 320 Republikanern hervor. Zehn Jahre später hat sich die Rechte dem Gassennationalismus der Boulangerperiode verschrieben; sie wird in die Katastrophe der Boulange hineingezogen und verliert viel. Nach der Dreyfus-Affäre beginnt der große Abmarsch zu den »Progressisten«. Die Reaktionäre müssen wohl oder übel nach bessern Attraktionen suchen: 1906 werden in die Kammer 78 »Conservateurs et Action Liberale« gewählt. Liberale Aktion ist ein ausgezeichneter Name für die Anhänger von Säbel und Weihwedel. Dann wechselt mit jeder neuen Wahl die Etikettierung, das ideale Kostüm ist schwer zu finden. Erst bei den Maiwahlen 1924 hat sich die Rechte den Namen gegeben, den sie heute noch führt, wo sie mit 102 Mandaten die zweitstärkste Kammerfraktion darstellt. Wie nennt sich also die französische Rechte? Union Républicaine Democratique. Guten Abend.

Solche moralischen Triumphe stehen der deutschen Republik noch bevor. Soweit sind wir noch lange nicht. Die Treviranen denken gar nicht daran, ihre von Vernunftgründen bestimmte Duldung der Republik äußerlich zu kennzeichnen, sie drücken schon durch ihren Namen engste Verbundenheit mit der vergangenen Zeit aus. Für die Tagesagitation putzen sie sich mit dem Namen Hindenburgs und treten aufs wärmste für die Allmacht dieses Reichspräsidenten und für eine Gesetzgebung auf Grund des Artikels ein. Für Parlamentarismus und Demokratie haben sie nichts übrig. Die Herren Volkskonservativen dürfen also nichts dagegen einwenden, wenn wir sie als das bezeichnen, was sie sind: als die Partei des Verfassungsbruchs, gegründet zur Rechtfertigung eines Verfassungsbruchs. Was ihr Aufruf sonst noch sagt, ist leeres Gerede, das sich jeglicher nach Belieben auslegen kann. Mag der zeitweilige Gegensatz zu den Rechtsextremisten die Herren auch zu einer Argumentation nötigen, die sich in manchen Stücken der liberalen angleicht, ihr Ziel ist die Diktatur, eine etwas feinere als die Hitlersche, aber doch eine Diktatur. Die neuen Konservativen haben zwar den Kaiser fallen lassen, seinen Purpur jedoch um die Schultern der Klasse gelegt, deren Machtansprüche sie vertreten. Sie werden ihn zu verteidigen wissen.

Es ist der Fehler der Linken, sich allzusehr von dem Bild fascinieren zu lassen, wie einer nach dem andern von Hugenberg abfällt. Die neue Rechte ist noch nicht fertig, wahrscheinlich werden nicht einmal die Septemberwahlen die Umrisse ihrer künftigen Gestalt zeigen. Vielleicht wird auch Hugenberg diesmal noch gar nicht so schlecht abschneiden; wenn ihm auch die Köpfe entwichen sind, so ist ihm doch das kummergewohnte Sitzfleisch der Funktionäre treu geblieben, und er hat noch immer die stärkern propagandistischen Trümpfe. Er verfügt über das üppige Vokabularium der unbedingten nationalen Opposition, über die farbigere ideologische Maskerade. Was die Treviranen dagegen zu bieten haben, klingt mittelparteilich, also unwirksam.

Es gibt keine geschlossene deutsche Rechte mehr, aber in dem republikanischen Jubel über ihr Auseinanderkrachen sollte nicht vergessen werden, was sie erreicht hat. Was sie nicht erreicht hat, ist eine grundsätzliche Änderung der Außenpolitik. Hier ist es ihr nur gelungen, zu hemmen, Schwierigkeiten zu machen; Entscheidendes hat sie nicht bewirkt. Dagegen hinterläßt sie innenpolitisch breite und tiefe Spuren, die vielleicht nur durch eine zweite Revolution weggewischt werden können. Sie hat Justiz, Militär, Schule und großen Teilen der Verwaltung ihren Ungeist eingeblasen und viele Institutionen der Republik mit ihren Händen geformt. Sie hat die Finanz- und Wirtschaftspolitik wiederholt entschieden beeinflußt und das große Trompetensignal zum Sturm auf die Sozialpolitik geblasen. Sie hat mit unerhörter Zähigkeit die Republik nach rechts gezogen. Wenn jetzt ein demokratischer Minister die volksfeindlichen Finanzvorlagen einbringt und rechtfertigt, wenn Joseph Wirth, unser schwarzrotgoldener Sturmgeselle mit dem Heckerhut, in einer von humorvoller Jovialität getragenen Rede die Anwendung des Ausnahmeparagraphen verteidigt, dann kann Hugenberg in dem Bewußtsein sterben, das Seinige getan zu haben. Aber Hugenberg braucht gar nicht zu sterben. Ein deutscher Politiker, der so viel Unheil angerichtet hat, stirbt nicht so leicht. So ein alter cheruskischer Zottelbär endet nicht im Eisen.

Die Weltbühne. 29. Juli 1930


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